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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Form der zweiten, aus denen jene erst abgeleitet sind, zurückzugehn, von g-mmous
zu Aing.mus, von Sujet, zu LMeotuw, von noir zu uiZkr. Der natürliche Gang
ist doch der historische.

Dazu kommt noch ein andrer Umstand, und damit sind wir bei der Ansicht
angelangt, daß der Lehrplan des Reformgymnasiums die Entwicklung des National¬
bewußtseins in besonderm Maße verbürge. Haben wir Deutschen wirklich Ursache,
das Französische als die Grundsprache unsrer höhern Bildung, die französische Kultur
als die höchst entwickelte zu behandeln? Sie ist nur eine von den modernen Kul¬
turen, keineswegs die Grundlage der gesamten europäischen Kultur, wie die antike;
sie hat die beherrschende Rolle im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert gespielt,
aber sie spielt sie heute nicht mehr; vom Standpunkte der Weltstellung ans ist heute
die englische Sprache und Kultur wichtiger. Es ist barer Unsinn, zu sagen, daß die
humanistischen Gymnasien junge Griechen und Römer erzogen; es ist aber, namentlich
bei unsrer deutschen Anschmiegsamkeit an das Fremde, sehr wohl möglich, junge
Deutsche zu künstlichen Franzosen oder Engländern zu erziehen. "Die Proben gcbens."
Und eine Schule, die dem Französischen eine so starke Stellung einräumt, seine
Stundenzahl nahezu verdoppelt und es zur Grundlage der grammatischen Bildung
macht, die soll besonders berufen sein, zu nationaler Gesinmmg zu erziehn? Im
Deutschen und in der Geschichte aber unterscheidet sich der Frankfurter Lehrplan
insofern gar zu seinen Ungunsten von dem des humanistischen Gymnasiums in
Sachsen, daß er dem ersten Fache allerdings 27 statt 25, aber dem zweiten (die
Erdkunde inbegriffen) 26 statt 28 Stunden zuweist. Deshalb will Dresden die
Gesmntstnndenzahl im Deutschen auf 34 steigern.

Weiter haben die Stadtverordneten in Dresden beschlossen, für die drei untern
Klassen des neuen Gymnnsinms nicht den Frankfurter Plau, sondern den des Reform¬
realgymnasiums in Dresden-Neustadt einzuführen. Danach beginnt das Französische
in Sexta mit 5 Stunden, hat in Quinta 6, in Quarta 7 Stunden; die Grund¬
sprache aber, an der die Grammatik eingeübt wird, ist das Deutsche mit 7 Stunden
in Sexta, mit ki Stunden in Quinta, mit 5 Stunden in Quarta. Demgegenüber
muß hervorgehoben werden, daß die Zergliederung der Muttersprache zu gramma¬
tischen Übungszwecken sehr leicht dazu führen kann, den Schülern die Freude an
der Muttersprache, die ihnen immer etwas Ehrwürdiges sein soll und nicht zum
"ol'ML vllo werden darf, gründlich zu verleiden, ohne ihnen die Entschädigung zu
geben, die der grammatikalische Unterricht in einer fremden Sprache gewährt, die
Freude am Neuen. Kurz, die Erwartung, das Reformgymnnsinm sei in hervor¬
ragendem Maße geeignet, das Nationalgefühl in unsrer Jugend zu stärken, ist
ebenso unberechtigt, wie die, daß es ihr die klassischen Sprachen leichter mache.
Nicht so sehr auf die Lehrpläne, als auf den patriotischen Geist der Lehrer kommt
es überhaupt allenthalben an, und die humanistischen Gymnasien dürfen sich rühmen,
dnß sie ihre Jugend zu einer Zeit, wo weder von einer deutschen Nation noch von
deutschem Patriotismus die Rede sein durfte, am Beispiele der Griechen und der
Römer zur Vaterlandsliebe erzogen haben.

Zum Schlüsse noch eins. Der Lehrplan des Neformgymnnsiums ist, was jetzt
gern vergessen oder absichtlich verschleiert wird, gar nicht ans pädagogischen Be¬
dürfnissen erwachsen, sondern aus der rein praktischen Rücksicht, die Entscheidung
über die Zukunft des Knaben möglichst weit hinauszuschieben und ihm den Über¬
gang zu einer andern Schnlgattung zu erleichtern. Die Ausdehnung der Berechti¬
gungen der Realgymnasien hat die Bedeutung dieser Rücksicht schon wesentlich
vermindert, anderseits wird das Dresdner Reformgymnasium Nachteile mit sich
bringen, die jenen Vorteil mindestens aufwiegen. Denn seine Schüler werden auf
kein nudres humanistisches Gymnasium Dresdens oder Sachsens übergehn können.
Ein Reformquartaner z. B. kann nicht ohne weiteres in die Untertertia eines Gym¬
nasiums alter Art aufgenommen werden, weil ihm das Lateinische völlig fehlt, ein
Obertertianer nicht in die Untersekunda eines solchen, weil er noch gar kein Griechisch


Form der zweiten, aus denen jene erst abgeleitet sind, zurückzugehn, von g-mmous
zu Aing.mus, von Sujet, zu LMeotuw, von noir zu uiZkr. Der natürliche Gang
ist doch der historische.

Dazu kommt noch ein andrer Umstand, und damit sind wir bei der Ansicht
angelangt, daß der Lehrplan des Reformgymnasiums die Entwicklung des National¬
bewußtseins in besonderm Maße verbürge. Haben wir Deutschen wirklich Ursache,
das Französische als die Grundsprache unsrer höhern Bildung, die französische Kultur
als die höchst entwickelte zu behandeln? Sie ist nur eine von den modernen Kul¬
turen, keineswegs die Grundlage der gesamten europäischen Kultur, wie die antike;
sie hat die beherrschende Rolle im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert gespielt,
aber sie spielt sie heute nicht mehr; vom Standpunkte der Weltstellung ans ist heute
die englische Sprache und Kultur wichtiger. Es ist barer Unsinn, zu sagen, daß die
humanistischen Gymnasien junge Griechen und Römer erzogen; es ist aber, namentlich
bei unsrer deutschen Anschmiegsamkeit an das Fremde, sehr wohl möglich, junge
Deutsche zu künstlichen Franzosen oder Engländern zu erziehen. „Die Proben gcbens."
Und eine Schule, die dem Französischen eine so starke Stellung einräumt, seine
Stundenzahl nahezu verdoppelt und es zur Grundlage der grammatischen Bildung
macht, die soll besonders berufen sein, zu nationaler Gesinmmg zu erziehn? Im
Deutschen und in der Geschichte aber unterscheidet sich der Frankfurter Lehrplan
insofern gar zu seinen Ungunsten von dem des humanistischen Gymnasiums in
Sachsen, daß er dem ersten Fache allerdings 27 statt 25, aber dem zweiten (die
Erdkunde inbegriffen) 26 statt 28 Stunden zuweist. Deshalb will Dresden die
Gesmntstnndenzahl im Deutschen auf 34 steigern.

Weiter haben die Stadtverordneten in Dresden beschlossen, für die drei untern
Klassen des neuen Gymnnsinms nicht den Frankfurter Plau, sondern den des Reform¬
realgymnasiums in Dresden-Neustadt einzuführen. Danach beginnt das Französische
in Sexta mit 5 Stunden, hat in Quinta 6, in Quarta 7 Stunden; die Grund¬
sprache aber, an der die Grammatik eingeübt wird, ist das Deutsche mit 7 Stunden
in Sexta, mit ki Stunden in Quinta, mit 5 Stunden in Quarta. Demgegenüber
muß hervorgehoben werden, daß die Zergliederung der Muttersprache zu gramma¬
tischen Übungszwecken sehr leicht dazu führen kann, den Schülern die Freude an
der Muttersprache, die ihnen immer etwas Ehrwürdiges sein soll und nicht zum
«ol'ML vllo werden darf, gründlich zu verleiden, ohne ihnen die Entschädigung zu
geben, die der grammatikalische Unterricht in einer fremden Sprache gewährt, die
Freude am Neuen. Kurz, die Erwartung, das Reformgymnnsinm sei in hervor¬
ragendem Maße geeignet, das Nationalgefühl in unsrer Jugend zu stärken, ist
ebenso unberechtigt, wie die, daß es ihr die klassischen Sprachen leichter mache.
Nicht so sehr auf die Lehrpläne, als auf den patriotischen Geist der Lehrer kommt
es überhaupt allenthalben an, und die humanistischen Gymnasien dürfen sich rühmen,
dnß sie ihre Jugend zu einer Zeit, wo weder von einer deutschen Nation noch von
deutschem Patriotismus die Rede sein durfte, am Beispiele der Griechen und der
Römer zur Vaterlandsliebe erzogen haben.

Zum Schlüsse noch eins. Der Lehrplan des Neformgymnnsiums ist, was jetzt
gern vergessen oder absichtlich verschleiert wird, gar nicht ans pädagogischen Be¬
dürfnissen erwachsen, sondern aus der rein praktischen Rücksicht, die Entscheidung
über die Zukunft des Knaben möglichst weit hinauszuschieben und ihm den Über¬
gang zu einer andern Schnlgattung zu erleichtern. Die Ausdehnung der Berechti¬
gungen der Realgymnasien hat die Bedeutung dieser Rücksicht schon wesentlich
vermindert, anderseits wird das Dresdner Reformgymnasium Nachteile mit sich
bringen, die jenen Vorteil mindestens aufwiegen. Denn seine Schüler werden auf
kein nudres humanistisches Gymnasium Dresdens oder Sachsens übergehn können.
Ein Reformquartaner z. B. kann nicht ohne weiteres in die Untertertia eines Gym¬
nasiums alter Art aufgenommen werden, weil ihm das Lateinische völlig fehlt, ein
Obertertianer nicht in die Untersekunda eines solchen, weil er noch gar kein Griechisch


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[0341] Form der zweiten, aus denen jene erst abgeleitet sind, zurückzugehn, von g-mmous zu Aing.mus, von Sujet, zu LMeotuw, von noir zu uiZkr. Der natürliche Gang ist doch der historische. Dazu kommt noch ein andrer Umstand, und damit sind wir bei der Ansicht angelangt, daß der Lehrplan des Reformgymnasiums die Entwicklung des National¬ bewußtseins in besonderm Maße verbürge. Haben wir Deutschen wirklich Ursache, das Französische als die Grundsprache unsrer höhern Bildung, die französische Kultur als die höchst entwickelte zu behandeln? Sie ist nur eine von den modernen Kul¬ turen, keineswegs die Grundlage der gesamten europäischen Kultur, wie die antike; sie hat die beherrschende Rolle im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert gespielt, aber sie spielt sie heute nicht mehr; vom Standpunkte der Weltstellung ans ist heute die englische Sprache und Kultur wichtiger. Es ist barer Unsinn, zu sagen, daß die humanistischen Gymnasien junge Griechen und Römer erzogen; es ist aber, namentlich bei unsrer deutschen Anschmiegsamkeit an das Fremde, sehr wohl möglich, junge Deutsche zu künstlichen Franzosen oder Engländern zu erziehen. „Die Proben gcbens." Und eine Schule, die dem Französischen eine so starke Stellung einräumt, seine Stundenzahl nahezu verdoppelt und es zur Grundlage der grammatischen Bildung macht, die soll besonders berufen sein, zu nationaler Gesinmmg zu erziehn? Im Deutschen und in der Geschichte aber unterscheidet sich der Frankfurter Lehrplan insofern gar zu seinen Ungunsten von dem des humanistischen Gymnasiums in Sachsen, daß er dem ersten Fache allerdings 27 statt 25, aber dem zweiten (die Erdkunde inbegriffen) 26 statt 28 Stunden zuweist. Deshalb will Dresden die Gesmntstnndenzahl im Deutschen auf 34 steigern. Weiter haben die Stadtverordneten in Dresden beschlossen, für die drei untern Klassen des neuen Gymnnsinms nicht den Frankfurter Plau, sondern den des Reform¬ realgymnasiums in Dresden-Neustadt einzuführen. Danach beginnt das Französische in Sexta mit 5 Stunden, hat in Quinta 6, in Quarta 7 Stunden; die Grund¬ sprache aber, an der die Grammatik eingeübt wird, ist das Deutsche mit 7 Stunden in Sexta, mit ki Stunden in Quinta, mit 5 Stunden in Quarta. Demgegenüber muß hervorgehoben werden, daß die Zergliederung der Muttersprache zu gramma¬ tischen Übungszwecken sehr leicht dazu führen kann, den Schülern die Freude an der Muttersprache, die ihnen immer etwas Ehrwürdiges sein soll und nicht zum «ol'ML vllo werden darf, gründlich zu verleiden, ohne ihnen die Entschädigung zu geben, die der grammatikalische Unterricht in einer fremden Sprache gewährt, die Freude am Neuen. Kurz, die Erwartung, das Reformgymnnsinm sei in hervor¬ ragendem Maße geeignet, das Nationalgefühl in unsrer Jugend zu stärken, ist ebenso unberechtigt, wie die, daß es ihr die klassischen Sprachen leichter mache. Nicht so sehr auf die Lehrpläne, als auf den patriotischen Geist der Lehrer kommt es überhaupt allenthalben an, und die humanistischen Gymnasien dürfen sich rühmen, dnß sie ihre Jugend zu einer Zeit, wo weder von einer deutschen Nation noch von deutschem Patriotismus die Rede sein durfte, am Beispiele der Griechen und der Römer zur Vaterlandsliebe erzogen haben. Zum Schlüsse noch eins. Der Lehrplan des Neformgymnnsiums ist, was jetzt gern vergessen oder absichtlich verschleiert wird, gar nicht ans pädagogischen Be¬ dürfnissen erwachsen, sondern aus der rein praktischen Rücksicht, die Entscheidung über die Zukunft des Knaben möglichst weit hinauszuschieben und ihm den Über¬ gang zu einer andern Schnlgattung zu erleichtern. Die Ausdehnung der Berechti¬ gungen der Realgymnasien hat die Bedeutung dieser Rücksicht schon wesentlich vermindert, anderseits wird das Dresdner Reformgymnasium Nachteile mit sich bringen, die jenen Vorteil mindestens aufwiegen. Denn seine Schüler werden auf kein nudres humanistisches Gymnasium Dresdens oder Sachsens übergehn können. Ein Reformquartaner z. B. kann nicht ohne weiteres in die Untertertia eines Gym¬ nasiums alter Art aufgenommen werden, weil ihm das Lateinische völlig fehlt, ein Obertertianer nicht in die Untersekunda eines solchen, weil er noch gar kein Griechisch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/341>, abgerufen am 01.09.2024.