Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.Auf der Alm bin ich gewesen! O Karl, deine lieben, lieben Auge"! Ach könnte ich hineinsehen, Der Regen rauschte auf das Dach der Hütte; von fern her hörte sie deutlich Ich muß den geneigten Leser jetzt bitten, Hanna mit ihrem Gewissenswurm Natürlich hatte Harras Flucht großes Erstaunen und auch etwas Unruhe bei Da ist sie mir wirklich mit dem Davonlaufen zuvorgekommen, sagte Karl. Als der dann kam und die Neuigkeit erfuhr, nachdem er sich am Frühstücks- Karl gestand, daß er denselben Gedanken gehabt habe und im Begriff ge¬ O Gott ja, sagte Mama Müller, es kann doch dem leichtsinnigen Kind auch Ach was, Passieren! rief der Geheimrat ganz böse. Ich bitte ganz gehorsamst Auf der Alm bin ich gewesen! O Karl, deine lieben, lieben Auge»! Ach könnte ich hineinsehen, Der Regen rauschte auf das Dach der Hütte; von fern her hörte sie deutlich Ich muß den geneigten Leser jetzt bitten, Hanna mit ihrem Gewissenswurm Natürlich hatte Harras Flucht großes Erstaunen und auch etwas Unruhe bei Da ist sie mir wirklich mit dem Davonlaufen zuvorgekommen, sagte Karl. Als der dann kam und die Neuigkeit erfuhr, nachdem er sich am Frühstücks- Karl gestand, daß er denselben Gedanken gehabt habe und im Begriff ge¬ O Gott ja, sagte Mama Müller, es kann doch dem leichtsinnigen Kind auch Ach was, Passieren! rief der Geheimrat ganz böse. Ich bitte ganz gehorsamst <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0162" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/235984"/> <fw type="header" place="top"> Auf der Alm</fw><lb/> <p xml:id="ID_601" prev="#ID_600"> bin ich gewesen! O Karl, deine lieben, lieben Auge»! Ach könnte ich hineinsehen,<lb/> könnte ich mich an dich schmiegen! In deine lieben, starken Arme! Aber ich habe<lb/> dich Von mir gestoßen, und du wendest dich von mir ab. Weit, weit weg — sie<lb/> biß in das Tuch, in das sie sich gehüllt hatte, um nicht in lautes Schluchzen aus-<lb/> zubrechen. Ihr Herz schmerzte sie, daß sie die Hand darauf pressen mußte. Sie<lb/> wollte sich zum Schlafen zwingen und redete sich vor, daß es ja thöricht sei, es<lb/> sei ja gar nicht so schlimm, und morgen werde alles gut sein. Aber dann sah sie<lb/> ihn, wie er einsam ans der Landstraße wanderte, mit dem bittern Ausdruck im<lb/> Gesicht, wie gestern abend. „Ich werde dir aus dem Wege gehn!" Und wieder<lb/> starrte sie mit offnen Augen in die Nacht.</p><lb/> <p xml:id="ID_602"> Der Regen rauschte auf das Dach der Hütte; von fern her hörte sie deutlich<lb/> das Dröhnen des Bachs. Ab und zu brummte eine Kuh drüben im Stall - und<lb/> wenn es doch Tag würde!--</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p xml:id="ID_603"> Ich muß den geneigten Leser jetzt bitten, Hanna mit ihrem Gewissenswurm<lb/> allem zu lassen, und trotz des heillosen Wetters mit mir den Weg in die Ramsau<lb/> zurückzulegen, denn es ist notwendig, daß wir erfahren, was sich dort inzwischen<lb/> zugetragen hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_604"> Natürlich hatte Harras Flucht großes Erstaunen und auch etwas Unruhe bei<lb/> den alten Herrschaften erregt. Karl hatte das Briefchen auf dem Tische gefunden,<lb/> als er am Morgen mit seinem Rucksack hinuutergekommen war, um vor dem Ab¬<lb/> marsch zu frühstücken, hatte es genommen und gleich zu seiner Mutter hinauf ge¬<lb/> tragen, da er gehört hatte, daß diese schon auf war. Die gute Mutter hatte sich<lb/> beeilt, als sie ihren Sohn nebenan in seiner Stube hatte rumoren hören, sich fertig<lb/> zu macheu, um noch bei ihm zu sein, ehe er fortging. Sie trat gerade aus ihrer<lb/> Stube, als Karl hinaufkam, öffnete erstaunt das Briefchen und gab es dann Karl.<lb/> Sie sahen sich, als er es gelesen hatte, einen Augenblick stumm in die Augen, aber<lb/> die Mutter nahm mit Erleichterung wahr, daß die seinen ihren lustigen Ausdruck<lb/> annahmen, über deu sich Hanna so oft ärgerte.</p><lb/> <p xml:id="ID_605"> Da ist sie mir wirklich mit dem Davonlaufen zuvorgekommen, sagte Karl.<lb/> So ein Schlingel! Großartig! — Ja, nun werde ich meinen Rucksack erst einmal<lb/> wieder auspacken, Mütterchen; denn allein kann ich euch doch nicht in eurer Ver¬<lb/> lassenheit sitzen lassen. Und jetzt frühstücken wir und warten, bis der Papa<lb/> hinnnterkommt.</p><lb/> <p xml:id="ID_606"> Als der dann kam und die Neuigkeit erfuhr, nachdem er sich am Frühstücks-<lb/> tisch niedergelassen hatte, preßte er die Lippen zusammen, trommelte mit den Fingern<lb/> auf dem Tisch und sah Paul über die Brille weg unverwandt an. Ich weiß uicht,<lb/> sagte er, was für ein Geist in das Mädel gefahren ist, und weiß jetzt wirklich<lb/> nicht mehr, was man thun soll. Ich hatte meine Hoffnung auf die Reise gesetzt —<lb/> ja lieber Karl, glaub uicht, daß ich ganz blind gewesen sei — ich habe deine Ge¬<lb/> duld oft bewundert. Sie muß einmal tüchtig gestraft werden. Nach meiner<lb/> Meinung wäre das richtige, du machtest es wie sie und gingst einfach weg - - für<lb/> eine Woche oder so — ans eine Fußtour, dann wird sie sich wohl besinnen.</p><lb/> <p xml:id="ID_607"> Karl gestand, daß er denselben Gedanken gehabt habe und im Begriff ge¬<lb/> wesen sei, fortzulaufen. Er meine aber, er solle doch noch so lange warten, bis<lb/> er sicher sei, daß sie glücklich wieder von der Alm —</p><lb/> <p xml:id="ID_608"> O Gott ja, sagte Mama Müller, es kann doch dem leichtsinnigen Kind auch<lb/> etwas passieren — so ganz allein —</p><lb/> <p xml:id="ID_609" next="#ID_610"> Ach was, Passieren! rief der Geheimrat ganz böse. Ich bitte ganz gehorsamst<lb/> um Verzeihung, Frau Nachbarin. Es sollte ihr nur was passieren! Aber es geht</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0162]
Auf der Alm
bin ich gewesen! O Karl, deine lieben, lieben Auge»! Ach könnte ich hineinsehen,
könnte ich mich an dich schmiegen! In deine lieben, starken Arme! Aber ich habe
dich Von mir gestoßen, und du wendest dich von mir ab. Weit, weit weg — sie
biß in das Tuch, in das sie sich gehüllt hatte, um nicht in lautes Schluchzen aus-
zubrechen. Ihr Herz schmerzte sie, daß sie die Hand darauf pressen mußte. Sie
wollte sich zum Schlafen zwingen und redete sich vor, daß es ja thöricht sei, es
sei ja gar nicht so schlimm, und morgen werde alles gut sein. Aber dann sah sie
ihn, wie er einsam ans der Landstraße wanderte, mit dem bittern Ausdruck im
Gesicht, wie gestern abend. „Ich werde dir aus dem Wege gehn!" Und wieder
starrte sie mit offnen Augen in die Nacht.
Der Regen rauschte auf das Dach der Hütte; von fern her hörte sie deutlich
das Dröhnen des Bachs. Ab und zu brummte eine Kuh drüben im Stall - und
wenn es doch Tag würde!--
Ich muß den geneigten Leser jetzt bitten, Hanna mit ihrem Gewissenswurm
allem zu lassen, und trotz des heillosen Wetters mit mir den Weg in die Ramsau
zurückzulegen, denn es ist notwendig, daß wir erfahren, was sich dort inzwischen
zugetragen hat.
Natürlich hatte Harras Flucht großes Erstaunen und auch etwas Unruhe bei
den alten Herrschaften erregt. Karl hatte das Briefchen auf dem Tische gefunden,
als er am Morgen mit seinem Rucksack hinuutergekommen war, um vor dem Ab¬
marsch zu frühstücken, hatte es genommen und gleich zu seiner Mutter hinauf ge¬
tragen, da er gehört hatte, daß diese schon auf war. Die gute Mutter hatte sich
beeilt, als sie ihren Sohn nebenan in seiner Stube hatte rumoren hören, sich fertig
zu macheu, um noch bei ihm zu sein, ehe er fortging. Sie trat gerade aus ihrer
Stube, als Karl hinaufkam, öffnete erstaunt das Briefchen und gab es dann Karl.
Sie sahen sich, als er es gelesen hatte, einen Augenblick stumm in die Augen, aber
die Mutter nahm mit Erleichterung wahr, daß die seinen ihren lustigen Ausdruck
annahmen, über deu sich Hanna so oft ärgerte.
Da ist sie mir wirklich mit dem Davonlaufen zuvorgekommen, sagte Karl.
So ein Schlingel! Großartig! — Ja, nun werde ich meinen Rucksack erst einmal
wieder auspacken, Mütterchen; denn allein kann ich euch doch nicht in eurer Ver¬
lassenheit sitzen lassen. Und jetzt frühstücken wir und warten, bis der Papa
hinnnterkommt.
Als der dann kam und die Neuigkeit erfuhr, nachdem er sich am Frühstücks-
tisch niedergelassen hatte, preßte er die Lippen zusammen, trommelte mit den Fingern
auf dem Tisch und sah Paul über die Brille weg unverwandt an. Ich weiß uicht,
sagte er, was für ein Geist in das Mädel gefahren ist, und weiß jetzt wirklich
nicht mehr, was man thun soll. Ich hatte meine Hoffnung auf die Reise gesetzt —
ja lieber Karl, glaub uicht, daß ich ganz blind gewesen sei — ich habe deine Ge¬
duld oft bewundert. Sie muß einmal tüchtig gestraft werden. Nach meiner
Meinung wäre das richtige, du machtest es wie sie und gingst einfach weg - - für
eine Woche oder so — ans eine Fußtour, dann wird sie sich wohl besinnen.
Karl gestand, daß er denselben Gedanken gehabt habe und im Begriff ge¬
wesen sei, fortzulaufen. Er meine aber, er solle doch noch so lange warten, bis
er sicher sei, daß sie glücklich wieder von der Alm —
O Gott ja, sagte Mama Müller, es kann doch dem leichtsinnigen Kind auch
etwas passieren — so ganz allein —
Ach was, Passieren! rief der Geheimrat ganz böse. Ich bitte ganz gehorsamst
um Verzeihung, Frau Nachbarin. Es sollte ihr nur was passieren! Aber es geht
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