Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
(österreichisches

Klerikalkonservativen bestehe für den oberflächlichen Beobachter zu verwischei,.
Die Christlichsozialen opponierten der Los-von-Nom-Bewegung ans religiösen,
Politischen und nationalen Gründen, Der von den Christlichsozialen anerkannte
Grundsatz, daß der Unterschied zwischen dein katholischen und dem protestan¬
tischen Glaubensbekenntnisse politisch nicht von Belang sei, bezeichnete einen
großen Fortschritt im Sinne der Wiederherstellung der nationalpolitischen
Einheit der Deutschen in Österreich. Die Los-von-Nom-Bewegung war in
dieser Beziehung eine rückläufige Bewegung, da sie nichts andres ist als das
Negativbild des politischen Katholizismus. Sie drohte das Gewicht des Kon-
fessionalismus als einer politischem Sache wieder zu verstärken, indem sie ihn
zum politischen Scheidungsgrund machte und dadurch die konfessionelle Spaltung
des Deutschtums in Österreich verschärfte. Überdies ging aber die Los-von-
Rom-Bewegung weniger von religiösen als von politischen nationalen Anlässen
ans. Nur einem sehr kleinen Teil ihrer Anhänger war der Übertritt zum
Protestantismus oder zum Altkatholizismus positives, religiöses Bedürfnis,
die große Masse sah darin lediglich eine politisch-nationale Demonstration, wie
ja die beiden führenden Abgeordneten schönerer und Wolf durchaus nicht auf
religiösem christlichem Boden stehn, sondern dieser Atheist ist und jener nicht
nur den Katholizismus, sondern auch den Protestantismus zu Gunsten einer
Art Wotauskultus unter dem viel und doch nichtssagenden Namen Deutsch¬
religion verwirft und dabei offenbar gar nicht merkt, daß er damit auf die
von der Zivilisation längst überholte theokratische Idee zurückgreift, über die
das Judentum bekanntlich nicht hinausgekommen ist, weshalb es nach der ganz
richtigen Auffassung Comtes und Gobinecius dem Kreise der modernen Kultur¬
völker nicht ungehört. Dieses Widerstreben gegen die Los-von-Nom-Bewegung,
die vielfachen Exzesse ihrer Anhänger gegen die katholische Kirche bewirkten, daß
Kvnservativklerikale und Christlichsoziale, die ja zum allergrößten Teile Katho¬
liken sind, in den letzten Jahren wiederholt in einer Linie kämpften, und das
trug wesentlich zur Verbreitung der Meinung bei, als ob man es nur mit
zwei Spielarten derselben Gattung zu thun habe. Diese Ansicht ist falsch und
muß berichtigt werden, wenn man ein richtiges Bild der geistigen Bewegung
in der katholischen Welt Österreichs erhalten will.

Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß die christlichsoziale Be¬
wegung in Österreich die unmittelbare Reaktion auf die wirtschaftlichen Sünden
des Börsenliberalismus und auf den durch ihn verbreiteten Geist sozialer und
religiöser Zerrüttung war; aber sie wurde dadurch, wie schon der erste Name
der Partei "vereinigte Christen" verrät, nicht zu einer konfessionellen Partei,
indem sie gerade den Grundsatz bestritt, der der Eckstein des Klerikalismus
ist: die politische Autorität der Bischöfe. Im Verlaufe des Kulturkampfes
hatte der Klerikalismus ebenso wie der Liberalismus seine werbende Kraft
verloren. Zwar behauptete er in der streng konservativen Bevölkerung der
Alpenländer noch seine Stellung, aber auch die Kreise, die sich auch aus religiösen
Gründen gegen den Vnlgärliberalismus auflehnten, waren fest entschlossen,
das Prinzip der Scheidung der politischen und der religiösen Autoritäten nicht
"lehr aufzugeben. Damit hatte sich in den Beziehungen der politischen Partei-


(österreichisches

Klerikalkonservativen bestehe für den oberflächlichen Beobachter zu verwischei,.
Die Christlichsozialen opponierten der Los-von-Nom-Bewegung ans religiösen,
Politischen und nationalen Gründen, Der von den Christlichsozialen anerkannte
Grundsatz, daß der Unterschied zwischen dein katholischen und dem protestan¬
tischen Glaubensbekenntnisse politisch nicht von Belang sei, bezeichnete einen
großen Fortschritt im Sinne der Wiederherstellung der nationalpolitischen
Einheit der Deutschen in Österreich. Die Los-von-Nom-Bewegung war in
dieser Beziehung eine rückläufige Bewegung, da sie nichts andres ist als das
Negativbild des politischen Katholizismus. Sie drohte das Gewicht des Kon-
fessionalismus als einer politischem Sache wieder zu verstärken, indem sie ihn
zum politischen Scheidungsgrund machte und dadurch die konfessionelle Spaltung
des Deutschtums in Österreich verschärfte. Überdies ging aber die Los-von-
Rom-Bewegung weniger von religiösen als von politischen nationalen Anlässen
ans. Nur einem sehr kleinen Teil ihrer Anhänger war der Übertritt zum
Protestantismus oder zum Altkatholizismus positives, religiöses Bedürfnis,
die große Masse sah darin lediglich eine politisch-nationale Demonstration, wie
ja die beiden führenden Abgeordneten schönerer und Wolf durchaus nicht auf
religiösem christlichem Boden stehn, sondern dieser Atheist ist und jener nicht
nur den Katholizismus, sondern auch den Protestantismus zu Gunsten einer
Art Wotauskultus unter dem viel und doch nichtssagenden Namen Deutsch¬
religion verwirft und dabei offenbar gar nicht merkt, daß er damit auf die
von der Zivilisation längst überholte theokratische Idee zurückgreift, über die
das Judentum bekanntlich nicht hinausgekommen ist, weshalb es nach der ganz
richtigen Auffassung Comtes und Gobinecius dem Kreise der modernen Kultur¬
völker nicht ungehört. Dieses Widerstreben gegen die Los-von-Nom-Bewegung,
die vielfachen Exzesse ihrer Anhänger gegen die katholische Kirche bewirkten, daß
Kvnservativklerikale und Christlichsoziale, die ja zum allergrößten Teile Katho¬
liken sind, in den letzten Jahren wiederholt in einer Linie kämpften, und das
trug wesentlich zur Verbreitung der Meinung bei, als ob man es nur mit
zwei Spielarten derselben Gattung zu thun habe. Diese Ansicht ist falsch und
muß berichtigt werden, wenn man ein richtiges Bild der geistigen Bewegung
in der katholischen Welt Österreichs erhalten will.

Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß die christlichsoziale Be¬
wegung in Österreich die unmittelbare Reaktion auf die wirtschaftlichen Sünden
des Börsenliberalismus und auf den durch ihn verbreiteten Geist sozialer und
religiöser Zerrüttung war; aber sie wurde dadurch, wie schon der erste Name
der Partei „vereinigte Christen" verrät, nicht zu einer konfessionellen Partei,
indem sie gerade den Grundsatz bestritt, der der Eckstein des Klerikalismus
ist: die politische Autorität der Bischöfe. Im Verlaufe des Kulturkampfes
hatte der Klerikalismus ebenso wie der Liberalismus seine werbende Kraft
verloren. Zwar behauptete er in der streng konservativen Bevölkerung der
Alpenländer noch seine Stellung, aber auch die Kreise, die sich auch aus religiösen
Gründen gegen den Vnlgärliberalismus auflehnten, waren fest entschlossen,
das Prinzip der Scheidung der politischen und der religiösen Autoritäten nicht
»lehr aufzugeben. Damit hatte sich in den Beziehungen der politischen Partei-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0181" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/237467"/>
            <fw type="header" place="top"> (österreichisches</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_985" prev="#ID_984"> Klerikalkonservativen bestehe für den oberflächlichen Beobachter zu verwischei,.<lb/>
Die Christlichsozialen opponierten der Los-von-Nom-Bewegung ans religiösen,<lb/>
Politischen und nationalen Gründen, Der von den Christlichsozialen anerkannte<lb/>
Grundsatz, daß der Unterschied zwischen dein katholischen und dem protestan¬<lb/>
tischen Glaubensbekenntnisse politisch nicht von Belang sei, bezeichnete einen<lb/>
großen Fortschritt im Sinne der Wiederherstellung der nationalpolitischen<lb/>
Einheit der Deutschen in Österreich. Die Los-von-Nom-Bewegung war in<lb/>
dieser Beziehung eine rückläufige Bewegung, da sie nichts andres ist als das<lb/>
Negativbild des politischen Katholizismus. Sie drohte das Gewicht des Kon-<lb/>
fessionalismus als einer politischem Sache wieder zu verstärken, indem sie ihn<lb/>
zum politischen Scheidungsgrund machte und dadurch die konfessionelle Spaltung<lb/>
des Deutschtums in Österreich verschärfte. Überdies ging aber die Los-von-<lb/>
Rom-Bewegung weniger von religiösen als von politischen nationalen Anlässen<lb/>
ans. Nur einem sehr kleinen Teil ihrer Anhänger war der Übertritt zum<lb/>
Protestantismus oder zum Altkatholizismus positives, religiöses Bedürfnis,<lb/>
die große Masse sah darin lediglich eine politisch-nationale Demonstration, wie<lb/>
ja die beiden führenden Abgeordneten schönerer und Wolf durchaus nicht auf<lb/>
religiösem christlichem Boden stehn, sondern dieser Atheist ist und jener nicht<lb/>
nur den Katholizismus, sondern auch den Protestantismus zu Gunsten einer<lb/>
Art Wotauskultus unter dem viel und doch nichtssagenden Namen Deutsch¬<lb/>
religion verwirft und dabei offenbar gar nicht merkt, daß er damit auf die<lb/>
von der Zivilisation längst überholte theokratische Idee zurückgreift, über die<lb/>
das Judentum bekanntlich nicht hinausgekommen ist, weshalb es nach der ganz<lb/>
richtigen Auffassung Comtes und Gobinecius dem Kreise der modernen Kultur¬<lb/>
völker nicht ungehört. Dieses Widerstreben gegen die Los-von-Nom-Bewegung,<lb/>
die vielfachen Exzesse ihrer Anhänger gegen die katholische Kirche bewirkten, daß<lb/>
Kvnservativklerikale und Christlichsoziale, die ja zum allergrößten Teile Katho¬<lb/>
liken sind, in den letzten Jahren wiederholt in einer Linie kämpften, und das<lb/>
trug wesentlich zur Verbreitung der Meinung bei, als ob man es nur mit<lb/>
zwei Spielarten derselben Gattung zu thun habe. Diese Ansicht ist falsch und<lb/>
muß berichtigt werden, wenn man ein richtiges Bild der geistigen Bewegung<lb/>
in der katholischen Welt Österreichs erhalten will.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_986" next="#ID_987"> Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß die christlichsoziale Be¬<lb/>
wegung in Österreich die unmittelbare Reaktion auf die wirtschaftlichen Sünden<lb/>
des Börsenliberalismus und auf den durch ihn verbreiteten Geist sozialer und<lb/>
religiöser Zerrüttung war; aber sie wurde dadurch, wie schon der erste Name<lb/>
der Partei &#x201E;vereinigte Christen" verrät, nicht zu einer konfessionellen Partei,<lb/>
indem sie gerade den Grundsatz bestritt, der der Eckstein des Klerikalismus<lb/>
ist: die politische Autorität der Bischöfe. Im Verlaufe des Kulturkampfes<lb/>
hatte der Klerikalismus ebenso wie der Liberalismus seine werbende Kraft<lb/>
verloren. Zwar behauptete er in der streng konservativen Bevölkerung der<lb/>
Alpenländer noch seine Stellung, aber auch die Kreise, die sich auch aus religiösen<lb/>
Gründen gegen den Vnlgärliberalismus auflehnten, waren fest entschlossen,<lb/>
das Prinzip der Scheidung der politischen und der religiösen Autoritäten nicht<lb/>
»lehr aufzugeben. Damit hatte sich in den Beziehungen der politischen Partei-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0181] (österreichisches Klerikalkonservativen bestehe für den oberflächlichen Beobachter zu verwischei,. Die Christlichsozialen opponierten der Los-von-Nom-Bewegung ans religiösen, Politischen und nationalen Gründen, Der von den Christlichsozialen anerkannte Grundsatz, daß der Unterschied zwischen dein katholischen und dem protestan¬ tischen Glaubensbekenntnisse politisch nicht von Belang sei, bezeichnete einen großen Fortschritt im Sinne der Wiederherstellung der nationalpolitischen Einheit der Deutschen in Österreich. Die Los-von-Nom-Bewegung war in dieser Beziehung eine rückläufige Bewegung, da sie nichts andres ist als das Negativbild des politischen Katholizismus. Sie drohte das Gewicht des Kon- fessionalismus als einer politischem Sache wieder zu verstärken, indem sie ihn zum politischen Scheidungsgrund machte und dadurch die konfessionelle Spaltung des Deutschtums in Österreich verschärfte. Überdies ging aber die Los-von- Rom-Bewegung weniger von religiösen als von politischen nationalen Anlässen ans. Nur einem sehr kleinen Teil ihrer Anhänger war der Übertritt zum Protestantismus oder zum Altkatholizismus positives, religiöses Bedürfnis, die große Masse sah darin lediglich eine politisch-nationale Demonstration, wie ja die beiden führenden Abgeordneten schönerer und Wolf durchaus nicht auf religiösem christlichem Boden stehn, sondern dieser Atheist ist und jener nicht nur den Katholizismus, sondern auch den Protestantismus zu Gunsten einer Art Wotauskultus unter dem viel und doch nichtssagenden Namen Deutsch¬ religion verwirft und dabei offenbar gar nicht merkt, daß er damit auf die von der Zivilisation längst überholte theokratische Idee zurückgreift, über die das Judentum bekanntlich nicht hinausgekommen ist, weshalb es nach der ganz richtigen Auffassung Comtes und Gobinecius dem Kreise der modernen Kultur¬ völker nicht ungehört. Dieses Widerstreben gegen die Los-von-Nom-Bewegung, die vielfachen Exzesse ihrer Anhänger gegen die katholische Kirche bewirkten, daß Kvnservativklerikale und Christlichsoziale, die ja zum allergrößten Teile Katho¬ liken sind, in den letzten Jahren wiederholt in einer Linie kämpften, und das trug wesentlich zur Verbreitung der Meinung bei, als ob man es nur mit zwei Spielarten derselben Gattung zu thun habe. Diese Ansicht ist falsch und muß berichtigt werden, wenn man ein richtiges Bild der geistigen Bewegung in der katholischen Welt Österreichs erhalten will. Es ist schon darauf hingewiesen worden, daß die christlichsoziale Be¬ wegung in Österreich die unmittelbare Reaktion auf die wirtschaftlichen Sünden des Börsenliberalismus und auf den durch ihn verbreiteten Geist sozialer und religiöser Zerrüttung war; aber sie wurde dadurch, wie schon der erste Name der Partei „vereinigte Christen" verrät, nicht zu einer konfessionellen Partei, indem sie gerade den Grundsatz bestritt, der der Eckstein des Klerikalismus ist: die politische Autorität der Bischöfe. Im Verlaufe des Kulturkampfes hatte der Klerikalismus ebenso wie der Liberalismus seine werbende Kraft verloren. Zwar behauptete er in der streng konservativen Bevölkerung der Alpenländer noch seine Stellung, aber auch die Kreise, die sich auch aus religiösen Gründen gegen den Vnlgärliberalismus auflehnten, waren fest entschlossen, das Prinzip der Scheidung der politischen und der religiösen Autoritäten nicht »lehr aufzugeben. Damit hatte sich in den Beziehungen der politischen Partei-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/181
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/181>, abgerufen am 26.06.2024.