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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Auslegungen gewesen gerade bei dieser Zuhörerschaft, in deren Studentenreihen
so mancher zukünftige Beamte, vielleicht auch ein künftiger Kolonialstaatsmann
saß. Wir besitzen nnr das. was uns nicht besitzt. Nur die Eigenschaften be¬
fähigen uns, ein klar erkanntes Ziel auf dem kürzesten Wege zu erreichen, die
wir sicher in den Zügeln haben. Beim Vergleich der germanischen Völker¬
zweige erschienen mir immer die Deutschen und die Holländer durch die Ver¬
bindung von Phlegma und Erregbarkeit ausgezeichnet. Am Tropentoller
laborieren sie beide mehr als andre. Ich teile nicht die naive Ansicht eines
amerikanischen Professors, der in dem systematischen Betrieb der Leibesübungen
den einzigen Grund sieht, warum sich die Anglokelten besser in der Hand
hätten. Er sagt: Das tägliche Messen der Kräfte birgt die Gefahr der rohesten
Prügelei, wenn uicht feste Regeln eingehalten werden; ich kann mich nicht der
Gefahr aussetzen, daß mein Gegner beim Fußball Hand an mich legt, wenn
ich nicht ganz genau weiß, daß er gewisse Grenzen nicht überschreiten wird.
Insofern jedoch die Spiele, in denen Entschlossenheit und Kraft den Ausschlag
geben, auf die Selbstzucht heilsam zurückwirken, ist auch in dieser Ansicht ein
Körnchen Wahrheit.

Aber die ganze Wahrheit liegt doch wo anders. Daß der Einzelne sich der
Gesamtheit schuldet, diese Erkenntnis muß uns ganz durchdringen. Wir haben
sie noch viel nötiger als andre Völker, denn wir sind durch unsre geographische
Lage und durch die keilartige Einzwängung unsers Volkstums zwischen Slawen
und Romanen, endlich durch die Unmöglichkeit, verpaßte Gelegenheiten zu über¬
seeischen Verjüngungskolonien noch einmal zu finden, gezwungen, Kräfte für
die elementaren Fragen von Sein oder Nichtsein aufzuwenden, die andre sparen
können. Ja wenn es uns gelingt, uus noch Jahrhunderte gesund zu erhalten,
während andre dem Greisentum unrettbar entgegensiechen, können sich auch die
äußern Daseinsbedingungen noch einmal günstiger gestalten. Aber einstweilen
kommt es doch vor allem darauf an, daß wir uns die eigentümliche Lage des
Deutschen Reichs und Volkstums vollständig klar macheu und uns und die,
die uus nachfolgen, dafür erziehn. In überseeischen Ländern wird sich voraus¬
sichtlich kein Gebiet den Deutschen erschließen, wo sie durch Ackerbaukolonisation
ein geschlossenes Deutschland aufbauen könnten. Ich sage ein geschlossenes,
gerade weil ich für Millionen Deutsche die Hoffnung hege, daß sie z. B. im
gemäßigten Südamerika, und zwar noch viel weiter südlich, als sie jetzt in
Argentinien und Chile leben, und auf den kühlen Hochländern des tropischen
Amerika in zerstreuten Gruppen Gedeihen finden werden. Die besten Gelegen¬
heiten sind vor Jahrhunderten verloren worden, und kein noch so scharfes
Schwert nimmt den Anglokelten Nordamerika und den Russen Nordasien ab.
Die Vereinigten Staaten von Amerika und das Reich des weißen Zaren können
zu Grunde gehn, die Amerikaner und die Russen wachsen fort wie das Gras ihrer
Steppen. In Südamerika können noch viele Millionen Deutsche Raum finden,
in Australien einige Millionen, in Südafrika einige Hunderttausende. Aber
alle diese nur neben und zwischen andern Völkern, deren Auswandrerströme
neben und zwischen den Deutschen und neuerdings sie an Zahl weit über-


Auslegungen gewesen gerade bei dieser Zuhörerschaft, in deren Studentenreihen
so mancher zukünftige Beamte, vielleicht auch ein künftiger Kolonialstaatsmann
saß. Wir besitzen nnr das. was uns nicht besitzt. Nur die Eigenschaften be¬
fähigen uns, ein klar erkanntes Ziel auf dem kürzesten Wege zu erreichen, die
wir sicher in den Zügeln haben. Beim Vergleich der germanischen Völker¬
zweige erschienen mir immer die Deutschen und die Holländer durch die Ver¬
bindung von Phlegma und Erregbarkeit ausgezeichnet. Am Tropentoller
laborieren sie beide mehr als andre. Ich teile nicht die naive Ansicht eines
amerikanischen Professors, der in dem systematischen Betrieb der Leibesübungen
den einzigen Grund sieht, warum sich die Anglokelten besser in der Hand
hätten. Er sagt: Das tägliche Messen der Kräfte birgt die Gefahr der rohesten
Prügelei, wenn uicht feste Regeln eingehalten werden; ich kann mich nicht der
Gefahr aussetzen, daß mein Gegner beim Fußball Hand an mich legt, wenn
ich nicht ganz genau weiß, daß er gewisse Grenzen nicht überschreiten wird.
Insofern jedoch die Spiele, in denen Entschlossenheit und Kraft den Ausschlag
geben, auf die Selbstzucht heilsam zurückwirken, ist auch in dieser Ansicht ein
Körnchen Wahrheit.

Aber die ganze Wahrheit liegt doch wo anders. Daß der Einzelne sich der
Gesamtheit schuldet, diese Erkenntnis muß uns ganz durchdringen. Wir haben
sie noch viel nötiger als andre Völker, denn wir sind durch unsre geographische
Lage und durch die keilartige Einzwängung unsers Volkstums zwischen Slawen
und Romanen, endlich durch die Unmöglichkeit, verpaßte Gelegenheiten zu über¬
seeischen Verjüngungskolonien noch einmal zu finden, gezwungen, Kräfte für
die elementaren Fragen von Sein oder Nichtsein aufzuwenden, die andre sparen
können. Ja wenn es uns gelingt, uus noch Jahrhunderte gesund zu erhalten,
während andre dem Greisentum unrettbar entgegensiechen, können sich auch die
äußern Daseinsbedingungen noch einmal günstiger gestalten. Aber einstweilen
kommt es doch vor allem darauf an, daß wir uns die eigentümliche Lage des
Deutschen Reichs und Volkstums vollständig klar macheu und uns und die,
die uus nachfolgen, dafür erziehn. In überseeischen Ländern wird sich voraus¬
sichtlich kein Gebiet den Deutschen erschließen, wo sie durch Ackerbaukolonisation
ein geschlossenes Deutschland aufbauen könnten. Ich sage ein geschlossenes,
gerade weil ich für Millionen Deutsche die Hoffnung hege, daß sie z. B. im
gemäßigten Südamerika, und zwar noch viel weiter südlich, als sie jetzt in
Argentinien und Chile leben, und auf den kühlen Hochländern des tropischen
Amerika in zerstreuten Gruppen Gedeihen finden werden. Die besten Gelegen¬
heiten sind vor Jahrhunderten verloren worden, und kein noch so scharfes
Schwert nimmt den Anglokelten Nordamerika und den Russen Nordasien ab.
Die Vereinigten Staaten von Amerika und das Reich des weißen Zaren können
zu Grunde gehn, die Amerikaner und die Russen wachsen fort wie das Gras ihrer
Steppen. In Südamerika können noch viele Millionen Deutsche Raum finden,
in Australien einige Millionen, in Südafrika einige Hunderttausende. Aber
alle diese nur neben und zwischen andern Völkern, deren Auswandrerströme
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/598>, abgerufen am 27.07.2024.