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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Der Kampf um den Zolltarif

gesetzes wieder entfernt wird. Wir werden aus ihn noch zurückkommen, wobei
namentlich zu untersuchen sein wird, wie er überhaupt in den Entwurf vom
26. Juli hineinkommen konnte. Heute muß noch etwas andres ins rechte Licht
gerückt werden.

In den politischen Kreisen Berlins wird neuerdings die Unvermeidlichkeit
des Rücktritts des Grafen Bülow mit großer Beflissenheit kolportiert, und
zwar ausdrücklich in Verbindung mit der Behauptung, daß er sich durch seine
den Agrariern gemachten Zusagen viel zu sehr festgelegt habe, als daß er die
Politik des Kaisers dem Reichstage gegenüber vertreten könne. Der Zweck,
den man damit verfolgt, liegt klar zu Tage. Nichts könnte der bekannten
jungbismarckischcn Fronde gerade jetzt eine so wertvolle Erhöhung ihres Prestige
vor den Massen verschaffen, als ein solcher Bruch zwischen dem Kaiser und
dem Kanzler. Graf Bülow soll als der vollwichtigste Zeuge ausgespielt werden
gegen die Politik des Monarchen; so glauben die Herren endlich ein wirksames
"Schach dem König!" bieten zu können. Der Weg ist diesem Jntriguen-
spiel im Frühjahr dieses Jahres in einem in den Grenzboten besprochnen, *)
ersichtlich von führender Stelle ausgehenden Artikel der "Hamburger Nach¬
richten" gewiesen worden. Unter dem Vorgeben, den Grafen Bülow vor
ganz ungeheuerlichen gegen ihn geschmiedeten Ränken, die namentlich vom
Zivilkabinett ausgehn sollten, zu schützen, wurde ihm damals schon dringend
geraten, den etwa von dem Kaiser an ihn gerichteten Wünschen entgegen nur
ja seinen den Agrariern gegebnen Versprechungen treu zu bleiben, weil er sich
sonst zum toten Mann machen würde. Auf diesem Wege soll, wie es scheint,
jetzt der entscheidende Vorstoß gemacht werden.

Die Berliner Demokratie, mit den Sozialdemokraten dabei ein Herz und
eine Seele, ist natürlich wieder dumm genug, den junkerlichen Ränkeschmieden
bereitwilligst Vorspann zu leisten. Geht doch die Spitze immer gegen den
Kaiser. Die Streichung des "Unsinns" der Minimalsätze im Tarifgesetz durch
den Bundesrat wäre ihnen auch schon deshalb sehr unbequem, weil sie ihnen
den einzig plausibeln Grund zur Obstruktion im Reichstage raubte, von der
sie im Parteiinteresse so viel erwarten. Deshalb schreien sie jetzt fast noch
lauter als die Fronde: Graf Bülow hat sich gebunden auch in Bezug aus die
Minimalsütze!

Wir können den Lauf des Spiels ruhig abwarten. Niemand kann zwei
Herren dienen. Das ist eine sehr alte Wahrheit. Aber Graf Bülow weiß doch,
Gott sei Dank, wem er zu dienen hat, der Fronde oder dem Kaiser.





Heft 19 und 21 vom 9. und 23. Mai.
Der Kampf um den Zolltarif

gesetzes wieder entfernt wird. Wir werden aus ihn noch zurückkommen, wobei
namentlich zu untersuchen sein wird, wie er überhaupt in den Entwurf vom
26. Juli hineinkommen konnte. Heute muß noch etwas andres ins rechte Licht
gerückt werden.

In den politischen Kreisen Berlins wird neuerdings die Unvermeidlichkeit
des Rücktritts des Grafen Bülow mit großer Beflissenheit kolportiert, und
zwar ausdrücklich in Verbindung mit der Behauptung, daß er sich durch seine
den Agrariern gemachten Zusagen viel zu sehr festgelegt habe, als daß er die
Politik des Kaisers dem Reichstage gegenüber vertreten könne. Der Zweck,
den man damit verfolgt, liegt klar zu Tage. Nichts könnte der bekannten
jungbismarckischcn Fronde gerade jetzt eine so wertvolle Erhöhung ihres Prestige
vor den Massen verschaffen, als ein solcher Bruch zwischen dem Kaiser und
dem Kanzler. Graf Bülow soll als der vollwichtigste Zeuge ausgespielt werden
gegen die Politik des Monarchen; so glauben die Herren endlich ein wirksames
„Schach dem König!" bieten zu können. Der Weg ist diesem Jntriguen-
spiel im Frühjahr dieses Jahres in einem in den Grenzboten besprochnen, *)
ersichtlich von führender Stelle ausgehenden Artikel der „Hamburger Nach¬
richten" gewiesen worden. Unter dem Vorgeben, den Grafen Bülow vor
ganz ungeheuerlichen gegen ihn geschmiedeten Ränken, die namentlich vom
Zivilkabinett ausgehn sollten, zu schützen, wurde ihm damals schon dringend
geraten, den etwa von dem Kaiser an ihn gerichteten Wünschen entgegen nur
ja seinen den Agrariern gegebnen Versprechungen treu zu bleiben, weil er sich
sonst zum toten Mann machen würde. Auf diesem Wege soll, wie es scheint,
jetzt der entscheidende Vorstoß gemacht werden.

Die Berliner Demokratie, mit den Sozialdemokraten dabei ein Herz und
eine Seele, ist natürlich wieder dumm genug, den junkerlichen Ränkeschmieden
bereitwilligst Vorspann zu leisten. Geht doch die Spitze immer gegen den
Kaiser. Die Streichung des „Unsinns" der Minimalsätze im Tarifgesetz durch
den Bundesrat wäre ihnen auch schon deshalb sehr unbequem, weil sie ihnen
den einzig plausibeln Grund zur Obstruktion im Reichstage raubte, von der
sie im Parteiinteresse so viel erwarten. Deshalb schreien sie jetzt fast noch
lauter als die Fronde: Graf Bülow hat sich gebunden auch in Bezug aus die
Minimalsütze!

Wir können den Lauf des Spiels ruhig abwarten. Niemand kann zwei
Herren dienen. Das ist eine sehr alte Wahrheit. Aber Graf Bülow weiß doch,
Gott sei Dank, wem er zu dienen hat, der Fronde oder dem Kaiser.





Heft 19 und 21 vom 9. und 23. Mai.
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[0020] Der Kampf um den Zolltarif gesetzes wieder entfernt wird. Wir werden aus ihn noch zurückkommen, wobei namentlich zu untersuchen sein wird, wie er überhaupt in den Entwurf vom 26. Juli hineinkommen konnte. Heute muß noch etwas andres ins rechte Licht gerückt werden. In den politischen Kreisen Berlins wird neuerdings die Unvermeidlichkeit des Rücktritts des Grafen Bülow mit großer Beflissenheit kolportiert, und zwar ausdrücklich in Verbindung mit der Behauptung, daß er sich durch seine den Agrariern gemachten Zusagen viel zu sehr festgelegt habe, als daß er die Politik des Kaisers dem Reichstage gegenüber vertreten könne. Der Zweck, den man damit verfolgt, liegt klar zu Tage. Nichts könnte der bekannten jungbismarckischcn Fronde gerade jetzt eine so wertvolle Erhöhung ihres Prestige vor den Massen verschaffen, als ein solcher Bruch zwischen dem Kaiser und dem Kanzler. Graf Bülow soll als der vollwichtigste Zeuge ausgespielt werden gegen die Politik des Monarchen; so glauben die Herren endlich ein wirksames „Schach dem König!" bieten zu können. Der Weg ist diesem Jntriguen- spiel im Frühjahr dieses Jahres in einem in den Grenzboten besprochnen, *) ersichtlich von führender Stelle ausgehenden Artikel der „Hamburger Nach¬ richten" gewiesen worden. Unter dem Vorgeben, den Grafen Bülow vor ganz ungeheuerlichen gegen ihn geschmiedeten Ränken, die namentlich vom Zivilkabinett ausgehn sollten, zu schützen, wurde ihm damals schon dringend geraten, den etwa von dem Kaiser an ihn gerichteten Wünschen entgegen nur ja seinen den Agrariern gegebnen Versprechungen treu zu bleiben, weil er sich sonst zum toten Mann machen würde. Auf diesem Wege soll, wie es scheint, jetzt der entscheidende Vorstoß gemacht werden. Die Berliner Demokratie, mit den Sozialdemokraten dabei ein Herz und eine Seele, ist natürlich wieder dumm genug, den junkerlichen Ränkeschmieden bereitwilligst Vorspann zu leisten. Geht doch die Spitze immer gegen den Kaiser. Die Streichung des „Unsinns" der Minimalsätze im Tarifgesetz durch den Bundesrat wäre ihnen auch schon deshalb sehr unbequem, weil sie ihnen den einzig plausibeln Grund zur Obstruktion im Reichstage raubte, von der sie im Parteiinteresse so viel erwarten. Deshalb schreien sie jetzt fast noch lauter als die Fronde: Graf Bülow hat sich gebunden auch in Bezug aus die Minimalsütze! Wir können den Lauf des Spiels ruhig abwarten. Niemand kann zwei Herren dienen. Das ist eine sehr alte Wahrheit. Aber Graf Bülow weiß doch, Gott sei Dank, wem er zu dienen hat, der Fronde oder dem Kaiser. Heft 19 und 21 vom 9. und 23. Mai.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/20>, abgerufen am 28.07.2024.