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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Böcklin

nachging, wie er an jedem Gegenstand immer wieder beobachtete und dann mit
dem, was er schon in sich hatte, abrechnete, erfuhr man zuerst ans den Samm¬
lungen Schlaks. Floerke giebt das feiner abgeschliffen und in sachlich ge¬
ordneten Gedankengruppen. Lichtdarstellung und Farbe (Kolorismus, wie die
andern sagen, was aber Böcklin lächerlich klingt) sind ihm nicht Zweck, sondern
Mittel, um seine volle Nciturfreude auszudrücken, und sein ganzes Leben ist
ein Kampf um den Erwerb dieser Mittel. In der Natur wird alle Form dem
Auge nur offenbar in einem Licht von gewisser Stärke (Ton) und bestimmter
Qualität (Farbe), und darum sah er Ton und Farbe als seine spezifischen Aus-
drucksmittel an; eine Kunst ohne Farbe, zeichnend oder plastisch, wäre für ihn
undenkbar gewesen. In Italien fand er das hellere Licht, worin man nicht
mogeln konnte wie in der dicken nordischen Luft, das Licht, das er suchte
-- er kounte in die stärkste Sonne sehen, und der Basler Ophthalmolog er¬
klärte, niemals vollkommnere Augen untersucht zu haben --, und das ihn auf
Deutlichkeit halten ließ, auf Einfachheit und Ruhe. Er spielt Harmonium,
nicht Klavier, klare Motive von Bach und Händel; Wagner mag er nicht.
Ebenso deutlich ist seine Kunst, seine Bilder sind nie überfüllt, die Hauptsachen
bestimmt, alles Nebenwerk muß zurücktreten, immer bleibt hinter und zwischen
den Gegenständen Lust und viel leerer Raum, der vertieft selbständig wirkt.
Dazu ein fortwährendes Abwägen der Gegensätze von Hell und Dunkel, warmen
und kühlen Tönen, positiven und neutralen Farben, ein Gegenüberstellen von
Formen, die das Auge weniger oder mehr beschäftige", runden, dreieckigen,
ruhigen, unruhigen usw., die das Interesse wach halten, eine fortwährende
Balance nach allen Seiten, ein Spiel mit zehn Kugeln. Es gehört dann also
nur noch dazu, daß der Beschauer dieses Spiel auch verstehn lernt, eine Kunst,
die wenigstens nicht für jedermann sein dürfte. Zu dem Bilde "Sieh, es
lacht die An" bemerkt Floerke, an "allzuviele" wende es sich "natürlich" nicht,
und über die Kunst für Alle, über das Galerievolk und Alles aus dem Volk
und für das Volk haben die beiden weidlich miteinander gelästert. -- Und
diesen Maler will man jetzt für die Volkskunst einschlachten!

In der Farbe war Böcklin ein Autodidakt, der ganz seine eignen Wege
ging, mit voller Selbständigkeit und der Fähigkeit, zu unterscheiden, wo etwas
zu lernen war, z. B. bei den Altdeutschen und den Flamländern, und wo nicht,
z. B. den koloristisch bewußtlosen Malern des florentinischen Quattrocento.
Farbenmensch durch und durch, wie er war, lehnte er die ästhetischen Verkehrt¬
heiten der Renaissance, mit denen das ganze Unheil angefangen habe, vor
allem ihre farblose Skulptur, höhnend ab. Die sei ein Mißgriff, ein Mi߬
verständnis der dummen Theoretiker und Handwerker der Renaissance, die aus
sich selbst nichts hatten, in der Natur nichts sahen, und, als ihnen der Zufall
einige weißgewaschne Antiken in die Hände spielte, diese bewunderten, maßen,
nachahmten und anpriesen, aber natürlich nicht begriffen. Denn wie sollten
auch die Nachkommen der Etrusker und Römer in ihrem verwüsteten Lande
ohne Tradition die klugen Griechen begreifen, die in Souue und Farbe


Böcklin

nachging, wie er an jedem Gegenstand immer wieder beobachtete und dann mit
dem, was er schon in sich hatte, abrechnete, erfuhr man zuerst ans den Samm¬
lungen Schlaks. Floerke giebt das feiner abgeschliffen und in sachlich ge¬
ordneten Gedankengruppen. Lichtdarstellung und Farbe (Kolorismus, wie die
andern sagen, was aber Böcklin lächerlich klingt) sind ihm nicht Zweck, sondern
Mittel, um seine volle Nciturfreude auszudrücken, und sein ganzes Leben ist
ein Kampf um den Erwerb dieser Mittel. In der Natur wird alle Form dem
Auge nur offenbar in einem Licht von gewisser Stärke (Ton) und bestimmter
Qualität (Farbe), und darum sah er Ton und Farbe als seine spezifischen Aus-
drucksmittel an; eine Kunst ohne Farbe, zeichnend oder plastisch, wäre für ihn
undenkbar gewesen. In Italien fand er das hellere Licht, worin man nicht
mogeln konnte wie in der dicken nordischen Luft, das Licht, das er suchte
— er kounte in die stärkste Sonne sehen, und der Basler Ophthalmolog er¬
klärte, niemals vollkommnere Augen untersucht zu haben —, und das ihn auf
Deutlichkeit halten ließ, auf Einfachheit und Ruhe. Er spielt Harmonium,
nicht Klavier, klare Motive von Bach und Händel; Wagner mag er nicht.
Ebenso deutlich ist seine Kunst, seine Bilder sind nie überfüllt, die Hauptsachen
bestimmt, alles Nebenwerk muß zurücktreten, immer bleibt hinter und zwischen
den Gegenständen Lust und viel leerer Raum, der vertieft selbständig wirkt.
Dazu ein fortwährendes Abwägen der Gegensätze von Hell und Dunkel, warmen
und kühlen Tönen, positiven und neutralen Farben, ein Gegenüberstellen von
Formen, die das Auge weniger oder mehr beschäftige», runden, dreieckigen,
ruhigen, unruhigen usw., die das Interesse wach halten, eine fortwährende
Balance nach allen Seiten, ein Spiel mit zehn Kugeln. Es gehört dann also
nur noch dazu, daß der Beschauer dieses Spiel auch verstehn lernt, eine Kunst,
die wenigstens nicht für jedermann sein dürfte. Zu dem Bilde „Sieh, es
lacht die An" bemerkt Floerke, an „allzuviele" wende es sich „natürlich" nicht,
und über die Kunst für Alle, über das Galerievolk und Alles aus dem Volk
und für das Volk haben die beiden weidlich miteinander gelästert. — Und
diesen Maler will man jetzt für die Volkskunst einschlachten!

In der Farbe war Böcklin ein Autodidakt, der ganz seine eignen Wege
ging, mit voller Selbständigkeit und der Fähigkeit, zu unterscheiden, wo etwas
zu lernen war, z. B. bei den Altdeutschen und den Flamländern, und wo nicht,
z. B. den koloristisch bewußtlosen Malern des florentinischen Quattrocento.
Farbenmensch durch und durch, wie er war, lehnte er die ästhetischen Verkehrt¬
heiten der Renaissance, mit denen das ganze Unheil angefangen habe, vor
allem ihre farblose Skulptur, höhnend ab. Die sei ein Mißgriff, ein Mi߬
verständnis der dummen Theoretiker und Handwerker der Renaissance, die aus
sich selbst nichts hatten, in der Natur nichts sahen, und, als ihnen der Zufall
einige weißgewaschne Antiken in die Hände spielte, diese bewunderten, maßen,
nachahmten und anpriesen, aber natürlich nicht begriffen. Denn wie sollten
auch die Nachkommen der Etrusker und Römer in ihrem verwüsteten Lande
ohne Tradition die klugen Griechen begreifen, die in Souue und Farbe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/490>, abgerufen am 01.09.2024.