Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Deutschland und die Jesuiten, Die Differenz zwischen Herrn Dr. spähn Maßgebliches und Unmaßgebliches Deutschland und die Jesuiten, Die Differenz zwischen Herrn Dr. spähn <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0347" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/237633"/> </div> <div n="1"> <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/> <div n="2"> <head> Deutschland und die Jesuiten, </head> <p xml:id="ID_1773" next="#ID_1774"> Die Differenz zwischen Herrn Dr. spähn<lb/> und mir (vgl. Ur. 16 und 17 der Grenzboten) besteht in zwei Punkten. Herr<lb/> Dr. Spcchu bestreitet zunächst daß das auch von ihm nicht geleugnete Mißtrauen<lb/> der protestantischen Deutschen historisch begründet sei, und dann, daß, auch wenn<lb/> das der Fall sei, die Fortdauer des Jesuitengesetzes vom 4. Juli 1872 berechtigt<lb/> sei. Für die historische Begründung des so tiefgewurzelten protestantischen Mi߬<lb/> trauens spricht einigermaßen schon das alte Sprichwort: Wo Rauch ist, da ist auch<lb/> Feuer; wo ein solches Mißtrauen besteht, da muß es doch irgendwelche, vielleicht<lb/> in der Vorstellung sehr übertriebne, aber objektive Ursache haben. Gewiß, als<lb/> „Kampforden gegen die Protestanten" ist der Orden nicht gerade gestiftet worden,<lb/> d. h. Ignatius Loyola hat diesen Zweck nicht geradezu ausgesprochen, vielleicht<lb/> weil er von den germanischen Lutheranern nicht viel wußte, wahrscheinlicher, weil<lb/> er zwischen den verschiednen Arten der „Ungläubigen" keinen Unterschied machte,<lb/> da es ihm auf den Grad des „Irrtums" nicht ankommen konnte; aber als die<lb/> „Kompagnie Jesu" ihre Gelübde ablegte, da war darunter auch die Verpflichtung:<lb/> ..Alles zu thun, was ihnen der jedesmalige Papst befehlen werde, in jedes Land zu<lb/> gehn, zu Türken, Heiden und Ketzern, in das er sie senden werde, ohne Wider¬<lb/> rede, ohne Bedingung und Lohn, unverzüglich" (Ranke, Päpste I>> 127, in den<lb/> sämtlichen Werken Band 31). Die Heidenmission, ans die Herr Dr. spähn be¬<lb/> sonders hinweist, war doch eben nur die eine Seite ihrer Thätigkeit, die Ketzer¬<lb/> mission eine andre; von der Mission unter den Mohammedanern wollten sie ur¬<lb/> sprünglich ausgehn. Also missionieren, bekehren, die ungläubige oder irrgläubige<lb/> Welt der römischen Kirche, dem Papsttum unterwerfen wollten sie jedenfalls. Einen<lb/> Vorwurf wird ihnen der Historiker natürlich nicht daraus machen, sie folgten<lb/> einer großartigen Idee; aber nicht davon ist hier die Rede, sondern von der<lb/> Empfindung derer, auf die sich ihre Missionsarbeit richtete, und die sich ebenso gut<lb/> oder in noch höheren Grade ini Besitz der christlichen Wahrheit glaubten. Einem<lb/> Feinde, der mich angreift, werde ich vielleicht zugestehn, daß er von seinem<lb/> Standpunkt aus nicht anders handeln konnte, aber von meinem Standpunkt aus<lb/> werde ich mich wehren, so gut ich kann, denn ich halte ihn für ebenso oder besser<lb/> berechtigt als den andern, und ich werde, mich wenn der Friede wieder hergestellt<lb/> ist, doch nicht vergessen, daß ich mich habe wehren müssen, und daß ich ans der<lb/> Hut sein muß. Ju dieser Lage sind die protestantischen Deutschen keineswegs<lb/> gegenüber der römisch-katholischen Kirche als solcher, auch nicht gegeuüber ihren<lb/> Ordeusgenossenschaften, von denen manche wie vor allem die seit mehr als<lb/> einem Jahrtausend in Deutschland einheimischen Benediktiner bei uns sogar lebhafte<lb/> Shmpathien genießen, sondern eben mir gegeuüber den Jesuiten. Denn sie haben<lb/> dem Protestantismus mit allen Mitteln weite Gebiete entrissen, wo er empor¬<lb/> gekommen war und schon festgewurzelt schien; sie haben überall, gestützt auf die<lb/> Staatsgewalt und nicht selten auf die Waffen roher Söldner, die Schwachen zu<lb/> sich herübergezogen, die Starken und standhaften aus der Heimat in die Fremde,<lb/> oft ins Elend getrieben, und wir können nicht zugeben, daß sie etwas Besseres an<lb/> die Stelle dessen gesetzt hätten, was sie zerstört'hatten, denn was mit äußern<lb/> Mitteln, mit Überredung, mit Zwang auf religiösem Gebiete geleistet wird, ist<lb/> sittlich wertlos. So aber haben vor allem (nicht allein) die Jesuiten das geistige<lb/> Leben der österreichischen Deutschen unheilbar geschädigt, sie haben es dem Leben<lb/> Gesamtdeutschlands für Jahrhunderte entfremdet, sie haben in Böhmen nach 1621<lb/> einen geistigen „Völkermord" verüben helfen, wie die europäische Geschichte keinen<lb/> Zweiten kennt, und doch das furchtbar geschwächte tschechische Volkstum der deutschen<lb/> Bildung nicht unterworfen, weil sie selbst diese gar nicht vertraten. Sie waren<lb/> die Träger der Gegenreformation in den geistlichen Stiftslanden, die um 1^70<lb/> größtenteils so gut wie protestantisch waren; sie sollten nach dem verhängnisvollen<lb/> Restitutionsedikt vou 1629, das 120 Stifte in Norddeutschland .für die römische</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0347]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Deutschland und die Jesuiten, Die Differenz zwischen Herrn Dr. spähn
und mir (vgl. Ur. 16 und 17 der Grenzboten) besteht in zwei Punkten. Herr
Dr. Spcchu bestreitet zunächst daß das auch von ihm nicht geleugnete Mißtrauen
der protestantischen Deutschen historisch begründet sei, und dann, daß, auch wenn
das der Fall sei, die Fortdauer des Jesuitengesetzes vom 4. Juli 1872 berechtigt
sei. Für die historische Begründung des so tiefgewurzelten protestantischen Mi߬
trauens spricht einigermaßen schon das alte Sprichwort: Wo Rauch ist, da ist auch
Feuer; wo ein solches Mißtrauen besteht, da muß es doch irgendwelche, vielleicht
in der Vorstellung sehr übertriebne, aber objektive Ursache haben. Gewiß, als
„Kampforden gegen die Protestanten" ist der Orden nicht gerade gestiftet worden,
d. h. Ignatius Loyola hat diesen Zweck nicht geradezu ausgesprochen, vielleicht
weil er von den germanischen Lutheranern nicht viel wußte, wahrscheinlicher, weil
er zwischen den verschiednen Arten der „Ungläubigen" keinen Unterschied machte,
da es ihm auf den Grad des „Irrtums" nicht ankommen konnte; aber als die
„Kompagnie Jesu" ihre Gelübde ablegte, da war darunter auch die Verpflichtung:
..Alles zu thun, was ihnen der jedesmalige Papst befehlen werde, in jedes Land zu
gehn, zu Türken, Heiden und Ketzern, in das er sie senden werde, ohne Wider¬
rede, ohne Bedingung und Lohn, unverzüglich" (Ranke, Päpste I>> 127, in den
sämtlichen Werken Band 31). Die Heidenmission, ans die Herr Dr. spähn be¬
sonders hinweist, war doch eben nur die eine Seite ihrer Thätigkeit, die Ketzer¬
mission eine andre; von der Mission unter den Mohammedanern wollten sie ur¬
sprünglich ausgehn. Also missionieren, bekehren, die ungläubige oder irrgläubige
Welt der römischen Kirche, dem Papsttum unterwerfen wollten sie jedenfalls. Einen
Vorwurf wird ihnen der Historiker natürlich nicht daraus machen, sie folgten
einer großartigen Idee; aber nicht davon ist hier die Rede, sondern von der
Empfindung derer, auf die sich ihre Missionsarbeit richtete, und die sich ebenso gut
oder in noch höheren Grade ini Besitz der christlichen Wahrheit glaubten. Einem
Feinde, der mich angreift, werde ich vielleicht zugestehn, daß er von seinem
Standpunkt aus nicht anders handeln konnte, aber von meinem Standpunkt aus
werde ich mich wehren, so gut ich kann, denn ich halte ihn für ebenso oder besser
berechtigt als den andern, und ich werde, mich wenn der Friede wieder hergestellt
ist, doch nicht vergessen, daß ich mich habe wehren müssen, und daß ich ans der
Hut sein muß. Ju dieser Lage sind die protestantischen Deutschen keineswegs
gegenüber der römisch-katholischen Kirche als solcher, auch nicht gegeuüber ihren
Ordeusgenossenschaften, von denen manche wie vor allem die seit mehr als
einem Jahrtausend in Deutschland einheimischen Benediktiner bei uns sogar lebhafte
Shmpathien genießen, sondern eben mir gegeuüber den Jesuiten. Denn sie haben
dem Protestantismus mit allen Mitteln weite Gebiete entrissen, wo er empor¬
gekommen war und schon festgewurzelt schien; sie haben überall, gestützt auf die
Staatsgewalt und nicht selten auf die Waffen roher Söldner, die Schwachen zu
sich herübergezogen, die Starken und standhaften aus der Heimat in die Fremde,
oft ins Elend getrieben, und wir können nicht zugeben, daß sie etwas Besseres an
die Stelle dessen gesetzt hätten, was sie zerstört'hatten, denn was mit äußern
Mitteln, mit Überredung, mit Zwang auf religiösem Gebiete geleistet wird, ist
sittlich wertlos. So aber haben vor allem (nicht allein) die Jesuiten das geistige
Leben der österreichischen Deutschen unheilbar geschädigt, sie haben es dem Leben
Gesamtdeutschlands für Jahrhunderte entfremdet, sie haben in Böhmen nach 1621
einen geistigen „Völkermord" verüben helfen, wie die europäische Geschichte keinen
Zweiten kennt, und doch das furchtbar geschwächte tschechische Volkstum der deutschen
Bildung nicht unterworfen, weil sie selbst diese gar nicht vertraten. Sie waren
die Träger der Gegenreformation in den geistlichen Stiftslanden, die um 1^70
größtenteils so gut wie protestantisch waren; sie sollten nach dem verhängnisvollen
Restitutionsedikt vou 1629, das 120 Stifte in Norddeutschland .für die römische
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