Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.Döllingers zweite ÜebenshälftL mir droht, scheint mir desto trauriger, je näher es kommt. Schon daß ich Döllingers zweite ÜebenshälftL mir droht, scheint mir desto trauriger, je näher es kommt. Schon daß ich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0146" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/235968"/> <fw type="header" place="top"> Döllingers zweite ÜebenshälftL</fw><lb/> <p xml:id="ID_493" prev="#ID_492"> mir droht, scheint mir desto trauriger, je näher es kommt. Schon daß ich<lb/> keine Vorlesungen mehr halten kann, ist mir hart: daß ich nicht mehr zelebrieren<lb/> darf und Mühe haben werde, Absolution und Kommunion zu empfangen, ist<lb/> mir schrecklich. Aber wie ich mich auch wenden und drehen mag: wenn ich<lb/> unterschreibe, würde ich noch unglücklicher." Nensch war kein Mann blendender<lb/> Einfälle und neuer, epochemachender Gedanken, aber seine Gewissenhaftigkeit<lb/> im Forschen, seine unverwüstliche Arbeitskraft, seine schlichte, klare, jederzeit<lb/> genießbare Darstellung und seine väterliche Fürsorge für die Studenten er¬<lb/> warben ihm die Freundschaft weiter protestantischer Kreise; man schätzte ihn<lb/> als akademischen Lehrer der eignen Sohne, als Mitarbeiter an Zeitschriften<lb/> und als Berater in gelehrten Angelegenheiten. Als Spiritus rsotor der Köl¬<lb/> nischen Blätter, die freilich wegen ihres liberalen Geistes vom Kölner Erz-<lb/> bischof gehaßt und verfolgt wurde», und als Herausgeber des Theologischen<lb/> Litteratnrblatts gehört er zu den vornehmsten Begründern der katholischen<lb/> Publizistik in Deutschland. Ursprünglich alttestamentlicher Exeget, hat er doch<lb/> mit staunenswerter Vielseitigkeit alle theologischen und mit der Theologie zu¬<lb/> sammenhängenden Gebiete bearbeitet. Von seinen vielen Werken werden ans<lb/> der Zeit vor 1870 sein apologetisches Buch Bibel und Natur, aus der alt¬<lb/> katholischen die Arbeiten über den Prozeß Galilei und die Jesuiten, über die<lb/> deutschen Bischöfe und den Aberglauben und über den Index der verbotnen<lb/> Bücher dauernden Wert behalten; die drei Schriften des Ketzers über den<lb/> Index hat die Jndexkongregation benutzt, einige hundert Bücher gestrichen und<lb/> das so verbesserte Verzeichnis vorn, Jahre neu herausgegeben. Daß aus<lb/> Döllingcrs zuletzt zersahrncr Thätigkeit, an der nicht etwa Altersschwäche<lb/> schuld war — die kannte er gar nicht —, noch etwas Positives herauskam,<lb/> ist Reusch zu danken. Neusch, der oft nach München kam, um die dortige<lb/> Bibliothek und die Archive zu benutzen, bot sich ihm im Jahre 1885 als Ge¬<lb/> hilfen an, trieb zur Vollendung, zwang den vom hundertsten ins tausendste<lb/> geratenden Materialieusammler, die Forschung abzuschließen, und formte das<lb/> ungeheure, größtenteils von Döllinger gesammelte Material. So entstanden:<lb/> die Selbstbiographie des Kardinals Bellarmin, Geschichte der Mornlstreitig-<lb/> keiten in der römisch-katholischen Kirche und: Die Fälschungen in dem Traktat<lb/> des Thomas von Aquin gegen die Griechen. Nach Döllingers Tode gab er<lb/> aus seinem Nachlaß die Sammlung kleinerer Schriften heraus, die ich in dem<lb/> erwäh<note type="byline"> C. I.</note> nten Grenzbvtenanfsatze von 1891 besprochen habe. </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0146]
Döllingers zweite ÜebenshälftL
mir droht, scheint mir desto trauriger, je näher es kommt. Schon daß ich
keine Vorlesungen mehr halten kann, ist mir hart: daß ich nicht mehr zelebrieren
darf und Mühe haben werde, Absolution und Kommunion zu empfangen, ist
mir schrecklich. Aber wie ich mich auch wenden und drehen mag: wenn ich
unterschreibe, würde ich noch unglücklicher." Nensch war kein Mann blendender
Einfälle und neuer, epochemachender Gedanken, aber seine Gewissenhaftigkeit
im Forschen, seine unverwüstliche Arbeitskraft, seine schlichte, klare, jederzeit
genießbare Darstellung und seine väterliche Fürsorge für die Studenten er¬
warben ihm die Freundschaft weiter protestantischer Kreise; man schätzte ihn
als akademischen Lehrer der eignen Sohne, als Mitarbeiter an Zeitschriften
und als Berater in gelehrten Angelegenheiten. Als Spiritus rsotor der Köl¬
nischen Blätter, die freilich wegen ihres liberalen Geistes vom Kölner Erz-
bischof gehaßt und verfolgt wurde», und als Herausgeber des Theologischen
Litteratnrblatts gehört er zu den vornehmsten Begründern der katholischen
Publizistik in Deutschland. Ursprünglich alttestamentlicher Exeget, hat er doch
mit staunenswerter Vielseitigkeit alle theologischen und mit der Theologie zu¬
sammenhängenden Gebiete bearbeitet. Von seinen vielen Werken werden ans
der Zeit vor 1870 sein apologetisches Buch Bibel und Natur, aus der alt¬
katholischen die Arbeiten über den Prozeß Galilei und die Jesuiten, über die
deutschen Bischöfe und den Aberglauben und über den Index der verbotnen
Bücher dauernden Wert behalten; die drei Schriften des Ketzers über den
Index hat die Jndexkongregation benutzt, einige hundert Bücher gestrichen und
das so verbesserte Verzeichnis vorn, Jahre neu herausgegeben. Daß aus
Döllingcrs zuletzt zersahrncr Thätigkeit, an der nicht etwa Altersschwäche
schuld war — die kannte er gar nicht —, noch etwas Positives herauskam,
ist Reusch zu danken. Neusch, der oft nach München kam, um die dortige
Bibliothek und die Archive zu benutzen, bot sich ihm im Jahre 1885 als Ge¬
hilfen an, trieb zur Vollendung, zwang den vom hundertsten ins tausendste
geratenden Materialieusammler, die Forschung abzuschließen, und formte das
ungeheure, größtenteils von Döllinger gesammelte Material. So entstanden:
die Selbstbiographie des Kardinals Bellarmin, Geschichte der Mornlstreitig-
keiten in der römisch-katholischen Kirche und: Die Fälschungen in dem Traktat
des Thomas von Aquin gegen die Griechen. Nach Döllingers Tode gab er
aus seinem Nachlaß die Sammlung kleinerer Schriften heraus, die ich in dem
erwäh C. I. nten Grenzbvtenanfsatze von 1891 besprochen habe.
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