Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.Das evangelische Stift zu Tübingen sophisches Talent erkannt, sollte seinen genialen Jugendfreund Schelling durch Mit dem neunzehnten Jahrhundert beginnt für das theologische Stift in All Angriffen auf das Stift sowohl gegen seine Existenzberechtigung als Das evangelische Stift zu Tübingen sophisches Talent erkannt, sollte seinen genialen Jugendfreund Schelling durch Mit dem neunzehnten Jahrhundert beginnt für das theologische Stift in All Angriffen auf das Stift sowohl gegen seine Existenzberechtigung als <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0376" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236900"/> <fw type="header" place="top"> Das evangelische Stift zu Tübingen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1410" prev="#ID_1409"> sophisches Talent erkannt, sollte seinen genialen Jugendfreund Schelling durch<lb/> sein fest abgeschlossenes, umfassendes philosophisches System später noch über¬<lb/> flügeln.</p><lb/> <p xml:id="ID_1411"> Mit dem neunzehnten Jahrhundert beginnt für das theologische Stift in<lb/> Tübingen wieder eine neue Zeit, die jedoch eine besondre eingehendere Dar¬<lb/> stellung erfordert, und die wir deshalb nicht mehr in den Nahmen dieser Skizze<lb/> einfügen wollen. Die zweite Tübinger Schule uuter ihrem berühmten Haupte<lb/> Ferdinand Vaur mit ihren herangereiften Schülern David Friedrich Strauß,<lb/> Bischer u, a. bezeichnet eine neue Phase in dein innern Leben des Stiftes, aber<lb/> auch diese Phase wird wieder in den letzten Jahrzehnten durch eine weitere<lb/> theologische Entwicklung abgelöst. Wir werden Kolb, dem Darsteller der Kirchen¬<lb/> geschichte Württembergs in der neuern Zeit, im Hinblick auf diese» kurzen<lb/> Rückblick über die Geschichte des Stifts in diesen drei Jahrhunderten Recht<lb/> geben, wenn er sagt: „Die deutsche Theologie hat Pflegeftätteu besessen, an<lb/> denen sie vielleicht dnrch glänzendere Gestirne vertreten war. Aber keine Landes¬<lb/> kirche hat sich, wie diese, einer Fakultät zu erfreuen gehabt, an welcher alle<lb/> theologischen Richtungen so vollständig vertreten, so friedlich vereinigt waren,<lb/> in der von sämtlichen Vertretern mit demselben heiligen Ernst, wenn auch in<lb/> verschiedner Weise erfaßten Aufgabe, die Wahrheit des Christentums mit den<lb/> Mitteln der Wissenschaft zu erforschen und zu erweisen. Sicherlich hat eben<lb/> dies der württembergischen Geistlichkeit seit geraumer Zeit ihren eigentümlichen<lb/> Charakter gegeben, daß sie auf der Hochschule gelernt hat, scheinbar Entgegen¬<lb/> gesetztes als verschiedene Arbeit im Dienste derselben heiligen Sache zu würdigen."</p><lb/> <p xml:id="ID_1412" next="#ID_1413"> All Angriffen auf das Stift sowohl gegen seine Existenzberechtigung als<lb/> gegen seine Einrichtung im Studiengang, in der Disziplin und in der äußern<lb/> Lebensordnung hat es schou in diesem Zeitraum, den wir betrachtet haben,<lb/> nicht gefehlt, ehe David Friedrich Strauß das Stift mit einer Mäusefalle<lb/> verglich, in der die besten Kopfe durch den ihnen dort umsonst angebvtnen<lb/> Speck eingefangen werden. Wir haben gesehen, wie schon der spätere Graf<lb/> Reinhard als württembergischer Vikar mit einem gewissen Groll das Stift<lb/> bekämpfte, lveil es den Geist zu einseitig ausbilde. Daß heutzutage neben<lb/> ernster theologischer Forschung ein freierer, vielseitigerer, humauerer Geist ein¬<lb/> gezogen ist, daß anch der Patriotismus, die nationale Vegeiftruug uicht bloß<lb/> in den einjährig-freiwillig dienenden Söhnen des Stifts, die hier, auch während<lb/> sie sich in der Garnison Tübingen militärisch ausbilden, ihren Unterhalt und<lb/> ihre Wohnung beziehn, sondern sich auch in deu audern Kommilitonen aus¬<lb/> prägt, zeigt der Augenschein, Wie in den vergangnen Jahrhunderten sendet<lb/> das Stift den Überschuß seiner Kraft auch heilte noch vielfach ins Ausland,<lb/> und frühere Zöglinge trifft man in allen möglichen Stellungen und Ämtern<lb/> fast auf der ganzen Erde zerstreut, Ist das Stift im sechzehnten und im<lb/> siebzehnten Jahrhundert die feste Burg des württembergischen Geisteslebens<lb/> gewesen, weil es die besten Köpfe des Landes an sich zog, und diese später<lb/> auf die Bildung der maßgebenden Kreise in Württemberg den größten Einfluß<lb/> ausübten, so hörte dies im achtzehnten Jahrhundert mehr und mehr ans. Dafür<lb/> trat aber Württemberg wieder in innigere Berührung mit dem übrigen deutschen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0376]
Das evangelische Stift zu Tübingen
sophisches Talent erkannt, sollte seinen genialen Jugendfreund Schelling durch
sein fest abgeschlossenes, umfassendes philosophisches System später noch über¬
flügeln.
Mit dem neunzehnten Jahrhundert beginnt für das theologische Stift in
Tübingen wieder eine neue Zeit, die jedoch eine besondre eingehendere Dar¬
stellung erfordert, und die wir deshalb nicht mehr in den Nahmen dieser Skizze
einfügen wollen. Die zweite Tübinger Schule uuter ihrem berühmten Haupte
Ferdinand Vaur mit ihren herangereiften Schülern David Friedrich Strauß,
Bischer u, a. bezeichnet eine neue Phase in dein innern Leben des Stiftes, aber
auch diese Phase wird wieder in den letzten Jahrzehnten durch eine weitere
theologische Entwicklung abgelöst. Wir werden Kolb, dem Darsteller der Kirchen¬
geschichte Württembergs in der neuern Zeit, im Hinblick auf diese» kurzen
Rückblick über die Geschichte des Stifts in diesen drei Jahrhunderten Recht
geben, wenn er sagt: „Die deutsche Theologie hat Pflegeftätteu besessen, an
denen sie vielleicht dnrch glänzendere Gestirne vertreten war. Aber keine Landes¬
kirche hat sich, wie diese, einer Fakultät zu erfreuen gehabt, an welcher alle
theologischen Richtungen so vollständig vertreten, so friedlich vereinigt waren,
in der von sämtlichen Vertretern mit demselben heiligen Ernst, wenn auch in
verschiedner Weise erfaßten Aufgabe, die Wahrheit des Christentums mit den
Mitteln der Wissenschaft zu erforschen und zu erweisen. Sicherlich hat eben
dies der württembergischen Geistlichkeit seit geraumer Zeit ihren eigentümlichen
Charakter gegeben, daß sie auf der Hochschule gelernt hat, scheinbar Entgegen¬
gesetztes als verschiedene Arbeit im Dienste derselben heiligen Sache zu würdigen."
All Angriffen auf das Stift sowohl gegen seine Existenzberechtigung als
gegen seine Einrichtung im Studiengang, in der Disziplin und in der äußern
Lebensordnung hat es schou in diesem Zeitraum, den wir betrachtet haben,
nicht gefehlt, ehe David Friedrich Strauß das Stift mit einer Mäusefalle
verglich, in der die besten Kopfe durch den ihnen dort umsonst angebvtnen
Speck eingefangen werden. Wir haben gesehen, wie schon der spätere Graf
Reinhard als württembergischer Vikar mit einem gewissen Groll das Stift
bekämpfte, lveil es den Geist zu einseitig ausbilde. Daß heutzutage neben
ernster theologischer Forschung ein freierer, vielseitigerer, humauerer Geist ein¬
gezogen ist, daß anch der Patriotismus, die nationale Vegeiftruug uicht bloß
in den einjährig-freiwillig dienenden Söhnen des Stifts, die hier, auch während
sie sich in der Garnison Tübingen militärisch ausbilden, ihren Unterhalt und
ihre Wohnung beziehn, sondern sich auch in deu audern Kommilitonen aus¬
prägt, zeigt der Augenschein, Wie in den vergangnen Jahrhunderten sendet
das Stift den Überschuß seiner Kraft auch heilte noch vielfach ins Ausland,
und frühere Zöglinge trifft man in allen möglichen Stellungen und Ämtern
fast auf der ganzen Erde zerstreut, Ist das Stift im sechzehnten und im
siebzehnten Jahrhundert die feste Burg des württembergischen Geisteslebens
gewesen, weil es die besten Köpfe des Landes an sich zog, und diese später
auf die Bildung der maßgebenden Kreise in Württemberg den größten Einfluß
ausübten, so hörte dies im achtzehnten Jahrhundert mehr und mehr ans. Dafür
trat aber Württemberg wieder in innigere Berührung mit dem übrigen deutschen
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