Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.Über Thurms isolierten Staat ist. Ob sie in der Wirklichkeit mich unsre Wirtschaftsverhültnisse so stark be¬ Die große Stadt ist der Ort, wohin alles verkaufsfähigc Getreide ge¬ So sieht in Wirklichkeit die Hauptstadt des Wirtschaftsstaats aus. den Bei Thurms isolierten Staat sind die Grenzen kreisrund. Alle Orte Über Thurms isolierten Staat ist. Ob sie in der Wirklichkeit mich unsre Wirtschaftsverhültnisse so stark be¬ Die große Stadt ist der Ort, wohin alles verkaufsfähigc Getreide ge¬ So sieht in Wirklichkeit die Hauptstadt des Wirtschaftsstaats aus. den Bei Thurms isolierten Staat sind die Grenzen kreisrund. Alle Orte <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0471" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236995"/> <fw type="header" place="top"> Über Thurms isolierten Staat</fw><lb/> <p xml:id="ID_1885" prev="#ID_1884"> ist. Ob sie in der Wirklichkeit mich unsre Wirtschaftsverhültnisse so stark be¬<lb/> einflußt haben?</p><lb/> <p xml:id="ID_1886"> Die große Stadt ist der Ort, wohin alles verkaufsfähigc Getreide ge¬<lb/> bracht wird, und der den höchsten Preis im Staate haben muß. Zu Thurms<lb/> Zeit war London der Ort, wohin die Getreideschiffe der Ostsee und der Nordsee<lb/> liefen, und wo die höchsten Getreidepreise gezahlt wurden. Wenn Thüren<lb/> den Rostocker Preis als den des Mittelpunkts ansetzt, so ist er darin von der<lb/> Wirklichkeit abgewichen, denn der Rostocker war ein abgeleiteter Preis, der<lb/> mit dem Londoner steigen und fallen mußte. Nachdem die Schutzzölle Eng¬<lb/> lands gefallen sind, Deutschland hingegen welche aufgerichtet hat, sind die<lb/> Preise bei uns höher als in England. Aber nicht nur aus diesem Grunde.<lb/> Denn die Getreideschiffe laufen jetzt nicht mehr die Elbe oder den Rhein<lb/> herunter, sondern trotz des Zolls umgekehrt. Noch über den Zoll hinaus<lb/> sind die Getreidepreise am Rhein höher als der Weltmarktpreis, nämlich um<lb/> so viel höher, daß die Wegekosten von der See her bezahlt werden. Der<lb/> Weltmarkt ist jetzt nicht mehr London allein, sondern man muß alle euro¬<lb/> päischen Seehäfen, soweit sie andauernd Getreide einführen, zusammenfassen,<lb/> wenn man das darstellen will, was man gewöhnlich Weltmarkt nennt. Der<lb/> schematische Mittelpunkt des Weltmarkts, der Ort des höchsten Preises liegt<lb/> in Mannheim und seinem Hinterland Baden, Württemberg. Elsaß und der<lb/> Schweiz. Hier sind die Preise die höchsten der Erde. Man kann wohl von<lb/> London aus Getreide hierher bringen, aber niemals umgekehrt, auch wenn es<lb/> keinen Zoll gäbe, nicht. Die großen belgischen, englischen und sächsischen Ver-<lb/> brnuchsgegenden gehören auch zu der großen Stadt des schematischen Staats,<lb/> aber sie gleichen der Peripherie der Stadt und ihren Vororten, während Süd-<lb/> westdeutschland, weil seine Preise die höchsten sind, dein Stadtinnern gleicht.<lb/> Die Peripherie der Stadt und die Vororte wirken durch die Massen ihres<lb/> Verkaufs in viel höherm Grade ans die Bestimmung der Preise ein. Aber<lb/> wie man sich die Massenwirkung einer großen Kugel, die in Wirklichkeit von<lb/> jedem Massenteilchen ausgeht, verlegt denken kann in den Mittelpunkt der<lb/> Kugel, so kann man sich auch die Wirkung dieser Verbrauchsorte gesammelt<lb/> denken in ihrem idealen Mittelpunkt, dem Ort des höchsten Preises.</p><lb/> <p xml:id="ID_1887"> So sieht in Wirklichkeit die Hauptstadt des Wirtschaftsstaats aus. den<lb/> wir dein Thünenschen isolierten Staat vergleichen wollen. Keine einzelne<lb/> Stadt, sondern eine Mehrzahl von Gegenden, die sich nicht nur mit den<lb/> Ernten der Heimat, sondern mit den Ernten der ganzen Welt versorgen, und<lb/> doch nicht der ganzen Welt, sondern nnr der Länder und Gegenden, deren<lb/> Lage und Transportverhültnisse ihnen die Teilnahme am Handel erlauben.<lb/> Wo also liegen die Grenzen des WirtschaftsstaatS mit der Hauptstadt Mann¬<lb/> heim? Jedermann weiß, daß Indien, Südrußlnnd, Argentinien innerhalb dieser<lb/> Grenzen liegen müssen; denn sie alle senden ihr Korn nach deutschen Seehäfen,<lb/> sogar Kalifornien, das seine Ware um ganz Südamerika herumschifft, um sie<lb/> in europäischen Häfen zu verkaufen. (Gering, Die landwirtschaftliche Konkurrenz<lb/> Nordamerikas in Gegenwart und Zukunft, 1887.)</p><lb/> <p xml:id="ID_1888" next="#ID_1889"> Bei Thurms isolierten Staat sind die Grenzen kreisrund. Alle Orte</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0471]
Über Thurms isolierten Staat
ist. Ob sie in der Wirklichkeit mich unsre Wirtschaftsverhültnisse so stark be¬
einflußt haben?
Die große Stadt ist der Ort, wohin alles verkaufsfähigc Getreide ge¬
bracht wird, und der den höchsten Preis im Staate haben muß. Zu Thurms
Zeit war London der Ort, wohin die Getreideschiffe der Ostsee und der Nordsee
liefen, und wo die höchsten Getreidepreise gezahlt wurden. Wenn Thüren
den Rostocker Preis als den des Mittelpunkts ansetzt, so ist er darin von der
Wirklichkeit abgewichen, denn der Rostocker war ein abgeleiteter Preis, der
mit dem Londoner steigen und fallen mußte. Nachdem die Schutzzölle Eng¬
lands gefallen sind, Deutschland hingegen welche aufgerichtet hat, sind die
Preise bei uns höher als in England. Aber nicht nur aus diesem Grunde.
Denn die Getreideschiffe laufen jetzt nicht mehr die Elbe oder den Rhein
herunter, sondern trotz des Zolls umgekehrt. Noch über den Zoll hinaus
sind die Getreidepreise am Rhein höher als der Weltmarktpreis, nämlich um
so viel höher, daß die Wegekosten von der See her bezahlt werden. Der
Weltmarkt ist jetzt nicht mehr London allein, sondern man muß alle euro¬
päischen Seehäfen, soweit sie andauernd Getreide einführen, zusammenfassen,
wenn man das darstellen will, was man gewöhnlich Weltmarkt nennt. Der
schematische Mittelpunkt des Weltmarkts, der Ort des höchsten Preises liegt
in Mannheim und seinem Hinterland Baden, Württemberg. Elsaß und der
Schweiz. Hier sind die Preise die höchsten der Erde. Man kann wohl von
London aus Getreide hierher bringen, aber niemals umgekehrt, auch wenn es
keinen Zoll gäbe, nicht. Die großen belgischen, englischen und sächsischen Ver-
brnuchsgegenden gehören auch zu der großen Stadt des schematischen Staats,
aber sie gleichen der Peripherie der Stadt und ihren Vororten, während Süd-
westdeutschland, weil seine Preise die höchsten sind, dein Stadtinnern gleicht.
Die Peripherie der Stadt und die Vororte wirken durch die Massen ihres
Verkaufs in viel höherm Grade ans die Bestimmung der Preise ein. Aber
wie man sich die Massenwirkung einer großen Kugel, die in Wirklichkeit von
jedem Massenteilchen ausgeht, verlegt denken kann in den Mittelpunkt der
Kugel, so kann man sich auch die Wirkung dieser Verbrauchsorte gesammelt
denken in ihrem idealen Mittelpunkt, dem Ort des höchsten Preises.
So sieht in Wirklichkeit die Hauptstadt des Wirtschaftsstaats aus. den
wir dein Thünenschen isolierten Staat vergleichen wollen. Keine einzelne
Stadt, sondern eine Mehrzahl von Gegenden, die sich nicht nur mit den
Ernten der Heimat, sondern mit den Ernten der ganzen Welt versorgen, und
doch nicht der ganzen Welt, sondern nnr der Länder und Gegenden, deren
Lage und Transportverhültnisse ihnen die Teilnahme am Handel erlauben.
Wo also liegen die Grenzen des WirtschaftsstaatS mit der Hauptstadt Mann¬
heim? Jedermann weiß, daß Indien, Südrußlnnd, Argentinien innerhalb dieser
Grenzen liegen müssen; denn sie alle senden ihr Korn nach deutschen Seehäfen,
sogar Kalifornien, das seine Ware um ganz Südamerika herumschifft, um sie
in europäischen Häfen zu verkaufen. (Gering, Die landwirtschaftliche Konkurrenz
Nordamerikas in Gegenwart und Zukunft, 1887.)
Bei Thurms isolierten Staat sind die Grenzen kreisrund. Alle Orte
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