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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Sie Uyuastsagon

der menschlichen Gesellschaft zu werden. Das; dieser Autor den Ausgang der
Sage abgeändert hat, um ihn "dein Fräulein ehrenvoller zu machen," darauf
hat' Hensel in deu Schlesischen Gebürgsblätteru (1801/2, S, 628 bis 679)
hingewiesen, und er giebt deshalb selbst das Ende so an, wie es richtig sei
nud im Munde der Führer laute. Der Ritter hält Kunignnden nicht eine
lange Moralpredigt, sondern giebt ihr kurzerhand eine Ohrfeige und reitet weg.
Dieser Darstellung hat anch Büsching in seinen Schlesischen Sagen den Vorzug
gegeben. Die Lösung erfolgt gcnnn so, wie in Lopes Drama "Der Hand¬
schuh der Donna Blanka," dem Vorbilde des französischen Autors, dein Schiller
den Stoff zu seiner Romanze entnahm. Als der König von Kastilien den tapfern
Ritter preist, der sich um seiner Dame mulier unter die Bestien gewagt habe,
erwidert Don Pedro:


Sehr bedenklich
Wär es, Herr, dem nachzuahmen,
Weil darauf ihr der Beherzte
Einen Backenstreich versetzte.

Eine weitere Äudrung hat sich der Ausgang der Sage gefnlleu lassen müssen,
indem die Führer auf dem Kynast ihn jetzt völlig dem Schlüsse des Handschuhs
angenähert haben und ihren Bericht mit den Versen Schillers schließen:


Und er wirst ihr den Handschuh ins Gesicht,
"Den Dank, Dame, begehr ich nicht,"

Wenn gerade die Kunigundensage die Dichter so angezogen hat, wenn sie
in zahlreichen Balladen, in Epen behandelt worden ist, ja Librettos zu Opern
geliefert hat, so liegt das Wohl auch an der schwankenden Tradition, die jedem,
der ihr eine neue Einkleidung zu geben versuchte, den weitesten Spielraum
ließ, ja ihn geradezu zwang, Lücken auszufüllen, Unwahrscheinliches zu be¬
seitigen. Am besten ist das Julius Fischer-Gesellhofen in der Jungfrau vom
Kynast gelungen.

Sogar bis nach Frankreich hat die schlesische Sage ihren Weg gefunden.
In einem Scunmelbandc französischer Novellen (1835) von Frau Jeannette
Lazaonis findet sich anch eine Xun"A0na6 as XiöiiWt, Ouroriiaus Lilösisnns
6u smMmo Mole-. Die Verfasserin, eine Deutsche von Geburt, die ihren
Mädchennamen leider nicht nennt, will durch diese Erzählung Deutschland und
Frankreich nähern und bittet ihre Leser, den Becher, den sie halb mit Seine-,
halb mit Rheiuwasser gefüllt habe, auf das Wohl der beide" Länder zu leeren,
Sie erzählt, kurze Zeit, nachdem Friedrich Wilhelm III, und die Königin Luise
ihre Ricsengebirgsreise (1800) unternommen hatten, den Kynast besucht, die
alte Chronik der Burg auch in den Händen gehabt und ihr deu Stoff zur
KunsAcmäö entnommen zu haben. Die Thatsachen sind aber in freister Weise
verändert. Die Handlung ist ins sechzehnte Jahrhundert verlegt, und Kuni-
gunde treibt wie eine wisseusdurstigc Dame der italienischen Renaissance sogar
Griechisch; endlich ist nicht nur ein Graf von Montferrand der Held, der ihren
Trotz bricht, anch ihr Männerhaß wird ganz anders, und zwar echt französisch,


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der menschlichen Gesellschaft zu werden. Das; dieser Autor den Ausgang der
Sage abgeändert hat, um ihn „dein Fräulein ehrenvoller zu machen," darauf
hat' Hensel in deu Schlesischen Gebürgsblätteru (1801/2, S, 628 bis 679)
hingewiesen, und er giebt deshalb selbst das Ende so an, wie es richtig sei
nud im Munde der Führer laute. Der Ritter hält Kunignnden nicht eine
lange Moralpredigt, sondern giebt ihr kurzerhand eine Ohrfeige und reitet weg.
Dieser Darstellung hat anch Büsching in seinen Schlesischen Sagen den Vorzug
gegeben. Die Lösung erfolgt gcnnn so, wie in Lopes Drama „Der Hand¬
schuh der Donna Blanka," dem Vorbilde des französischen Autors, dein Schiller
den Stoff zu seiner Romanze entnahm. Als der König von Kastilien den tapfern
Ritter preist, der sich um seiner Dame mulier unter die Bestien gewagt habe,
erwidert Don Pedro:


Sehr bedenklich
Wär es, Herr, dem nachzuahmen,
Weil darauf ihr der Beherzte
Einen Backenstreich versetzte.

Eine weitere Äudrung hat sich der Ausgang der Sage gefnlleu lassen müssen,
indem die Führer auf dem Kynast ihn jetzt völlig dem Schlüsse des Handschuhs
angenähert haben und ihren Bericht mit den Versen Schillers schließen:


Und er wirst ihr den Handschuh ins Gesicht,
„Den Dank, Dame, begehr ich nicht,"

Wenn gerade die Kunigundensage die Dichter so angezogen hat, wenn sie
in zahlreichen Balladen, in Epen behandelt worden ist, ja Librettos zu Opern
geliefert hat, so liegt das Wohl auch an der schwankenden Tradition, die jedem,
der ihr eine neue Einkleidung zu geben versuchte, den weitesten Spielraum
ließ, ja ihn geradezu zwang, Lücken auszufüllen, Unwahrscheinliches zu be¬
seitigen. Am besten ist das Julius Fischer-Gesellhofen in der Jungfrau vom
Kynast gelungen.

Sogar bis nach Frankreich hat die schlesische Sage ihren Weg gefunden.
In einem Scunmelbandc französischer Novellen (1835) von Frau Jeannette
Lazaonis findet sich anch eine Xun»A0na6 as XiöiiWt, Ouroriiaus Lilösisnns
6u smMmo Mole-. Die Verfasserin, eine Deutsche von Geburt, die ihren
Mädchennamen leider nicht nennt, will durch diese Erzählung Deutschland und
Frankreich nähern und bittet ihre Leser, den Becher, den sie halb mit Seine-,
halb mit Rheiuwasser gefüllt habe, auf das Wohl der beide» Länder zu leeren,
Sie erzählt, kurze Zeit, nachdem Friedrich Wilhelm III, und die Königin Luise
ihre Ricsengebirgsreise (1800) unternommen hatten, den Kynast besucht, die
alte Chronik der Burg auch in den Händen gehabt und ihr deu Stoff zur
KunsAcmäö entnommen zu haben. Die Thatsachen sind aber in freister Weise
verändert. Die Handlung ist ins sechzehnte Jahrhundert verlegt, und Kuni-
gunde treibt wie eine wisseusdurstigc Dame der italienischen Renaissance sogar
Griechisch; endlich ist nicht nur ein Graf von Montferrand der Held, der ihren
Trotz bricht, anch ihr Männerhaß wird ganz anders, und zwar echt französisch,


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[0091] Sie Uyuastsagon der menschlichen Gesellschaft zu werden. Das; dieser Autor den Ausgang der Sage abgeändert hat, um ihn „dein Fräulein ehrenvoller zu machen," darauf hat' Hensel in deu Schlesischen Gebürgsblätteru (1801/2, S, 628 bis 679) hingewiesen, und er giebt deshalb selbst das Ende so an, wie es richtig sei nud im Munde der Führer laute. Der Ritter hält Kunignnden nicht eine lange Moralpredigt, sondern giebt ihr kurzerhand eine Ohrfeige und reitet weg. Dieser Darstellung hat anch Büsching in seinen Schlesischen Sagen den Vorzug gegeben. Die Lösung erfolgt gcnnn so, wie in Lopes Drama „Der Hand¬ schuh der Donna Blanka," dem Vorbilde des französischen Autors, dein Schiller den Stoff zu seiner Romanze entnahm. Als der König von Kastilien den tapfern Ritter preist, der sich um seiner Dame mulier unter die Bestien gewagt habe, erwidert Don Pedro: Sehr bedenklich Wär es, Herr, dem nachzuahmen, Weil darauf ihr der Beherzte Einen Backenstreich versetzte. Eine weitere Äudrung hat sich der Ausgang der Sage gefnlleu lassen müssen, indem die Führer auf dem Kynast ihn jetzt völlig dem Schlüsse des Handschuhs angenähert haben und ihren Bericht mit den Versen Schillers schließen: Und er wirst ihr den Handschuh ins Gesicht, „Den Dank, Dame, begehr ich nicht," Wenn gerade die Kunigundensage die Dichter so angezogen hat, wenn sie in zahlreichen Balladen, in Epen behandelt worden ist, ja Librettos zu Opern geliefert hat, so liegt das Wohl auch an der schwankenden Tradition, die jedem, der ihr eine neue Einkleidung zu geben versuchte, den weitesten Spielraum ließ, ja ihn geradezu zwang, Lücken auszufüllen, Unwahrscheinliches zu be¬ seitigen. Am besten ist das Julius Fischer-Gesellhofen in der Jungfrau vom Kynast gelungen. Sogar bis nach Frankreich hat die schlesische Sage ihren Weg gefunden. In einem Scunmelbandc französischer Novellen (1835) von Frau Jeannette Lazaonis findet sich anch eine Xun»A0na6 as XiöiiWt, Ouroriiaus Lilösisnns 6u smMmo Mole-. Die Verfasserin, eine Deutsche von Geburt, die ihren Mädchennamen leider nicht nennt, will durch diese Erzählung Deutschland und Frankreich nähern und bittet ihre Leser, den Becher, den sie halb mit Seine-, halb mit Rheiuwasser gefüllt habe, auf das Wohl der beide» Länder zu leeren, Sie erzählt, kurze Zeit, nachdem Friedrich Wilhelm III, und die Königin Luise ihre Ricsengebirgsreise (1800) unternommen hatten, den Kynast besucht, die alte Chronik der Burg auch in den Händen gehabt und ihr deu Stoff zur KunsAcmäö entnommen zu haben. Die Thatsachen sind aber in freister Weise verändert. Die Handlung ist ins sechzehnte Jahrhundert verlegt, und Kuni- gunde treibt wie eine wisseusdurstigc Dame der italienischen Renaissance sogar Griechisch; endlich ist nicht nur ein Graf von Montferrand der Held, der ihren Trotz bricht, anch ihr Männerhaß wird ganz anders, und zwar echt französisch,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/91>, abgerufen am 25.06.2024.