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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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notwendige Gewicht zu legen. Das Geschichtliche ist häufig wichtiger und ent¬
scheidender als das Geographische.

Unter den vierzehn in Rom residierenden Mitgliedern der Propaganda
aus dem Kollegium der Kardinäle ist keiner, den man als eigentlichen Fach¬
mann in Geschichte und Geographie bezeichnen könnte, obschon die Kardinäle
Pnrocchi, Steinhuber und Segna sehr großes allgemeines Wissen haben. Von
den Konsultoreu der Kongregation sind dreißig in Nom ansässig. Aus¬
gezeichnete Theologen, Kanvnisten und Männer mit umfassender allgemeiner
Bildung find uuter thuen, aber kein Geograph oder Historiker. Die sechs
Minutcmten haben reiche Erfahrungen in der Gcschäftsbehandlnng der Fragen
ihrer Abteilung, ohne daß es von einem bekannt geworden wäre, daß er sich
auf historischem oder geographischem Gebiete besonders ausgezeichnet hätte. Die
Zeit ist nun vorbei, daß man Missionsgebiete mit einem Strich auf der Land¬
karte abgrenzt. Bei der großen Ausbreitung der Missionen, rein geographisch
gesprochen, ergeben sich tagtäglich schwere Bedenken über die lokal abge¬
grenzte Amtsgewalt der einzelnen Missiousobern, aus dem einfachen Grunde,
weil ein souveräner Strich auf der Karte zwei benachbarte Gebiete scheiden
soll. So etwas mag für die Wüste Sahara oder die Wüste Gobi gehn,
für besiedelte Gebiete ist dieser veraltete Brauch heute völlig uuzulässig-
Breiten- und Längengrade statt natürlicher, oro- oder hydrographischer Merk¬
male oder festgestellter politischer Scheidelinien als kirchliche Grenzen aufstellen,
geht heutzutage nun und nimmermehr. Will man mir entgegenhalten, daß
die Linien des Erdgrndnetzes auch noch hie und dn als politische Grenzen be-
stehn, so erwidere ich zunächst, daß das -- soweit nicht Binnenseen in Frage
kommen -- immer nur provisorische sind, die sobald wie möglich einer wissen¬
schaftlichen Abgrenzung weichen; und weiterhin kommen keine schwerwiegende"
kirchlichen 'Jurisdiktionsfragen dabei in Betracht. Es muß also als eine der
wichtigsten Aufgaben der Kongregation der Propaganda bezeichnet werden, daß
sie durch Fachmänner unter möglichster Berücksichtigung und Schonung der
bestehenden Verhältnisse eine auf gesunden geographischen Prinzipien aufgebaute
Verschiebung der Missionsgreuzeu vornehmen läßt. Hand in Hand damit muß
dann auch die Herausgabe eines Missionsatlasses in großem Stile geschehn, und
die Beschreibung der geographischen Grenzen der Misstonsgebiete im amtlichen
Handbuche der Propaganda einer ganz eingehenden Revision unterzogen werden-
Bei alledem kann die sorgfältige Berücksichtigung der Geschichte der Missionen
nur vou dem allergrößten, zuweilen ausschlaggebenden Nutzen werden. So wie
die Dinge jetzt liegen, können sie ganz unmöglich bleiben, weil sie nach jeder
Richtung hin veraltet sind.

Kann das Archiv der Propaganda diese Arbeiten wesentlich fördern? Tue
Autwort lautet selbstverständlich bejahend. Denn nach den bekannt gewordnen
Mitteilungen enthält es große und wichtige Schätze für die Missionsgeschichte-
Hat es die historische Wissenschaft aber in sachgemäßer Weise ausbeuten tonnen-
Diese Frage bedarf einer nähern Untersuchung.'

Nach dem Vorgänge Leos XIII. bei der Eröffnung des vatikanischen
Geheimarchivs wurden den wenigen Forschern, die sich um Mitteilung von


notwendige Gewicht zu legen. Das Geschichtliche ist häufig wichtiger und ent¬
scheidender als das Geographische.

Unter den vierzehn in Rom residierenden Mitgliedern der Propaganda
aus dem Kollegium der Kardinäle ist keiner, den man als eigentlichen Fach¬
mann in Geschichte und Geographie bezeichnen könnte, obschon die Kardinäle
Pnrocchi, Steinhuber und Segna sehr großes allgemeines Wissen haben. Von
den Konsultoreu der Kongregation sind dreißig in Nom ansässig. Aus¬
gezeichnete Theologen, Kanvnisten und Männer mit umfassender allgemeiner
Bildung find uuter thuen, aber kein Geograph oder Historiker. Die sechs
Minutcmten haben reiche Erfahrungen in der Gcschäftsbehandlnng der Fragen
ihrer Abteilung, ohne daß es von einem bekannt geworden wäre, daß er sich
auf historischem oder geographischem Gebiete besonders ausgezeichnet hätte. Die
Zeit ist nun vorbei, daß man Missionsgebiete mit einem Strich auf der Land¬
karte abgrenzt. Bei der großen Ausbreitung der Missionen, rein geographisch
gesprochen, ergeben sich tagtäglich schwere Bedenken über die lokal abge¬
grenzte Amtsgewalt der einzelnen Missiousobern, aus dem einfachen Grunde,
weil ein souveräner Strich auf der Karte zwei benachbarte Gebiete scheiden
soll. So etwas mag für die Wüste Sahara oder die Wüste Gobi gehn,
für besiedelte Gebiete ist dieser veraltete Brauch heute völlig uuzulässig-
Breiten- und Längengrade statt natürlicher, oro- oder hydrographischer Merk¬
male oder festgestellter politischer Scheidelinien als kirchliche Grenzen aufstellen,
geht heutzutage nun und nimmermehr. Will man mir entgegenhalten, daß
die Linien des Erdgrndnetzes auch noch hie und dn als politische Grenzen be-
stehn, so erwidere ich zunächst, daß das — soweit nicht Binnenseen in Frage
kommen — immer nur provisorische sind, die sobald wie möglich einer wissen¬
schaftlichen Abgrenzung weichen; und weiterhin kommen keine schwerwiegende»
kirchlichen 'Jurisdiktionsfragen dabei in Betracht. Es muß also als eine der
wichtigsten Aufgaben der Kongregation der Propaganda bezeichnet werden, daß
sie durch Fachmänner unter möglichster Berücksichtigung und Schonung der
bestehenden Verhältnisse eine auf gesunden geographischen Prinzipien aufgebaute
Verschiebung der Missionsgreuzeu vornehmen läßt. Hand in Hand damit muß
dann auch die Herausgabe eines Missionsatlasses in großem Stile geschehn, und
die Beschreibung der geographischen Grenzen der Misstonsgebiete im amtlichen
Handbuche der Propaganda einer ganz eingehenden Revision unterzogen werden-
Bei alledem kann die sorgfältige Berücksichtigung der Geschichte der Missionen
nur vou dem allergrößten, zuweilen ausschlaggebenden Nutzen werden. So wie
die Dinge jetzt liegen, können sie ganz unmöglich bleiben, weil sie nach jeder
Richtung hin veraltet sind.

Kann das Archiv der Propaganda diese Arbeiten wesentlich fördern? Tue
Autwort lautet selbstverständlich bejahend. Denn nach den bekannt gewordnen
Mitteilungen enthält es große und wichtige Schätze für die Missionsgeschichte-
Hat es die historische Wissenschaft aber in sachgemäßer Weise ausbeuten tonnen-
Diese Frage bedarf einer nähern Untersuchung.'

Nach dem Vorgänge Leos XIII. bei der Eröffnung des vatikanischen
Geheimarchivs wurden den wenigen Forschern, die sich um Mitteilung von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/722>, abgerufen am 06.02.2025.