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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Der Uamxf um den Zolltarif

Beratungen des Bundesrath als Grundlage dienen soll und deshalb als Vor¬
lage an den Bundesrat bezeichnet werden kann, irgend eine endgiltige staats¬
rechtliche oder auch nur moralische Bindung auf deu Inhalt im einzelnen weder
für das Bundespräsidium noch für das preußische Staatsministerium noch für
den Reichskanzler bedeutet. Es kaum keine Rede davon sein, daß diese durch
besondre Umstände veranlaßte Veröffentlichung des Entwurfs, die unsers Er¬
achtend) Ende Juli weder notwendig noch vorauszusehen war, bei der Be¬
tonung seiner Wunderlichkeit dem Ausland gegenüber als Fehler bezeichnet
werden müßte, oder daß sie die handelspolitische Lage im Innern verwirrt
hätte. Eher wird sich wahrscheinlich das Gegenteil herausstellen.

Der Inhalt des Tarifs selbst, so viel er much in der Presse besprochen
ist und wird, tritt an Bedeutung vorläufig hinter den Inhalt des Tarifgesetzes
zurück. Der Tarifentwurf ist als General- und Verhandlungstarif gedacht,
enthält sonach keine Minimalsätze. Er zeigt durchweg außerordentlich zahlreiche
und starke Erhöhungen gegen den geltenden Gencraltarif und vollends gegen
den Vertragstarif der neunziger Jahre. Das gilt für die achtzehn Abschnitte,
die die Jndustriezölle behandeln, ebenso, vielleicht sogar noch mehr, als für
den einen Abschnitt, der die Agrarzölle umfaßt. Haben die Väter und die
Paten des Tarifcntwurfs dabei eine nur annähernd den vorgeschlagnen Sätzen
entsprechende Abmessung der Zollsätze auch in den neu zu verabredenden Ver¬
tragstarifen oder gar einen weitgehenden Ersatz des Vertragszollshstems
-- einschließlich der Meistbegünstigungsverträge -- durch diesen "autonomen"
Tarif beabsichtigt, so würden die vorgeschlagneu neuen Jndustriezölle einen
noch viel schroffer" Bruch mit der bisherigen Zollpolitik des Deutschen Reichs
darstellen, als die vorgeschlagnen Agrarzölle einschließlich der im Tarifgesetz vor¬
gesehenen Minimalsätze. Da der Tarifentwurf ohne jede Begründung ver¬
öffentlicht worden ist, steht die Kritik hier vor einer Frage, die noch nicht
beantwortet werden kann. Überall kann ihr der Einwand entgegengehalten
werden, daß diese exorbitanten Generaltarifsütze ja nur als Kompensationsobjekte
für die Vertragsverhandlungen gedacht und bestimmt wären, bei der Erreichung
entsprechender Zugeständnisse vom Auslande wieder zu verschwinden. Wenn
man aber alles in Betracht zieht, was seit Jahren im Zusammenhang mit der
Vorbereitung des neuen Zolltarifs im Reichsamt des Innern und im wirt¬
schaftlichen Ausschuß in industriellen Kreisen gesprochen und geschrieben worden
ist, und auch das, was dort neuerdings über die Sätze des Tarifentwurfs
verhandelt wird, so muß es einem sehr fraglich erscheinen, ob die Industriellen
selbst, nach deren Anhörung man so hohe Generaltarifsätzc aufgenommen hat,
diese nur oder auch nur hauptsächlich als Kompensntionsobjekte vorgeschlagen
haben. Es kann kaum noch ein Zweifel darüber bestehn, daß die Fragen des
Neichsmnts des Innern und des wirtschaftlichen Ausschusses bei den Verhand¬
lungen mit den Vertretern der einzelnen Industriezweige thatsächlich bei diesen



") Vergl. Heft 16 der Grenzboten vom 18. April d. I., Seite 101.
Der Uamxf um den Zolltarif

Beratungen des Bundesrath als Grundlage dienen soll und deshalb als Vor¬
lage an den Bundesrat bezeichnet werden kann, irgend eine endgiltige staats¬
rechtliche oder auch nur moralische Bindung auf deu Inhalt im einzelnen weder
für das Bundespräsidium noch für das preußische Staatsministerium noch für
den Reichskanzler bedeutet. Es kaum keine Rede davon sein, daß diese durch
besondre Umstände veranlaßte Veröffentlichung des Entwurfs, die unsers Er¬
achtend) Ende Juli weder notwendig noch vorauszusehen war, bei der Be¬
tonung seiner Wunderlichkeit dem Ausland gegenüber als Fehler bezeichnet
werden müßte, oder daß sie die handelspolitische Lage im Innern verwirrt
hätte. Eher wird sich wahrscheinlich das Gegenteil herausstellen.

Der Inhalt des Tarifs selbst, so viel er much in der Presse besprochen
ist und wird, tritt an Bedeutung vorläufig hinter den Inhalt des Tarifgesetzes
zurück. Der Tarifentwurf ist als General- und Verhandlungstarif gedacht,
enthält sonach keine Minimalsätze. Er zeigt durchweg außerordentlich zahlreiche
und starke Erhöhungen gegen den geltenden Gencraltarif und vollends gegen
den Vertragstarif der neunziger Jahre. Das gilt für die achtzehn Abschnitte,
die die Jndustriezölle behandeln, ebenso, vielleicht sogar noch mehr, als für
den einen Abschnitt, der die Agrarzölle umfaßt. Haben die Väter und die
Paten des Tarifcntwurfs dabei eine nur annähernd den vorgeschlagnen Sätzen
entsprechende Abmessung der Zollsätze auch in den neu zu verabredenden Ver¬
tragstarifen oder gar einen weitgehenden Ersatz des Vertragszollshstems
— einschließlich der Meistbegünstigungsverträge — durch diesen „autonomen"
Tarif beabsichtigt, so würden die vorgeschlagneu neuen Jndustriezölle einen
noch viel schroffer» Bruch mit der bisherigen Zollpolitik des Deutschen Reichs
darstellen, als die vorgeschlagnen Agrarzölle einschließlich der im Tarifgesetz vor¬
gesehenen Minimalsätze. Da der Tarifentwurf ohne jede Begründung ver¬
öffentlicht worden ist, steht die Kritik hier vor einer Frage, die noch nicht
beantwortet werden kann. Überall kann ihr der Einwand entgegengehalten
werden, daß diese exorbitanten Generaltarifsütze ja nur als Kompensationsobjekte
für die Vertragsverhandlungen gedacht und bestimmt wären, bei der Erreichung
entsprechender Zugeständnisse vom Auslande wieder zu verschwinden. Wenn
man aber alles in Betracht zieht, was seit Jahren im Zusammenhang mit der
Vorbereitung des neuen Zolltarifs im Reichsamt des Innern und im wirt¬
schaftlichen Ausschuß in industriellen Kreisen gesprochen und geschrieben worden
ist, und auch das, was dort neuerdings über die Sätze des Tarifentwurfs
verhandelt wird, so muß es einem sehr fraglich erscheinen, ob die Industriellen
selbst, nach deren Anhörung man so hohe Generaltarifsätzc aufgenommen hat,
diese nur oder auch nur hauptsächlich als Kompensntionsobjekte vorgeschlagen
haben. Es kann kaum noch ein Zweifel darüber bestehn, daß die Fragen des
Neichsmnts des Innern und des wirtschaftlichen Ausschusses bei den Verhand¬
lungen mit den Vertretern der einzelnen Industriezweige thatsächlich bei diesen



") Vergl. Heft 16 der Grenzboten vom 18. April d. I., Seite 101.
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[0010] Der Uamxf um den Zolltarif Beratungen des Bundesrath als Grundlage dienen soll und deshalb als Vor¬ lage an den Bundesrat bezeichnet werden kann, irgend eine endgiltige staats¬ rechtliche oder auch nur moralische Bindung auf deu Inhalt im einzelnen weder für das Bundespräsidium noch für das preußische Staatsministerium noch für den Reichskanzler bedeutet. Es kaum keine Rede davon sein, daß diese durch besondre Umstände veranlaßte Veröffentlichung des Entwurfs, die unsers Er¬ achtend) Ende Juli weder notwendig noch vorauszusehen war, bei der Be¬ tonung seiner Wunderlichkeit dem Ausland gegenüber als Fehler bezeichnet werden müßte, oder daß sie die handelspolitische Lage im Innern verwirrt hätte. Eher wird sich wahrscheinlich das Gegenteil herausstellen. Der Inhalt des Tarifs selbst, so viel er much in der Presse besprochen ist und wird, tritt an Bedeutung vorläufig hinter den Inhalt des Tarifgesetzes zurück. Der Tarifentwurf ist als General- und Verhandlungstarif gedacht, enthält sonach keine Minimalsätze. Er zeigt durchweg außerordentlich zahlreiche und starke Erhöhungen gegen den geltenden Gencraltarif und vollends gegen den Vertragstarif der neunziger Jahre. Das gilt für die achtzehn Abschnitte, die die Jndustriezölle behandeln, ebenso, vielleicht sogar noch mehr, als für den einen Abschnitt, der die Agrarzölle umfaßt. Haben die Väter und die Paten des Tarifcntwurfs dabei eine nur annähernd den vorgeschlagnen Sätzen entsprechende Abmessung der Zollsätze auch in den neu zu verabredenden Ver¬ tragstarifen oder gar einen weitgehenden Ersatz des Vertragszollshstems — einschließlich der Meistbegünstigungsverträge — durch diesen „autonomen" Tarif beabsichtigt, so würden die vorgeschlagneu neuen Jndustriezölle einen noch viel schroffer» Bruch mit der bisherigen Zollpolitik des Deutschen Reichs darstellen, als die vorgeschlagnen Agrarzölle einschließlich der im Tarifgesetz vor¬ gesehenen Minimalsätze. Da der Tarifentwurf ohne jede Begründung ver¬ öffentlicht worden ist, steht die Kritik hier vor einer Frage, die noch nicht beantwortet werden kann. Überall kann ihr der Einwand entgegengehalten werden, daß diese exorbitanten Generaltarifsütze ja nur als Kompensationsobjekte für die Vertragsverhandlungen gedacht und bestimmt wären, bei der Erreichung entsprechender Zugeständnisse vom Auslande wieder zu verschwinden. Wenn man aber alles in Betracht zieht, was seit Jahren im Zusammenhang mit der Vorbereitung des neuen Zolltarifs im Reichsamt des Innern und im wirt¬ schaftlichen Ausschuß in industriellen Kreisen gesprochen und geschrieben worden ist, und auch das, was dort neuerdings über die Sätze des Tarifentwurfs verhandelt wird, so muß es einem sehr fraglich erscheinen, ob die Industriellen selbst, nach deren Anhörung man so hohe Generaltarifsätzc aufgenommen hat, diese nur oder auch nur hauptsächlich als Kompensntionsobjekte vorgeschlagen haben. Es kann kaum noch ein Zweifel darüber bestehn, daß die Fragen des Neichsmnts des Innern und des wirtschaftlichen Ausschusses bei den Verhand¬ lungen mit den Vertretern der einzelnen Industriezweige thatsächlich bei diesen ") Vergl. Heft 16 der Grenzboten vom 18. April d. I., Seite 101.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/10>, abgerufen am 27.07.2024.