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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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zur Raison zu bringen, ehe man ihm das Genick bricht, als irgend einem nowo
novus im Offizierrock, dessen Familie keinerlei militärische Traditionen hat,
ist so sehr menschlich, daß wir es sogar für selbstverständlich halten. Es kommt
eben auf das Maß an, auf das "zuviel," das hier, wie es scheint, eine be¬
klagenswerte Rolle gespielt hat. Deshalb allgemein einen besondern Nepotismus
im Offizierkorps oder auch nur die übermäßige Bevorzugung des Adels als
wieder einmal erwiesen hinzustellen, ist einfach Unsinn. Wenn man mit eiuer
gewissen Vorliebe die Söhne der Familien mit militärischen Traditionen als
Offizieraspiranten annimmt -- und das werden, wie die Sachen bei uns auch
heute noch liegen, vorwiegend adliche sein --, so ist das nichts andres, als
was in fast allen Beamtenkarrieren geschieht, und eben auch wieder selbst¬
verständlich. Uns ist es jedenfalls viel lieber, als wenn der Geldsack den Aus¬
schlag giebt. Die Familientradition gewährt doch unstreitig eine gewisse
Garantie, so lange die Person selbst sich nicht zu bewähren Zeit gefunden hat,
wie das z. B. auch in den bessern kaufmännischen Kreisen ziemlich allgemein
anerkannt wird. Es muß vor allem danach gefragt werden, erstens ob der
tüchtige bürgerliche Offizier durch Bevorzugung adlicher Kameraden von den
Vorgesetzten im Dienst und in seinem Fortkommen benachteiligt wird, und
zweitens ob er uuter dem Adelsdünkel der Kameraden zu leiden hat. Beides
mußte vor dreißig Jahren auf das entschiedenste bestritten werden, und es liegt
auch kein Anzeichen vor, daß es jetzt wesentlich anders geworden wäre. Im
allgemeinen wird denn doch sowohl der Vorgesetzte, der einen Offizier dienstlich
nur deshalb bevorzugt, weil er adlich ist, wie auch der adliche Kamerad, der auf
den andern nnr deshalb herabsieht, weil er bürgerlich ist, von den Kameraden
überhaupt, den adlichen wie den bürgerlichen, für einen Narren gehalten und
entsprechend behandelt. In keiner preußischen Zivilkarriere geschieht auch nnr
annähernd ein so vollkommner kameradschaftlicher Ausgleich zwischen Adel und
Bürgertum wie im preußischen Offizierkorps. Es gereicht das dem Bildungs-
stand, dem Charakter und der Intelligenz des preußischen Adels in der Armee
zur allergrößten Ehre. Die bürgerlichen Offiziere -- auch die Herren von der
Reserve und der Landwehr, die das auch wissen müssen, nicht ausgenommen --
sollten es den tendenziösen Borwürfen gegenüber, die dem Offizierkorps immer
wieder gemacht werden, für ihre Pflicht halten, für diesen vortrefflichen Geist
unsrer adlichen Offiziere Zeugnis abzulegen, wo sie können. Daß in einzelnen
Offizierkreisen ausnahmsweise Adelsvorurteile und Adelsnarrheiten herrschen
und gepflegt werdeu, ändert an der Regel nichts, ebensowenig wie der Adels¬
dünkel im Zivilrock das Lob, das das Offizierkorps verdient, beeinträchtigen
kann. Am allerwenigsten kann übrigens davon geredet werden, daß es gerade
die adlichen Offiziere an humanen, rücksichtsvollen Verhalten gegen die Unter¬
offiziere und Mannschaften irgendwie fehlen ließen. Was aber insbesondre
den Vorwurf eines schädlichen Nepotismus betrifft, so ist er in der preußischen
höhern Verwaltnngskarriere -- vom gesamten Snbalterndienst vollends ganz
zu schweigen -- entschieden stärker vorhanden und kann bei dem bestehenden


zur Raison zu bringen, ehe man ihm das Genick bricht, als irgend einem nowo
novus im Offizierrock, dessen Familie keinerlei militärische Traditionen hat,
ist so sehr menschlich, daß wir es sogar für selbstverständlich halten. Es kommt
eben auf das Maß an, auf das „zuviel," das hier, wie es scheint, eine be¬
klagenswerte Rolle gespielt hat. Deshalb allgemein einen besondern Nepotismus
im Offizierkorps oder auch nur die übermäßige Bevorzugung des Adels als
wieder einmal erwiesen hinzustellen, ist einfach Unsinn. Wenn man mit eiuer
gewissen Vorliebe die Söhne der Familien mit militärischen Traditionen als
Offizieraspiranten annimmt — und das werden, wie die Sachen bei uns auch
heute noch liegen, vorwiegend adliche sein —, so ist das nichts andres, als
was in fast allen Beamtenkarrieren geschieht, und eben auch wieder selbst¬
verständlich. Uns ist es jedenfalls viel lieber, als wenn der Geldsack den Aus¬
schlag giebt. Die Familientradition gewährt doch unstreitig eine gewisse
Garantie, so lange die Person selbst sich nicht zu bewähren Zeit gefunden hat,
wie das z. B. auch in den bessern kaufmännischen Kreisen ziemlich allgemein
anerkannt wird. Es muß vor allem danach gefragt werden, erstens ob der
tüchtige bürgerliche Offizier durch Bevorzugung adlicher Kameraden von den
Vorgesetzten im Dienst und in seinem Fortkommen benachteiligt wird, und
zweitens ob er uuter dem Adelsdünkel der Kameraden zu leiden hat. Beides
mußte vor dreißig Jahren auf das entschiedenste bestritten werden, und es liegt
auch kein Anzeichen vor, daß es jetzt wesentlich anders geworden wäre. Im
allgemeinen wird denn doch sowohl der Vorgesetzte, der einen Offizier dienstlich
nur deshalb bevorzugt, weil er adlich ist, wie auch der adliche Kamerad, der auf
den andern nnr deshalb herabsieht, weil er bürgerlich ist, von den Kameraden
überhaupt, den adlichen wie den bürgerlichen, für einen Narren gehalten und
entsprechend behandelt. In keiner preußischen Zivilkarriere geschieht auch nnr
annähernd ein so vollkommner kameradschaftlicher Ausgleich zwischen Adel und
Bürgertum wie im preußischen Offizierkorps. Es gereicht das dem Bildungs-
stand, dem Charakter und der Intelligenz des preußischen Adels in der Armee
zur allergrößten Ehre. Die bürgerlichen Offiziere — auch die Herren von der
Reserve und der Landwehr, die das auch wissen müssen, nicht ausgenommen —
sollten es den tendenziösen Borwürfen gegenüber, die dem Offizierkorps immer
wieder gemacht werden, für ihre Pflicht halten, für diesen vortrefflichen Geist
unsrer adlichen Offiziere Zeugnis abzulegen, wo sie können. Daß in einzelnen
Offizierkreisen ausnahmsweise Adelsvorurteile und Adelsnarrheiten herrschen
und gepflegt werdeu, ändert an der Regel nichts, ebensowenig wie der Adels¬
dünkel im Zivilrock das Lob, das das Offizierkorps verdient, beeinträchtigen
kann. Am allerwenigsten kann übrigens davon geredet werden, daß es gerade
die adlichen Offiziere an humanen, rücksichtsvollen Verhalten gegen die Unter¬
offiziere und Mannschaften irgendwie fehlen ließen. Was aber insbesondre
den Vorwurf eines schädlichen Nepotismus betrifft, so ist er in der preußischen
höhern Verwaltnngskarriere — vom gesamten Snbalterndienst vollends ganz
zu schweigen — entschieden stärker vorhanden und kann bei dem bestehenden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/31>, abgerufen am 01.09.2024.