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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Baedeker

beabsichtigten Übersetzung ein durchaus neues Buch geworden." So ist, fügen wir
hinzu, der Ahne der Baedekerschen Reisehandbücher für Deutschland, Österreich-
Ungarn, Süddeutschland, Nordwest- und Nordostdeutschland, Oberitalien 1842
geboren worden. Eine einzige Rcisekarte, aber acht Stadtpläne begleiten das
Buch, dessen äußeres Gewand schon das einfache rotlcinene ist, das seitdem
für die "Baedeker" noch bezeichnender wurde, als es für die "Mnrrays" ge¬
wesen war, die man damals schon in der englischen Litteratur einfach das
"rote Buch" nannte. Die in dem Handbuch für Deutschland und Österreich
befolgten und entwickelten Grundsätze sind noch folgerichtiger in der "Schweiz"
verwirklicht, die erstmals 1844 erschien.

Wenn Baedeker als Grund seiner Loslösung von dem englischen Muster
die anders gearteten Reisegewohnheiten der Engländer anführt, so müssen wir
uns vor allein an die Lebensansprüche der damaligen Deutschen erinnern.
Daß Baedeker billig reisen lehrte und zugleich, was eng damit zusammen¬
hing, die Reisenden von den damals ganz anders als jetzt grassierenden
Lvhndienern und Kurieren unabhängig machte, darin liegt der Grund für
einen großen Teil seines Erfolgs. Wie mancher, der das damals eben
aufstrebende München besuchte, mag Baedeker dankbar gewesen sein für die
Notiz: "Wer weniger Ansprüche macht, wird sich im Stachusgarten und im
Hubergarten vor dem Karlsthor wohl befinden. Beide sind als Bierhäuser
berühmt und haben eigentümliche Einrichtungen." Daß die Ausgabe für ein
gutes Neisehaudbnch oft durch eine einzige Wirtsrechnung gut gemacht wird,
gehört seitdem zu den Lebenserfahrungen des modernen Menschen. Baedekers
Unbestechlichkeit in der Beurteilung der Gasthäuser ist eine seiner wertvollsten
Eigenschaften. In dieser Hinsicht hat sich auch seine Ablehnung der Anzeige- und
Neklamebeilagen glänzend gerechtfertigt. Wenn überhaupt das Verhältnis des
Reisenden zum Wirt und seinen Leuten durch die Verbesserung der Reisehand¬
bücher entschieden gewonnen hat, so haben die bekannten Baedekerschen Sterne,
sowie die lakonischer "gut," "teuer," "billig" usw. in seinen Gasthauslisten nach
beiden Seiten hin erziehend gewirkt. Der Reisende weiß, woran er sich zu
halten hat, ehe er ein Gasthaus betritt, das die eine oder die andre Signatur
trügt, und der Willkür des Wirtes zieht dieses öffentliche Urteil Schranken.
Auch allgemeine Bemerkungen über den durchschnittlichen Zustand der Gast¬
häuser, wie sie jetzt den Reisehandbüchern in der Regel einleitungsweise ein¬
verleibt werden, wirken mit der Zeit heilsam.

Im Jahre 1855 erschien bei Gelegenheit der Weltausstellung der erste
Führer durch Paris. Als Karl Baedeker 1859 starb, war in einer Reihe
von neun Bänden der Typus des "Baedeker" festgestellt. "Italien," das er
noch vorbereitet hatte, erschien bald danach, ebenso "London," wozu einer der
Söhne bei längerm Aufenthalt den Grund gelegt hat. Seitdem ist die Zahl
der Bände in deutscher Sprache auf sechsundzwanzig angewachsen, wozu noch
die französischen und die englischen Ausgaben kommen, deren Verbreitung für
manche Gebiete noch größer geworden ist als die der deutschen.


Baedeker

beabsichtigten Übersetzung ein durchaus neues Buch geworden." So ist, fügen wir
hinzu, der Ahne der Baedekerschen Reisehandbücher für Deutschland, Österreich-
Ungarn, Süddeutschland, Nordwest- und Nordostdeutschland, Oberitalien 1842
geboren worden. Eine einzige Rcisekarte, aber acht Stadtpläne begleiten das
Buch, dessen äußeres Gewand schon das einfache rotlcinene ist, das seitdem
für die „Baedeker" noch bezeichnender wurde, als es für die „Mnrrays" ge¬
wesen war, die man damals schon in der englischen Litteratur einfach das
„rote Buch" nannte. Die in dem Handbuch für Deutschland und Österreich
befolgten und entwickelten Grundsätze sind noch folgerichtiger in der „Schweiz"
verwirklicht, die erstmals 1844 erschien.

Wenn Baedeker als Grund seiner Loslösung von dem englischen Muster
die anders gearteten Reisegewohnheiten der Engländer anführt, so müssen wir
uns vor allein an die Lebensansprüche der damaligen Deutschen erinnern.
Daß Baedeker billig reisen lehrte und zugleich, was eng damit zusammen¬
hing, die Reisenden von den damals ganz anders als jetzt grassierenden
Lvhndienern und Kurieren unabhängig machte, darin liegt der Grund für
einen großen Teil seines Erfolgs. Wie mancher, der das damals eben
aufstrebende München besuchte, mag Baedeker dankbar gewesen sein für die
Notiz: „Wer weniger Ansprüche macht, wird sich im Stachusgarten und im
Hubergarten vor dem Karlsthor wohl befinden. Beide sind als Bierhäuser
berühmt und haben eigentümliche Einrichtungen." Daß die Ausgabe für ein
gutes Neisehaudbnch oft durch eine einzige Wirtsrechnung gut gemacht wird,
gehört seitdem zu den Lebenserfahrungen des modernen Menschen. Baedekers
Unbestechlichkeit in der Beurteilung der Gasthäuser ist eine seiner wertvollsten
Eigenschaften. In dieser Hinsicht hat sich auch seine Ablehnung der Anzeige- und
Neklamebeilagen glänzend gerechtfertigt. Wenn überhaupt das Verhältnis des
Reisenden zum Wirt und seinen Leuten durch die Verbesserung der Reisehand¬
bücher entschieden gewonnen hat, so haben die bekannten Baedekerschen Sterne,
sowie die lakonischer „gut," „teuer," „billig" usw. in seinen Gasthauslisten nach
beiden Seiten hin erziehend gewirkt. Der Reisende weiß, woran er sich zu
halten hat, ehe er ein Gasthaus betritt, das die eine oder die andre Signatur
trügt, und der Willkür des Wirtes zieht dieses öffentliche Urteil Schranken.
Auch allgemeine Bemerkungen über den durchschnittlichen Zustand der Gast¬
häuser, wie sie jetzt den Reisehandbüchern in der Regel einleitungsweise ein¬
verleibt werden, wirken mit der Zeit heilsam.

Im Jahre 1855 erschien bei Gelegenheit der Weltausstellung der erste
Führer durch Paris. Als Karl Baedeker 1859 starb, war in einer Reihe
von neun Bänden der Typus des „Baedeker" festgestellt. „Italien," das er
noch vorbereitet hatte, erschien bald danach, ebenso „London," wozu einer der
Söhne bei längerm Aufenthalt den Grund gelegt hat. Seitdem ist die Zahl
der Bände in deutscher Sprache auf sechsundzwanzig angewachsen, wozu noch
die französischen und die englischen Ausgaben kommen, deren Verbreitung für
manche Gebiete noch größer geworden ist als die der deutschen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/248>, abgerufen am 01.09.2024.