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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Rnrsächsische Streifzüge

hat: in den lange" Nnndbogenfenstern des obersten Geschosses scheint etwas
von der himmelanstrebenden Art gotischer Dome nachzuwirken, während die
lockere Zierlichkeit und Lustigkeit der Gesamtanlage fast das Rokoko vorahne"
läßt. Der das Haus oben abschließende halbkreisförmig zum Dache hin um-
gebvgne Giebel ist einem gewaltigen Diadem vergleichbar, wie eine steinerne
Symbolisierung der aufstrebenden fürstlichen Libertät.

Noch unter der Leitung von Krebs wurde auch der Nordflügel des
Schlosses begonnen, der rechtwinklig zum Festsaalbau stand und bis zum alten
Schlosse hiu fortgesetzt den unregelmäßig geformten Schloßhof nach Norden
hin abschloß. Die Mitte dieses Baues wurde durch einen auf einer mächtigen
Säule ruhenden zweistöckigen Erker geziert, an dem als Jahr der Vollendung
1544 zu lesen steht. Rechts dcwou lagen die Gemächer der Kurfürstin, links
vom Erker ist die gleichfalls 1544 vollendete Schloßkirche, die an Stelle einer
ältern Martinskapelle trat und jetzt als Garnisonkirche dient. Sie enthält
außer anderm Schmuck eine schöne von Wolf und Oswald Hilger zu Freiberg
gegossene Votivtafel mit prachtvoller plastischer Umrahmung, in die als
Medaillons die Bilder des Kurfürsten, seiner beiden Söhne und Luthers ein¬
gelassen sind. Luther selbst hat diese Kirche, die erste neuerbaute evangelische
Kirche Deutschlands, am siebzehnten Sonntage nach Trinitatis mit Gebet,
Lvbgesnng und einer Predigt eingeweiht; der kurfürstliche Kapellmeister Walther
(s. S. 608) hatte dazu eine siebenstimmige Kirchenmusik ^oxtem voouru xsr
tnMs) komponiert. Die Verse, die damals unter ein das Opfer des Elias
darstellendes Bild des Lucas Cranach gesetzt worden sind, das der Kanzel
gegenüberhing, atmen schon die Stimmung des sich vorbereitenden Schmal-
kaldischen Kriegs:




Kurfürst Johann Friedrich soll sich diese Kirche sogar zur letzten Ruhe¬
stätte gewünscht und sich darin eine Gruft angelegt haben -- aber die Vorsehung
fügte es, daß er samt seiner treuen Gemahlin nach dornenvoller Leidensbahn
schließlich in der Pfarrkirche zu Weimar sein Grab fand (1554). Wie bittere
Empfindungen mußten den unglücklichen Mann erfüllen, als er drei Tage nach
dem Kampf auf der Lochcmcr Heide als Gefangner mit verbundner Wange, von
hundert spanischen Arkebüssicren und neapolitanischen Reitern bewacht in einem
offnen Bauernwagen an dem stolzen Lieblingssitze, wo er sich behaglich auszuleben
gehofft hatte, vorübergeschleppt wurde! Unterdessen ritten die Fürsten, die ihn
besiegt hatten, in den Schloßhof hinein, und jeder von ihnen äußerte seine
Berwundrung über des Fürstensitzes Herrlichkeit in seiner Weise: Karl V.
meinte, es sei "eine recht kaiserliche Burg," König Ferdinand, "es stünde des


Rnrsächsische Streifzüge

hat: in den lange» Nnndbogenfenstern des obersten Geschosses scheint etwas
von der himmelanstrebenden Art gotischer Dome nachzuwirken, während die
lockere Zierlichkeit und Lustigkeit der Gesamtanlage fast das Rokoko vorahne»
läßt. Der das Haus oben abschließende halbkreisförmig zum Dache hin um-
gebvgne Giebel ist einem gewaltigen Diadem vergleichbar, wie eine steinerne
Symbolisierung der aufstrebenden fürstlichen Libertät.

Noch unter der Leitung von Krebs wurde auch der Nordflügel des
Schlosses begonnen, der rechtwinklig zum Festsaalbau stand und bis zum alten
Schlosse hiu fortgesetzt den unregelmäßig geformten Schloßhof nach Norden
hin abschloß. Die Mitte dieses Baues wurde durch einen auf einer mächtigen
Säule ruhenden zweistöckigen Erker geziert, an dem als Jahr der Vollendung
1544 zu lesen steht. Rechts dcwou lagen die Gemächer der Kurfürstin, links
vom Erker ist die gleichfalls 1544 vollendete Schloßkirche, die an Stelle einer
ältern Martinskapelle trat und jetzt als Garnisonkirche dient. Sie enthält
außer anderm Schmuck eine schöne von Wolf und Oswald Hilger zu Freiberg
gegossene Votivtafel mit prachtvoller plastischer Umrahmung, in die als
Medaillons die Bilder des Kurfürsten, seiner beiden Söhne und Luthers ein¬
gelassen sind. Luther selbst hat diese Kirche, die erste neuerbaute evangelische
Kirche Deutschlands, am siebzehnten Sonntage nach Trinitatis mit Gebet,
Lvbgesnng und einer Predigt eingeweiht; der kurfürstliche Kapellmeister Walther
(s. S. 608) hatte dazu eine siebenstimmige Kirchenmusik ^oxtem voouru xsr
tnMs) komponiert. Die Verse, die damals unter ein das Opfer des Elias
darstellendes Bild des Lucas Cranach gesetzt worden sind, das der Kanzel
gegenüberhing, atmen schon die Stimmung des sich vorbereitenden Schmal-
kaldischen Kriegs:




Kurfürst Johann Friedrich soll sich diese Kirche sogar zur letzten Ruhe¬
stätte gewünscht und sich darin eine Gruft angelegt haben — aber die Vorsehung
fügte es, daß er samt seiner treuen Gemahlin nach dornenvoller Leidensbahn
schließlich in der Pfarrkirche zu Weimar sein Grab fand (1554). Wie bittere
Empfindungen mußten den unglücklichen Mann erfüllen, als er drei Tage nach
dem Kampf auf der Lochcmcr Heide als Gefangner mit verbundner Wange, von
hundert spanischen Arkebüssicren und neapolitanischen Reitern bewacht in einem
offnen Bauernwagen an dem stolzen Lieblingssitze, wo er sich behaglich auszuleben
gehofft hatte, vorübergeschleppt wurde! Unterdessen ritten die Fürsten, die ihn
besiegt hatten, in den Schloßhof hinein, und jeder von ihnen äußerte seine
Berwundrung über des Fürstensitzes Herrlichkeit in seiner Weise: Karl V.
meinte, es sei „eine recht kaiserliche Burg," König Ferdinand, „es stünde des


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[0623] Rnrsächsische Streifzüge hat: in den lange» Nnndbogenfenstern des obersten Geschosses scheint etwas von der himmelanstrebenden Art gotischer Dome nachzuwirken, während die lockere Zierlichkeit und Lustigkeit der Gesamtanlage fast das Rokoko vorahne» läßt. Der das Haus oben abschließende halbkreisförmig zum Dache hin um- gebvgne Giebel ist einem gewaltigen Diadem vergleichbar, wie eine steinerne Symbolisierung der aufstrebenden fürstlichen Libertät. Noch unter der Leitung von Krebs wurde auch der Nordflügel des Schlosses begonnen, der rechtwinklig zum Festsaalbau stand und bis zum alten Schlosse hiu fortgesetzt den unregelmäßig geformten Schloßhof nach Norden hin abschloß. Die Mitte dieses Baues wurde durch einen auf einer mächtigen Säule ruhenden zweistöckigen Erker geziert, an dem als Jahr der Vollendung 1544 zu lesen steht. Rechts dcwou lagen die Gemächer der Kurfürstin, links vom Erker ist die gleichfalls 1544 vollendete Schloßkirche, die an Stelle einer ältern Martinskapelle trat und jetzt als Garnisonkirche dient. Sie enthält außer anderm Schmuck eine schöne von Wolf und Oswald Hilger zu Freiberg gegossene Votivtafel mit prachtvoller plastischer Umrahmung, in die als Medaillons die Bilder des Kurfürsten, seiner beiden Söhne und Luthers ein¬ gelassen sind. Luther selbst hat diese Kirche, die erste neuerbaute evangelische Kirche Deutschlands, am siebzehnten Sonntage nach Trinitatis mit Gebet, Lvbgesnng und einer Predigt eingeweiht; der kurfürstliche Kapellmeister Walther (s. S. 608) hatte dazu eine siebenstimmige Kirchenmusik ^oxtem voouru xsr tnMs) komponiert. Die Verse, die damals unter ein das Opfer des Elias darstellendes Bild des Lucas Cranach gesetzt worden sind, das der Kanzel gegenüberhing, atmen schon die Stimmung des sich vorbereitenden Schmal- kaldischen Kriegs: Kurfürst Johann Friedrich soll sich diese Kirche sogar zur letzten Ruhe¬ stätte gewünscht und sich darin eine Gruft angelegt haben — aber die Vorsehung fügte es, daß er samt seiner treuen Gemahlin nach dornenvoller Leidensbahn schließlich in der Pfarrkirche zu Weimar sein Grab fand (1554). Wie bittere Empfindungen mußten den unglücklichen Mann erfüllen, als er drei Tage nach dem Kampf auf der Lochcmcr Heide als Gefangner mit verbundner Wange, von hundert spanischen Arkebüssicren und neapolitanischen Reitern bewacht in einem offnen Bauernwagen an dem stolzen Lieblingssitze, wo er sich behaglich auszuleben gehofft hatte, vorübergeschleppt wurde! Unterdessen ritten die Fürsten, die ihn besiegt hatten, in den Schloßhof hinein, und jeder von ihnen äußerte seine Berwundrung über des Fürstensitzes Herrlichkeit in seiner Weise: Karl V. meinte, es sei „eine recht kaiserliche Burg," König Ferdinand, „es stünde des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/623>, abgerufen am 20.10.2024.