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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Nationalitätskäinpfe

Schluß an die großpolnische Sache verhindern sollte, wird man kaum annehmen
können. Dazu ist das Rassenbewußtsein bei den Slawen viel zu rege.

Wie war es aber möglich, daß das dem Polentum so weit überlegne
Deutschtum in verhältnismäßig kurzer Zeit so stark zurückgedrängt werden
konnte? Die Polen haben einmal eine stärkere natürliche Vermehrung als
wir Deutschen, und schon dadurch allein Hütte sich oswriZ xaridus eine dauernde
Bevölkerungsverschiebung zu Gunsten des Polentums ergeben müssen. Nun
kamen aber noch Umstände hinzu, die die Wirkungen der hierin beruhenden
polnischen Überlegenheit ins ungemessene steigern mußten: der Notstand der
Landwirtschaft verbunden mit dem überhandnehmenden Zug in die großen
Städte bewirkte unter der deutschen Landbevölkerung der zum Teil polnischen
Provinzen eine sehr starke Auswcmdrung teils über See, teils in unsre Gro߬
städte. Die so entstandnen klaffenden Lücken mußten ausgefüllt werden, und
das konnte nach Lage der Dinge einzig und allein durch polnischen Zuzug
geschehn. Aber trotz seiner starken natürlichen Vermehrung verfügte das preu¬
ßische Polentum nicht über so viel Menschenmaterial, daß es diese Lücken
"klein Hütte ausfüllen können. Da aber dem Mangel an ländlichen Arbeitern,
wie er bis tief in die westlichen Provinzen hinein besteht, abgeholfen werden
suchte, so blieb nur übrig, die Ostgrenze zu öffnen für eine Masseneinwnnd-
^'Ung russisch-polnischer Arbeiter. Dadurch erfuhr das an und für sich schon
durch die geschilderten Verhältnisse überlegne preußische Polentum eine äußerst
Wirksame Verstärkung. Denn wenn auch diese Einwandrnng nur für die Zeit
ländlichen Arbeiten erlaubt werden sollte und demgemäß von Zeit zu Zeit
-wssenausweisungen in Deutschland ansässig gewordner russisch-polnischer oder
^kizischer Saisonarbeiter vorgenommen wurden, so läßt sich eine allmähliche
^wuistung solcher fremden Elemente doch nicht vollständig verhindern; schon
"klein die polnische Hochflut, die sich Jahr für Jahr in den Saisonarbeitern
über den ganzen Norden unsers Vaterlands ergießt, muß an der Sprachgrenze
und in den Mischbezirken die Stellung des Polentums immer mehr befestigen,
die des Deutschtums unterwühlen. Da die Städte in ihrem Bevölkerungs¬
stand abhängig sind von dem sie umgebenden platten Lande, muß das Über¬
handnehmen des Polentums, wie es dort geschieht, ganz von selbst auch auf
Städte polonisierend einwirken. Außerdem hat sich aber innerhalb der
städtischen Bevölkerung selbst in den letzten Jahrzehnten eine auffallende-Ver¬
ödung zu Ungunsten des Deutschtums vollzogen. Als eine Folge der für¬
stlichen preußischen Verwaltungsthätigkcit hat sich in den Städten unsrer
^ stprovinzen ein polnischer Mittelstand gebildet, wie er jenseits der russischen
^"""^ noch fehlt. Und durch das feste Zusammenhalten der polnischen
Bevölkerung, die möglichst nur polnische Geschäftsleute, Ärzte und Handwerker
Nahrung setzt, gewinnt dieser neu emporgekommn? polnische Mittelstand
s?'"^. "^'hr um wirtschaftlicher Kraft, während der deutsche zunächst wirt-
^aftlich geschwächt und allmählich verdrängt wird, da er von den Polen
bohkott
findet.tert unter den eignen Volksgenossen nicht die nötige Unterstützung

So schwindet das Deutschtum wie mit Naturnotwendigkeit dahin in


Nationalitätskäinpfe

Schluß an die großpolnische Sache verhindern sollte, wird man kaum annehmen
können. Dazu ist das Rassenbewußtsein bei den Slawen viel zu rege.

Wie war es aber möglich, daß das dem Polentum so weit überlegne
Deutschtum in verhältnismäßig kurzer Zeit so stark zurückgedrängt werden
konnte? Die Polen haben einmal eine stärkere natürliche Vermehrung als
wir Deutschen, und schon dadurch allein Hütte sich oswriZ xaridus eine dauernde
Bevölkerungsverschiebung zu Gunsten des Polentums ergeben müssen. Nun
kamen aber noch Umstände hinzu, die die Wirkungen der hierin beruhenden
polnischen Überlegenheit ins ungemessene steigern mußten: der Notstand der
Landwirtschaft verbunden mit dem überhandnehmenden Zug in die großen
Städte bewirkte unter der deutschen Landbevölkerung der zum Teil polnischen
Provinzen eine sehr starke Auswcmdrung teils über See, teils in unsre Gro߬
städte. Die so entstandnen klaffenden Lücken mußten ausgefüllt werden, und
das konnte nach Lage der Dinge einzig und allein durch polnischen Zuzug
geschehn. Aber trotz seiner starken natürlichen Vermehrung verfügte das preu¬
ßische Polentum nicht über so viel Menschenmaterial, daß es diese Lücken
"klein Hütte ausfüllen können. Da aber dem Mangel an ländlichen Arbeitern,
wie er bis tief in die westlichen Provinzen hinein besteht, abgeholfen werden
suchte, so blieb nur übrig, die Ostgrenze zu öffnen für eine Masseneinwnnd-
^'Ung russisch-polnischer Arbeiter. Dadurch erfuhr das an und für sich schon
durch die geschilderten Verhältnisse überlegne preußische Polentum eine äußerst
Wirksame Verstärkung. Denn wenn auch diese Einwandrnng nur für die Zeit
ländlichen Arbeiten erlaubt werden sollte und demgemäß von Zeit zu Zeit
-wssenausweisungen in Deutschland ansässig gewordner russisch-polnischer oder
^kizischer Saisonarbeiter vorgenommen wurden, so läßt sich eine allmähliche
^wuistung solcher fremden Elemente doch nicht vollständig verhindern; schon
"klein die polnische Hochflut, die sich Jahr für Jahr in den Saisonarbeitern
über den ganzen Norden unsers Vaterlands ergießt, muß an der Sprachgrenze
und in den Mischbezirken die Stellung des Polentums immer mehr befestigen,
die des Deutschtums unterwühlen. Da die Städte in ihrem Bevölkerungs¬
stand abhängig sind von dem sie umgebenden platten Lande, muß das Über¬
handnehmen des Polentums, wie es dort geschieht, ganz von selbst auch auf
Städte polonisierend einwirken. Außerdem hat sich aber innerhalb der
städtischen Bevölkerung selbst in den letzten Jahrzehnten eine auffallende-Ver¬
ödung zu Ungunsten des Deutschtums vollzogen. Als eine Folge der für¬
stlichen preußischen Verwaltungsthätigkcit hat sich in den Städten unsrer
^ stprovinzen ein polnischer Mittelstand gebildet, wie er jenseits der russischen
^"""^ noch fehlt. Und durch das feste Zusammenhalten der polnischen
Bevölkerung, die möglichst nur polnische Geschäftsleute, Ärzte und Handwerker
Nahrung setzt, gewinnt dieser neu emporgekommn? polnische Mittelstand
s?'"^. "^'hr um wirtschaftlicher Kraft, während der deutsche zunächst wirt-
^aftlich geschwächt und allmählich verdrängt wird, da er von den Polen
bohkott
findet.tert unter den eignen Volksgenossen nicht die nötige Unterstützung

So schwindet das Deutschtum wie mit Naturnotwendigkeit dahin in


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[0555] Nationalitätskäinpfe Schluß an die großpolnische Sache verhindern sollte, wird man kaum annehmen können. Dazu ist das Rassenbewußtsein bei den Slawen viel zu rege. Wie war es aber möglich, daß das dem Polentum so weit überlegne Deutschtum in verhältnismäßig kurzer Zeit so stark zurückgedrängt werden konnte? Die Polen haben einmal eine stärkere natürliche Vermehrung als wir Deutschen, und schon dadurch allein Hütte sich oswriZ xaridus eine dauernde Bevölkerungsverschiebung zu Gunsten des Polentums ergeben müssen. Nun kamen aber noch Umstände hinzu, die die Wirkungen der hierin beruhenden polnischen Überlegenheit ins ungemessene steigern mußten: der Notstand der Landwirtschaft verbunden mit dem überhandnehmenden Zug in die großen Städte bewirkte unter der deutschen Landbevölkerung der zum Teil polnischen Provinzen eine sehr starke Auswcmdrung teils über See, teils in unsre Gro߬ städte. Die so entstandnen klaffenden Lücken mußten ausgefüllt werden, und das konnte nach Lage der Dinge einzig und allein durch polnischen Zuzug geschehn. Aber trotz seiner starken natürlichen Vermehrung verfügte das preu¬ ßische Polentum nicht über so viel Menschenmaterial, daß es diese Lücken "klein Hütte ausfüllen können. Da aber dem Mangel an ländlichen Arbeitern, wie er bis tief in die westlichen Provinzen hinein besteht, abgeholfen werden suchte, so blieb nur übrig, die Ostgrenze zu öffnen für eine Masseneinwnnd- ^'Ung russisch-polnischer Arbeiter. Dadurch erfuhr das an und für sich schon durch die geschilderten Verhältnisse überlegne preußische Polentum eine äußerst Wirksame Verstärkung. Denn wenn auch diese Einwandrnng nur für die Zeit ländlichen Arbeiten erlaubt werden sollte und demgemäß von Zeit zu Zeit -wssenausweisungen in Deutschland ansässig gewordner russisch-polnischer oder ^kizischer Saisonarbeiter vorgenommen wurden, so läßt sich eine allmähliche ^wuistung solcher fremden Elemente doch nicht vollständig verhindern; schon "klein die polnische Hochflut, die sich Jahr für Jahr in den Saisonarbeitern über den ganzen Norden unsers Vaterlands ergießt, muß an der Sprachgrenze und in den Mischbezirken die Stellung des Polentums immer mehr befestigen, die des Deutschtums unterwühlen. Da die Städte in ihrem Bevölkerungs¬ stand abhängig sind von dem sie umgebenden platten Lande, muß das Über¬ handnehmen des Polentums, wie es dort geschieht, ganz von selbst auch auf Städte polonisierend einwirken. Außerdem hat sich aber innerhalb der städtischen Bevölkerung selbst in den letzten Jahrzehnten eine auffallende-Ver¬ ödung zu Ungunsten des Deutschtums vollzogen. Als eine Folge der für¬ stlichen preußischen Verwaltungsthätigkcit hat sich in den Städten unsrer ^ stprovinzen ein polnischer Mittelstand gebildet, wie er jenseits der russischen ^"""^ noch fehlt. Und durch das feste Zusammenhalten der polnischen Bevölkerung, die möglichst nur polnische Geschäftsleute, Ärzte und Handwerker Nahrung setzt, gewinnt dieser neu emporgekommn? polnische Mittelstand s?'"^. "^'hr um wirtschaftlicher Kraft, während der deutsche zunächst wirt- ^aftlich geschwächt und allmählich verdrängt wird, da er von den Polen bohkott findet.tert unter den eignen Volksgenossen nicht die nötige Unterstützung So schwindet das Deutschtum wie mit Naturnotwendigkeit dahin in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/555>, abgerufen am 20.10.2024.