Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches keine Handelskrisis our, im Gegenteil durch Erschwerung der Spekulation einer Die folgenden Kapitel kritisieren die bisherigen Krisentheorien. Der Verfasser Maßgebliches und Unmaßgebliches keine Handelskrisis our, im Gegenteil durch Erschwerung der Spekulation einer Die folgenden Kapitel kritisieren die bisherigen Krisentheorien. Der Verfasser <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0629" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236451"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_2389" prev="#ID_2388"> keine Handelskrisis our, im Gegenteil durch Erschwerung der Spekulation einer<lb/> solchen vorbeugte. Die ersten vierziger Jahre brachten einen gewaltigen Aufschwung.<lb/> Die Ernten waren gut, und überall in der Welt, vorzugsweise in England selbst,<lb/> wurden Eisenbahnen gebaut, woran sich das englische Kapital gleich im Beginn der<lb/> Periode mit etwa zwei Milliarden Mark beteiligte. Aber 1845 brachte die Kar¬<lb/> toffelkrankheit zunächst den Mindern eine Hungersnot, auch das Getreide geriet<lb/> mehrere Jahre hintereinander schlecht, und sogar die Banmwollenpflanzer hatten<lb/> eine Mißernte zu beklagen. Starker Goldabfluß infolge von Nahrnngsmitteleinfuhr,<lb/> Spekulation in Getreide, die den Zusammenbruch mehrerer Getreidefirmeu zur Folge<lb/> hatte, und Vermiudruug des innern Konsums wirkten zusammen, 1847 eine<lb/> Handels- und Geldkrisis zum Ausbruch zu bringen, die auf die Entwicklung des<lb/> Eisenbahnwesens einen so ungünstigen Einfluß übte, daß die Aktionäre gegen vier<lb/> Milliarden Mark verloren. Das Jahr 1857 bescherte, nach hinlänglicher Ent¬<lb/> wicklung der modernen Wirtschaftsart in den übrigen Ländern, die erste Weltkrisis.<lb/> Die Revolution Von 1848 hatte der Bourgeoisie zur Macht verholfen. Die kali¬<lb/> fornischen Goldlager waren entdeckt worden, das beschleunigte die industrielle Ent-<lb/> wicklung Nordamerikas, das sowohl den überschüssigen Volksmassen wie den über¬<lb/> schüssigen Kapitalien Europas als Zufluchtsort diente. Binnen kurzem war der<lb/> amerikanische Markt mit englischen Waren überfüllt, und der Rückschlag fiel um so<lb/> empfindlicher für England aus, als die Haudelsoperatiouen nicht rin amerikanischem,<lb/> sondern mit englischem Gelde vollzogen worden waren. Von da ab strömt das<lb/> englische Kapital vorzugsweise nach Asien. Der „Bannttvollenhunger" der ersten<lb/> sechziger Jahre infolge des amerikanischen Sczessionskriegs legte zwar den Arbeitern<lb/> der Spinn- und Webfabriken schwere Leiden ans und erzeugte 1864 eine Geld¬<lb/> krisis, der 1866 noch eine Kreditkrisis folgte, bedeutete aber keine Handelskrisis,<lb/> da die Ausfuhr ihren ungestörten Fortgang nahm und bei guten Warenpreisen sehr<lb/> gewinnreich war. Die Kreditkrisis von 1866 wurde durch die unvorsichtige Ge¬<lb/> barung des Weltbankhanses Overend und Komp. verschuldet, das im Mai fallierte.<lb/> Alle frühern Geldkrisen waren im Herbst ausgebrochen, weil die Bezahlung der<lb/> Lebensmitteleinfuhr und der Rohstoffe nach der Ernte im Herbst regelmäßig Geld¬<lb/> knappheit verursacht. Von 1870 ub wird die deutsche Konkurrenz den Engländern<lb/> gefährlich. Der internationale Krach von 1873 hat sich jedoch in England nur<lb/> als Depression geäußert. Seitdem ist die Wellenbewegung nicht mehr so heftig,<lb/> die Wellen werden schwächer, die Krisis nimmt einen schleichenden Charakter an.<lb/> Im Bericht der Parlamentskoinnnssion von 1886, die die Ursachen der damaligen<lb/> Depression zu untersuchen hatte, wird amtlich ausgesprochen, was seit Jahrzehnten<lb/> der Angelpunkt aller volkswirtschaftlichen Untersuchungen und Debatten ist: ..Die<lb/> Schwierigkeit besteht jetzt nicht mehr wie früher in einem Mangel oder in einer<lb/> Teuerung der Lebens- oder Luxusmittel, sondern im Kampfe um den entsprechenden<lb/> Anteil an der Arbeit, die für die ungeheure Mehrheit der Bevölkerung das einzige<lb/> Mittel ist, in den Besitz dieser Gegenstände zu gelangen, mögen sie auch in noch<lb/> so großer Menge vorhanden und noch so wohlfeil sein."</p><lb/> <p xml:id="ID_2390" next="#ID_2391"> Die folgenden Kapitel kritisieren die bisherigen Krisentheorien. Der Verfasser<lb/> findet in allen, in denen der Sandschen Schule, der Marxisten und des Rodbertus<lb/> haltbares und unhaltbares. An der marxischen Theorie findet er unter anderen<lb/> die Ansicht falsch, daß der Ersatz der Arbeiter durch Maschinen die Profitrate er¬<lb/> niedrige, denn der eiserne Mann erzeuge gerade so gut Mehrwert wie der von<lb/> Reisch. Auch der Nuterkonsnm der Massen (Rodbertus) habe nicht notwendig<lb/> Absatzstockungen zur Folge, weil die heutige Produktion nicht allein Verbrauchsgüter,<lb/> sondern in ungeheuern Massen — neben Kriegsmaterial — Produktionsmittel und<lb/> Verkehrsmittel schaffe. Gerade hierin sei die Periodizität der Krisen begründet.<lb/> In den Jahren einer Depression sammle sich nnverwendbares Sparkapital. Dieses<lb/> dränge stürmisch auf Anlage. Mit dem angcbotnen wohlfeilen Kapital würden</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0629]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
keine Handelskrisis our, im Gegenteil durch Erschwerung der Spekulation einer
solchen vorbeugte. Die ersten vierziger Jahre brachten einen gewaltigen Aufschwung.
Die Ernten waren gut, und überall in der Welt, vorzugsweise in England selbst,
wurden Eisenbahnen gebaut, woran sich das englische Kapital gleich im Beginn der
Periode mit etwa zwei Milliarden Mark beteiligte. Aber 1845 brachte die Kar¬
toffelkrankheit zunächst den Mindern eine Hungersnot, auch das Getreide geriet
mehrere Jahre hintereinander schlecht, und sogar die Banmwollenpflanzer hatten
eine Mißernte zu beklagen. Starker Goldabfluß infolge von Nahrnngsmitteleinfuhr,
Spekulation in Getreide, die den Zusammenbruch mehrerer Getreidefirmeu zur Folge
hatte, und Vermiudruug des innern Konsums wirkten zusammen, 1847 eine
Handels- und Geldkrisis zum Ausbruch zu bringen, die auf die Entwicklung des
Eisenbahnwesens einen so ungünstigen Einfluß übte, daß die Aktionäre gegen vier
Milliarden Mark verloren. Das Jahr 1857 bescherte, nach hinlänglicher Ent¬
wicklung der modernen Wirtschaftsart in den übrigen Ländern, die erste Weltkrisis.
Die Revolution Von 1848 hatte der Bourgeoisie zur Macht verholfen. Die kali¬
fornischen Goldlager waren entdeckt worden, das beschleunigte die industrielle Ent-
wicklung Nordamerikas, das sowohl den überschüssigen Volksmassen wie den über¬
schüssigen Kapitalien Europas als Zufluchtsort diente. Binnen kurzem war der
amerikanische Markt mit englischen Waren überfüllt, und der Rückschlag fiel um so
empfindlicher für England aus, als die Haudelsoperatiouen nicht rin amerikanischem,
sondern mit englischem Gelde vollzogen worden waren. Von da ab strömt das
englische Kapital vorzugsweise nach Asien. Der „Bannttvollenhunger" der ersten
sechziger Jahre infolge des amerikanischen Sczessionskriegs legte zwar den Arbeitern
der Spinn- und Webfabriken schwere Leiden ans und erzeugte 1864 eine Geld¬
krisis, der 1866 noch eine Kreditkrisis folgte, bedeutete aber keine Handelskrisis,
da die Ausfuhr ihren ungestörten Fortgang nahm und bei guten Warenpreisen sehr
gewinnreich war. Die Kreditkrisis von 1866 wurde durch die unvorsichtige Ge¬
barung des Weltbankhanses Overend und Komp. verschuldet, das im Mai fallierte.
Alle frühern Geldkrisen waren im Herbst ausgebrochen, weil die Bezahlung der
Lebensmitteleinfuhr und der Rohstoffe nach der Ernte im Herbst regelmäßig Geld¬
knappheit verursacht. Von 1870 ub wird die deutsche Konkurrenz den Engländern
gefährlich. Der internationale Krach von 1873 hat sich jedoch in England nur
als Depression geäußert. Seitdem ist die Wellenbewegung nicht mehr so heftig,
die Wellen werden schwächer, die Krisis nimmt einen schleichenden Charakter an.
Im Bericht der Parlamentskoinnnssion von 1886, die die Ursachen der damaligen
Depression zu untersuchen hatte, wird amtlich ausgesprochen, was seit Jahrzehnten
der Angelpunkt aller volkswirtschaftlichen Untersuchungen und Debatten ist: ..Die
Schwierigkeit besteht jetzt nicht mehr wie früher in einem Mangel oder in einer
Teuerung der Lebens- oder Luxusmittel, sondern im Kampfe um den entsprechenden
Anteil an der Arbeit, die für die ungeheure Mehrheit der Bevölkerung das einzige
Mittel ist, in den Besitz dieser Gegenstände zu gelangen, mögen sie auch in noch
so großer Menge vorhanden und noch so wohlfeil sein."
Die folgenden Kapitel kritisieren die bisherigen Krisentheorien. Der Verfasser
findet in allen, in denen der Sandschen Schule, der Marxisten und des Rodbertus
haltbares und unhaltbares. An der marxischen Theorie findet er unter anderen
die Ansicht falsch, daß der Ersatz der Arbeiter durch Maschinen die Profitrate er¬
niedrige, denn der eiserne Mann erzeuge gerade so gut Mehrwert wie der von
Reisch. Auch der Nuterkonsnm der Massen (Rodbertus) habe nicht notwendig
Absatzstockungen zur Folge, weil die heutige Produktion nicht allein Verbrauchsgüter,
sondern in ungeheuern Massen — neben Kriegsmaterial — Produktionsmittel und
Verkehrsmittel schaffe. Gerade hierin sei die Periodizität der Krisen begründet.
In den Jahren einer Depression sammle sich nnverwendbares Sparkapital. Dieses
dränge stürmisch auf Anlage. Mit dem angcbotnen wohlfeilen Kapital würden
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