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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Die britische Regierung

Bagler erwärmt sich höchstens ein Jbsenverehrer, den Hüten und Mützen in
Schweden, den Armagnacs und Bourgignons in Frankreich, den Kabeljauen
und Haken in Holland gewinnt nur der Historiker noch Teilnahme ab. Auch
die großen englischen Parteien der Whigs und Tories sind dahin, sie sind so
tot wie die Königin Anna, und das Wunder ist nur, daß sie sich so lange ge¬
halten haben. Whig und Torb waren zuerst nichts als Spitznamen, die
Protestantischen Eiferern in Schottland und katholischen Flüchtlingen in Irland
beigelegt wurden, aber, nach England verpflanzt, eine Bedeutung erhielten, die
ihren Ursprung nicht mehr ahnen ließ. Die ursprünglichen Whigs und Tories
waren arme Teufel, die oft nicht wußten, wo sie ihr Haupt zur Ruhe nieder¬
legen konnten, die Whigs und Tories des englischen Parlaments aber waren
wohlbegüterte Herren, die auf Daumen schliefen und nicht um ihr täglich Brot
zu sorgen brauchen.

Wer Gullivers Reisen gelesen hat -- damit sind nicht die für die reifere
und die unreife Jugend verballhornten Bearbeitungen gemeint --, wer Gullivers
Reisen gelesen hat, wird sich des bittern Spotts erinnern, den Swift dort
über die politischen Verhältnisse Englands ausschüttet. Swift war ein galliger
Herr, er war schon gallig, als er noch Temples Geheimschreiber war, aber er
hatte scharfe Angen nud wußte zu beobachte,:. In den beiden Parteien des
liliputmnschen Reichs, den Trameckscms und Slamecksans kann man leicht die
Tories und Whigs erkennen, und nnter den Dickendem und Dünnendern muß
man Katholiken und Protestanten verstehn. Whigs und Tories waren wie
Siamesische Zwillinge. Sie gehörten zusammen, und als die Whigs ihr Ge¬
schäft an die Liberalen abtraten, mußten auch die Tories das alte Firmen¬
schild einem neuen mit dem Worte konservativ weichen sehen. Zusammen sind
Whigs und Tories in die Welt getreten, zusammen sind sie geschieden, wie es
Zwillingsbrüdern geziemt. Zwillingsbrüder waren sie in der That, einander
so ähnlich, daß, um wieder auf Swifts Satire zurückzufallen, sie sich nur durch
die Höhe der Absätze ihrer Schuhe unterschieden. Trügen die Whigs niedrige
Absätze, so stolzierten die Tories auf hohen einher. Sonst tranken die einen
Portwein ebenso gern wie die andern, und die Gicht fuhr unparteiisch beiden
in die Beine. Mit den Parteien, die einander im Bürgerkriege befehdeten,
hatten sie nichts gemein. Independenten, Puritaner, Presbyterianer waren
unter ihnen nicht zu finden. Sie verabscheuten alles, was nicht den Stempel
der Staatskirche trug, und monarchisch waren sie bis in die Fußspitzen.

Ein eigentlicher tiefer Unterschied war mir in ihrer Jugend vorhanden,
bevor sie die Süßigkeit der Macht gekostet hatten. Das war noch unter
Karl II. Da standen die Tories für die legitime Thronfolge ohne Vorbehalt
ein, während die Whigs sie ans Protestanten beschränkt wissen wollten. Zu¬
nächst überwog die toryistische Anschauung, und Jakob II. trat unbehelligt die
Regierung an. Aber die Tyrannei des bigotten Königs that mehr, als alle
Anstrengungen der Whigs vermocht hätten, die Tories zu schädigen. Alles,
was nicht durch und durch absolutistisch gesinnt war, wandte sich von ihm ab,
und die Tories zerfielen in zwei Gruppen, von denen nur die kleinere ganz
jakobitisch war. Die andre stärkere Gruppe war bloß bedingt jakobitisch und


Die britische Regierung

Bagler erwärmt sich höchstens ein Jbsenverehrer, den Hüten und Mützen in
Schweden, den Armagnacs und Bourgignons in Frankreich, den Kabeljauen
und Haken in Holland gewinnt nur der Historiker noch Teilnahme ab. Auch
die großen englischen Parteien der Whigs und Tories sind dahin, sie sind so
tot wie die Königin Anna, und das Wunder ist nur, daß sie sich so lange ge¬
halten haben. Whig und Torb waren zuerst nichts als Spitznamen, die
Protestantischen Eiferern in Schottland und katholischen Flüchtlingen in Irland
beigelegt wurden, aber, nach England verpflanzt, eine Bedeutung erhielten, die
ihren Ursprung nicht mehr ahnen ließ. Die ursprünglichen Whigs und Tories
waren arme Teufel, die oft nicht wußten, wo sie ihr Haupt zur Ruhe nieder¬
legen konnten, die Whigs und Tories des englischen Parlaments aber waren
wohlbegüterte Herren, die auf Daumen schliefen und nicht um ihr täglich Brot
zu sorgen brauchen.

Wer Gullivers Reisen gelesen hat — damit sind nicht die für die reifere
und die unreife Jugend verballhornten Bearbeitungen gemeint —, wer Gullivers
Reisen gelesen hat, wird sich des bittern Spotts erinnern, den Swift dort
über die politischen Verhältnisse Englands ausschüttet. Swift war ein galliger
Herr, er war schon gallig, als er noch Temples Geheimschreiber war, aber er
hatte scharfe Angen nud wußte zu beobachte,:. In den beiden Parteien des
liliputmnschen Reichs, den Trameckscms und Slamecksans kann man leicht die
Tories und Whigs erkennen, und nnter den Dickendem und Dünnendern muß
man Katholiken und Protestanten verstehn. Whigs und Tories waren wie
Siamesische Zwillinge. Sie gehörten zusammen, und als die Whigs ihr Ge¬
schäft an die Liberalen abtraten, mußten auch die Tories das alte Firmen¬
schild einem neuen mit dem Worte konservativ weichen sehen. Zusammen sind
Whigs und Tories in die Welt getreten, zusammen sind sie geschieden, wie es
Zwillingsbrüdern geziemt. Zwillingsbrüder waren sie in der That, einander
so ähnlich, daß, um wieder auf Swifts Satire zurückzufallen, sie sich nur durch
die Höhe der Absätze ihrer Schuhe unterschieden. Trügen die Whigs niedrige
Absätze, so stolzierten die Tories auf hohen einher. Sonst tranken die einen
Portwein ebenso gern wie die andern, und die Gicht fuhr unparteiisch beiden
in die Beine. Mit den Parteien, die einander im Bürgerkriege befehdeten,
hatten sie nichts gemein. Independenten, Puritaner, Presbyterianer waren
unter ihnen nicht zu finden. Sie verabscheuten alles, was nicht den Stempel
der Staatskirche trug, und monarchisch waren sie bis in die Fußspitzen.

Ein eigentlicher tiefer Unterschied war mir in ihrer Jugend vorhanden,
bevor sie die Süßigkeit der Macht gekostet hatten. Das war noch unter
Karl II. Da standen die Tories für die legitime Thronfolge ohne Vorbehalt
ein, während die Whigs sie ans Protestanten beschränkt wissen wollten. Zu¬
nächst überwog die toryistische Anschauung, und Jakob II. trat unbehelligt die
Regierung an. Aber die Tyrannei des bigotten Königs that mehr, als alle
Anstrengungen der Whigs vermocht hätten, die Tories zu schädigen. Alles,
was nicht durch und durch absolutistisch gesinnt war, wandte sich von ihm ab,
und die Tories zerfielen in zwei Gruppen, von denen nur die kleinere ganz
jakobitisch war. Die andre stärkere Gruppe war bloß bedingt jakobitisch und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/131>, abgerufen am 23.07.2024.