Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Das nur beiläufig, da uns daran lag, nachzuweisen, daß die behauptete Sprach¬
fertigkeit der Deutschen im allgemeinen, und namentlich was einen Teil der Presse
anlangt, eine schöne Legende ist. Wir kennen zwar Zeitungen, bei denen der¬
gleichen nicht vorkommt, aber das von uns zitierte Blatt ist kein kleines, sondern
ein stattliches reichsdeutsches Tageblatt. Wir könnten ohne Mühe eine Menge
ähnlicher Beispiele anführen und wollen uns darauf beschränken, an einem Worte,
dem Worte absorbieren und an einem Schriftsteller, der namentlich die englische
Sprache vollkommen beherrschte, zu zeigen, wie sehr man mit dem Gebrauche
Von Fremdwörtern auf der Hut sein muß. Moritz Busch sagt am Anfange des
zweiten Bandes seiner Tagebuchblätter, unter deren Bewundrer wir uns ein¬
schreiben, bezüglich des Eindrucks, den die Beschießung von Paris auf die Nerven
derer machte, die diese unnnterbrochne Reihe gewaltiger Detonationen in größerer
oder geringerer Nähe mit anhörten, man habe sich an das Schießen gewöhnt, und
es habe "niemals die Beobachtung auch nur vou Kleinigkeiten absorbiert." Seine
Absicht war offenbar, zu sagen, das Schießen habe nie die Aufmerksamkeit so
absorbiert, daß sie von der Beobachtung auch minder wichtiger Dinge abgelenkt
worden wäre. Absorbieren heißt ja bekanntlich aufsaugen, und die Franzosen
ebensowenig wie die Engländer bedienen sich dessen je in einer andern Bedeutung.
In einer mit Wasser gefüllten Untertasse, in die man einen guten Schwamm legt,
bleibt, wenn man nach einiger Zeit den Schwamm vorsichtig aufnimmt, kein Tropfen
Wasser zurück, er hat alles aufgesogen. In dem von Busch erwähnten Fall
blieb dagegen genug Aufmerksamkeit zurück, die mau der Beobachtung auch kleiner
Dinge zuwenden konnte, die Aufmerksamkeit war von dem Schießen nicht ganz oder
überhaupt nicht absorbiert worden. Die Aufmerksamkeit ist eine Fähigkeit, von der
Wir uns vorstellen können, daß sie absorbiert werde, die Beobachtung kleinerer Dinge
dagegen ist eine konkrete Leistung, die behindert, beeinträchtigt, gehemmt, aus¬
geschlossen, unmöglich gemacht, aber nicht absorbiert werden kann. Dem Ausdruck
absorbiere" entspricht ziemlich gemein das deutsche "ganz in Anspruch nehmen."
Jedermann wird aber sofort erkennen, daß es sonderbar wäre, wenn man sagen
wollte, das Geräusch des Bombardements habe niemals die Beobachtung auch nur
von Kleinigkeiten ganz in Anspruch genommen, und mit einem deutschen Ausdruck
würde auch Busch, der so streng logisch zu Werke zu gehn verstand, ein solches
leichtes Danebengreifen nie passiert sein.

Wenn es nun wirklich, wie wir glauben, bei manchen Zeitnngsberichterstattern
mit der Kenntnis fremder Sprachen nicht weit her ist, so dürfen wir uns auch
nicht wundern, wenn wir sehen, daß sie mit dem Geschlecht ausländischer Worte
unispringen wie die Katze mit der Bratwurst: sie empfinden die Vergewaltigung,
die sie mit ihren verkehrten deutschen Artikeln der fremden Sprachen und denen,
die mit ihr vertraut siud, anthun, nicht und ziehn muntern Schritts weiter wie
der Mann mit der Chansonette. Sie und andre leichtlebige Deutsche haben einen
Grundsatz aufgestellt, der mit der Schindnng des Marsyas durch Apoll unge¬
fähr auf gleicher Stufe steht: Apolle sind sie deswegen noch nicht, aber fremde
Geschöpfe zu schinden, daraus machen sie sich ebensowenig wie der neidische Gott,
der auch deshalb bei Bismarck in geringen" Ansehen stand. Um die Sache kurz
zu sagen, sie geben den Worten, die sie mit der Betonung und der Aussprache
samt Grammatik und romanischem Druck entlehnen, ohne weiteres das Geschlecht, das
der ihnen gerade einfallende entsprechende deutsche Ausdruck hat, und übersehen
vornehm das Geschlecht, das dem Worte in der Heimat beigelegt worden ist. Wir
werden zeigen, wohin das führt. Fürs erste müssen wir aber noch zu ihrer Ent¬
schuldigung sagen, daß sie damit in die Fußstapfen ihrer Väter und Ahnen treten, die
in vergangnen Jahrhunderten namentlich die französische Sprache wie echte Stegreif¬
ritter und Wegelagerer ausgeplündert haben, und deren Versuche, das Entlehnte für
den eignen Gebrauch zurecht zu machen, an die Experimente erinnern, die die Südsee-
insulaner mit den ihnen überlassenen Pariser Hüten und Sonnenschirmen anstellen.


Das nur beiläufig, da uns daran lag, nachzuweisen, daß die behauptete Sprach¬
fertigkeit der Deutschen im allgemeinen, und namentlich was einen Teil der Presse
anlangt, eine schöne Legende ist. Wir kennen zwar Zeitungen, bei denen der¬
gleichen nicht vorkommt, aber das von uns zitierte Blatt ist kein kleines, sondern
ein stattliches reichsdeutsches Tageblatt. Wir könnten ohne Mühe eine Menge
ähnlicher Beispiele anführen und wollen uns darauf beschränken, an einem Worte,
dem Worte absorbieren und an einem Schriftsteller, der namentlich die englische
Sprache vollkommen beherrschte, zu zeigen, wie sehr man mit dem Gebrauche
Von Fremdwörtern auf der Hut sein muß. Moritz Busch sagt am Anfange des
zweiten Bandes seiner Tagebuchblätter, unter deren Bewundrer wir uns ein¬
schreiben, bezüglich des Eindrucks, den die Beschießung von Paris auf die Nerven
derer machte, die diese unnnterbrochne Reihe gewaltiger Detonationen in größerer
oder geringerer Nähe mit anhörten, man habe sich an das Schießen gewöhnt, und
es habe „niemals die Beobachtung auch nur vou Kleinigkeiten absorbiert." Seine
Absicht war offenbar, zu sagen, das Schießen habe nie die Aufmerksamkeit so
absorbiert, daß sie von der Beobachtung auch minder wichtiger Dinge abgelenkt
worden wäre. Absorbieren heißt ja bekanntlich aufsaugen, und die Franzosen
ebensowenig wie die Engländer bedienen sich dessen je in einer andern Bedeutung.
In einer mit Wasser gefüllten Untertasse, in die man einen guten Schwamm legt,
bleibt, wenn man nach einiger Zeit den Schwamm vorsichtig aufnimmt, kein Tropfen
Wasser zurück, er hat alles aufgesogen. In dem von Busch erwähnten Fall
blieb dagegen genug Aufmerksamkeit zurück, die mau der Beobachtung auch kleiner
Dinge zuwenden konnte, die Aufmerksamkeit war von dem Schießen nicht ganz oder
überhaupt nicht absorbiert worden. Die Aufmerksamkeit ist eine Fähigkeit, von der
Wir uns vorstellen können, daß sie absorbiert werde, die Beobachtung kleinerer Dinge
dagegen ist eine konkrete Leistung, die behindert, beeinträchtigt, gehemmt, aus¬
geschlossen, unmöglich gemacht, aber nicht absorbiert werden kann. Dem Ausdruck
absorbiere» entspricht ziemlich gemein das deutsche „ganz in Anspruch nehmen."
Jedermann wird aber sofort erkennen, daß es sonderbar wäre, wenn man sagen
wollte, das Geräusch des Bombardements habe niemals die Beobachtung auch nur
von Kleinigkeiten ganz in Anspruch genommen, und mit einem deutschen Ausdruck
würde auch Busch, der so streng logisch zu Werke zu gehn verstand, ein solches
leichtes Danebengreifen nie passiert sein.

Wenn es nun wirklich, wie wir glauben, bei manchen Zeitnngsberichterstattern
mit der Kenntnis fremder Sprachen nicht weit her ist, so dürfen wir uns auch
nicht wundern, wenn wir sehen, daß sie mit dem Geschlecht ausländischer Worte
unispringen wie die Katze mit der Bratwurst: sie empfinden die Vergewaltigung,
die sie mit ihren verkehrten deutschen Artikeln der fremden Sprachen und denen,
die mit ihr vertraut siud, anthun, nicht und ziehn muntern Schritts weiter wie
der Mann mit der Chansonette. Sie und andre leichtlebige Deutsche haben einen
Grundsatz aufgestellt, der mit der Schindnng des Marsyas durch Apoll unge¬
fähr auf gleicher Stufe steht: Apolle sind sie deswegen noch nicht, aber fremde
Geschöpfe zu schinden, daraus machen sie sich ebensowenig wie der neidische Gott,
der auch deshalb bei Bismarck in geringen« Ansehen stand. Um die Sache kurz
zu sagen, sie geben den Worten, die sie mit der Betonung und der Aussprache
samt Grammatik und romanischem Druck entlehnen, ohne weiteres das Geschlecht, das
der ihnen gerade einfallende entsprechende deutsche Ausdruck hat, und übersehen
vornehm das Geschlecht, das dem Worte in der Heimat beigelegt worden ist. Wir
werden zeigen, wohin das führt. Fürs erste müssen wir aber noch zu ihrer Ent¬
schuldigung sagen, daß sie damit in die Fußstapfen ihrer Väter und Ahnen treten, die
in vergangnen Jahrhunderten namentlich die französische Sprache wie echte Stegreif¬
ritter und Wegelagerer ausgeplündert haben, und deren Versuche, das Entlehnte für
den eignen Gebrauch zurecht zu machen, an die Experimente erinnern, die die Südsee-
insulaner mit den ihnen überlassenen Pariser Hüten und Sonnenschirmen anstellen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0173" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/237459"/>
            <fw type="header" place="top"/><lb/>
            <p xml:id="ID_962"> Das nur beiläufig, da uns daran lag, nachzuweisen, daß die behauptete Sprach¬<lb/>
fertigkeit der Deutschen im allgemeinen, und namentlich was einen Teil der Presse<lb/>
anlangt, eine schöne Legende ist. Wir kennen zwar Zeitungen, bei denen der¬<lb/>
gleichen nicht vorkommt, aber das von uns zitierte Blatt ist kein kleines, sondern<lb/>
ein stattliches reichsdeutsches Tageblatt. Wir könnten ohne Mühe eine Menge<lb/>
ähnlicher Beispiele anführen und wollen uns darauf beschränken, an einem Worte,<lb/>
dem Worte absorbieren und an einem Schriftsteller, der namentlich die englische<lb/>
Sprache vollkommen beherrschte, zu zeigen, wie sehr man mit dem Gebrauche<lb/>
Von Fremdwörtern auf der Hut sein muß. Moritz Busch sagt am Anfange des<lb/>
zweiten Bandes seiner Tagebuchblätter, unter deren Bewundrer wir uns ein¬<lb/>
schreiben, bezüglich des Eindrucks, den die Beschießung von Paris auf die Nerven<lb/>
derer machte, die diese unnnterbrochne Reihe gewaltiger Detonationen in größerer<lb/>
oder geringerer Nähe mit anhörten, man habe sich an das Schießen gewöhnt, und<lb/>
es habe &#x201E;niemals die Beobachtung auch nur vou Kleinigkeiten absorbiert." Seine<lb/>
Absicht war offenbar, zu sagen, das Schießen habe nie die Aufmerksamkeit so<lb/>
absorbiert, daß sie von der Beobachtung auch minder wichtiger Dinge abgelenkt<lb/>
worden wäre. Absorbieren heißt ja bekanntlich aufsaugen, und die Franzosen<lb/>
ebensowenig wie die Engländer bedienen sich dessen je in einer andern Bedeutung.<lb/>
In einer mit Wasser gefüllten Untertasse, in die man einen guten Schwamm legt,<lb/>
bleibt, wenn man nach einiger Zeit den Schwamm vorsichtig aufnimmt, kein Tropfen<lb/>
Wasser zurück, er hat alles aufgesogen. In dem von Busch erwähnten Fall<lb/>
blieb dagegen genug Aufmerksamkeit zurück, die mau der Beobachtung auch kleiner<lb/>
Dinge zuwenden konnte, die Aufmerksamkeit war von dem Schießen nicht ganz oder<lb/>
überhaupt nicht absorbiert worden. Die Aufmerksamkeit ist eine Fähigkeit, von der<lb/>
Wir uns vorstellen können, daß sie absorbiert werde, die Beobachtung kleinerer Dinge<lb/>
dagegen ist eine konkrete Leistung, die behindert, beeinträchtigt, gehemmt, aus¬<lb/>
geschlossen, unmöglich gemacht, aber nicht absorbiert werden kann. Dem Ausdruck<lb/>
absorbiere» entspricht ziemlich gemein das deutsche &#x201E;ganz in Anspruch nehmen."<lb/>
Jedermann wird aber sofort erkennen, daß es sonderbar wäre, wenn man sagen<lb/>
wollte, das Geräusch des Bombardements habe niemals die Beobachtung auch nur<lb/>
von Kleinigkeiten ganz in Anspruch genommen, und mit einem deutschen Ausdruck<lb/>
würde auch Busch, der so streng logisch zu Werke zu gehn verstand, ein solches<lb/>
leichtes Danebengreifen nie passiert sein.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_963"> Wenn es nun wirklich, wie wir glauben, bei manchen Zeitnngsberichterstattern<lb/>
mit der Kenntnis fremder Sprachen nicht weit her ist, so dürfen wir uns auch<lb/>
nicht wundern, wenn wir sehen, daß sie mit dem Geschlecht ausländischer Worte<lb/>
unispringen wie die Katze mit der Bratwurst: sie empfinden die Vergewaltigung,<lb/>
die sie mit ihren verkehrten deutschen Artikeln der fremden Sprachen und denen,<lb/>
die mit ihr vertraut siud, anthun, nicht und ziehn muntern Schritts weiter wie<lb/>
der Mann mit der Chansonette. Sie und andre leichtlebige Deutsche haben einen<lb/>
Grundsatz aufgestellt, der mit der Schindnng des Marsyas durch Apoll unge¬<lb/>
fähr auf gleicher Stufe steht: Apolle sind sie deswegen noch nicht, aber fremde<lb/>
Geschöpfe zu schinden, daraus machen sie sich ebensowenig wie der neidische Gott,<lb/>
der auch deshalb bei Bismarck in geringen« Ansehen stand. Um die Sache kurz<lb/>
zu sagen, sie geben den Worten, die sie mit der Betonung und der Aussprache<lb/>
samt Grammatik und romanischem Druck entlehnen, ohne weiteres das Geschlecht, das<lb/>
der ihnen gerade einfallende entsprechende deutsche Ausdruck hat, und übersehen<lb/>
vornehm das Geschlecht, das dem Worte in der Heimat beigelegt worden ist. Wir<lb/>
werden zeigen, wohin das führt. Fürs erste müssen wir aber noch zu ihrer Ent¬<lb/>
schuldigung sagen, daß sie damit in die Fußstapfen ihrer Väter und Ahnen treten, die<lb/>
in vergangnen Jahrhunderten namentlich die französische Sprache wie echte Stegreif¬<lb/>
ritter und Wegelagerer ausgeplündert haben, und deren Versuche, das Entlehnte für<lb/>
den eignen Gebrauch zurecht zu machen, an die Experimente erinnern, die die Südsee-<lb/>
insulaner mit den ihnen überlassenen Pariser Hüten und Sonnenschirmen anstellen.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0173] Das nur beiläufig, da uns daran lag, nachzuweisen, daß die behauptete Sprach¬ fertigkeit der Deutschen im allgemeinen, und namentlich was einen Teil der Presse anlangt, eine schöne Legende ist. Wir kennen zwar Zeitungen, bei denen der¬ gleichen nicht vorkommt, aber das von uns zitierte Blatt ist kein kleines, sondern ein stattliches reichsdeutsches Tageblatt. Wir könnten ohne Mühe eine Menge ähnlicher Beispiele anführen und wollen uns darauf beschränken, an einem Worte, dem Worte absorbieren und an einem Schriftsteller, der namentlich die englische Sprache vollkommen beherrschte, zu zeigen, wie sehr man mit dem Gebrauche Von Fremdwörtern auf der Hut sein muß. Moritz Busch sagt am Anfange des zweiten Bandes seiner Tagebuchblätter, unter deren Bewundrer wir uns ein¬ schreiben, bezüglich des Eindrucks, den die Beschießung von Paris auf die Nerven derer machte, die diese unnnterbrochne Reihe gewaltiger Detonationen in größerer oder geringerer Nähe mit anhörten, man habe sich an das Schießen gewöhnt, und es habe „niemals die Beobachtung auch nur vou Kleinigkeiten absorbiert." Seine Absicht war offenbar, zu sagen, das Schießen habe nie die Aufmerksamkeit so absorbiert, daß sie von der Beobachtung auch minder wichtiger Dinge abgelenkt worden wäre. Absorbieren heißt ja bekanntlich aufsaugen, und die Franzosen ebensowenig wie die Engländer bedienen sich dessen je in einer andern Bedeutung. In einer mit Wasser gefüllten Untertasse, in die man einen guten Schwamm legt, bleibt, wenn man nach einiger Zeit den Schwamm vorsichtig aufnimmt, kein Tropfen Wasser zurück, er hat alles aufgesogen. In dem von Busch erwähnten Fall blieb dagegen genug Aufmerksamkeit zurück, die mau der Beobachtung auch kleiner Dinge zuwenden konnte, die Aufmerksamkeit war von dem Schießen nicht ganz oder überhaupt nicht absorbiert worden. Die Aufmerksamkeit ist eine Fähigkeit, von der Wir uns vorstellen können, daß sie absorbiert werde, die Beobachtung kleinerer Dinge dagegen ist eine konkrete Leistung, die behindert, beeinträchtigt, gehemmt, aus¬ geschlossen, unmöglich gemacht, aber nicht absorbiert werden kann. Dem Ausdruck absorbiere» entspricht ziemlich gemein das deutsche „ganz in Anspruch nehmen." Jedermann wird aber sofort erkennen, daß es sonderbar wäre, wenn man sagen wollte, das Geräusch des Bombardements habe niemals die Beobachtung auch nur von Kleinigkeiten ganz in Anspruch genommen, und mit einem deutschen Ausdruck würde auch Busch, der so streng logisch zu Werke zu gehn verstand, ein solches leichtes Danebengreifen nie passiert sein. Wenn es nun wirklich, wie wir glauben, bei manchen Zeitnngsberichterstattern mit der Kenntnis fremder Sprachen nicht weit her ist, so dürfen wir uns auch nicht wundern, wenn wir sehen, daß sie mit dem Geschlecht ausländischer Worte unispringen wie die Katze mit der Bratwurst: sie empfinden die Vergewaltigung, die sie mit ihren verkehrten deutschen Artikeln der fremden Sprachen und denen, die mit ihr vertraut siud, anthun, nicht und ziehn muntern Schritts weiter wie der Mann mit der Chansonette. Sie und andre leichtlebige Deutsche haben einen Grundsatz aufgestellt, der mit der Schindnng des Marsyas durch Apoll unge¬ fähr auf gleicher Stufe steht: Apolle sind sie deswegen noch nicht, aber fremde Geschöpfe zu schinden, daraus machen sie sich ebensowenig wie der neidische Gott, der auch deshalb bei Bismarck in geringen« Ansehen stand. Um die Sache kurz zu sagen, sie geben den Worten, die sie mit der Betonung und der Aussprache samt Grammatik und romanischem Druck entlehnen, ohne weiteres das Geschlecht, das der ihnen gerade einfallende entsprechende deutsche Ausdruck hat, und übersehen vornehm das Geschlecht, das dem Worte in der Heimat beigelegt worden ist. Wir werden zeigen, wohin das führt. Fürs erste müssen wir aber noch zu ihrer Ent¬ schuldigung sagen, daß sie damit in die Fußstapfen ihrer Väter und Ahnen treten, die in vergangnen Jahrhunderten namentlich die französische Sprache wie echte Stegreif¬ ritter und Wegelagerer ausgeplündert haben, und deren Versuche, das Entlehnte für den eignen Gebrauch zurecht zu machen, an die Experimente erinnern, die die Südsee- insulaner mit den ihnen überlassenen Pariser Hüten und Sonnenschirmen anstellen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/173
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/173>, abgerufen am 22.07.2024.