Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Zerstörer (oroiseurs eorsairs) und spart dafür am Linienschiffball. Wie man
sich dann den Kreuzerkrieg gegen England eigentlich vorstellt, wenn von der
überlegnen englischen Flotte die französischen Häfen blockiert sind, das wissen
die Götter; ob die Franzosen sich das überlegt haben, ist recht zweifelhaft.
Jedenfalls hat Cuverville aber Verständnis dafür, daß man bei uns weiß,
was man will: "Im Laufe meiner Unterhaltungen mit verschiednen deutschen
Persönlichkeiten hat mich ein Umstand immer wieder betroffen gemacht: ihre
Einheit in der Anschauungsweise. Die Ursache dafür ist ja leicht zu erkennen,
aber die Wirkung dieser Übereinstimmung festigt die Entschlüsse, die zur Ent¬
wicklung nötig sind. Wenn ein Offizier eine neue Methode ersinnt oder eine
Erfindung macht, so erzählte mir einer von ihnen, meldet man es dem Kaiser,
der die Sache prüfen läßt. Dem Berichte fügt er dann feine persönlichen
Bemerkungen hinzu, und dann spricht man sich dcirüber ans. Von da ab ist
die Sache entschieden. Ganz Deutschland ist von solcher folgerichtigen Denk¬
weise erfüllt; und das ist ein Unterpfand für seinen Wohlstand."

Von den Reiseeindrücken sei nnter anderm "koch erwähnt, wie Cuverville sich
wundert, vor dem Thore der Marinewerft nur einen Schutzmann und einen
Hauswart zu finden, während vor den französischen Werftthoren eine ganze
Macht von Gendarmen, Wächtern und Beamten anzutreffen sei; er meint, daß
ihm trotzdem die deutsche Werft nicht schlechter behütet zu sein schien. Die
kleine Bemerkung "läßt tief blicken"; auf den französischen Werften herrscht
allerdings ein fast berüchtigtes Benmtenunwesen, worüber schon viele Fran¬
zosen sehr freimütig geurteilt haben, allerdings wohl ohne etwas wesentliches
zu bessern. Trotz vieler Fortschritte sind wir in Deutschland ja auch damit
noch nicht ganz über den Berg; hoffentlich trägt die Berührung mit Amerika
dazu bei, allerlei rückständige Zopsigkciten bei uns endlich abzuschaffen. Der
normale Bureaukrat ist eben in ganz Festeuropa heimisch und tritt je nach
dem Volkscharakter und der Regierungsform seines Staats nur in verschiednen
Spielarten auf. In Frankreich schiebt man die Schuld des langsamen Gangs
der Schiffsneubanten hauptsächlich auf die überflüssigen Schreibereien, die das
Heer der Werftbeamten erfunden hat, um damit seine Daseinsberechtigung zu
erweisen.

Besonders ausführlich beschreibt der französische Besucher die Erziehung
unsers Seeoffiziernachwnchses und die Ausbildung der Seeoffiziere uns der
Marineakademie. Die Admiräle von Arnim und von Maltzahn setzen ihm
die Grundgedanken der deutschen Seeoffiziersausbildung auseinander. Mit
einem Besuch des Kaiser Wilhelmkanals schließt der maritime Teil des präch¬
tigen Hefts, dem noch eine Beschreibung der Hauptkadettcnaustalt in Lichter¬
felde beigegeben ist. Was der Franzose sieht, faßt er schnell und richtig auf
und schildert es in lebhaften Farben; sein Gesnmturteil über Deutschland ist
ebenso günstig wie das Lockroysche.

Alles in allem genommen bedeuten beide hier besprochnen Werke, daß
einzelne gebildete Franzosen den Wunsch und den Willen haben, die Kenntnis
von Deutschlands Seegeltnng ihren Landsleuten zu übermitteln. Ob aber die
Franzosen schon aus diesen aufklärenden Arbeiten die Einsicht gewinnen, daß


Zerstörer (oroiseurs eorsairs) und spart dafür am Linienschiffball. Wie man
sich dann den Kreuzerkrieg gegen England eigentlich vorstellt, wenn von der
überlegnen englischen Flotte die französischen Häfen blockiert sind, das wissen
die Götter; ob die Franzosen sich das überlegt haben, ist recht zweifelhaft.
Jedenfalls hat Cuverville aber Verständnis dafür, daß man bei uns weiß,
was man will: „Im Laufe meiner Unterhaltungen mit verschiednen deutschen
Persönlichkeiten hat mich ein Umstand immer wieder betroffen gemacht: ihre
Einheit in der Anschauungsweise. Die Ursache dafür ist ja leicht zu erkennen,
aber die Wirkung dieser Übereinstimmung festigt die Entschlüsse, die zur Ent¬
wicklung nötig sind. Wenn ein Offizier eine neue Methode ersinnt oder eine
Erfindung macht, so erzählte mir einer von ihnen, meldet man es dem Kaiser,
der die Sache prüfen läßt. Dem Berichte fügt er dann feine persönlichen
Bemerkungen hinzu, und dann spricht man sich dcirüber ans. Von da ab ist
die Sache entschieden. Ganz Deutschland ist von solcher folgerichtigen Denk¬
weise erfüllt; und das ist ein Unterpfand für seinen Wohlstand."

Von den Reiseeindrücken sei nnter anderm »koch erwähnt, wie Cuverville sich
wundert, vor dem Thore der Marinewerft nur einen Schutzmann und einen
Hauswart zu finden, während vor den französischen Werftthoren eine ganze
Macht von Gendarmen, Wächtern und Beamten anzutreffen sei; er meint, daß
ihm trotzdem die deutsche Werft nicht schlechter behütet zu sein schien. Die
kleine Bemerkung „läßt tief blicken"; auf den französischen Werften herrscht
allerdings ein fast berüchtigtes Benmtenunwesen, worüber schon viele Fran¬
zosen sehr freimütig geurteilt haben, allerdings wohl ohne etwas wesentliches
zu bessern. Trotz vieler Fortschritte sind wir in Deutschland ja auch damit
noch nicht ganz über den Berg; hoffentlich trägt die Berührung mit Amerika
dazu bei, allerlei rückständige Zopsigkciten bei uns endlich abzuschaffen. Der
normale Bureaukrat ist eben in ganz Festeuropa heimisch und tritt je nach
dem Volkscharakter und der Regierungsform seines Staats nur in verschiednen
Spielarten auf. In Frankreich schiebt man die Schuld des langsamen Gangs
der Schiffsneubanten hauptsächlich auf die überflüssigen Schreibereien, die das
Heer der Werftbeamten erfunden hat, um damit seine Daseinsberechtigung zu
erweisen.

Besonders ausführlich beschreibt der französische Besucher die Erziehung
unsers Seeoffiziernachwnchses und die Ausbildung der Seeoffiziere uns der
Marineakademie. Die Admiräle von Arnim und von Maltzahn setzen ihm
die Grundgedanken der deutschen Seeoffiziersausbildung auseinander. Mit
einem Besuch des Kaiser Wilhelmkanals schließt der maritime Teil des präch¬
tigen Hefts, dem noch eine Beschreibung der Hauptkadettcnaustalt in Lichter¬
felde beigegeben ist. Was der Franzose sieht, faßt er schnell und richtig auf
und schildert es in lebhaften Farben; sein Gesnmturteil über Deutschland ist
ebenso günstig wie das Lockroysche.

Alles in allem genommen bedeuten beide hier besprochnen Werke, daß
einzelne gebildete Franzosen den Wunsch und den Willen haben, die Kenntnis
von Deutschlands Seegeltnng ihren Landsleuten zu übermitteln. Ob aber die
Franzosen schon aus diesen aufklärenden Arbeiten die Einsicht gewinnen, daß


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0149" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/237435"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_756" prev="#ID_755"> Zerstörer (oroiseurs eorsairs) und spart dafür am Linienschiffball. Wie man<lb/>
sich dann den Kreuzerkrieg gegen England eigentlich vorstellt, wenn von der<lb/>
überlegnen englischen Flotte die französischen Häfen blockiert sind, das wissen<lb/>
die Götter; ob die Franzosen sich das überlegt haben, ist recht zweifelhaft.<lb/>
Jedenfalls hat Cuverville aber Verständnis dafür, daß man bei uns weiß,<lb/>
was man will: &#x201E;Im Laufe meiner Unterhaltungen mit verschiednen deutschen<lb/>
Persönlichkeiten hat mich ein Umstand immer wieder betroffen gemacht: ihre<lb/>
Einheit in der Anschauungsweise. Die Ursache dafür ist ja leicht zu erkennen,<lb/>
aber die Wirkung dieser Übereinstimmung festigt die Entschlüsse, die zur Ent¬<lb/>
wicklung nötig sind. Wenn ein Offizier eine neue Methode ersinnt oder eine<lb/>
Erfindung macht, so erzählte mir einer von ihnen, meldet man es dem Kaiser,<lb/>
der die Sache prüfen läßt. Dem Berichte fügt er dann feine persönlichen<lb/>
Bemerkungen hinzu, und dann spricht man sich dcirüber ans. Von da ab ist<lb/>
die Sache entschieden. Ganz Deutschland ist von solcher folgerichtigen Denk¬<lb/>
weise erfüllt; und das ist ein Unterpfand für seinen Wohlstand."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_757"> Von den Reiseeindrücken sei nnter anderm »koch erwähnt, wie Cuverville sich<lb/>
wundert, vor dem Thore der Marinewerft nur einen Schutzmann und einen<lb/>
Hauswart zu finden, während vor den französischen Werftthoren eine ganze<lb/>
Macht von Gendarmen, Wächtern und Beamten anzutreffen sei; er meint, daß<lb/>
ihm trotzdem die deutsche Werft nicht schlechter behütet zu sein schien. Die<lb/>
kleine Bemerkung &#x201E;läßt tief blicken"; auf den französischen Werften herrscht<lb/>
allerdings ein fast berüchtigtes Benmtenunwesen, worüber schon viele Fran¬<lb/>
zosen sehr freimütig geurteilt haben, allerdings wohl ohne etwas wesentliches<lb/>
zu bessern. Trotz vieler Fortschritte sind wir in Deutschland ja auch damit<lb/>
noch nicht ganz über den Berg; hoffentlich trägt die Berührung mit Amerika<lb/>
dazu bei, allerlei rückständige Zopsigkciten bei uns endlich abzuschaffen. Der<lb/>
normale Bureaukrat ist eben in ganz Festeuropa heimisch und tritt je nach<lb/>
dem Volkscharakter und der Regierungsform seines Staats nur in verschiednen<lb/>
Spielarten auf. In Frankreich schiebt man die Schuld des langsamen Gangs<lb/>
der Schiffsneubanten hauptsächlich auf die überflüssigen Schreibereien, die das<lb/>
Heer der Werftbeamten erfunden hat, um damit seine Daseinsberechtigung zu<lb/>
erweisen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_758"> Besonders ausführlich beschreibt der französische Besucher die Erziehung<lb/>
unsers Seeoffiziernachwnchses und die Ausbildung der Seeoffiziere uns der<lb/>
Marineakademie. Die Admiräle von Arnim und von Maltzahn setzen ihm<lb/>
die Grundgedanken der deutschen Seeoffiziersausbildung auseinander. Mit<lb/>
einem Besuch des Kaiser Wilhelmkanals schließt der maritime Teil des präch¬<lb/>
tigen Hefts, dem noch eine Beschreibung der Hauptkadettcnaustalt in Lichter¬<lb/>
felde beigegeben ist. Was der Franzose sieht, faßt er schnell und richtig auf<lb/>
und schildert es in lebhaften Farben; sein Gesnmturteil über Deutschland ist<lb/>
ebenso günstig wie das Lockroysche.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_759" next="#ID_760"> Alles in allem genommen bedeuten beide hier besprochnen Werke, daß<lb/>
einzelne gebildete Franzosen den Wunsch und den Willen haben, die Kenntnis<lb/>
von Deutschlands Seegeltnng ihren Landsleuten zu übermitteln. Ob aber die<lb/>
Franzosen schon aus diesen aufklärenden Arbeiten die Einsicht gewinnen, daß</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0149] Zerstörer (oroiseurs eorsairs) und spart dafür am Linienschiffball. Wie man sich dann den Kreuzerkrieg gegen England eigentlich vorstellt, wenn von der überlegnen englischen Flotte die französischen Häfen blockiert sind, das wissen die Götter; ob die Franzosen sich das überlegt haben, ist recht zweifelhaft. Jedenfalls hat Cuverville aber Verständnis dafür, daß man bei uns weiß, was man will: „Im Laufe meiner Unterhaltungen mit verschiednen deutschen Persönlichkeiten hat mich ein Umstand immer wieder betroffen gemacht: ihre Einheit in der Anschauungsweise. Die Ursache dafür ist ja leicht zu erkennen, aber die Wirkung dieser Übereinstimmung festigt die Entschlüsse, die zur Ent¬ wicklung nötig sind. Wenn ein Offizier eine neue Methode ersinnt oder eine Erfindung macht, so erzählte mir einer von ihnen, meldet man es dem Kaiser, der die Sache prüfen läßt. Dem Berichte fügt er dann feine persönlichen Bemerkungen hinzu, und dann spricht man sich dcirüber ans. Von da ab ist die Sache entschieden. Ganz Deutschland ist von solcher folgerichtigen Denk¬ weise erfüllt; und das ist ein Unterpfand für seinen Wohlstand." Von den Reiseeindrücken sei nnter anderm »koch erwähnt, wie Cuverville sich wundert, vor dem Thore der Marinewerft nur einen Schutzmann und einen Hauswart zu finden, während vor den französischen Werftthoren eine ganze Macht von Gendarmen, Wächtern und Beamten anzutreffen sei; er meint, daß ihm trotzdem die deutsche Werft nicht schlechter behütet zu sein schien. Die kleine Bemerkung „läßt tief blicken"; auf den französischen Werften herrscht allerdings ein fast berüchtigtes Benmtenunwesen, worüber schon viele Fran¬ zosen sehr freimütig geurteilt haben, allerdings wohl ohne etwas wesentliches zu bessern. Trotz vieler Fortschritte sind wir in Deutschland ja auch damit noch nicht ganz über den Berg; hoffentlich trägt die Berührung mit Amerika dazu bei, allerlei rückständige Zopsigkciten bei uns endlich abzuschaffen. Der normale Bureaukrat ist eben in ganz Festeuropa heimisch und tritt je nach dem Volkscharakter und der Regierungsform seines Staats nur in verschiednen Spielarten auf. In Frankreich schiebt man die Schuld des langsamen Gangs der Schiffsneubanten hauptsächlich auf die überflüssigen Schreibereien, die das Heer der Werftbeamten erfunden hat, um damit seine Daseinsberechtigung zu erweisen. Besonders ausführlich beschreibt der französische Besucher die Erziehung unsers Seeoffiziernachwnchses und die Ausbildung der Seeoffiziere uns der Marineakademie. Die Admiräle von Arnim und von Maltzahn setzen ihm die Grundgedanken der deutschen Seeoffiziersausbildung auseinander. Mit einem Besuch des Kaiser Wilhelmkanals schließt der maritime Teil des präch¬ tigen Hefts, dem noch eine Beschreibung der Hauptkadettcnaustalt in Lichter¬ felde beigegeben ist. Was der Franzose sieht, faßt er schnell und richtig auf und schildert es in lebhaften Farben; sein Gesnmturteil über Deutschland ist ebenso günstig wie das Lockroysche. Alles in allem genommen bedeuten beide hier besprochnen Werke, daß einzelne gebildete Franzosen den Wunsch und den Willen haben, die Kenntnis von Deutschlands Seegeltnng ihren Landsleuten zu übermitteln. Ob aber die Franzosen schon aus diesen aufklärenden Arbeiten die Einsicht gewinnen, daß

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/149
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/149>, abgerufen am 22.07.2024.