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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Baedeker

auch in sehr feinen Änderungen der Volksseelen begegnen. Er wird eben des¬
halb den gediegner" Büchern dieser Gattung einen hohen Rang unter den
Quellen zur Kulturgeschichte und Voltsseelcnlehre zuerkennen. Der Franzose, der
in Deutschland mit einem deutschen Reisehandbuch reist, das ihn nie im Stiche
läßt, hat nicht bloß Land und Leute kennen, sondern auch einen eigenartigen
Zweig unsrer geistigen und wirtschaftlichen Arbeit schätzen lernen. Es ist doch
sehr bezeichnend, daß in Frankreich, wo seit einem Menschenalter das Reisen
in die Fremde eine große nationale Angelegenheit geworden ist, der Name
Baedeker die Signatur für alles geworden ist, was praktischer, zuverlässiger
Führer ist. Interessanter Stoff auch für ein Wörterbuch der deutschen Umgangs¬
sprache am Schlüsse des neunzehnten Jahrhunderts! Ein geistreicher Franzose
sagte einmal: Ich glaube, es hat nie einen Baedeker gegeben. Das ist einer
von den Typen, die die Anthropologen aus einer Summe von Profilen kon¬
struieren. Bei unseru Nachbarn ist der Blick für das Charakteristische, be¬
sonders wenn es die leiseste Neigung zur Karikatur zeigt, sehr scharf. Das
"rote Buch" hat als Merkmal einer ansprnchsvollern Klasse von Reisenden seine
Stelle im Sprachschatz gefunden. Der "rote Fleck" auf dein Grau des Pariser
Pflasters und Gemäuers verkündet die Ankunft


I>W Lool", qui "los sonvi 6s" deimtW an c-Iiöniiri,
Veine, 1s i'SMi'ä iriuvt, ot, LasclvKvi' wallt.

Sogar das Zeitwort den^Lköriser ist dort im Gebrauch, -ig N6 Ins ehr-ti xg,L
1s ö"vast<ör an vimorama, sagt der Reiseplauderer, der nus eine eingehende
Schilderung ersparen will. I^o Lasäslcer vlöctor-et ist der Deputierte, der seinem
Provinziellen die Weltausstellung zeigt.

Wir, die wir überzeugt sind, daß die durch das Reisen mitbewirkte
Steigerung und Verfeinerung des Naturgefühls eine gewaltige Wirkung auf
die Schätzung aller Kunst und endgiltig auf die ästhetische Erziehung üben
werde, sind indessen geneigt, Baedeker und Genossen eine noch ganz andre
Bedeutung beizumessen. Sie als praktische Bücher im gewöhnlichen Sinne des
Worts aufzufassen, wäre sicherlich verfehlt. Es sind Bücher von großer er¬
ziehender Wirksamkeit, von deren Gediegenheit in allen Teilen die gute Wirkung
abhängt, deren sie fähig sein können. Auch ihre Weiterentwicklung muß von
hier aus betrachtet werden. Wer sich in leeren Reisestunden um den kunst-
geschichtlichen Einleitungen Anton Springers in die Handbücher für Deutsch¬
land oder an Justis Kapitel über die spanische Kunst in dem Handbuch für
Spanien erfreut hat, oder wer in der Studierstube die von Steindorff meister¬
haft umgearbeitete historische Einleitung zu "Ägypten" beraten hat, dem er¬
scheint wohl die Möglichkeit gegeben, daß eines Tags auch noch manche
geographische und lnndschaftskundliche Hinweise und Erläuterungen zum besten
noch viel zahlreicherer Leser eingeschaltet werden konnten, deren Sinne für
feinere Beziehungen zwischen den Meuscheu und ihrem Boden offen ist. Auch
Naturschönheiten wird man hervorgehoben zu sehen wünschen, die nicht gerade


Baedeker

auch in sehr feinen Änderungen der Volksseelen begegnen. Er wird eben des¬
halb den gediegner» Büchern dieser Gattung einen hohen Rang unter den
Quellen zur Kulturgeschichte und Voltsseelcnlehre zuerkennen. Der Franzose, der
in Deutschland mit einem deutschen Reisehandbuch reist, das ihn nie im Stiche
läßt, hat nicht bloß Land und Leute kennen, sondern auch einen eigenartigen
Zweig unsrer geistigen und wirtschaftlichen Arbeit schätzen lernen. Es ist doch
sehr bezeichnend, daß in Frankreich, wo seit einem Menschenalter das Reisen
in die Fremde eine große nationale Angelegenheit geworden ist, der Name
Baedeker die Signatur für alles geworden ist, was praktischer, zuverlässiger
Führer ist. Interessanter Stoff auch für ein Wörterbuch der deutschen Umgangs¬
sprache am Schlüsse des neunzehnten Jahrhunderts! Ein geistreicher Franzose
sagte einmal: Ich glaube, es hat nie einen Baedeker gegeben. Das ist einer
von den Typen, die die Anthropologen aus einer Summe von Profilen kon¬
struieren. Bei unseru Nachbarn ist der Blick für das Charakteristische, be¬
sonders wenn es die leiseste Neigung zur Karikatur zeigt, sehr scharf. Das
„rote Buch" hat als Merkmal einer ansprnchsvollern Klasse von Reisenden seine
Stelle im Sprachschatz gefunden. Der „rote Fleck" auf dein Grau des Pariser
Pflasters und Gemäuers verkündet die Ankunft


I>W Lool«, qui »los sonvi 6s« deimtW an c-Iiöniiri,
Veine, 1s i'SMi'ä iriuvt, ot, LasclvKvi' wallt.

Sogar das Zeitwort den^Lköriser ist dort im Gebrauch, -ig N6 Ins ehr-ti xg,L
1s ö»vast<ör an vimorama, sagt der Reiseplauderer, der nus eine eingehende
Schilderung ersparen will. I^o Lasäslcer vlöctor-et ist der Deputierte, der seinem
Provinziellen die Weltausstellung zeigt.

Wir, die wir überzeugt sind, daß die durch das Reisen mitbewirkte
Steigerung und Verfeinerung des Naturgefühls eine gewaltige Wirkung auf
die Schätzung aller Kunst und endgiltig auf die ästhetische Erziehung üben
werde, sind indessen geneigt, Baedeker und Genossen eine noch ganz andre
Bedeutung beizumessen. Sie als praktische Bücher im gewöhnlichen Sinne des
Worts aufzufassen, wäre sicherlich verfehlt. Es sind Bücher von großer er¬
ziehender Wirksamkeit, von deren Gediegenheit in allen Teilen die gute Wirkung
abhängt, deren sie fähig sein können. Auch ihre Weiterentwicklung muß von
hier aus betrachtet werden. Wer sich in leeren Reisestunden um den kunst-
geschichtlichen Einleitungen Anton Springers in die Handbücher für Deutsch¬
land oder an Justis Kapitel über die spanische Kunst in dem Handbuch für
Spanien erfreut hat, oder wer in der Studierstube die von Steindorff meister¬
haft umgearbeitete historische Einleitung zu „Ägypten" beraten hat, dem er¬
scheint wohl die Möglichkeit gegeben, daß eines Tags auch noch manche
geographische und lnndschaftskundliche Hinweise und Erläuterungen zum besten
noch viel zahlreicherer Leser eingeschaltet werden konnten, deren Sinne für
feinere Beziehungen zwischen den Meuscheu und ihrem Boden offen ist. Auch
Naturschönheiten wird man hervorgehoben zu sehen wünschen, die nicht gerade


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[0252] Baedeker auch in sehr feinen Änderungen der Volksseelen begegnen. Er wird eben des¬ halb den gediegner» Büchern dieser Gattung einen hohen Rang unter den Quellen zur Kulturgeschichte und Voltsseelcnlehre zuerkennen. Der Franzose, der in Deutschland mit einem deutschen Reisehandbuch reist, das ihn nie im Stiche läßt, hat nicht bloß Land und Leute kennen, sondern auch einen eigenartigen Zweig unsrer geistigen und wirtschaftlichen Arbeit schätzen lernen. Es ist doch sehr bezeichnend, daß in Frankreich, wo seit einem Menschenalter das Reisen in die Fremde eine große nationale Angelegenheit geworden ist, der Name Baedeker die Signatur für alles geworden ist, was praktischer, zuverlässiger Führer ist. Interessanter Stoff auch für ein Wörterbuch der deutschen Umgangs¬ sprache am Schlüsse des neunzehnten Jahrhunderts! Ein geistreicher Franzose sagte einmal: Ich glaube, es hat nie einen Baedeker gegeben. Das ist einer von den Typen, die die Anthropologen aus einer Summe von Profilen kon¬ struieren. Bei unseru Nachbarn ist der Blick für das Charakteristische, be¬ sonders wenn es die leiseste Neigung zur Karikatur zeigt, sehr scharf. Das „rote Buch" hat als Merkmal einer ansprnchsvollern Klasse von Reisenden seine Stelle im Sprachschatz gefunden. Der „rote Fleck" auf dein Grau des Pariser Pflasters und Gemäuers verkündet die Ankunft I>W Lool«, qui »los sonvi 6s« deimtW an c-Iiöniiri, Veine, 1s i'SMi'ä iriuvt, ot, LasclvKvi' wallt. Sogar das Zeitwort den^Lköriser ist dort im Gebrauch, -ig N6 Ins ehr-ti xg,L 1s ö»vast<ör an vimorama, sagt der Reiseplauderer, der nus eine eingehende Schilderung ersparen will. I^o Lasäslcer vlöctor-et ist der Deputierte, der seinem Provinziellen die Weltausstellung zeigt. Wir, die wir überzeugt sind, daß die durch das Reisen mitbewirkte Steigerung und Verfeinerung des Naturgefühls eine gewaltige Wirkung auf die Schätzung aller Kunst und endgiltig auf die ästhetische Erziehung üben werde, sind indessen geneigt, Baedeker und Genossen eine noch ganz andre Bedeutung beizumessen. Sie als praktische Bücher im gewöhnlichen Sinne des Worts aufzufassen, wäre sicherlich verfehlt. Es sind Bücher von großer er¬ ziehender Wirksamkeit, von deren Gediegenheit in allen Teilen die gute Wirkung abhängt, deren sie fähig sein können. Auch ihre Weiterentwicklung muß von hier aus betrachtet werden. Wer sich in leeren Reisestunden um den kunst- geschichtlichen Einleitungen Anton Springers in die Handbücher für Deutsch¬ land oder an Justis Kapitel über die spanische Kunst in dem Handbuch für Spanien erfreut hat, oder wer in der Studierstube die von Steindorff meister¬ haft umgearbeitete historische Einleitung zu „Ägypten" beraten hat, dem er¬ scheint wohl die Möglichkeit gegeben, daß eines Tags auch noch manche geographische und lnndschaftskundliche Hinweise und Erläuterungen zum besten noch viel zahlreicherer Leser eingeschaltet werden konnten, deren Sinne für feinere Beziehungen zwischen den Meuscheu und ihrem Boden offen ist. Auch Naturschönheiten wird man hervorgehoben zu sehen wünschen, die nicht gerade

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/252>, abgerufen am 01.09.2024.