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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Der Kampf um den Zolltarif

haben. Und vor allem: der Notstand, den wir nicht leugnen, wird dem: doch
von den landwirtschaftlichen Interessenvertretungen viel zu sehr verallgemeinert
und arg übertrieben. Soll die Regierung sich etwa aus Respekt vor der
vstelbischen Junkerschaft, die die Führung der Opposition übernommen hat,
gegen alles das blind und taub stellen? Dazu kommt uun aber doch noch
die vom Reichskanzler, wie schon erwähnt, am 5. März mit Recht betonte
Rücksicht auf die Lebenshaltung der Arbeiter, der sich die verbündeten Re¬
gierungen unter keinen Umstünden entschlagen dürfen und entschlagen werden,
mag das Geschrei der freihändlerischen Agitation über den angeblichen "Brot¬
wucher," der in jeder Erhöhung der Getreidezölle, ja überhaupt in jedem Ge¬
treidezoll liegen soll, noch so albern und übertrieben sein. An alles das, und
alles, was damit zusammenhangt, wollen wir heute nur kurz erinnern.

Muß danach aber schon die Frage nach der "ausreichenden" eigentlich
in die Frage nach der unvermeidlichen und vor allem nach der "zulässigen"
Getreidezollhöhe von einer das dauernde Gesamtinteresse der nationalen
Volkswirtschaft ins Auge fassenden Negierung abgeändert werden, so ist
es doch vollends ein starkes Stück, wenn angesichts der heutigen Weltlage
und der Stellung des Reichs in ihr den verantwortlichen Leitern der Reichs¬
politik jetzt von den Agrariern zugemutet wird, die so dringend notwendige
Ausdehnung unsrer Erwerbssphüre durch Fortsetzung und Verbesserung der
deutschen Handelsvertragspolitik im Vergleich mit der Abmessung der Mindest¬
höhe der Getreidezölle im Zolltarifgesetz einfach und vollständig als cjMntitö
iisAliAsa,l>l6 zu behandeln. Wer sich vergegenwärtigt, was der Kaiser selbst
seit Jahren vor der Öffentlichkeit mit dem größten Nachdruck immer und
immer wieder über die friedliche Weltpolitik Deutschlands gesagt hat, wer
sich daran erinnert, wie der Reichskanzler bei seinein ersten Eintreten für die
Flottenvermehrung und seitdem wiederholt in überzeugter und überzeugender
Weise die Notwendigkeit der wirtschaftlichen Expansion begründet hat, wer an
die fast endlose Reihe von praktischen Staatsmännern und wissenschaftlichen
Nationalökonomen im Deutschen Reiche denkt, die in allen Tonarten während
der doppelten Flottcnkmnvagne darin dem Kaiser und dem Kanzler zugestimmt
haben, der muß es geradezu für unbegreiflich halten, wie jetzt auf der ganzen
agrarischen Linie die helle Entrüstung darüber fingiert werden kann, daß dem
Zustandekommen von Handelsverträgen, wie sie im Interesse unsrer Export-
industrie und unsers gesamten Auslandsgeschäfts dringend nötig sind, vom
Kaiser, von den Verbündeten Regierungen und auch vom Reichskanzler die aller¬
größte Bedeutung beigemessen wird. Das führende Blatt der Agrarier giebt jetzt
für diesen Entrüstungsschwindel die bezeichnende Parole aus, indem es aus¬
ruft: "Es ist dem Reichskanzler nicht eingefallen, die Zollerhöhnng nur unter
der Bedingung in Aussicht zu stellen, daß Handelsverträge abgeschlossen werden
können," und behauptet, jetzt werde der Landwirtschaft beigebracht, "daß alle
Zusicherungen, die damals absolut und bedingungslos gemacht wurden, nur
für den Fall gedacht sind und gelten sollen, daß der Abschluß von Handels-


Der Kampf um den Zolltarif

haben. Und vor allem: der Notstand, den wir nicht leugnen, wird dem: doch
von den landwirtschaftlichen Interessenvertretungen viel zu sehr verallgemeinert
und arg übertrieben. Soll die Regierung sich etwa aus Respekt vor der
vstelbischen Junkerschaft, die die Führung der Opposition übernommen hat,
gegen alles das blind und taub stellen? Dazu kommt uun aber doch noch
die vom Reichskanzler, wie schon erwähnt, am 5. März mit Recht betonte
Rücksicht auf die Lebenshaltung der Arbeiter, der sich die verbündeten Re¬
gierungen unter keinen Umstünden entschlagen dürfen und entschlagen werden,
mag das Geschrei der freihändlerischen Agitation über den angeblichen „Brot¬
wucher," der in jeder Erhöhung der Getreidezölle, ja überhaupt in jedem Ge¬
treidezoll liegen soll, noch so albern und übertrieben sein. An alles das, und
alles, was damit zusammenhangt, wollen wir heute nur kurz erinnern.

Muß danach aber schon die Frage nach der „ausreichenden" eigentlich
in die Frage nach der unvermeidlichen und vor allem nach der „zulässigen"
Getreidezollhöhe von einer das dauernde Gesamtinteresse der nationalen
Volkswirtschaft ins Auge fassenden Negierung abgeändert werden, so ist
es doch vollends ein starkes Stück, wenn angesichts der heutigen Weltlage
und der Stellung des Reichs in ihr den verantwortlichen Leitern der Reichs¬
politik jetzt von den Agrariern zugemutet wird, die so dringend notwendige
Ausdehnung unsrer Erwerbssphüre durch Fortsetzung und Verbesserung der
deutschen Handelsvertragspolitik im Vergleich mit der Abmessung der Mindest¬
höhe der Getreidezölle im Zolltarifgesetz einfach und vollständig als cjMntitö
iisAliAsa,l>l6 zu behandeln. Wer sich vergegenwärtigt, was der Kaiser selbst
seit Jahren vor der Öffentlichkeit mit dem größten Nachdruck immer und
immer wieder über die friedliche Weltpolitik Deutschlands gesagt hat, wer
sich daran erinnert, wie der Reichskanzler bei seinein ersten Eintreten für die
Flottenvermehrung und seitdem wiederholt in überzeugter und überzeugender
Weise die Notwendigkeit der wirtschaftlichen Expansion begründet hat, wer an
die fast endlose Reihe von praktischen Staatsmännern und wissenschaftlichen
Nationalökonomen im Deutschen Reiche denkt, die in allen Tonarten während
der doppelten Flottcnkmnvagne darin dem Kaiser und dem Kanzler zugestimmt
haben, der muß es geradezu für unbegreiflich halten, wie jetzt auf der ganzen
agrarischen Linie die helle Entrüstung darüber fingiert werden kann, daß dem
Zustandekommen von Handelsverträgen, wie sie im Interesse unsrer Export-
industrie und unsers gesamten Auslandsgeschäfts dringend nötig sind, vom
Kaiser, von den Verbündeten Regierungen und auch vom Reichskanzler die aller¬
größte Bedeutung beigemessen wird. Das führende Blatt der Agrarier giebt jetzt
für diesen Entrüstungsschwindel die bezeichnende Parole aus, indem es aus¬
ruft: „Es ist dem Reichskanzler nicht eingefallen, die Zollerhöhnng nur unter
der Bedingung in Aussicht zu stellen, daß Handelsverträge abgeschlossen werden
können," und behauptet, jetzt werde der Landwirtschaft beigebracht, „daß alle
Zusicherungen, die damals absolut und bedingungslos gemacht wurden, nur
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/18>, abgerufen am 28.07.2024.