Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.Doktor Duttmüller und sein Freund pflegte sie kühl lächelnd zu versichern, daß es ihr sehr gut gehe und ihrem Ach man hat doch seiue rechte Not, sagte daun eine andre leise zu ihrer So? Was Sie sagen? Hat auch abgehn müssen? Ja, es ging in der Schule nicht mehr. Wissen Sie, der Herr Stadtrat Und was will er denn nun werden? Techniker, Elektriker oder so etwas. Mama, fragte eine der jungen Damen im Hintergründe am Nebentische, dann Das alles mußte die Frau Professor mit anhören, und es gab ihr einen Aber Louis Duttmüller wurde versetzt. Freilich nicht als erster, das ließen Auch beim Abiturientenexamen erwies sich das fatale Deutsch als ein Hindernis Bald darauf gab es wieder eine erregte Sitzung in der Kastellanswohnung, Aber Louis, sagte seine Mutter, wer soll denn das alles bezahlen? Na du! erwiderte Louis. Du sagst ja immer, daß ich dein Einziger bin. So ein Schlingel, meinte die Mutter in dem besagten Rate. Und meinen Man schlug die Hände zusammen vor Staunen und Entrüstung, Erst das Und das dauerte so manches Jahr. Inzwischen hob sich das Gymnasium immer mehr, nicht der Zahl nach -- viel¬ Doktor Duttmüller und sein Freund pflegte sie kühl lächelnd zu versichern, daß es ihr sehr gut gehe und ihrem Ach man hat doch seiue rechte Not, sagte daun eine andre leise zu ihrer So? Was Sie sagen? Hat auch abgehn müssen? Ja, es ging in der Schule nicht mehr. Wissen Sie, der Herr Stadtrat Und was will er denn nun werden? Techniker, Elektriker oder so etwas. Mama, fragte eine der jungen Damen im Hintergründe am Nebentische, dann Das alles mußte die Frau Professor mit anhören, und es gab ihr einen Aber Louis Duttmüller wurde versetzt. Freilich nicht als erster, das ließen Auch beim Abiturientenexamen erwies sich das fatale Deutsch als ein Hindernis Bald darauf gab es wieder eine erregte Sitzung in der Kastellanswohnung, Aber Louis, sagte seine Mutter, wer soll denn das alles bezahlen? Na du! erwiderte Louis. Du sagst ja immer, daß ich dein Einziger bin. So ein Schlingel, meinte die Mutter in dem besagten Rate. Und meinen Man schlug die Hände zusammen vor Staunen und Entrüstung, Erst das Und das dauerte so manches Jahr. Inzwischen hob sich das Gymnasium immer mehr, nicht der Zahl nach — viel¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0056" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236580"/> <fw type="header" place="top"> Doktor Duttmüller und sein Freund</fw><lb/> <p xml:id="ID_174" prev="#ID_173"> pflegte sie kühl lächelnd zu versichern, daß es ihr sehr gut gehe und ihrem<lb/> Sohne auch.</p><lb/> <p xml:id="ID_175"> Ach man hat doch seiue rechte Not, sagte daun eine andre leise zu ihrer<lb/> Nachbarin, das heißt so laut, daß es alle hörten, der Sohn der Frau Stadtrat<lb/> Neugeburth hat ja auch abgehn müssen.</p><lb/> <p xml:id="ID_176"> So? Was Sie sagen? Hat auch abgehn müssen?</p><lb/> <p xml:id="ID_177"> Ja, es ging in der Schule nicht mehr. Wissen Sie, der Herr Stadtrat<lb/> — ich will um Gottes Wille» nichts über ihn gesagt haben, aber er ist doch<lb/> eigentlich etwas — einfach. Nun und der Sohn —? Herr Professor Behrends sagt,<lb/> das Griechisch hätte ihn umgebracht.</p><lb/> <p xml:id="ID_178"> Und was will er denn nun werden?</p><lb/> <p xml:id="ID_179"> Techniker, Elektriker oder so etwas.</p><lb/> <p xml:id="ID_180"> Mama, fragte eine der jungen Damen im Hintergründe am Nebentische, dann<lb/> können wir aber doch den jungen Hofmeister nicht mehr zum Tanzkränzchen ein¬<lb/> laden. Techniker, was ist das eigentlich?</p><lb/> <p xml:id="ID_181"> Das alles mußte die Frau Professor mit anhören, und es gab ihr einen<lb/> Stich ins Herz. Denn sie hatte es von Jugend auf auch nicht anders gewußt,<lb/> als daß der gebildete Mensch erst mit dem studierten Manne anfange. Und nun<lb/> erlebte sie, daß ihr eigner Sohn in die untern Regionen hinabsank. Aber sie ließ<lb/> sich nichts merken, machte ein freundlich gleichgiltiges Gesicht und schwieg.</p><lb/> <p xml:id="ID_182"> Aber Louis Duttmüller wurde versetzt. Freilich nicht als erster, das ließen<lb/> feine etwas dürftigen deutschen Aufsätze nicht zu, die ihm eine Drei im Deutschen<lb/> einbrachten. Frau Duttmüller war sehr aufgebracht und vermutete ungerechte Be¬<lb/> vorzugung und andre Schlechtigkeiten. Deutsch könne jeder. Aber Griechisch und<lb/> Lateinisch, dabei käme es auf Romulus und Salda an, wie Meister Ölmcum sagte.<lb/> Meister Ölmann war denn auch mit seinem Direktor nicht zufrieden und urteilte,<lb/> wenn es auf Koppschenie und Ellbogen ankomme, so hätte Louis unbedingt der erste<lb/> sein müssen. Er habe auch mit Professor Behrendessen gesprochen, der habe aber<lb/> gesagt, er könne in der Sache nichts thun.</p><lb/> <p xml:id="ID_183"> Auch beim Abiturientenexamen erwies sich das fatale Deutsch als ein Hindernis<lb/> zu einem völligen Erfolge. Meister Ölmcmn fing an, ernstlich an der Intelligenz<lb/> seines Direktors zu zweifeln, und für Frau Duttmüller lag es am Tage, daß es<lb/> nicht mit gerechten Dingen zugegangen sei, und daß die Reichen bevorzugt würden.</p><lb/> <p xml:id="ID_184"> Bald darauf gab es wieder eine erregte Sitzung in der Kastellanswohnung,<lb/> als nämlich zu Tage kam, daß Louis nicht, wie als selbstverständlich vorausgesetzt<lb/> wurde, Theolog, sondern Mediziner werden wollte.</p><lb/> <p xml:id="ID_185"> Aber Louis, sagte seine Mutter, wer soll denn das alles bezahlen?</p><lb/> <p xml:id="ID_186"> Na du! erwiderte Louis. Du sagst ja immer, daß ich dein Einziger bin.</p><lb/> <p xml:id="ID_187"> So ein Schlingel, meinte die Mutter in dem besagten Rate. Und meinen<lb/> Sie denn, daß er sich belehren ließe? Ich habe ihm die himmlischsten guten Worte<lb/> gegeben, es war ihm alles egal. Schämst du dich nicht, sage ich, hast du denn kein<lb/> Gefühl, sage ich. Was antwortet er mir? Wenn ich nicht Doktor werden soll,<lb/> dann werde ich Bierbrauer.</p><lb/> <p xml:id="ID_188"> Man schlug die Hände zusammen vor Staunen und Entrüstung, Erst das<lb/> ganze Gymnasium durchmachen, das Abiturientenexamen bestehn und dann Bier¬<lb/> brauer werden — das war gegen das Naturgesetz! Frau Duttmüller sah es auch<lb/> ein, daß das nicht gehe, und so hielt sie noch einige Zornreden, gab aber schließlich<lb/> nach, brachte ihre alten Beine in schnellere Gangart, stellte noch eine Wäscherin<lb/> mehr an und flickte den Abend noch eine Stunde länger, um für den Herrn Sohn<lb/> das Geld zu seinem teuern Studium zu verdienen.</p><lb/> <p xml:id="ID_189"> Und das dauerte so manches Jahr.</p><lb/> <p xml:id="ID_190" next="#ID_191"> Inzwischen hob sich das Gymnasium immer mehr, nicht der Zahl nach — viel¬<lb/> mehr sank es auf die Hälfte der Besucher herab —, aber dem Werte nach. Alle<lb/> zweifelhaften Elemente, alle Schüler, die nicht völlig in der Grammatik aufgingen,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0056]
Doktor Duttmüller und sein Freund
pflegte sie kühl lächelnd zu versichern, daß es ihr sehr gut gehe und ihrem
Sohne auch.
Ach man hat doch seiue rechte Not, sagte daun eine andre leise zu ihrer
Nachbarin, das heißt so laut, daß es alle hörten, der Sohn der Frau Stadtrat
Neugeburth hat ja auch abgehn müssen.
So? Was Sie sagen? Hat auch abgehn müssen?
Ja, es ging in der Schule nicht mehr. Wissen Sie, der Herr Stadtrat
— ich will um Gottes Wille» nichts über ihn gesagt haben, aber er ist doch
eigentlich etwas — einfach. Nun und der Sohn —? Herr Professor Behrends sagt,
das Griechisch hätte ihn umgebracht.
Und was will er denn nun werden?
Techniker, Elektriker oder so etwas.
Mama, fragte eine der jungen Damen im Hintergründe am Nebentische, dann
können wir aber doch den jungen Hofmeister nicht mehr zum Tanzkränzchen ein¬
laden. Techniker, was ist das eigentlich?
Das alles mußte die Frau Professor mit anhören, und es gab ihr einen
Stich ins Herz. Denn sie hatte es von Jugend auf auch nicht anders gewußt,
als daß der gebildete Mensch erst mit dem studierten Manne anfange. Und nun
erlebte sie, daß ihr eigner Sohn in die untern Regionen hinabsank. Aber sie ließ
sich nichts merken, machte ein freundlich gleichgiltiges Gesicht und schwieg.
Aber Louis Duttmüller wurde versetzt. Freilich nicht als erster, das ließen
feine etwas dürftigen deutschen Aufsätze nicht zu, die ihm eine Drei im Deutschen
einbrachten. Frau Duttmüller war sehr aufgebracht und vermutete ungerechte Be¬
vorzugung und andre Schlechtigkeiten. Deutsch könne jeder. Aber Griechisch und
Lateinisch, dabei käme es auf Romulus und Salda an, wie Meister Ölmcum sagte.
Meister Ölmann war denn auch mit seinem Direktor nicht zufrieden und urteilte,
wenn es auf Koppschenie und Ellbogen ankomme, so hätte Louis unbedingt der erste
sein müssen. Er habe auch mit Professor Behrendessen gesprochen, der habe aber
gesagt, er könne in der Sache nichts thun.
Auch beim Abiturientenexamen erwies sich das fatale Deutsch als ein Hindernis
zu einem völligen Erfolge. Meister Ölmcmn fing an, ernstlich an der Intelligenz
seines Direktors zu zweifeln, und für Frau Duttmüller lag es am Tage, daß es
nicht mit gerechten Dingen zugegangen sei, und daß die Reichen bevorzugt würden.
Bald darauf gab es wieder eine erregte Sitzung in der Kastellanswohnung,
als nämlich zu Tage kam, daß Louis nicht, wie als selbstverständlich vorausgesetzt
wurde, Theolog, sondern Mediziner werden wollte.
Aber Louis, sagte seine Mutter, wer soll denn das alles bezahlen?
Na du! erwiderte Louis. Du sagst ja immer, daß ich dein Einziger bin.
So ein Schlingel, meinte die Mutter in dem besagten Rate. Und meinen
Sie denn, daß er sich belehren ließe? Ich habe ihm die himmlischsten guten Worte
gegeben, es war ihm alles egal. Schämst du dich nicht, sage ich, hast du denn kein
Gefühl, sage ich. Was antwortet er mir? Wenn ich nicht Doktor werden soll,
dann werde ich Bierbrauer.
Man schlug die Hände zusammen vor Staunen und Entrüstung, Erst das
ganze Gymnasium durchmachen, das Abiturientenexamen bestehn und dann Bier¬
brauer werden — das war gegen das Naturgesetz! Frau Duttmüller sah es auch
ein, daß das nicht gehe, und so hielt sie noch einige Zornreden, gab aber schließlich
nach, brachte ihre alten Beine in schnellere Gangart, stellte noch eine Wäscherin
mehr an und flickte den Abend noch eine Stunde länger, um für den Herrn Sohn
das Geld zu seinem teuern Studium zu verdienen.
Und das dauerte so manches Jahr.
Inzwischen hob sich das Gymnasium immer mehr, nicht der Zahl nach — viel¬
mehr sank es auf die Hälfte der Besucher herab —, aber dem Werte nach. Alle
zweifelhaften Elemente, alle Schüler, die nicht völlig in der Grammatik aufgingen,
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