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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

fürchtete weitere Allsdehnung der Reichskompetenz recht nahe. Denn was da geschehn
ist, das ist geradezu ein Rückschritt, ein Rückfnll in die alte Zerrissenheit.

Aber die Maßregel hat jüngst im Landtage, vor allem in der Ersten Kammer,
warmen Beifall gefunden. Der Vertreter der Universität Leipzig, der Jurist Professor
ol'. Wach, hat es in der Sitzung vom 2. Juni als die Überzeugung der gesamten
(Leipziger) Juristenfakultät ausgesprochen, "daß die humanistische Vorbildung für
den juristischen Beruf unerläßlich sei." Denn das Recht sei "eine spezifisch-historische
Wissenschaft," und es sei "nirgends gefährlicher im Stnntsleben, als wenn im Ge¬
biete des Rechtslebens der wurzellose Radikalismus dominiere." Außerdem werde
ein Rechtslehrer, der vor Studenten verschiedner Vorbildung doziere, von denen
einem Teile "die elementarsten Vorkenntnisse aus der römischen Geschichte, der
lateinischen Sprache u. s. f." fehlen, seine Vorträge "degradieren." Von diesem
ebenso richtigen als nicht eben durch Neuheit überraschenden Gedankengang aus
sprach der Redner den Nealgymnasialabitnrientcn die Befähigung zum Rechtsstudium
ab, soweit das in seiner auf Sachsen beschränkten Kompetenz lag.

Uns scheint, wenn die Universitäten eine "Degradation" durch Zulassung nicht
"humanistisch" vorgebildeter Rechtsstudenten fürchten, dann hätten sie sich etwas früher
und kräftiger und an ganz andrer Stelle rühren müssen. Sie haben sich die Zu¬
lassung der Realgymnnsiasten zum Studium der neuern Sprachen, das doch auch
Wohl nur auf "humanistischer Grundlage" ersprießlich ist, und zur Medizin gefallen
lassen. Leipzig hat seit langen Fahren unter gewissen Bedingungen seine Pforten
sogar Seminaristen geöffnet, und eine starke Partei drängt überall darauf hin, Leute
mit aller möglichen Vorbildung aufzunehmen, unbekümmert darum, ob die Rücksicht
auf sie den Dozenten von seiner wissenschaftlichen Höhe herabzieht; vollends die
"Hochschnlvorträge," eine vollkommen überflüssige Nachahmung amerikanischer Be¬
strebungen und eine anspruchsvolle Aufwärmung der längst überall üblichen an¬
spruchslosen populärwissenschaftlichen Vorträge, gehn darauf aus, den geneigte"
Zuhörern von der allerverschiedensten und oft allermangelhaftesten "Vorbildung"
die Ergebnisse schwerer wissenschaftlicher Arbeit möglichst schmerzlos beizubringen.
So lauge es noch Zeit war, das "Monopol" der Vorbereitung für die meisten
Universitätsstudien den humanistischen Gymnasien zu erhalten, da haben die Universi¬
täten vornehm die Hände in den Schoß gelegt, als wenn sie die ganze Frage
nichts anginge; jetzt, da nichts mehr zu halten ist, möchte wenigstens die juristische
Fakultät Leipzig den Realgymnasiasten -- wohlgemerkt nur den sächsischen -- die
Thür vor der Nase zuschlagen, um diese Heiligtumschänduug abzuwenden, denn
die Juristen sind eben der vornehmste Stand im deutschen Staate, der sich nicht
durch "minderwertige Elemente" entweihen darf.

Das beste an der ganzen Argumentation aber ist, daß sie von einer völligen
Unkenntnis des Realgymnasiums ausgeht. Was sie fordert: humanistische und
historische Bildung, das bietet doch auch diese Anstalt, wenngleich nicht in dem Um¬
fange wie das humanistische Gymnasium, denn das Griechische fehlt ganz, und das
Lateinische wird nicht ganz so intensiv betrieben. Immerhin verfügt es an den
preußische" Realgymnasien in allen neun Klassen über 49 Wochenstunden (an den
humanistischen über 68), an den sächsischen über 54 (also über 5 Stunden mehr
"is in Preußen; an den humanistischen Schulen über 71 bis 73); was der künftige
Jurist für das Verständnis der römischen Rechtsquellen "braucht," nachdem man
nun einmal verkehrterweise die Frage so gestellt hat, das lernt er auch auf dem
Realgymnasium, auf dem sächsischen vielleicht sogar noch besser als auf dem
preußischen, und außerdem ist doch wohl auch die größere Kenntnis des Real-
gymnasiasten in französischer Sprache und Litteratur, zu der noch die des Englischen
als ein Vorzug hinzukommt, nicht so ganz gleichgiltig, mag vielmehr manche Schwächen
der Bildung ersetzen. Daß dem Realgymnasiasten die tiefe "Kulturperspektive," die
die Kenntnis des Griechischen eröffnet; fehlt, ist richtig, aber ob die bisherige meist
sehr rasche Vorbereitung von Realgymnasialabitnrienten zur sogenannten Ergänzungs-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

fürchtete weitere Allsdehnung der Reichskompetenz recht nahe. Denn was da geschehn
ist, das ist geradezu ein Rückschritt, ein Rückfnll in die alte Zerrissenheit.

Aber die Maßregel hat jüngst im Landtage, vor allem in der Ersten Kammer,
warmen Beifall gefunden. Der Vertreter der Universität Leipzig, der Jurist Professor
ol'. Wach, hat es in der Sitzung vom 2. Juni als die Überzeugung der gesamten
(Leipziger) Juristenfakultät ausgesprochen, „daß die humanistische Vorbildung für
den juristischen Beruf unerläßlich sei." Denn das Recht sei „eine spezifisch-historische
Wissenschaft," und es sei „nirgends gefährlicher im Stnntsleben, als wenn im Ge¬
biete des Rechtslebens der wurzellose Radikalismus dominiere." Außerdem werde
ein Rechtslehrer, der vor Studenten verschiedner Vorbildung doziere, von denen
einem Teile „die elementarsten Vorkenntnisse aus der römischen Geschichte, der
lateinischen Sprache u. s. f." fehlen, seine Vorträge „degradieren." Von diesem
ebenso richtigen als nicht eben durch Neuheit überraschenden Gedankengang aus
sprach der Redner den Nealgymnasialabitnrientcn die Befähigung zum Rechtsstudium
ab, soweit das in seiner auf Sachsen beschränkten Kompetenz lag.

Uns scheint, wenn die Universitäten eine „Degradation" durch Zulassung nicht
„humanistisch" vorgebildeter Rechtsstudenten fürchten, dann hätten sie sich etwas früher
und kräftiger und an ganz andrer Stelle rühren müssen. Sie haben sich die Zu¬
lassung der Realgymnnsiasten zum Studium der neuern Sprachen, das doch auch
Wohl nur auf „humanistischer Grundlage" ersprießlich ist, und zur Medizin gefallen
lassen. Leipzig hat seit langen Fahren unter gewissen Bedingungen seine Pforten
sogar Seminaristen geöffnet, und eine starke Partei drängt überall darauf hin, Leute
mit aller möglichen Vorbildung aufzunehmen, unbekümmert darum, ob die Rücksicht
auf sie den Dozenten von seiner wissenschaftlichen Höhe herabzieht; vollends die
„Hochschnlvorträge," eine vollkommen überflüssige Nachahmung amerikanischer Be¬
strebungen und eine anspruchsvolle Aufwärmung der längst überall üblichen an¬
spruchslosen populärwissenschaftlichen Vorträge, gehn darauf aus, den geneigte«
Zuhörern von der allerverschiedensten und oft allermangelhaftesten „Vorbildung"
die Ergebnisse schwerer wissenschaftlicher Arbeit möglichst schmerzlos beizubringen.
So lauge es noch Zeit war, das „Monopol" der Vorbereitung für die meisten
Universitätsstudien den humanistischen Gymnasien zu erhalten, da haben die Universi¬
täten vornehm die Hände in den Schoß gelegt, als wenn sie die ganze Frage
nichts anginge; jetzt, da nichts mehr zu halten ist, möchte wenigstens die juristische
Fakultät Leipzig den Realgymnasiasten — wohlgemerkt nur den sächsischen — die
Thür vor der Nase zuschlagen, um diese Heiligtumschänduug abzuwenden, denn
die Juristen sind eben der vornehmste Stand im deutschen Staate, der sich nicht
durch „minderwertige Elemente" entweihen darf.

Das beste an der ganzen Argumentation aber ist, daß sie von einer völligen
Unkenntnis des Realgymnasiums ausgeht. Was sie fordert: humanistische und
historische Bildung, das bietet doch auch diese Anstalt, wenngleich nicht in dem Um¬
fange wie das humanistische Gymnasium, denn das Griechische fehlt ganz, und das
Lateinische wird nicht ganz so intensiv betrieben. Immerhin verfügt es an den
preußische» Realgymnasien in allen neun Klassen über 49 Wochenstunden (an den
humanistischen über 68), an den sächsischen über 54 (also über 5 Stunden mehr
"is in Preußen; an den humanistischen Schulen über 71 bis 73); was der künftige
Jurist für das Verständnis der römischen Rechtsquellen „braucht," nachdem man
nun einmal verkehrterweise die Frage so gestellt hat, das lernt er auch auf dem
Realgymnasium, auf dem sächsischen vielleicht sogar noch besser als auf dem
preußischen, und außerdem ist doch wohl auch die größere Kenntnis des Real-
gymnasiasten in französischer Sprache und Litteratur, zu der noch die des Englischen
als ein Vorzug hinzukommt, nicht so ganz gleichgiltig, mag vielmehr manche Schwächen
der Bildung ersetzen. Daß dem Realgymnasiasten die tiefe „Kulturperspektive," die
die Kenntnis des Griechischen eröffnet; fehlt, ist richtig, aber ob die bisherige meist
sehr rasche Vorbereitung von Realgymnasialabitnrienten zur sogenannten Ergänzungs-


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[0631] Maßgebliches und Unmaßgebliches fürchtete weitere Allsdehnung der Reichskompetenz recht nahe. Denn was da geschehn ist, das ist geradezu ein Rückschritt, ein Rückfnll in die alte Zerrissenheit. Aber die Maßregel hat jüngst im Landtage, vor allem in der Ersten Kammer, warmen Beifall gefunden. Der Vertreter der Universität Leipzig, der Jurist Professor ol'. Wach, hat es in der Sitzung vom 2. Juni als die Überzeugung der gesamten (Leipziger) Juristenfakultät ausgesprochen, „daß die humanistische Vorbildung für den juristischen Beruf unerläßlich sei." Denn das Recht sei „eine spezifisch-historische Wissenschaft," und es sei „nirgends gefährlicher im Stnntsleben, als wenn im Ge¬ biete des Rechtslebens der wurzellose Radikalismus dominiere." Außerdem werde ein Rechtslehrer, der vor Studenten verschiedner Vorbildung doziere, von denen einem Teile „die elementarsten Vorkenntnisse aus der römischen Geschichte, der lateinischen Sprache u. s. f." fehlen, seine Vorträge „degradieren." Von diesem ebenso richtigen als nicht eben durch Neuheit überraschenden Gedankengang aus sprach der Redner den Nealgymnasialabitnrientcn die Befähigung zum Rechtsstudium ab, soweit das in seiner auf Sachsen beschränkten Kompetenz lag. Uns scheint, wenn die Universitäten eine „Degradation" durch Zulassung nicht „humanistisch" vorgebildeter Rechtsstudenten fürchten, dann hätten sie sich etwas früher und kräftiger und an ganz andrer Stelle rühren müssen. Sie haben sich die Zu¬ lassung der Realgymnnsiasten zum Studium der neuern Sprachen, das doch auch Wohl nur auf „humanistischer Grundlage" ersprießlich ist, und zur Medizin gefallen lassen. Leipzig hat seit langen Fahren unter gewissen Bedingungen seine Pforten sogar Seminaristen geöffnet, und eine starke Partei drängt überall darauf hin, Leute mit aller möglichen Vorbildung aufzunehmen, unbekümmert darum, ob die Rücksicht auf sie den Dozenten von seiner wissenschaftlichen Höhe herabzieht; vollends die „Hochschnlvorträge," eine vollkommen überflüssige Nachahmung amerikanischer Be¬ strebungen und eine anspruchsvolle Aufwärmung der längst überall üblichen an¬ spruchslosen populärwissenschaftlichen Vorträge, gehn darauf aus, den geneigte« Zuhörern von der allerverschiedensten und oft allermangelhaftesten „Vorbildung" die Ergebnisse schwerer wissenschaftlicher Arbeit möglichst schmerzlos beizubringen. So lauge es noch Zeit war, das „Monopol" der Vorbereitung für die meisten Universitätsstudien den humanistischen Gymnasien zu erhalten, da haben die Universi¬ täten vornehm die Hände in den Schoß gelegt, als wenn sie die ganze Frage nichts anginge; jetzt, da nichts mehr zu halten ist, möchte wenigstens die juristische Fakultät Leipzig den Realgymnasiasten — wohlgemerkt nur den sächsischen — die Thür vor der Nase zuschlagen, um diese Heiligtumschänduug abzuwenden, denn die Juristen sind eben der vornehmste Stand im deutschen Staate, der sich nicht durch „minderwertige Elemente" entweihen darf. Das beste an der ganzen Argumentation aber ist, daß sie von einer völligen Unkenntnis des Realgymnasiums ausgeht. Was sie fordert: humanistische und historische Bildung, das bietet doch auch diese Anstalt, wenngleich nicht in dem Um¬ fange wie das humanistische Gymnasium, denn das Griechische fehlt ganz, und das Lateinische wird nicht ganz so intensiv betrieben. Immerhin verfügt es an den preußische» Realgymnasien in allen neun Klassen über 49 Wochenstunden (an den humanistischen über 68), an den sächsischen über 54 (also über 5 Stunden mehr "is in Preußen; an den humanistischen Schulen über 71 bis 73); was der künftige Jurist für das Verständnis der römischen Rechtsquellen „braucht," nachdem man nun einmal verkehrterweise die Frage so gestellt hat, das lernt er auch auf dem Realgymnasium, auf dem sächsischen vielleicht sogar noch besser als auf dem preußischen, und außerdem ist doch wohl auch die größere Kenntnis des Real- gymnasiasten in französischer Sprache und Litteratur, zu der noch die des Englischen als ein Vorzug hinzukommt, nicht so ganz gleichgiltig, mag vielmehr manche Schwächen der Bildung ersetzen. Daß dem Realgymnasiasten die tiefe „Kulturperspektive," die die Kenntnis des Griechischen eröffnet; fehlt, ist richtig, aber ob die bisherige meist sehr rasche Vorbereitung von Realgymnasialabitnrienten zur sogenannten Ergänzungs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/631>, abgerufen am 26.06.2024.