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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Die Wohnungs- und Bodenpolitik in Großberlin

Glück. Man wird überhaupt, auch abgesehen von Bestimmungen über die Arbeiter¬
wohnungsfrage, von den öffentlichen Gewalten verlangen müssen, daß den in¬
dustriellen Grosmnternehmuna.er der großstädtische Boden viel unbequemer und
unzugänglicher gemacht wird. Wenn man also eine große gesetzgeberische wohn-
und bodenpolitische Aktion plant, so sollte die Belastung des Unternehmertums
mit der Fürsorge für die Arbeiterwohnungen zu allererst in Betracht gezogen
werden, mag es auch einiges Kopfzerbrechen kosten. Es scheint fast so, als
ob die Vorliebe für den gemeinnützigen Charakter der Wohnungsreformerischen
Bestrebungen, den man dem Wohnungsbau durch die Privatarbeitgeber, die
nur thun, was sie schuldig sind und in ihrem Vorteil liegt, nicht zuerkennt,
die Berechtigung des Verlangens, sie vor allen andern heranzuziehn, viel zu
weit in den Hintergrund gedrängt hat. Sie muß durchaus in den vordersten
Vordergrund gerückt und dnrch gesetzliche Zwangsmittel verwirklicht werden,
wie dies Ernst Engel schon 1873 verlangt hat. Daß auch die von den
Arbeitgebern zu liefernden Arbeiterwohnungen "gemeinnützig" ausfallen, dafür
wird sich durch gesetzliche Vorschriften und durch eine scharfe wohnungspolizei¬
liche Kontrolle ebensogut sorgen lassen, wie für bessere Arbeitsräume und
Arbeitsordnungen u. dergl. gesorgt worden ist.

Daß die öffentlichen Verbände als Arbeitgeber Beamten- und Arbeiter-
Wohnungen bauen, macht viel weniger Schwierigkeiten. Ans der Seite der Er¬
bauer gar keine. Sie würden ein gutes Geschüft machen. Von der Seite der
Beamten -- die Arbeiter kommen dabei kaum in Betracht -- würden freilich
sehr arge Nörgeleien in den Kauf genommen werden müssen, vollends wenn
man die sogenannten "höhern" auch mit Dienstwohnungen statt mit Wohnnngs-
entschädigungen bedenken wollte. Wir denken darin sehr radikal. Der inner¬
halb des Beamtentums, zwischen seinen verschiednen Klassen herrschende Kasten¬
hochmut ist einer der ärgsten sozialen Fehler, der keine Rücksicht verdient. Und
wenn, wie das natürlich in Berlin der Fall sein würde, der junge Richter
oder Regierungsrat, wenn er heiratet, Bedenken haben sollte, in eine Dienst-
wohnung zu ziehn, weil die "Gesellschaft" dann ja glauben könnte, er sei auf
sein Gehalt angewiesen, so sollte man sich um diese zur Korruption des alt¬
preußischen Beamtengeistes führende UnVornehmheit erst recht nicht kümmern.
Aber auch bei der zärtlichsten Schonung dieser sozialen Narrheit bleiben viele
tausende von Mittel- und Untcrbecunten übrig, denen die Zuweisung von
gute" Dienstwohnungen an Stelle der Wohnungsentschädigung eine große
Wohlthat sein und ihrer sozialen Stellung in der Einwohnerschaft wesentlich
zu gute kommen würde. Zur Zeit würden Staat und Gemeinde durch ener¬
gisches Vorgehn in dieser Richtung sogar jeder ungesunden Treiberei der
Grundstücks- und vor allem der Wohnungspreise in den Großstädten einen
ausreichenden Dämpfer aufdrücken können. Aber die auffallenden Ruhmes¬
kränze, die die große soziale Aktion, die man erstrebt, verheißt, sind dabei nicht
zu ernten.

Leider wird unsre Freude über das Gute, das Adickes zu unserm Thema


Die Wohnungs- und Bodenpolitik in Großberlin

Glück. Man wird überhaupt, auch abgesehen von Bestimmungen über die Arbeiter¬
wohnungsfrage, von den öffentlichen Gewalten verlangen müssen, daß den in¬
dustriellen Grosmnternehmuna.er der großstädtische Boden viel unbequemer und
unzugänglicher gemacht wird. Wenn man also eine große gesetzgeberische wohn-
und bodenpolitische Aktion plant, so sollte die Belastung des Unternehmertums
mit der Fürsorge für die Arbeiterwohnungen zu allererst in Betracht gezogen
werden, mag es auch einiges Kopfzerbrechen kosten. Es scheint fast so, als
ob die Vorliebe für den gemeinnützigen Charakter der Wohnungsreformerischen
Bestrebungen, den man dem Wohnungsbau durch die Privatarbeitgeber, die
nur thun, was sie schuldig sind und in ihrem Vorteil liegt, nicht zuerkennt,
die Berechtigung des Verlangens, sie vor allen andern heranzuziehn, viel zu
weit in den Hintergrund gedrängt hat. Sie muß durchaus in den vordersten
Vordergrund gerückt und dnrch gesetzliche Zwangsmittel verwirklicht werden,
wie dies Ernst Engel schon 1873 verlangt hat. Daß auch die von den
Arbeitgebern zu liefernden Arbeiterwohnungen „gemeinnützig" ausfallen, dafür
wird sich durch gesetzliche Vorschriften und durch eine scharfe wohnungspolizei¬
liche Kontrolle ebensogut sorgen lassen, wie für bessere Arbeitsräume und
Arbeitsordnungen u. dergl. gesorgt worden ist.

Daß die öffentlichen Verbände als Arbeitgeber Beamten- und Arbeiter-
Wohnungen bauen, macht viel weniger Schwierigkeiten. Ans der Seite der Er¬
bauer gar keine. Sie würden ein gutes Geschüft machen. Von der Seite der
Beamten — die Arbeiter kommen dabei kaum in Betracht — würden freilich
sehr arge Nörgeleien in den Kauf genommen werden müssen, vollends wenn
man die sogenannten „höhern" auch mit Dienstwohnungen statt mit Wohnnngs-
entschädigungen bedenken wollte. Wir denken darin sehr radikal. Der inner¬
halb des Beamtentums, zwischen seinen verschiednen Klassen herrschende Kasten¬
hochmut ist einer der ärgsten sozialen Fehler, der keine Rücksicht verdient. Und
wenn, wie das natürlich in Berlin der Fall sein würde, der junge Richter
oder Regierungsrat, wenn er heiratet, Bedenken haben sollte, in eine Dienst-
wohnung zu ziehn, weil die „Gesellschaft" dann ja glauben könnte, er sei auf
sein Gehalt angewiesen, so sollte man sich um diese zur Korruption des alt¬
preußischen Beamtengeistes führende UnVornehmheit erst recht nicht kümmern.
Aber auch bei der zärtlichsten Schonung dieser sozialen Narrheit bleiben viele
tausende von Mittel- und Untcrbecunten übrig, denen die Zuweisung von
gute» Dienstwohnungen an Stelle der Wohnungsentschädigung eine große
Wohlthat sein und ihrer sozialen Stellung in der Einwohnerschaft wesentlich
zu gute kommen würde. Zur Zeit würden Staat und Gemeinde durch ener¬
gisches Vorgehn in dieser Richtung sogar jeder ungesunden Treiberei der
Grundstücks- und vor allem der Wohnungspreise in den Großstädten einen
ausreichenden Dämpfer aufdrücken können. Aber die auffallenden Ruhmes¬
kränze, die die große soziale Aktion, die man erstrebt, verheißt, sind dabei nicht
zu ernten.

Leider wird unsre Freude über das Gute, das Adickes zu unserm Thema


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[0546] Die Wohnungs- und Bodenpolitik in Großberlin Glück. Man wird überhaupt, auch abgesehen von Bestimmungen über die Arbeiter¬ wohnungsfrage, von den öffentlichen Gewalten verlangen müssen, daß den in¬ dustriellen Grosmnternehmuna.er der großstädtische Boden viel unbequemer und unzugänglicher gemacht wird. Wenn man also eine große gesetzgeberische wohn- und bodenpolitische Aktion plant, so sollte die Belastung des Unternehmertums mit der Fürsorge für die Arbeiterwohnungen zu allererst in Betracht gezogen werden, mag es auch einiges Kopfzerbrechen kosten. Es scheint fast so, als ob die Vorliebe für den gemeinnützigen Charakter der Wohnungsreformerischen Bestrebungen, den man dem Wohnungsbau durch die Privatarbeitgeber, die nur thun, was sie schuldig sind und in ihrem Vorteil liegt, nicht zuerkennt, die Berechtigung des Verlangens, sie vor allen andern heranzuziehn, viel zu weit in den Hintergrund gedrängt hat. Sie muß durchaus in den vordersten Vordergrund gerückt und dnrch gesetzliche Zwangsmittel verwirklicht werden, wie dies Ernst Engel schon 1873 verlangt hat. Daß auch die von den Arbeitgebern zu liefernden Arbeiterwohnungen „gemeinnützig" ausfallen, dafür wird sich durch gesetzliche Vorschriften und durch eine scharfe wohnungspolizei¬ liche Kontrolle ebensogut sorgen lassen, wie für bessere Arbeitsräume und Arbeitsordnungen u. dergl. gesorgt worden ist. Daß die öffentlichen Verbände als Arbeitgeber Beamten- und Arbeiter- Wohnungen bauen, macht viel weniger Schwierigkeiten. Ans der Seite der Er¬ bauer gar keine. Sie würden ein gutes Geschüft machen. Von der Seite der Beamten — die Arbeiter kommen dabei kaum in Betracht — würden freilich sehr arge Nörgeleien in den Kauf genommen werden müssen, vollends wenn man die sogenannten „höhern" auch mit Dienstwohnungen statt mit Wohnnngs- entschädigungen bedenken wollte. Wir denken darin sehr radikal. Der inner¬ halb des Beamtentums, zwischen seinen verschiednen Klassen herrschende Kasten¬ hochmut ist einer der ärgsten sozialen Fehler, der keine Rücksicht verdient. Und wenn, wie das natürlich in Berlin der Fall sein würde, der junge Richter oder Regierungsrat, wenn er heiratet, Bedenken haben sollte, in eine Dienst- wohnung zu ziehn, weil die „Gesellschaft" dann ja glauben könnte, er sei auf sein Gehalt angewiesen, so sollte man sich um diese zur Korruption des alt¬ preußischen Beamtengeistes führende UnVornehmheit erst recht nicht kümmern. Aber auch bei der zärtlichsten Schonung dieser sozialen Narrheit bleiben viele tausende von Mittel- und Untcrbecunten übrig, denen die Zuweisung von gute» Dienstwohnungen an Stelle der Wohnungsentschädigung eine große Wohlthat sein und ihrer sozialen Stellung in der Einwohnerschaft wesentlich zu gute kommen würde. Zur Zeit würden Staat und Gemeinde durch ener¬ gisches Vorgehn in dieser Richtung sogar jeder ungesunden Treiberei der Grundstücks- und vor allem der Wohnungspreise in den Großstädten einen ausreichenden Dämpfer aufdrücken können. Aber die auffallenden Ruhmes¬ kränze, die die große soziale Aktion, die man erstrebt, verheißt, sind dabei nicht zu ernten. Leider wird unsre Freude über das Gute, das Adickes zu unserm Thema

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/546>, abgerufen am 03.07.2024.