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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Line neue Glaubenslehre

zum Christentum gelegentlich als eine nur mühsam zu unterdrückende Stimme
bewußt geworden sein, die ihn zur Anerkennung der Wahrheit der verfolgten
Lehre aufforderte. Das war der Stachel, gegen den er ausschlug lApg, 26, 14),
Indem ihm nun die erlebte Offenbarung den gekreuzigten Jesus als auf-
erstcmdnen, von Gott anerkannten Messias zeigte, ergab sich ihm mit einem
Schlage die Wahrheit der christlichen Gesamtanschauung mit allen ihren die
Gesctzesordnung aufhebenden Konsequenzen,"

Freilich wird Zieglers Zaghaftigkeit verständlich, wenn man sich klar
macht, was davon abhängt, ob man mit Paulus und dem Verfasser der
Apostelgeschichte die volle Objektivität der dem Paulus bei seiner Bekehrung
zu teil gewordnen Christuserscheinung annimmt, oder ob man sich der nach
Baurs Vorgange von Forschern wie Holsten, Hilgenfeld, Hausrath und Havel
vertretnen Anschauung zuneigt, "daß diese Erscheinung nur das Produkt eines
psychologischen Entwicklungsprozesses des Paulus, ein bloß subjektiver, aber
für das Bewußtsein des Paulus sich zu einer Vision objektivierender Vorgang
gewesen sei."*)

Der Wortlaut der Stelle 1, Kor, 15, 1 bis 8 läßt nämlich keinen Zweifel
daran aufkommen, daß der Apostel die sämtlichen von ihm berichteten Christus-
erscheinungcn als der ihm gewordnen gleichwertig betrachtet, und der nahe¬
liegende Schluß, daß er und seine Zeitgenossen sie auch als gleichartig dachten,
ist in der That durch die neuere Evangelienforschung bestätigt worden. Denn
die von der offizielle" Kirchenlehre vertretne und bei der Gestaltung des
Kirchenjahrs zur Geltung gebrachte Anschauung, daß zwischen der Auferstehung
und der Erhöhung Christi ein Zwischenzustand liege, während dessen der Heiland
noch einmal in irdisch-materieller Gestalt auf Erden wandelte, und der durch
eine sinnenfällige Himmelfahrt seinen Abschluß erreichte, findet sich erst in der
jüngsten, in die beiden Lnkasschriften aufgenommnen Schicht unsrer evangelischen
Berichte**); "Matthäus 28, 17 f, erscheint" dagegen, ganz wie bei Paulus,
"der zur göttlichen Herrlichkeit Erhöhte seinen Aposteln," und auch "in der
Lukas 24, 26 benutzten Quelle folgt die Erhöhung zur Herrlichkeit noch" ebenso
"unmittelbar auf das Todesleiden," wie dies Paulus 1, Kor, 15 voraussetzt,***)
Deshalb wird, wenn wir die Realität der Christophanie vor Damaskus in
Zweifel ziehn, im Prinzip auch die aller übrigen, in unsern ältesten Quellen
berichteten Christuserscheinungen in Abrede gestellt und damit die Frage aufge¬
worfen, ob der allen bisherigen Formen des Christentums gemeinsamen Annahme,
dnß Christus auferstanden sei, eine wirkliche Thatsache zu Grunde liegt.

Diese Frage glaubt nun Ziegler unbedingt in bejahendem Sinne beant¬
worten zu müssen; denn, sagt er <S, 84), "die Wirkungen des im Tode und





Wendt, a, a, O, S, 188, Anm,
Bernhard Weiß, Oberkonsistorialrat und Professor der Theologie zu Berlin, Leyrbuch
der biblischen Theologie des Neuen Testaments, Berlin, Hertz. S, Aufl, S, 577,
a. a. O. S. S77 u, 289,
Line neue Glaubenslehre

zum Christentum gelegentlich als eine nur mühsam zu unterdrückende Stimme
bewußt geworden sein, die ihn zur Anerkennung der Wahrheit der verfolgten
Lehre aufforderte. Das war der Stachel, gegen den er ausschlug lApg, 26, 14),
Indem ihm nun die erlebte Offenbarung den gekreuzigten Jesus als auf-
erstcmdnen, von Gott anerkannten Messias zeigte, ergab sich ihm mit einem
Schlage die Wahrheit der christlichen Gesamtanschauung mit allen ihren die
Gesctzesordnung aufhebenden Konsequenzen,"

Freilich wird Zieglers Zaghaftigkeit verständlich, wenn man sich klar
macht, was davon abhängt, ob man mit Paulus und dem Verfasser der
Apostelgeschichte die volle Objektivität der dem Paulus bei seiner Bekehrung
zu teil gewordnen Christuserscheinung annimmt, oder ob man sich der nach
Baurs Vorgange von Forschern wie Holsten, Hilgenfeld, Hausrath und Havel
vertretnen Anschauung zuneigt, „daß diese Erscheinung nur das Produkt eines
psychologischen Entwicklungsprozesses des Paulus, ein bloß subjektiver, aber
für das Bewußtsein des Paulus sich zu einer Vision objektivierender Vorgang
gewesen sei."*)

Der Wortlaut der Stelle 1, Kor, 15, 1 bis 8 läßt nämlich keinen Zweifel
daran aufkommen, daß der Apostel die sämtlichen von ihm berichteten Christus-
erscheinungcn als der ihm gewordnen gleichwertig betrachtet, und der nahe¬
liegende Schluß, daß er und seine Zeitgenossen sie auch als gleichartig dachten,
ist in der That durch die neuere Evangelienforschung bestätigt worden. Denn
die von der offizielle» Kirchenlehre vertretne und bei der Gestaltung des
Kirchenjahrs zur Geltung gebrachte Anschauung, daß zwischen der Auferstehung
und der Erhöhung Christi ein Zwischenzustand liege, während dessen der Heiland
noch einmal in irdisch-materieller Gestalt auf Erden wandelte, und der durch
eine sinnenfällige Himmelfahrt seinen Abschluß erreichte, findet sich erst in der
jüngsten, in die beiden Lnkasschriften aufgenommnen Schicht unsrer evangelischen
Berichte**); „Matthäus 28, 17 f, erscheint" dagegen, ganz wie bei Paulus,
„der zur göttlichen Herrlichkeit Erhöhte seinen Aposteln," und auch „in der
Lukas 24, 26 benutzten Quelle folgt die Erhöhung zur Herrlichkeit noch" ebenso
„unmittelbar auf das Todesleiden," wie dies Paulus 1, Kor, 15 voraussetzt,***)
Deshalb wird, wenn wir die Realität der Christophanie vor Damaskus in
Zweifel ziehn, im Prinzip auch die aller übrigen, in unsern ältesten Quellen
berichteten Christuserscheinungen in Abrede gestellt und damit die Frage aufge¬
worfen, ob der allen bisherigen Formen des Christentums gemeinsamen Annahme,
dnß Christus auferstanden sei, eine wirkliche Thatsache zu Grunde liegt.

Diese Frage glaubt nun Ziegler unbedingt in bejahendem Sinne beant¬
worten zu müssen; denn, sagt er <S, 84), „die Wirkungen des im Tode und





Wendt, a, a, O, S, 188, Anm,
Bernhard Weiß, Oberkonsistorialrat und Professor der Theologie zu Berlin, Leyrbuch
der biblischen Theologie des Neuen Testaments, Berlin, Hertz. S, Aufl, S, 577,
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[0571] Line neue Glaubenslehre zum Christentum gelegentlich als eine nur mühsam zu unterdrückende Stimme bewußt geworden sein, die ihn zur Anerkennung der Wahrheit der verfolgten Lehre aufforderte. Das war der Stachel, gegen den er ausschlug lApg, 26, 14), Indem ihm nun die erlebte Offenbarung den gekreuzigten Jesus als auf- erstcmdnen, von Gott anerkannten Messias zeigte, ergab sich ihm mit einem Schlage die Wahrheit der christlichen Gesamtanschauung mit allen ihren die Gesctzesordnung aufhebenden Konsequenzen," Freilich wird Zieglers Zaghaftigkeit verständlich, wenn man sich klar macht, was davon abhängt, ob man mit Paulus und dem Verfasser der Apostelgeschichte die volle Objektivität der dem Paulus bei seiner Bekehrung zu teil gewordnen Christuserscheinung annimmt, oder ob man sich der nach Baurs Vorgange von Forschern wie Holsten, Hilgenfeld, Hausrath und Havel vertretnen Anschauung zuneigt, „daß diese Erscheinung nur das Produkt eines psychologischen Entwicklungsprozesses des Paulus, ein bloß subjektiver, aber für das Bewußtsein des Paulus sich zu einer Vision objektivierender Vorgang gewesen sei."*) Der Wortlaut der Stelle 1, Kor, 15, 1 bis 8 läßt nämlich keinen Zweifel daran aufkommen, daß der Apostel die sämtlichen von ihm berichteten Christus- erscheinungcn als der ihm gewordnen gleichwertig betrachtet, und der nahe¬ liegende Schluß, daß er und seine Zeitgenossen sie auch als gleichartig dachten, ist in der That durch die neuere Evangelienforschung bestätigt worden. Denn die von der offizielle» Kirchenlehre vertretne und bei der Gestaltung des Kirchenjahrs zur Geltung gebrachte Anschauung, daß zwischen der Auferstehung und der Erhöhung Christi ein Zwischenzustand liege, während dessen der Heiland noch einmal in irdisch-materieller Gestalt auf Erden wandelte, und der durch eine sinnenfällige Himmelfahrt seinen Abschluß erreichte, findet sich erst in der jüngsten, in die beiden Lnkasschriften aufgenommnen Schicht unsrer evangelischen Berichte**); „Matthäus 28, 17 f, erscheint" dagegen, ganz wie bei Paulus, „der zur göttlichen Herrlichkeit Erhöhte seinen Aposteln," und auch „in der Lukas 24, 26 benutzten Quelle folgt die Erhöhung zur Herrlichkeit noch" ebenso „unmittelbar auf das Todesleiden," wie dies Paulus 1, Kor, 15 voraussetzt,***) Deshalb wird, wenn wir die Realität der Christophanie vor Damaskus in Zweifel ziehn, im Prinzip auch die aller übrigen, in unsern ältesten Quellen berichteten Christuserscheinungen in Abrede gestellt und damit die Frage aufge¬ worfen, ob der allen bisherigen Formen des Christentums gemeinsamen Annahme, dnß Christus auferstanden sei, eine wirkliche Thatsache zu Grunde liegt. Diese Frage glaubt nun Ziegler unbedingt in bejahendem Sinne beant¬ worten zu müssen; denn, sagt er <S, 84), „die Wirkungen des im Tode und Wendt, a, a, O, S, 188, Anm, Bernhard Weiß, Oberkonsistorialrat und Professor der Theologie zu Berlin, Leyrbuch der biblischen Theologie des Neuen Testaments, Berlin, Hertz. S, Aufl, S, 577, a. a. O. S. S77 u, 289,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/571>, abgerufen am 22.07.2024.