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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Löcklin

gegen ist bloß Porträtmaler und in allem übrigen ungeschickt. Auch diese Ab¬
wägung würde niemand nach der Böcklinschen Malerei allein vermuten, wobei
höchstens der eine Hans Waldung aufzunehmen wäre. Ob sich der Formen¬
mensch gerade durch das Unausgeglichne bei den alten deutschen Malern an¬
gezogen fühlte, wie unsre ganz verfeinerten Überästhetiker mit Vorliebe das
"Herbe" suchen, oder hatte der Vielkönuer seine Freude an dem Tasten der
Ungeschickten? Auderswo sagt er: "Und mag ein Ding auch noch so un¬
geschickt oder verzeichnet sein, egal, ich will in jedem Strich den Willen sehen,
das ist alles, Korrektheit nichts." Auf die Möglichkeit hiu, daß wir recht
gedeutet haben, fügen wir noch ein Geschichtchen hinzu, das unmittelbar vorher
steht, von dem "kleinen Barth," einem Kinde also, das neulich einen Mann
gezeichnet hatte, einen Mann, der hoch oben an der Wand einen Strich ziehn
will. "Es war alles falsch daran, alles, aber den Strich zog er doch, und
viel überzeugender vielleicht, als wenn alles von einem unsrer Durchschuitts-
meister richtig gemacht worden wäre." Damit sind wir denn freilich auch auf
die Stufe Max und Moritz hinabgelangt.

Das Wertvollste, was über Kunst gesagt werden kann, kommt von den
Künstlern selbst, und die "Kunstgeschichte" ist der Leute Verderben -- wie oft
haben wir das gehört von unsern Kunstprvpheten der Gegenwart, die "ihren"
Künstlern einen Platz in der Geschichte der Zukunft zu sichern bemüht siud!
Einige Schritte weiter, und der Künstler plaudert wie am Stammtisch oder
im Schlafrock, ein großer Maler und gedankenvoller Unterhalter, der sich ganz
nusgiebt, erklärend in seiue eigne Kunst hineinleuchtet und mit schnellen
Sarkasmen seine Genossen von einst und jetzt zu treffen weiß. Alles das
merkt sich der Mann mit der Feder, der sich an der "verwissenschaftlichten"
Methode "vergessen hat, er bringt es zu Papier und in Regeln lind macht
ein geistreiches Buch -- ein bischen eillwll tsrriblv zwar, aber das können
die Tempelhüter ja ablehnen, dann bleibt immer noch Wertvolles genug für
die Gemeinde übrig, besonders diese ganz neue, auf den Wellen einer un-
gemessenen Lobeserhebung tanzende Worttuust. Wenn uur der Kahn, den der
Übermut schaukelt, nicht zuletzt noch umschlägt! Höher läßt sich wenigstens der
Böckliukultus nun nicht mehr treiben. Das wäre dann die symptomatische
Bedeutung eines solchen Buches.

Außerdem wird es aber noch mit einem großen Teile seines Inhalts,
auf den wir hier nicht näher eingehn können, für Leser von einiger Selb¬
ständigkeit des Urteils eine nicht bloß angenehme, sondern auch fördernde
Unterhaltung sein. Es kommen in diesen Gesprächen beinahe alle an die
Reihe, große und kleine, Künstler, Dichter und Musiker: Feuerbnch, Lenbach,
Leiht, Klinger, Hildebrand, Paul Heyse, Gottfried Keller, K. F. Meder, Graf
Schack, um uur einige anzuführen, erhalten scharfe Streiflichter; ebenso ganze
Gruppen, wie die Pleinairisten, die Böcklin zu den ihrigen rechneten, die er
aber für Packträger hielt, und in Bezug auf die Lichtquelle kann man oft
nicht unterscheiden zwischen Böcklin und Floerke, vieles ist jedenfalls von diesem


Löcklin

gegen ist bloß Porträtmaler und in allem übrigen ungeschickt. Auch diese Ab¬
wägung würde niemand nach der Böcklinschen Malerei allein vermuten, wobei
höchstens der eine Hans Waldung aufzunehmen wäre. Ob sich der Formen¬
mensch gerade durch das Unausgeglichne bei den alten deutschen Malern an¬
gezogen fühlte, wie unsre ganz verfeinerten Überästhetiker mit Vorliebe das
„Herbe" suchen, oder hatte der Vielkönuer seine Freude an dem Tasten der
Ungeschickten? Auderswo sagt er: „Und mag ein Ding auch noch so un¬
geschickt oder verzeichnet sein, egal, ich will in jedem Strich den Willen sehen,
das ist alles, Korrektheit nichts." Auf die Möglichkeit hiu, daß wir recht
gedeutet haben, fügen wir noch ein Geschichtchen hinzu, das unmittelbar vorher
steht, von dem „kleinen Barth," einem Kinde also, das neulich einen Mann
gezeichnet hatte, einen Mann, der hoch oben an der Wand einen Strich ziehn
will. „Es war alles falsch daran, alles, aber den Strich zog er doch, und
viel überzeugender vielleicht, als wenn alles von einem unsrer Durchschuitts-
meister richtig gemacht worden wäre." Damit sind wir denn freilich auch auf
die Stufe Max und Moritz hinabgelangt.

Das Wertvollste, was über Kunst gesagt werden kann, kommt von den
Künstlern selbst, und die „Kunstgeschichte" ist der Leute Verderben — wie oft
haben wir das gehört von unsern Kunstprvpheten der Gegenwart, die „ihren"
Künstlern einen Platz in der Geschichte der Zukunft zu sichern bemüht siud!
Einige Schritte weiter, und der Künstler plaudert wie am Stammtisch oder
im Schlafrock, ein großer Maler und gedankenvoller Unterhalter, der sich ganz
nusgiebt, erklärend in seiue eigne Kunst hineinleuchtet und mit schnellen
Sarkasmen seine Genossen von einst und jetzt zu treffen weiß. Alles das
merkt sich der Mann mit der Feder, der sich an der „verwissenschaftlichten"
Methode «vergessen hat, er bringt es zu Papier und in Regeln lind macht
ein geistreiches Buch — ein bischen eillwll tsrriblv zwar, aber das können
die Tempelhüter ja ablehnen, dann bleibt immer noch Wertvolles genug für
die Gemeinde übrig, besonders diese ganz neue, auf den Wellen einer un-
gemessenen Lobeserhebung tanzende Worttuust. Wenn uur der Kahn, den der
Übermut schaukelt, nicht zuletzt noch umschlägt! Höher läßt sich wenigstens der
Böckliukultus nun nicht mehr treiben. Das wäre dann die symptomatische
Bedeutung eines solchen Buches.

Außerdem wird es aber noch mit einem großen Teile seines Inhalts,
auf den wir hier nicht näher eingehn können, für Leser von einiger Selb¬
ständigkeit des Urteils eine nicht bloß angenehme, sondern auch fördernde
Unterhaltung sein. Es kommen in diesen Gesprächen beinahe alle an die
Reihe, große und kleine, Künstler, Dichter und Musiker: Feuerbnch, Lenbach,
Leiht, Klinger, Hildebrand, Paul Heyse, Gottfried Keller, K. F. Meder, Graf
Schack, um uur einige anzuführen, erhalten scharfe Streiflichter; ebenso ganze
Gruppen, wie die Pleinairisten, die Böcklin zu den ihrigen rechneten, die er
aber für Packträger hielt, und in Bezug auf die Lichtquelle kann man oft
nicht unterscheiden zwischen Böcklin und Floerke, vieles ist jedenfalls von diesem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/496>, abgerufen am 27.07.2024.