Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.Was wir lesen dann herausgegebnen "Hausschatz des Wissens" gehört. Darin lasen wir Was wir lesen dann herausgegebnen „Hausschatz des Wissens" gehört. Darin lasen wir <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0040" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236564"/> <fw type="header" place="top"> Was wir lesen</fw><lb/> <p xml:id="ID_69" prev="#ID_68" next="#ID_70"> dann herausgegebnen „Hausschatz des Wissens" gehört. Darin lasen wir<lb/> beim Blättern auf einer der ersten Seiten, daß Johannes Huß „in Prag"<lb/> den Feuertod erlitt, fanden auch weiterhin die Nachbildung eines Kupferstichs<lb/> „nach Raffael" mit vier lorbeerbekränzten Dichtern, darunter Tasso, der, soviel<lb/> wir uns erinnerten, geraume Zeit nach Raffael geboren wurde, und — an<lb/> jenem Tage lasen wir nicht weiter in diesem Hausschatz des Wissens, was<lb/> uns hoffentlich niemand verdenken wird. Um jedoch auf das Buch Bölsches<lb/> zurückzukommen, wir finden da neben zutreffenden Bemerkungen über zwei<lb/> Alte, Fontane und Fechner, Gedanken über einen kürzlich verstorbnen Jüngern,<lb/> die besser sind, als die Überschrift erwarten läßt: „An der Mumie von Georg<lb/> Ebers." Das Hauptstück der Sammlung ist aber wohl ein Aufsatz über<lb/> Hermen Grimm als einen Pionier der ästhetischen Kultur, die uns wichtiger sei<lb/> als die „ethische," etwas ausfallend und streitbar, worauf schon die leise An-<lb/> rempelei des Titels vorbereitet: „Hermen Grimm und die Errettung Homers<lb/> vor den Schulmeistern." Die Schulmeister sind die Philologen, die Jlins<lb/> und Odyssee verschiednen Dichtern gaben und dann auch noch deren Personen<lb/> verflüchtigten, das Rettungswerk aber ist Grimms Nacherzählung der Ilias in<lb/> Prosa, „in zwei dicken Bänden, ein Glück, denn ästhetische Untersuchungen,<lb/> die wirklich etwas sagen sollen, brauchen den größten Raum." Gerade diese<lb/> Ilias, meint Bölsche, thue unsrer jetzigen, unhistorischen Generation not.<lb/> Wenn ihr nur die Bünde nicht doch zu dick sind! Zu der Erzählung kommt<lb/> dann noch ein krystallklarer Kommentar des Mannes der feinen Analyse, der<lb/> z. B. aus der Menge einzelner Züge, die in der Dichtung auf das sorgfältigste<lb/> nacheinander vorgebracht werden, Charaktergestaltcn und Allgemeinbilder ge¬<lb/> winnt, etwas Hochbedeutsames, sagt Bölsche, nicht nur für die einzelne Ilias,<lb/> sondern für das dichterische Schaffen überhaupt, was sich auch äußerlich im<lb/> Text durch eine Fülle von Exkursen ankündige. Dem kritischen Unsinn der<lb/> Gelehrten stelle Grimm, ganz allgemein gesagt, eine Ästhetik des Epos ent¬<lb/> gegen, ein Buch, das, wenn je eins, zeitgemäß war am Ausgnng des neun¬<lb/> zehnten Jahrhunderts, in der Stunde, wo die Menschheit mehr als je all<lb/> ihre Sterne braucht. Wir fürchten, der Prozeß der krhstallhellen Analyse<lb/> wird für die Leute des zwanzigsten doch zu langwierig sein. Vor Zeiten hat<lb/> ja Gervinus auch einmal den Shakespeare mit einer Analyse bedacht, die da¬<lb/> mals für ungemein geistreich galt; jetzt genießen wir wieder lieber das Nach¬<lb/> einander, so wie es die Dichtung vorträgt, und brauchen keinen mehr, der<lb/> uns die Einzelzüge zu Gestalten und Gesamtbildern zusammenbringt. Wäre<lb/> das nicht auch der natürliche Weg zum Homer, sofern überhaupt jemand noch<lb/> nach diesem Verlangen hat? Wir haben schon etliche Menschen getroffen,<lb/> denen die hier von Bölsche an die Schulmeister ausgeteilten Ohrfeigen (sein<lb/> Aufsatz stand zuerst in der Deutschen Rundschau) ungemeines Vergnügen<lb/> machten, aber noch keinen, der um deswillen etwas für Hermen Grimms<lb/> zweibändige Ilias übrig gehabt Hütte. Der Naturforscher Bölsche, der sich<lb/> in diesem ganzen Buche mit dem, was er die ästhetische Kultur nennt, aus¬<lb/> einandersetzt, findet bei Grimm das unlösbare Band zwischen Ästhetik und<lb/> Ethik wieder einmal praktisch klar geworden. „So würde auch eine voll-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0040]
Was wir lesen
dann herausgegebnen „Hausschatz des Wissens" gehört. Darin lasen wir
beim Blättern auf einer der ersten Seiten, daß Johannes Huß „in Prag"
den Feuertod erlitt, fanden auch weiterhin die Nachbildung eines Kupferstichs
„nach Raffael" mit vier lorbeerbekränzten Dichtern, darunter Tasso, der, soviel
wir uns erinnerten, geraume Zeit nach Raffael geboren wurde, und — an
jenem Tage lasen wir nicht weiter in diesem Hausschatz des Wissens, was
uns hoffentlich niemand verdenken wird. Um jedoch auf das Buch Bölsches
zurückzukommen, wir finden da neben zutreffenden Bemerkungen über zwei
Alte, Fontane und Fechner, Gedanken über einen kürzlich verstorbnen Jüngern,
die besser sind, als die Überschrift erwarten läßt: „An der Mumie von Georg
Ebers." Das Hauptstück der Sammlung ist aber wohl ein Aufsatz über
Hermen Grimm als einen Pionier der ästhetischen Kultur, die uns wichtiger sei
als die „ethische," etwas ausfallend und streitbar, worauf schon die leise An-
rempelei des Titels vorbereitet: „Hermen Grimm und die Errettung Homers
vor den Schulmeistern." Die Schulmeister sind die Philologen, die Jlins
und Odyssee verschiednen Dichtern gaben und dann auch noch deren Personen
verflüchtigten, das Rettungswerk aber ist Grimms Nacherzählung der Ilias in
Prosa, „in zwei dicken Bänden, ein Glück, denn ästhetische Untersuchungen,
die wirklich etwas sagen sollen, brauchen den größten Raum." Gerade diese
Ilias, meint Bölsche, thue unsrer jetzigen, unhistorischen Generation not.
Wenn ihr nur die Bünde nicht doch zu dick sind! Zu der Erzählung kommt
dann noch ein krystallklarer Kommentar des Mannes der feinen Analyse, der
z. B. aus der Menge einzelner Züge, die in der Dichtung auf das sorgfältigste
nacheinander vorgebracht werden, Charaktergestaltcn und Allgemeinbilder ge¬
winnt, etwas Hochbedeutsames, sagt Bölsche, nicht nur für die einzelne Ilias,
sondern für das dichterische Schaffen überhaupt, was sich auch äußerlich im
Text durch eine Fülle von Exkursen ankündige. Dem kritischen Unsinn der
Gelehrten stelle Grimm, ganz allgemein gesagt, eine Ästhetik des Epos ent¬
gegen, ein Buch, das, wenn je eins, zeitgemäß war am Ausgnng des neun¬
zehnten Jahrhunderts, in der Stunde, wo die Menschheit mehr als je all
ihre Sterne braucht. Wir fürchten, der Prozeß der krhstallhellen Analyse
wird für die Leute des zwanzigsten doch zu langwierig sein. Vor Zeiten hat
ja Gervinus auch einmal den Shakespeare mit einer Analyse bedacht, die da¬
mals für ungemein geistreich galt; jetzt genießen wir wieder lieber das Nach¬
einander, so wie es die Dichtung vorträgt, und brauchen keinen mehr, der
uns die Einzelzüge zu Gestalten und Gesamtbildern zusammenbringt. Wäre
das nicht auch der natürliche Weg zum Homer, sofern überhaupt jemand noch
nach diesem Verlangen hat? Wir haben schon etliche Menschen getroffen,
denen die hier von Bölsche an die Schulmeister ausgeteilten Ohrfeigen (sein
Aufsatz stand zuerst in der Deutschen Rundschau) ungemeines Vergnügen
machten, aber noch keinen, der um deswillen etwas für Hermen Grimms
zweibändige Ilias übrig gehabt Hütte. Der Naturforscher Bölsche, der sich
in diesem ganzen Buche mit dem, was er die ästhetische Kultur nennt, aus¬
einandersetzt, findet bei Grimm das unlösbare Band zwischen Ästhetik und
Ethik wieder einmal praktisch klar geworden. „So würde auch eine voll-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |