Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Baedeker

einen Reiseführer bloß mit gesundem Menschenverstand als einen lyrischen
Schwätzer und Anekdoten krainer!




Der junge Karl Baedeker, der einer alten westfälischen Bnchdruckerfamilie
entstammte, gründete 1827 in Koblenz eine eigne Buchhandlung, nachdem er
bei Winter in Heidelberg und Reimer in Berlin in die Lehre gegangen war,
auch akademische Vorlesungen besucht hatte. Reisen durch Deutschland und
Österreich erweiterten seinen Blick. Das war in der Zeit des aufblühenden
Nheinverkehrs. Die Rheinreise nahm damals eine ganz besondre Stelle neben
der schon früher in Aufnahme gekommnen Schweizer- und italienischen Reise
ein. Der romantische Duft, den die Litteratur und die Kunst der vorangehenden
Jahrzehnte über den alten Rhein ausbreitete, schwebte noch lange, als die
Romantik aus dem Denken und Fühlen der Menschen schon zu schwinden be¬
gann, über den Bergen und Domen, den berühmten großen und den kleinen, fast
erst noch zu entdeckenden Städten des Rheinlandes. Besonders der Mittelrhein
lag wie eine romantische Oase in dem Leben der dreißiger Jahre, wo sich neue
politische Bestrebungen mit den Anfängen einer großen industriellen und Ver¬
kehrsentwicklung begegneten. Die glückliche Lage, das milde Klima, gastliche
Eigenschaften des Volkes und nicht zuletzt der goldne Wein thaten das ihre,
um Reisende aus allen Ländern an den Rhein zu ziehn. Wo man aber früher
auf Marktschiffen reiste, sausten jetzt die Dampfer thalaus thalab, und an die
Stelle der fabulierenden Reiseführer traten Führer für "Schnellreisende," die
ihren Vorgängern mindestens darin überlegen waren, daß sie sich der Kürze
befleißigten. In den Händen der englischen Reisenden, deren Zahl auf dein
Kontinent gerade um diese Zeit ungemein gewachsen war, sah man aber damals
zum erstenmal rot eingebundne Bücher, deren praktische Einteilung und kurze,
klare Diktion bei großer Reichhaltigkeit den deutschen Reisehandbüchern ebenso
überlegen war, wie die praktische Neuausrüstung des eben seit damals sprich¬
wörtlichen "reisenden Engländers."

Eines der ersten Bücher, die Karl Baedeker für seinen jungen Verlag
erwarb, war die 1828 zuerst erschienene Kleinsche "Rheinreise von Mainz bis
Köln. Handbuch für Schuellreisende." In der vom Verleger selbst bearbeiteten
dritten Auflage von 1839 zeigt es sehr klar den Übergang aus dem alten
Reiseführer zum neuen "Baedeker." Der gelbe Umschlag des Buches, das etwas
kleiner ist als das "Baedekcrformat," ist nach Auswahl und Geschmack so zeit¬
gemäß wie möglich. Neben dem preußischen Adler die Wappen von Bayern
und Baden, darunter die Hessens und Nassaus, unter die Romantik des Rheins
verkörpert durch einen geharnischten Ritter und ein harfenspiclcndes Edelfräulein,
jener in der dem Buche beigegebuen Erklärung als Grenzwächter und Sage
gedeutet, dazwischen Ausblicke auf die "vier schönsten Punkte am Rhein":
Stolzenfels, Niederwald, Drachenfels, Ehrenbreitstein. Auf der Rückseite bieten
freundliche Landmädchen aus der Gegend von Mainz, Koblenz, Wiesbaden und


Baedeker

einen Reiseführer bloß mit gesundem Menschenverstand als einen lyrischen
Schwätzer und Anekdoten krainer!




Der junge Karl Baedeker, der einer alten westfälischen Bnchdruckerfamilie
entstammte, gründete 1827 in Koblenz eine eigne Buchhandlung, nachdem er
bei Winter in Heidelberg und Reimer in Berlin in die Lehre gegangen war,
auch akademische Vorlesungen besucht hatte. Reisen durch Deutschland und
Österreich erweiterten seinen Blick. Das war in der Zeit des aufblühenden
Nheinverkehrs. Die Rheinreise nahm damals eine ganz besondre Stelle neben
der schon früher in Aufnahme gekommnen Schweizer- und italienischen Reise
ein. Der romantische Duft, den die Litteratur und die Kunst der vorangehenden
Jahrzehnte über den alten Rhein ausbreitete, schwebte noch lange, als die
Romantik aus dem Denken und Fühlen der Menschen schon zu schwinden be¬
gann, über den Bergen und Domen, den berühmten großen und den kleinen, fast
erst noch zu entdeckenden Städten des Rheinlandes. Besonders der Mittelrhein
lag wie eine romantische Oase in dem Leben der dreißiger Jahre, wo sich neue
politische Bestrebungen mit den Anfängen einer großen industriellen und Ver¬
kehrsentwicklung begegneten. Die glückliche Lage, das milde Klima, gastliche
Eigenschaften des Volkes und nicht zuletzt der goldne Wein thaten das ihre,
um Reisende aus allen Ländern an den Rhein zu ziehn. Wo man aber früher
auf Marktschiffen reiste, sausten jetzt die Dampfer thalaus thalab, und an die
Stelle der fabulierenden Reiseführer traten Führer für „Schnellreisende," die
ihren Vorgängern mindestens darin überlegen waren, daß sie sich der Kürze
befleißigten. In den Händen der englischen Reisenden, deren Zahl auf dein
Kontinent gerade um diese Zeit ungemein gewachsen war, sah man aber damals
zum erstenmal rot eingebundne Bücher, deren praktische Einteilung und kurze,
klare Diktion bei großer Reichhaltigkeit den deutschen Reisehandbüchern ebenso
überlegen war, wie die praktische Neuausrüstung des eben seit damals sprich¬
wörtlichen „reisenden Engländers."

Eines der ersten Bücher, die Karl Baedeker für seinen jungen Verlag
erwarb, war die 1828 zuerst erschienene Kleinsche „Rheinreise von Mainz bis
Köln. Handbuch für Schuellreisende." In der vom Verleger selbst bearbeiteten
dritten Auflage von 1839 zeigt es sehr klar den Übergang aus dem alten
Reiseführer zum neuen „Baedeker." Der gelbe Umschlag des Buches, das etwas
kleiner ist als das „Baedekcrformat," ist nach Auswahl und Geschmack so zeit¬
gemäß wie möglich. Neben dem preußischen Adler die Wappen von Bayern
und Baden, darunter die Hessens und Nassaus, unter die Romantik des Rheins
verkörpert durch einen geharnischten Ritter und ein harfenspiclcndes Edelfräulein,
jener in der dem Buche beigegebuen Erklärung als Grenzwächter und Sage
gedeutet, dazwischen Ausblicke auf die „vier schönsten Punkte am Rhein":
Stolzenfels, Niederwald, Drachenfels, Ehrenbreitstein. Auf der Rückseite bieten
freundliche Landmädchen aus der Gegend von Mainz, Koblenz, Wiesbaden und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0246" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236068"/>
          <fw type="header" place="top"> Baedeker</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_964" prev="#ID_963"> einen Reiseführer bloß mit gesundem Menschenverstand als einen lyrischen<lb/>
Schwätzer und Anekdoten krainer!</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_965"> Der junge Karl Baedeker, der einer alten westfälischen Bnchdruckerfamilie<lb/>
entstammte, gründete 1827 in Koblenz eine eigne Buchhandlung, nachdem er<lb/>
bei Winter in Heidelberg und Reimer in Berlin in die Lehre gegangen war,<lb/>
auch akademische Vorlesungen besucht hatte. Reisen durch Deutschland und<lb/>
Österreich erweiterten seinen Blick. Das war in der Zeit des aufblühenden<lb/>
Nheinverkehrs. Die Rheinreise nahm damals eine ganz besondre Stelle neben<lb/>
der schon früher in Aufnahme gekommnen Schweizer- und italienischen Reise<lb/>
ein. Der romantische Duft, den die Litteratur und die Kunst der vorangehenden<lb/>
Jahrzehnte über den alten Rhein ausbreitete, schwebte noch lange, als die<lb/>
Romantik aus dem Denken und Fühlen der Menschen schon zu schwinden be¬<lb/>
gann, über den Bergen und Domen, den berühmten großen und den kleinen, fast<lb/>
erst noch zu entdeckenden Städten des Rheinlandes. Besonders der Mittelrhein<lb/>
lag wie eine romantische Oase in dem Leben der dreißiger Jahre, wo sich neue<lb/>
politische Bestrebungen mit den Anfängen einer großen industriellen und Ver¬<lb/>
kehrsentwicklung begegneten. Die glückliche Lage, das milde Klima, gastliche<lb/>
Eigenschaften des Volkes und nicht zuletzt der goldne Wein thaten das ihre,<lb/>
um Reisende aus allen Ländern an den Rhein zu ziehn. Wo man aber früher<lb/>
auf Marktschiffen reiste, sausten jetzt die Dampfer thalaus thalab, und an die<lb/>
Stelle der fabulierenden Reiseführer traten Führer für &#x201E;Schnellreisende," die<lb/>
ihren Vorgängern mindestens darin überlegen waren, daß sie sich der Kürze<lb/>
befleißigten. In den Händen der englischen Reisenden, deren Zahl auf dein<lb/>
Kontinent gerade um diese Zeit ungemein gewachsen war, sah man aber damals<lb/>
zum erstenmal rot eingebundne Bücher, deren praktische Einteilung und kurze,<lb/>
klare Diktion bei großer Reichhaltigkeit den deutschen Reisehandbüchern ebenso<lb/>
überlegen war, wie die praktische Neuausrüstung des eben seit damals sprich¬<lb/>
wörtlichen &#x201E;reisenden Engländers."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_966" next="#ID_967"> Eines der ersten Bücher, die Karl Baedeker für seinen jungen Verlag<lb/>
erwarb, war die 1828 zuerst erschienene Kleinsche &#x201E;Rheinreise von Mainz bis<lb/>
Köln. Handbuch für Schuellreisende." In der vom Verleger selbst bearbeiteten<lb/>
dritten Auflage von 1839 zeigt es sehr klar den Übergang aus dem alten<lb/>
Reiseführer zum neuen &#x201E;Baedeker." Der gelbe Umschlag des Buches, das etwas<lb/>
kleiner ist als das &#x201E;Baedekcrformat," ist nach Auswahl und Geschmack so zeit¬<lb/>
gemäß wie möglich. Neben dem preußischen Adler die Wappen von Bayern<lb/>
und Baden, darunter die Hessens und Nassaus, unter die Romantik des Rheins<lb/>
verkörpert durch einen geharnischten Ritter und ein harfenspiclcndes Edelfräulein,<lb/>
jener in der dem Buche beigegebuen Erklärung als Grenzwächter und Sage<lb/>
gedeutet, dazwischen Ausblicke auf die &#x201E;vier schönsten Punkte am Rhein":<lb/>
Stolzenfels, Niederwald, Drachenfels, Ehrenbreitstein. Auf der Rückseite bieten<lb/>
freundliche Landmädchen aus der Gegend von Mainz, Koblenz, Wiesbaden und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0246] Baedeker einen Reiseführer bloß mit gesundem Menschenverstand als einen lyrischen Schwätzer und Anekdoten krainer! Der junge Karl Baedeker, der einer alten westfälischen Bnchdruckerfamilie entstammte, gründete 1827 in Koblenz eine eigne Buchhandlung, nachdem er bei Winter in Heidelberg und Reimer in Berlin in die Lehre gegangen war, auch akademische Vorlesungen besucht hatte. Reisen durch Deutschland und Österreich erweiterten seinen Blick. Das war in der Zeit des aufblühenden Nheinverkehrs. Die Rheinreise nahm damals eine ganz besondre Stelle neben der schon früher in Aufnahme gekommnen Schweizer- und italienischen Reise ein. Der romantische Duft, den die Litteratur und die Kunst der vorangehenden Jahrzehnte über den alten Rhein ausbreitete, schwebte noch lange, als die Romantik aus dem Denken und Fühlen der Menschen schon zu schwinden be¬ gann, über den Bergen und Domen, den berühmten großen und den kleinen, fast erst noch zu entdeckenden Städten des Rheinlandes. Besonders der Mittelrhein lag wie eine romantische Oase in dem Leben der dreißiger Jahre, wo sich neue politische Bestrebungen mit den Anfängen einer großen industriellen und Ver¬ kehrsentwicklung begegneten. Die glückliche Lage, das milde Klima, gastliche Eigenschaften des Volkes und nicht zuletzt der goldne Wein thaten das ihre, um Reisende aus allen Ländern an den Rhein zu ziehn. Wo man aber früher auf Marktschiffen reiste, sausten jetzt die Dampfer thalaus thalab, und an die Stelle der fabulierenden Reiseführer traten Führer für „Schnellreisende," die ihren Vorgängern mindestens darin überlegen waren, daß sie sich der Kürze befleißigten. In den Händen der englischen Reisenden, deren Zahl auf dein Kontinent gerade um diese Zeit ungemein gewachsen war, sah man aber damals zum erstenmal rot eingebundne Bücher, deren praktische Einteilung und kurze, klare Diktion bei großer Reichhaltigkeit den deutschen Reisehandbüchern ebenso überlegen war, wie die praktische Neuausrüstung des eben seit damals sprich¬ wörtlichen „reisenden Engländers." Eines der ersten Bücher, die Karl Baedeker für seinen jungen Verlag erwarb, war die 1828 zuerst erschienene Kleinsche „Rheinreise von Mainz bis Köln. Handbuch für Schuellreisende." In der vom Verleger selbst bearbeiteten dritten Auflage von 1839 zeigt es sehr klar den Übergang aus dem alten Reiseführer zum neuen „Baedeker." Der gelbe Umschlag des Buches, das etwas kleiner ist als das „Baedekcrformat," ist nach Auswahl und Geschmack so zeit¬ gemäß wie möglich. Neben dem preußischen Adler die Wappen von Bayern und Baden, darunter die Hessens und Nassaus, unter die Romantik des Rheins verkörpert durch einen geharnischten Ritter und ein harfenspiclcndes Edelfräulein, jener in der dem Buche beigegebuen Erklärung als Grenzwächter und Sage gedeutet, dazwischen Ausblicke auf die „vier schönsten Punkte am Rhein": Stolzenfels, Niederwald, Drachenfels, Ehrenbreitstein. Auf der Rückseite bieten freundliche Landmädchen aus der Gegend von Mainz, Koblenz, Wiesbaden und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/246
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/246>, abgerufen am 01.09.2024.