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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Etwas zur Diakonissensache

Nationalisten selbst sähen sich in Stunden ruhiger Überlegung zu dem Ge¬
ständnis genötigt, daß Rußland eigentlich keine Knlturtraditionen habe. Damit
gesteht aber Milukow seinerseits, daß die russische Kulturgeschichte nur eine
Geschichte der russischen Unkultur ist, und wenn er zuletzt die Hoffnung aus¬
spricht, sein Volk werde es jetzt endlich zur Selbsterziehung, zum bewußten
stetigen Fortschritt bringen und so eine Kulturtradition schaffen, so versteht
sich das zwar bei einem patriotischen Russen von selbst, aber die Aussichte"
auf Erfüllung dieser Hoffnung sind sehr gering. Die Russen haben lauge
genug Anregungen vom Westen her empfangen; wenn sie in den letzten zwei
Jahrhunderten eines beständigen Wechselverkehrs mit dem Westen ihre Barbarei
noch nicht zu überwinden vermocht haben, so scheint das zu beweisen, daß sie
dazu aus eigner Kraft nicht fähig sind. An Intelligenz fehlt es ihnen so
wenig wie an ästhetischer Begabung; das beweisen ihre zahlreichen Gelehrten
und Künstler. Ungeborne Willensschwäche ist schuld daran, daß es die Slawen
ohne deutsche Hilfe und Leitung weder zu einer vernünftigen Staatsordnung
noch zu einem gesunden Wirtschaftsleben und zu einer Kultur bringen, die diesen
Namen verdient.




Etwas zur Diakonissensache

urch das Anwachsen der gesetzlichen Krankenversorgung haben sich
die Arbeitsgebiete für den Pflegedienst so stark vermehrt und
vergrößert, daß die Ausdehnung der Pflegeverbände nicht Schritt
zu halten vermochte, obwohl sich jetzt weit mehr junge Mädchen
diesen? Beruf zuwende", als noch vor einem Jahrzehnt. Die
evangelischen Diakonissenhänser besonders bleibe" im Wächst"," zurück. Der
Zustrom der jungen Kräfte -- und unter diesen ganz besonders der aus ge¬
bildeten Familien kommenden -- wendet sich überwiegend den freiern Ver¬
bänden zu.

Das muß sehr bedauert werdeu, deun das evangelische Diakonisscntum
ist seit 1836, wo Pastor Fliedner in seinem Pfarrgarten zu Kaiserswerth ihm
das erste kleine Heim baute, eine Quelle unermeßlichen Segens für die ganze
evangelische Welt gewesen und muß auch als Mutter all der jungem mehr
oder weniger selbständigen Pflegeverbände angesehen werden. Ein Lob unsrer
Diakonissen ist wohl überflüssig. Die schwarzweiße Straßentracht und die
gütigen Friedensgesichter unter der Haube dürften selten andern Empfindungen
begegnen als denen der Achtung und des Vertrauens. Auch beweist die starke
Nachfrage nach Diakonissen bei den Gemeinden, Krankenhäusern, Kliniken und
kranken Privatpersonen, welche Wertschätzung ihre besondre Art genießt.

Der Krankendienst besteht zum größten Teil ans Handlungen, bei denen
Genauigkeit im "Was -- Wie -- Wann" von entscheidender Wichtigkeit ist. Be¬
sonders die Spitalpflege hängt ihrer Natur unes sehr vou Zufälligen und Un-
^


Grenzboten IV 1902 4si
Etwas zur Diakonissensache

Nationalisten selbst sähen sich in Stunden ruhiger Überlegung zu dem Ge¬
ständnis genötigt, daß Rußland eigentlich keine Knlturtraditionen habe. Damit
gesteht aber Milukow seinerseits, daß die russische Kulturgeschichte nur eine
Geschichte der russischen Unkultur ist, und wenn er zuletzt die Hoffnung aus¬
spricht, sein Volk werde es jetzt endlich zur Selbsterziehung, zum bewußten
stetigen Fortschritt bringen und so eine Kulturtradition schaffen, so versteht
sich das zwar bei einem patriotischen Russen von selbst, aber die Aussichte»
auf Erfüllung dieser Hoffnung sind sehr gering. Die Russen haben lauge
genug Anregungen vom Westen her empfangen; wenn sie in den letzten zwei
Jahrhunderten eines beständigen Wechselverkehrs mit dem Westen ihre Barbarei
noch nicht zu überwinden vermocht haben, so scheint das zu beweisen, daß sie
dazu aus eigner Kraft nicht fähig sind. An Intelligenz fehlt es ihnen so
wenig wie an ästhetischer Begabung; das beweisen ihre zahlreichen Gelehrten
und Künstler. Ungeborne Willensschwäche ist schuld daran, daß es die Slawen
ohne deutsche Hilfe und Leitung weder zu einer vernünftigen Staatsordnung
noch zu einem gesunden Wirtschaftsleben und zu einer Kultur bringen, die diesen
Namen verdient.




Etwas zur Diakonissensache

urch das Anwachsen der gesetzlichen Krankenversorgung haben sich
die Arbeitsgebiete für den Pflegedienst so stark vermehrt und
vergrößert, daß die Ausdehnung der Pflegeverbände nicht Schritt
zu halten vermochte, obwohl sich jetzt weit mehr junge Mädchen
diesen? Beruf zuwende», als noch vor einem Jahrzehnt. Die
evangelischen Diakonissenhänser besonders bleibe» im Wächst»,» zurück. Der
Zustrom der jungen Kräfte — und unter diesen ganz besonders der aus ge¬
bildeten Familien kommenden — wendet sich überwiegend den freiern Ver¬
bänden zu.

Das muß sehr bedauert werdeu, deun das evangelische Diakonisscntum
ist seit 1836, wo Pastor Fliedner in seinem Pfarrgarten zu Kaiserswerth ihm
das erste kleine Heim baute, eine Quelle unermeßlichen Segens für die ganze
evangelische Welt gewesen und muß auch als Mutter all der jungem mehr
oder weniger selbständigen Pflegeverbände angesehen werden. Ein Lob unsrer
Diakonissen ist wohl überflüssig. Die schwarzweiße Straßentracht und die
gütigen Friedensgesichter unter der Haube dürften selten andern Empfindungen
begegnen als denen der Achtung und des Vertrauens. Auch beweist die starke
Nachfrage nach Diakonissen bei den Gemeinden, Krankenhäusern, Kliniken und
kranken Privatpersonen, welche Wertschätzung ihre besondre Art genießt.

Der Krankendienst besteht zum größten Teil ans Handlungen, bei denen
Genauigkeit im „Was — Wie — Wann" von entscheidender Wichtigkeit ist. Be¬
sonders die Spitalpflege hängt ihrer Natur unes sehr vou Zufälligen und Un-
^


Grenzboten IV 1902 4si
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[0371] Etwas zur Diakonissensache Nationalisten selbst sähen sich in Stunden ruhiger Überlegung zu dem Ge¬ ständnis genötigt, daß Rußland eigentlich keine Knlturtraditionen habe. Damit gesteht aber Milukow seinerseits, daß die russische Kulturgeschichte nur eine Geschichte der russischen Unkultur ist, und wenn er zuletzt die Hoffnung aus¬ spricht, sein Volk werde es jetzt endlich zur Selbsterziehung, zum bewußten stetigen Fortschritt bringen und so eine Kulturtradition schaffen, so versteht sich das zwar bei einem patriotischen Russen von selbst, aber die Aussichte» auf Erfüllung dieser Hoffnung sind sehr gering. Die Russen haben lauge genug Anregungen vom Westen her empfangen; wenn sie in den letzten zwei Jahrhunderten eines beständigen Wechselverkehrs mit dem Westen ihre Barbarei noch nicht zu überwinden vermocht haben, so scheint das zu beweisen, daß sie dazu aus eigner Kraft nicht fähig sind. An Intelligenz fehlt es ihnen so wenig wie an ästhetischer Begabung; das beweisen ihre zahlreichen Gelehrten und Künstler. Ungeborne Willensschwäche ist schuld daran, daß es die Slawen ohne deutsche Hilfe und Leitung weder zu einer vernünftigen Staatsordnung noch zu einem gesunden Wirtschaftsleben und zu einer Kultur bringen, die diesen Namen verdient. Etwas zur Diakonissensache urch das Anwachsen der gesetzlichen Krankenversorgung haben sich die Arbeitsgebiete für den Pflegedienst so stark vermehrt und vergrößert, daß die Ausdehnung der Pflegeverbände nicht Schritt zu halten vermochte, obwohl sich jetzt weit mehr junge Mädchen diesen? Beruf zuwende», als noch vor einem Jahrzehnt. Die evangelischen Diakonissenhänser besonders bleibe» im Wächst»,» zurück. Der Zustrom der jungen Kräfte — und unter diesen ganz besonders der aus ge¬ bildeten Familien kommenden — wendet sich überwiegend den freiern Ver¬ bänden zu. Das muß sehr bedauert werdeu, deun das evangelische Diakonisscntum ist seit 1836, wo Pastor Fliedner in seinem Pfarrgarten zu Kaiserswerth ihm das erste kleine Heim baute, eine Quelle unermeßlichen Segens für die ganze evangelische Welt gewesen und muß auch als Mutter all der jungem mehr oder weniger selbständigen Pflegeverbände angesehen werden. Ein Lob unsrer Diakonissen ist wohl überflüssig. Die schwarzweiße Straßentracht und die gütigen Friedensgesichter unter der Haube dürften selten andern Empfindungen begegnen als denen der Achtung und des Vertrauens. Auch beweist die starke Nachfrage nach Diakonissen bei den Gemeinden, Krankenhäusern, Kliniken und kranken Privatpersonen, welche Wertschätzung ihre besondre Art genießt. Der Krankendienst besteht zum größten Teil ans Handlungen, bei denen Genauigkeit im „Was — Wie — Wann" von entscheidender Wichtigkeit ist. Be¬ sonders die Spitalpflege hängt ihrer Natur unes sehr vou Zufälligen und Un- ^ Grenzboten IV 1902 4si

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/371>, abgerufen am 01.09.2024.