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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Aursächsische Streisznze

Worten angedroht hatte, als von Metternich keinerlei Ansage einer baldigen
bewaffneten Intervention in Sachsen eintraf, dieser vielmehr nach außen hin
jede Verbindung mit Sachsen ableugnete und auch den König verpflichtet hatte,
Stillschweigen zu bewahren, da brach der Widerstand des schwer geprüften
Mannes zusammen, und er beeilte sich, Napoleons Verzeihung und damit die
möglichste Schonung Sachsens zu gewinnen.

Am 10, Mai saß Thielmann in Torgnu gerade bei der Mittagstafel, als
der Befehl des Königs eintraf, die Festung mit alleil Truppe" und allem
Kricgsgerät dem französischen General Reynier zu übergeben. Bei der ihm
betrunken Gesinnung der Stabsoffiziere konnte Thielmann es nicht wagen,
gegen deu Willen des Königs eine "Konvention von Tauroggen" herbei¬
zuführen. Aber für seine Person war sein Entschluß gefaßt. Er übergab den
Oberbefehl dein Generalmajor von Steindel und ritt gegen Abend, begleitet
von dein Oberstleutnant von Aster, dem genialen Festungsbaumeister, zum
Thore hinaus, um in Wurscheu bei Bautzen, dein Hauptquartier der Ver¬
bündeten, Kriegsdienste zu nehmen. So fielen also in Torgatt die Würfel,
die über das Schicksal Sachsens während des Freiheitskriegs entschieden.

Niemand wird das Verhalten des Königs Friedrich August in Prag voll
dem Vorwurfe der Schwäche und Unentschlossenheit freisprechen tonnen. Aber
falsch und tendenziös gefärbt erscheint das Urteil Treitschkes, wenn er I, 458
sagt: "Auf die Nachricht vou Napoleons Siege lehrte er sofort, noch bevor
eine drohende Mahnung des Protektors ihn ereilte, wieder zu deu Fahnen
zurück, denen sein Herz immer angehangen." Da war sogar General Thiel¬
mann, der doch wahrlich nicht als Parteigänger des Königs gelten kann, ein
gerechterer Richter. In einem am 22. März 1816 aus Münster an den preu¬
ßischen Legationssekretär Dorvw gerichteten Briefe schreibt er: "Der König ist
trotz seines in der Geschichte unvertilgbar geschriebnen Fehltritts ein edler, ein
ausgezeichneter Mensch. . . . Niemand glaube, daß er je aus Neigung an
Napoleon gehangen habe, dessen war sein tugendhaftes Herz nie fähig; mir
Furcht konnte ihn, seinem schwachen Charakter gemäß, dazu bestimmen, und
als Mensch hatte er ihm intimidierend imponiert. So wie sich die Gelegenheit
zeigte, schloß er sich an Österreich an, freilich nicht kräftig und entschlossen,
sondern mit halben Maßregeln. . . . Welche Beständigkcitsprobe wurde aber
auch diesem schwache" Charakter durch Österreichs Unentschlossenheit auf¬
gelegt!"

Zunächst war es also die Furcht, die den König zu Napoleon zurück¬
führte, und dann, als die Reihe der deutscheu Siege begonnen hatte, bannte
ihn eine sehr begreifliche Scham an den falsch gewählten Platz. Das furcht¬
bare innere und äußere Elend, das dadurch über Sachsen kam, hinderte sicher¬
lich einen der tüchtigsten deutschen Stämme, das ihm eigentlich zukommende
Maß an Siegesfreude und erhebender Begeisterung zu genießen, und streute
auch für zukünftige politische Irrungen böse Keime aus. Aber je tiefer man
sich in die Gedanken und die Wünsche der Meuschen dieser Zeit einlebt, um so
mehr verliert man den Mut, z" verurteilen. Statt bösen Willens findet man
oft nur eine unglaublich verwirrte Situation oder eine unselige Verknüpfung


Aursächsische Streisznze

Worten angedroht hatte, als von Metternich keinerlei Ansage einer baldigen
bewaffneten Intervention in Sachsen eintraf, dieser vielmehr nach außen hin
jede Verbindung mit Sachsen ableugnete und auch den König verpflichtet hatte,
Stillschweigen zu bewahren, da brach der Widerstand des schwer geprüften
Mannes zusammen, und er beeilte sich, Napoleons Verzeihung und damit die
möglichste Schonung Sachsens zu gewinnen.

Am 10, Mai saß Thielmann in Torgnu gerade bei der Mittagstafel, als
der Befehl des Königs eintraf, die Festung mit alleil Truppe» und allem
Kricgsgerät dem französischen General Reynier zu übergeben. Bei der ihm
betrunken Gesinnung der Stabsoffiziere konnte Thielmann es nicht wagen,
gegen deu Willen des Königs eine „Konvention von Tauroggen" herbei¬
zuführen. Aber für seine Person war sein Entschluß gefaßt. Er übergab den
Oberbefehl dein Generalmajor von Steindel und ritt gegen Abend, begleitet
von dein Oberstleutnant von Aster, dem genialen Festungsbaumeister, zum
Thore hinaus, um in Wurscheu bei Bautzen, dein Hauptquartier der Ver¬
bündeten, Kriegsdienste zu nehmen. So fielen also in Torgatt die Würfel,
die über das Schicksal Sachsens während des Freiheitskriegs entschieden.

Niemand wird das Verhalten des Königs Friedrich August in Prag voll
dem Vorwurfe der Schwäche und Unentschlossenheit freisprechen tonnen. Aber
falsch und tendenziös gefärbt erscheint das Urteil Treitschkes, wenn er I, 458
sagt: „Auf die Nachricht vou Napoleons Siege lehrte er sofort, noch bevor
eine drohende Mahnung des Protektors ihn ereilte, wieder zu deu Fahnen
zurück, denen sein Herz immer angehangen." Da war sogar General Thiel¬
mann, der doch wahrlich nicht als Parteigänger des Königs gelten kann, ein
gerechterer Richter. In einem am 22. März 1816 aus Münster an den preu¬
ßischen Legationssekretär Dorvw gerichteten Briefe schreibt er: „Der König ist
trotz seines in der Geschichte unvertilgbar geschriebnen Fehltritts ein edler, ein
ausgezeichneter Mensch. . . . Niemand glaube, daß er je aus Neigung an
Napoleon gehangen habe, dessen war sein tugendhaftes Herz nie fähig; mir
Furcht konnte ihn, seinem schwachen Charakter gemäß, dazu bestimmen, und
als Mensch hatte er ihm intimidierend imponiert. So wie sich die Gelegenheit
zeigte, schloß er sich an Österreich an, freilich nicht kräftig und entschlossen,
sondern mit halben Maßregeln. . . . Welche Beständigkcitsprobe wurde aber
auch diesem schwache» Charakter durch Österreichs Unentschlossenheit auf¬
gelegt!"

Zunächst war es also die Furcht, die den König zu Napoleon zurück¬
führte, und dann, als die Reihe der deutscheu Siege begonnen hatte, bannte
ihn eine sehr begreifliche Scham an den falsch gewählten Platz. Das furcht¬
bare innere und äußere Elend, das dadurch über Sachsen kam, hinderte sicher¬
lich einen der tüchtigsten deutschen Stämme, das ihm eigentlich zukommende
Maß an Siegesfreude und erhebender Begeisterung zu genießen, und streute
auch für zukünftige politische Irrungen böse Keime aus. Aber je tiefer man
sich in die Gedanken und die Wünsche der Meuschen dieser Zeit einlebt, um so
mehr verliert man den Mut, z» verurteilen. Statt bösen Willens findet man
oft nur eine unglaublich verwirrte Situation oder eine unselige Verknüpfung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/678>, abgerufen am 27.09.2024.