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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Der Kampf um den Zolltarif

wäre, natürlich aber ganz und gar nicht erwartet werden kann. Sind die
Tarifsätze auch zum großen Teil -- infolge des verkehrten Standpunkts der
ursprünglichen Konzipienten -- höher als nötig ausgefallen, so schadet das,
auch augesehen von ihrer Korrektur durch den Bundesrat, thatsächlich nicht
allzuviel, da sie ja nach Bedürfnis bei den Vertragsverhandlungen herabgesetzt
werden können. Wenn sie, wie das jetzt von maßgebender Stelle augenscheinlich
beabsichtigt wird, hauptsächlich als ganz friedfertige, durchaus loyale und all¬
gemein übliche Kampf- und Druckmittel zur Erlangung der nötigen Gegen¬
konzessionen vom Auslande verwandt werden sollen, so kann namentlich auch
davon gar keine Rede sein, daß ihre Höhe das Ausland zum Widerstand
provozieren müsse, zumal da von berufner Seite nachgerade oft und deutlich
genug erklärt worden ist, daß man die Kontinuität der Handelsvertragspolitik
aufrecht erhalten, sie aber besser ausgestalten wolle. Im Ernst ist auch das
ganze Geschrei in den freihändlerischen Blättern und anderswo, daß das Aus¬
land sich über den Tarifentwurf -- immer abgesehen von dem Zolltarifgesetz --
entrüstet habe, und daß es dadurch dem Abschluß neuer Verträge abgeneigt
gemacht worden sei, in der Hauptsache nichts als Flunkerei. Daß gewisse
ausländische Jnteresseutenkreise ihre Presse Zeter schreien lassen, ist selbst¬
verständlich. Aber so weit etwas über die Aufnahme des Tarifentwurfs bei
den ausländischen Regierungen verlautet, ist im allgemeinen keine Spur von
Erregung wahrzunehmen. Wenn kürzlich in der Nation in einem IIrdg.um8
unterzeichneten und ?ro ciiueöllario überschriebnen Artikel dem, wie es
immer mehr den Anschein gewinnt, ganz kritikunfähig gewordnen Leserkreise
dieses "führenden" Organs der Berliner orthodoxen Freihandelsclique die
Sache so dargestellt wurde, als ob die Veröffentlichung des Tarifentwurfs
vom 26. Juli durch den Reichskanzler einfach die völlige handelspolitische
Isolierung Deutschlands bedeute, so ist das nur ein Beweis von der -- um
hämischer Giftigkeit mit unverblümter Offenheit zu dienen! -- beispiellosen
"Dummheit" des heutigen Pnrteiliberalismus im allgemeinen und von der Ver¬
logenheit, durch die er seiner ungeschickten Agitation zuliebe die liberale Sache
immer mehr diskreditieren läßt, im besondern. Es ist auch parteipolitisch der
ärgste Fehler, den die freihündlcrische Agitation begehn kann, daß sie jedes
Verständnis für die Notwendigkeit eines harten Kampfs ableugnet, wenn wir
bei den bevorstehenden Handelsvertragsverhandlungen vom Ausland liberalere
Bedingungen für uns erringen "vollen. Wer angesichts der zollpolitischen
Haltung des Auslands dem Reich verstärkte Kampfmittel in der Form erhöhter
Generaltarifsätze verweigert, ist einfach ein Narr, mit dein man nicht ernsthaft
diskutieren kann. Die im Ausland herrschende Schutzzöllnerei, dieser atavistische,
dekadente Neumerkantilismus, wird uns freiwillig auch uicht die geringste Er¬
leichterung einräumen, mag auch eine liberalere Handelspolitik noch so sehr
im Interesse der ausländischen Volkswirtschaft selbst liegen. Ein so unver¬
antwortlicher Unsinn es auch ist, wenn sich deutsche Staatsmänner und wissen¬
schaftliche Nationalökonomen zu Aposteln der neumerkantilistischen Irrlehre


Der Kampf um den Zolltarif

wäre, natürlich aber ganz und gar nicht erwartet werden kann. Sind die
Tarifsätze auch zum großen Teil — infolge des verkehrten Standpunkts der
ursprünglichen Konzipienten — höher als nötig ausgefallen, so schadet das,
auch augesehen von ihrer Korrektur durch den Bundesrat, thatsächlich nicht
allzuviel, da sie ja nach Bedürfnis bei den Vertragsverhandlungen herabgesetzt
werden können. Wenn sie, wie das jetzt von maßgebender Stelle augenscheinlich
beabsichtigt wird, hauptsächlich als ganz friedfertige, durchaus loyale und all¬
gemein übliche Kampf- und Druckmittel zur Erlangung der nötigen Gegen¬
konzessionen vom Auslande verwandt werden sollen, so kann namentlich auch
davon gar keine Rede sein, daß ihre Höhe das Ausland zum Widerstand
provozieren müsse, zumal da von berufner Seite nachgerade oft und deutlich
genug erklärt worden ist, daß man die Kontinuität der Handelsvertragspolitik
aufrecht erhalten, sie aber besser ausgestalten wolle. Im Ernst ist auch das
ganze Geschrei in den freihändlerischen Blättern und anderswo, daß das Aus¬
land sich über den Tarifentwurf — immer abgesehen von dem Zolltarifgesetz —
entrüstet habe, und daß es dadurch dem Abschluß neuer Verträge abgeneigt
gemacht worden sei, in der Hauptsache nichts als Flunkerei. Daß gewisse
ausländische Jnteresseutenkreise ihre Presse Zeter schreien lassen, ist selbst¬
verständlich. Aber so weit etwas über die Aufnahme des Tarifentwurfs bei
den ausländischen Regierungen verlautet, ist im allgemeinen keine Spur von
Erregung wahrzunehmen. Wenn kürzlich in der Nation in einem IIrdg.um8
unterzeichneten und ?ro ciiueöllario überschriebnen Artikel dem, wie es
immer mehr den Anschein gewinnt, ganz kritikunfähig gewordnen Leserkreise
dieses „führenden" Organs der Berliner orthodoxen Freihandelsclique die
Sache so dargestellt wurde, als ob die Veröffentlichung des Tarifentwurfs
vom 26. Juli durch den Reichskanzler einfach die völlige handelspolitische
Isolierung Deutschlands bedeute, so ist das nur ein Beweis von der — um
hämischer Giftigkeit mit unverblümter Offenheit zu dienen! — beispiellosen
„Dummheit" des heutigen Pnrteiliberalismus im allgemeinen und von der Ver¬
logenheit, durch die er seiner ungeschickten Agitation zuliebe die liberale Sache
immer mehr diskreditieren läßt, im besondern. Es ist auch parteipolitisch der
ärgste Fehler, den die freihündlcrische Agitation begehn kann, daß sie jedes
Verständnis für die Notwendigkeit eines harten Kampfs ableugnet, wenn wir
bei den bevorstehenden Handelsvertragsverhandlungen vom Ausland liberalere
Bedingungen für uns erringen »vollen. Wer angesichts der zollpolitischen
Haltung des Auslands dem Reich verstärkte Kampfmittel in der Form erhöhter
Generaltarifsätze verweigert, ist einfach ein Narr, mit dein man nicht ernsthaft
diskutieren kann. Die im Ausland herrschende Schutzzöllnerei, dieser atavistische,
dekadente Neumerkantilismus, wird uns freiwillig auch uicht die geringste Er¬
leichterung einräumen, mag auch eine liberalere Handelspolitik noch so sehr
im Interesse der ausländischen Volkswirtschaft selbst liegen. Ein so unver¬
antwortlicher Unsinn es auch ist, wenn sich deutsche Staatsmänner und wissen¬
schaftliche Nationalökonomen zu Aposteln der neumerkantilistischen Irrlehre


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/12>, abgerufen am 28.07.2024.