Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Uursächsische Streifzüge

wird, "daß die Studiosi vfftmahls in die Schranken in der Hof-Gerichts-Stube,
do zu Recht versatzt wird, dringen, in den Akten blettern und sichs wohl be¬
geben haben soll, daß unversehens Vollmachten daraus verlohren gegangen
sein; daß sich ferner die Assessores vom Ateti bishero auf die bestimmte Hof¬
gerichts Termin nicht zu rechter Zeit, auch wohl gar nicht eingestallt haben,
daraus denn erfolget, daß zur Zeit, da der Vice-Hofrichter allein zur stete
gewesen, die Publikation der Urtheil eingestellet worden." Dieses Mandat
enthält natürlich auch eine Nase für den damaligen Vicehofrichter von Schön-
berg, mit dem die Studenten so gemütlich verkehren, und der seinen Assessoren
so wenig Respekt einflößt, eine Nase, die doppelt schmerzhaft war, weil sie
von dem bürgerlichen Kanzler ausging. Schönbergs und seiner Gesinnungs¬
genossen politisches Ideal war ein aus der Gemeinschaft der adlichen Guts¬
herrschaften bestehender Staat, worin die Städte zur Bedeutungslosigkeit, die
Bauern zur Erbunterthänigkcit herabgedrückt waren. Bezüglich der größern
Städte wie Leipzig, Dresden, Freiberg, Wittenberg, Torgau ließ sich dieses
Programm uicht mehr durchführen, aber wenigstens die kleinen sollten wieder
zur Rechtlosigkeit von Dörfern herabsinken, damit sie ihren Sitz und ihre
Stimme im Landtage, der als ein Privilegium des Adels angesehen wurde,
verlören. Leuchtet nicht dieses Streben deutlich genug aus der Satire Schön¬
bergs hervor? Gleich das erste Blatt des Schildbürgerbuchs ist dafür beweisend.
Schilda war eine schriftsässige und landtagsfühige Stadt; aber auf dem ersten
Blatte ist ein sacktragender Bauer, das Käsemesser an der Seite, abgebildet,
und dabei stehn die Verse:

Auch sonst betont der Verfasser immer, daß Schilda, obwohl es sich als
Stadt ausspiele, faktisch ein Dorf sei, z. B. Seite 78 läuft einer "nach dem
Fleckeir Schilda (dann nach dem sie angefangen Narrn zu sein, wollen sie ihr
Dorfs nicht mehr ein Dorfs heißen lassen, und wcirffen den, so er ein Dorfs
genennet, in Brunnen)." Der erste Schildbürger, den der Kaiser am Wege
trifft, hat in der Hand "ein stück Brot, das war gantz schwartz und grob, von
rauen Kleien gebacken" und dazu ein Stück Käs, die Nahrung der Bauern.
Der Kaiser erhält beim Festessen Weißbrot; "vor der Bawern Ort läge schwartz
Brot: Haberstro het es jhnen auch gnug gethan^!). Seite 144 heißt es: "Die
Schildbürger hatten einen guten Bürgermnt, ob sie schon nur Bawern wahren."
Seite 175 verkriecht sich der Krebs "gehn Schilde inn das Dorfs." Jetzt ver-
stehn wir erst, warum in dein Buche so oft betont wird, daß die Schildner
das "gemeine Gut," statt es zu mehren, verfressen und versaufen -- es soll
dadurch bewiesen werden, daß sie erst recht nicht dazu taugten, des Landes


Uursächsische Streifzüge

wird, „daß die Studiosi vfftmahls in die Schranken in der Hof-Gerichts-Stube,
do zu Recht versatzt wird, dringen, in den Akten blettern und sichs wohl be¬
geben haben soll, daß unversehens Vollmachten daraus verlohren gegangen
sein; daß sich ferner die Assessores vom Ateti bishero auf die bestimmte Hof¬
gerichts Termin nicht zu rechter Zeit, auch wohl gar nicht eingestallt haben,
daraus denn erfolget, daß zur Zeit, da der Vice-Hofrichter allein zur stete
gewesen, die Publikation der Urtheil eingestellet worden." Dieses Mandat
enthält natürlich auch eine Nase für den damaligen Vicehofrichter von Schön-
berg, mit dem die Studenten so gemütlich verkehren, und der seinen Assessoren
so wenig Respekt einflößt, eine Nase, die doppelt schmerzhaft war, weil sie
von dem bürgerlichen Kanzler ausging. Schönbergs und seiner Gesinnungs¬
genossen politisches Ideal war ein aus der Gemeinschaft der adlichen Guts¬
herrschaften bestehender Staat, worin die Städte zur Bedeutungslosigkeit, die
Bauern zur Erbunterthänigkcit herabgedrückt waren. Bezüglich der größern
Städte wie Leipzig, Dresden, Freiberg, Wittenberg, Torgau ließ sich dieses
Programm uicht mehr durchführen, aber wenigstens die kleinen sollten wieder
zur Rechtlosigkeit von Dörfern herabsinken, damit sie ihren Sitz und ihre
Stimme im Landtage, der als ein Privilegium des Adels angesehen wurde,
verlören. Leuchtet nicht dieses Streben deutlich genug aus der Satire Schön¬
bergs hervor? Gleich das erste Blatt des Schildbürgerbuchs ist dafür beweisend.
Schilda war eine schriftsässige und landtagsfühige Stadt; aber auf dem ersten
Blatte ist ein sacktragender Bauer, das Käsemesser an der Seite, abgebildet,
und dabei stehn die Verse:

Auch sonst betont der Verfasser immer, daß Schilda, obwohl es sich als
Stadt ausspiele, faktisch ein Dorf sei, z. B. Seite 78 läuft einer „nach dem
Fleckeir Schilda (dann nach dem sie angefangen Narrn zu sein, wollen sie ihr
Dorfs nicht mehr ein Dorfs heißen lassen, und wcirffen den, so er ein Dorfs
genennet, in Brunnen)." Der erste Schildbürger, den der Kaiser am Wege
trifft, hat in der Hand „ein stück Brot, das war gantz schwartz und grob, von
rauen Kleien gebacken" und dazu ein Stück Käs, die Nahrung der Bauern.
Der Kaiser erhält beim Festessen Weißbrot; „vor der Bawern Ort läge schwartz
Brot: Haberstro het es jhnen auch gnug gethan^!). Seite 144 heißt es: „Die
Schildbürger hatten einen guten Bürgermnt, ob sie schon nur Bawern wahren."
Seite 175 verkriecht sich der Krebs „gehn Schilde inn das Dorfs." Jetzt ver-
stehn wir erst, warum in dein Buche so oft betont wird, daß die Schildner
das „gemeine Gut," statt es zu mehren, verfressen und versaufen — es soll
dadurch bewiesen werden, daß sie erst recht nicht dazu taugten, des Landes


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0106" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236630"/>
          <fw type="header" place="top"> Uursächsische Streifzüge</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_342" prev="#ID_341"> wird, &#x201E;daß die Studiosi vfftmahls in die Schranken in der Hof-Gerichts-Stube,<lb/>
do zu Recht versatzt wird, dringen, in den Akten blettern und sichs wohl be¬<lb/>
geben haben soll, daß unversehens Vollmachten daraus verlohren gegangen<lb/>
sein; daß sich ferner die Assessores vom Ateti bishero auf die bestimmte Hof¬<lb/>
gerichts Termin nicht zu rechter Zeit, auch wohl gar nicht eingestallt haben,<lb/>
daraus denn erfolget, daß zur Zeit, da der Vice-Hofrichter allein zur stete<lb/>
gewesen, die Publikation der Urtheil eingestellet worden." Dieses Mandat<lb/>
enthält natürlich auch eine Nase für den damaligen Vicehofrichter von Schön-<lb/>
berg, mit dem die Studenten so gemütlich verkehren, und der seinen Assessoren<lb/>
so wenig Respekt einflößt, eine Nase, die doppelt schmerzhaft war, weil sie<lb/>
von dem bürgerlichen Kanzler ausging. Schönbergs und seiner Gesinnungs¬<lb/>
genossen politisches Ideal war ein aus der Gemeinschaft der adlichen Guts¬<lb/>
herrschaften bestehender Staat, worin die Städte zur Bedeutungslosigkeit, die<lb/>
Bauern zur Erbunterthänigkcit herabgedrückt waren. Bezüglich der größern<lb/>
Städte wie Leipzig, Dresden, Freiberg, Wittenberg, Torgau ließ sich dieses<lb/>
Programm uicht mehr durchführen, aber wenigstens die kleinen sollten wieder<lb/>
zur Rechtlosigkeit von Dörfern herabsinken, damit sie ihren Sitz und ihre<lb/>
Stimme im Landtage, der als ein Privilegium des Adels angesehen wurde,<lb/>
verlören. Leuchtet nicht dieses Streben deutlich genug aus der Satire Schön¬<lb/>
bergs hervor? Gleich das erste Blatt des Schildbürgerbuchs ist dafür beweisend.<lb/>
Schilda war eine schriftsässige und landtagsfühige Stadt; aber auf dem ersten<lb/>
Blatte ist ein sacktragender Bauer, das Käsemesser an der Seite, abgebildet,<lb/>
und dabei stehn die Verse:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_1" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_343" next="#ID_344"> Auch sonst betont der Verfasser immer, daß Schilda, obwohl es sich als<lb/>
Stadt ausspiele, faktisch ein Dorf sei, z. B. Seite 78 läuft einer &#x201E;nach dem<lb/>
Fleckeir Schilda (dann nach dem sie angefangen Narrn zu sein, wollen sie ihr<lb/>
Dorfs nicht mehr ein Dorfs heißen lassen, und wcirffen den, so er ein Dorfs<lb/>
genennet, in Brunnen)." Der erste Schildbürger, den der Kaiser am Wege<lb/>
trifft, hat in der Hand &#x201E;ein stück Brot, das war gantz schwartz und grob, von<lb/>
rauen Kleien gebacken" und dazu ein Stück Käs, die Nahrung der Bauern.<lb/>
Der Kaiser erhält beim Festessen Weißbrot; &#x201E;vor der Bawern Ort läge schwartz<lb/>
Brot: Haberstro het es jhnen auch gnug gethan^!). Seite 144 heißt es: &#x201E;Die<lb/>
Schildbürger hatten einen guten Bürgermnt, ob sie schon nur Bawern wahren."<lb/>
Seite 175 verkriecht sich der Krebs &#x201E;gehn Schilde inn das Dorfs." Jetzt ver-<lb/>
stehn wir erst, warum in dein Buche so oft betont wird, daß die Schildner<lb/>
das &#x201E;gemeine Gut," statt es zu mehren, verfressen und versaufen &#x2014; es soll<lb/>
dadurch bewiesen werden, daß sie erst recht nicht dazu taugten, des Landes</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0106] Uursächsische Streifzüge wird, „daß die Studiosi vfftmahls in die Schranken in der Hof-Gerichts-Stube, do zu Recht versatzt wird, dringen, in den Akten blettern und sichs wohl be¬ geben haben soll, daß unversehens Vollmachten daraus verlohren gegangen sein; daß sich ferner die Assessores vom Ateti bishero auf die bestimmte Hof¬ gerichts Termin nicht zu rechter Zeit, auch wohl gar nicht eingestallt haben, daraus denn erfolget, daß zur Zeit, da der Vice-Hofrichter allein zur stete gewesen, die Publikation der Urtheil eingestellet worden." Dieses Mandat enthält natürlich auch eine Nase für den damaligen Vicehofrichter von Schön- berg, mit dem die Studenten so gemütlich verkehren, und der seinen Assessoren so wenig Respekt einflößt, eine Nase, die doppelt schmerzhaft war, weil sie von dem bürgerlichen Kanzler ausging. Schönbergs und seiner Gesinnungs¬ genossen politisches Ideal war ein aus der Gemeinschaft der adlichen Guts¬ herrschaften bestehender Staat, worin die Städte zur Bedeutungslosigkeit, die Bauern zur Erbunterthänigkcit herabgedrückt waren. Bezüglich der größern Städte wie Leipzig, Dresden, Freiberg, Wittenberg, Torgau ließ sich dieses Programm uicht mehr durchführen, aber wenigstens die kleinen sollten wieder zur Rechtlosigkeit von Dörfern herabsinken, damit sie ihren Sitz und ihre Stimme im Landtage, der als ein Privilegium des Adels angesehen wurde, verlören. Leuchtet nicht dieses Streben deutlich genug aus der Satire Schön¬ bergs hervor? Gleich das erste Blatt des Schildbürgerbuchs ist dafür beweisend. Schilda war eine schriftsässige und landtagsfühige Stadt; aber auf dem ersten Blatte ist ein sacktragender Bauer, das Käsemesser an der Seite, abgebildet, und dabei stehn die Verse: Auch sonst betont der Verfasser immer, daß Schilda, obwohl es sich als Stadt ausspiele, faktisch ein Dorf sei, z. B. Seite 78 läuft einer „nach dem Fleckeir Schilda (dann nach dem sie angefangen Narrn zu sein, wollen sie ihr Dorfs nicht mehr ein Dorfs heißen lassen, und wcirffen den, so er ein Dorfs genennet, in Brunnen)." Der erste Schildbürger, den der Kaiser am Wege trifft, hat in der Hand „ein stück Brot, das war gantz schwartz und grob, von rauen Kleien gebacken" und dazu ein Stück Käs, die Nahrung der Bauern. Der Kaiser erhält beim Festessen Weißbrot; „vor der Bawern Ort läge schwartz Brot: Haberstro het es jhnen auch gnug gethan^!). Seite 144 heißt es: „Die Schildbürger hatten einen guten Bürgermnt, ob sie schon nur Bawern wahren." Seite 175 verkriecht sich der Krebs „gehn Schilde inn das Dorfs." Jetzt ver- stehn wir erst, warum in dein Buche so oft betont wird, daß die Schildner das „gemeine Gut," statt es zu mehren, verfressen und versaufen — es soll dadurch bewiesen werden, daß sie erst recht nicht dazu taugten, des Landes

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/106
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/106>, abgerufen am 28.09.2024.