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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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hat uns ein französischer Brief von Goethes Schwester Cvruelie aufbewahrt:
Nein trsrs . . . (zommsusa, a 8ö plaiuäro as uotrs vitis, ein xsu as g'vnd <^ni
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8sIIsL n'sttüsut Pg8 8upnvrtitb1ö8. In demselben Sinne schreibt Goethe bald
darauf, am 6. November 1768, aus Frankfurt an Friederike Öser in Leipzig:


Mit einem Mndgen hier zu Lande
Jsts aber ein langweilig Spiel;
Zur Freundschaft festes ihr um Verstände,
Zur Liebe festes ihr ain Gefühl,

Wie der Frau Rat drängte sich ihrem Sohn der Gegensatz zwischen der reich¬
lichen Ernährung des Körpers und der mangelhaften des Geistes auf, wenn er
in jener Zeit von der "Frauckfnrter Hungersnoth des guten Geschmacks" spricht.

Auch ist der Boden Frankfurts den dortigen Neigungen günstig. Vor¬
zügliche Gemüse und Früchte gedeihen in der Umgebung der Stadt, lind die
Sachsenhauser liefern den Frankfurtern das Material für viele ihrer Stillleben.
So waren es deun, als Goethe 1775 nach Weimar übersiedelte, einzig kuli¬
narische Genüsse, die er in der neuen Heimat vermißte. Am 25. September
1784 schreibt er aus Weimar an Fran von Stein nach Kochberg: (jus as
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ä'imtrs HeiuUveh <ius psur xouvoir es in-irs xart as tont hö eins irotrs sol
lurtal g. as bon se ä'iigrsabls.

Die geringe Neigung Goethes für seine Landsleute beruhte auf Gegen¬
seitigkeit; sie übten früh an ihm die von ihnen neben, oft während der Musik
geübte Kunst nicht boshaften -- denu dazu gehört Geist -- aber böswilligen
Klatsches, für den es dort förmliche Bureaus der Espritlosigkeit gab. Am
19. Januar 1776 schreibt Merck an Nicola über Goethe: "Ein Buch ließe sich
von alle" dem Thörichten und Bösen schreiben, was seine Landsleute selbst
in Frankfurt und drei Meilen von da mir selbst als Geheimnisse anvertraut
haben, die wenn sie wahr wäre", ihn seines Bürgerrechts verlustig und vogel¬
frey erklärten, wovon aber Gottlob! kein Jota wahr ist." Was sie sich von
Goethe erzählt haben mögen? Wohl etwa das, was von Wilhelm Meister
seine Landsleute sich erzählen: er lebe mit einem liederlichen junge" Edelmann,
führe ihm Schauspielerinnen zu, helfe ihm sein Geld durchbringen und sei
schuld, daß er mit seinen sämtlichen Anverwandten gespannt sei.

Dabei gehörte Goethe ja zu den Bevorzugten. Er hat die Frankfurter
Wirtschaft mit ihrem zweierlei Recht für Einheimische und für Fremde, Hohe
und Niedere im fünften Buch von Dichtung und Wahrheit geschildert; an
seinem Freunde Klinger hatte er das Beispiel eines Frankfurters aus den untern
Ständen vor Augen; Goethe" freilich und seine Mutter hat Klingers Abkunft
nicht geniert. Am 12. Juni 1777 trat der Sohn des Frankfurter Konstablers
vor das Publikum seiner Vaterstadt; sein "Sturm und Drang," das jener
ganzen Zeit späterhin den Namen gab, wurde durch die berühmte Sehlersche


hat uns ein französischer Brief von Goethes Schwester Cvruelie aufbewahrt:
Nein trsrs . . . (zommsusa, a 8ö plaiuäro as uotrs vitis, ein xsu as g'vnd <^ni
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8sIIsL n'sttüsut Pg8 8upnvrtitb1ö8. In demselben Sinne schreibt Goethe bald
darauf, am 6. November 1768, aus Frankfurt an Friederike Öser in Leipzig:


Mit einem Mndgen hier zu Lande
Jsts aber ein langweilig Spiel;
Zur Freundschaft festes ihr um Verstände,
Zur Liebe festes ihr ain Gefühl,

Wie der Frau Rat drängte sich ihrem Sohn der Gegensatz zwischen der reich¬
lichen Ernährung des Körpers und der mangelhaften des Geistes auf, wenn er
in jener Zeit von der „Frauckfnrter Hungersnoth des guten Geschmacks" spricht.

Auch ist der Boden Frankfurts den dortigen Neigungen günstig. Vor¬
zügliche Gemüse und Früchte gedeihen in der Umgebung der Stadt, lind die
Sachsenhauser liefern den Frankfurtern das Material für viele ihrer Stillleben.
So waren es deun, als Goethe 1775 nach Weimar übersiedelte, einzig kuli¬
narische Genüsse, die er in der neuen Heimat vermißte. Am 25. September
1784 schreibt er aus Weimar an Fran von Stein nach Kochberg: (jus as
zM8in8 us t'öuvoriAi8-js pg.8, 8i nov.8 selon8 sur is oorä an Rhin, se ^s n'in
ä'imtrs HeiuUveh <ius psur xouvoir es in-irs xart as tont hö eins irotrs sol
lurtal g. as bon se ä'iigrsabls.

Die geringe Neigung Goethes für seine Landsleute beruhte auf Gegen¬
seitigkeit; sie übten früh an ihm die von ihnen neben, oft während der Musik
geübte Kunst nicht boshaften — denu dazu gehört Geist — aber böswilligen
Klatsches, für den es dort förmliche Bureaus der Espritlosigkeit gab. Am
19. Januar 1776 schreibt Merck an Nicola über Goethe: „Ein Buch ließe sich
von alle» dem Thörichten und Bösen schreiben, was seine Landsleute selbst
in Frankfurt und drei Meilen von da mir selbst als Geheimnisse anvertraut
haben, die wenn sie wahr wäre», ihn seines Bürgerrechts verlustig und vogel¬
frey erklärten, wovon aber Gottlob! kein Jota wahr ist." Was sie sich von
Goethe erzählt haben mögen? Wohl etwa das, was von Wilhelm Meister
seine Landsleute sich erzählen: er lebe mit einem liederlichen junge» Edelmann,
führe ihm Schauspielerinnen zu, helfe ihm sein Geld durchbringen und sei
schuld, daß er mit seinen sämtlichen Anverwandten gespannt sei.

Dabei gehörte Goethe ja zu den Bevorzugten. Er hat die Frankfurter
Wirtschaft mit ihrem zweierlei Recht für Einheimische und für Fremde, Hohe
und Niedere im fünften Buch von Dichtung und Wahrheit geschildert; an
seinem Freunde Klinger hatte er das Beispiel eines Frankfurters aus den untern
Ständen vor Augen; Goethe» freilich und seine Mutter hat Klingers Abkunft
nicht geniert. Am 12. Juni 1777 trat der Sohn des Frankfurter Konstablers
vor das Publikum seiner Vaterstadt; sein „Sturm und Drang," das jener
ganzen Zeit späterhin den Namen gab, wurde durch die berühmte Sehlersche


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[0467] hat uns ein französischer Brief von Goethes Schwester Cvruelie aufbewahrt: Nein trsrs . . . (zommsusa, a 8ö plaiuäro as uotrs vitis, ein xsu as g'vnd <^ni rvAirg.it, as no8 vno^vir« 8tupiäv8 se suum it 8'smllusipg Wo »08 äsmvi- 8sIIsL n'sttüsut Pg8 8upnvrtitb1ö8. In demselben Sinne schreibt Goethe bald darauf, am 6. November 1768, aus Frankfurt an Friederike Öser in Leipzig: Mit einem Mndgen hier zu Lande Jsts aber ein langweilig Spiel; Zur Freundschaft festes ihr um Verstände, Zur Liebe festes ihr ain Gefühl, Wie der Frau Rat drängte sich ihrem Sohn der Gegensatz zwischen der reich¬ lichen Ernährung des Körpers und der mangelhaften des Geistes auf, wenn er in jener Zeit von der „Frauckfnrter Hungersnoth des guten Geschmacks" spricht. Auch ist der Boden Frankfurts den dortigen Neigungen günstig. Vor¬ zügliche Gemüse und Früchte gedeihen in der Umgebung der Stadt, lind die Sachsenhauser liefern den Frankfurtern das Material für viele ihrer Stillleben. So waren es deun, als Goethe 1775 nach Weimar übersiedelte, einzig kuli¬ narische Genüsse, die er in der neuen Heimat vermißte. Am 25. September 1784 schreibt er aus Weimar an Fran von Stein nach Kochberg: (jus as zM8in8 us t'öuvoriAi8-js pg.8, 8i nov.8 selon8 sur is oorä an Rhin, se ^s n'in ä'imtrs HeiuUveh <ius psur xouvoir es in-irs xart as tont hö eins irotrs sol lurtal g. as bon se ä'iigrsabls. Die geringe Neigung Goethes für seine Landsleute beruhte auf Gegen¬ seitigkeit; sie übten früh an ihm die von ihnen neben, oft während der Musik geübte Kunst nicht boshaften — denu dazu gehört Geist — aber böswilligen Klatsches, für den es dort förmliche Bureaus der Espritlosigkeit gab. Am 19. Januar 1776 schreibt Merck an Nicola über Goethe: „Ein Buch ließe sich von alle» dem Thörichten und Bösen schreiben, was seine Landsleute selbst in Frankfurt und drei Meilen von da mir selbst als Geheimnisse anvertraut haben, die wenn sie wahr wäre», ihn seines Bürgerrechts verlustig und vogel¬ frey erklärten, wovon aber Gottlob! kein Jota wahr ist." Was sie sich von Goethe erzählt haben mögen? Wohl etwa das, was von Wilhelm Meister seine Landsleute sich erzählen: er lebe mit einem liederlichen junge» Edelmann, führe ihm Schauspielerinnen zu, helfe ihm sein Geld durchbringen und sei schuld, daß er mit seinen sämtlichen Anverwandten gespannt sei. Dabei gehörte Goethe ja zu den Bevorzugten. Er hat die Frankfurter Wirtschaft mit ihrem zweierlei Recht für Einheimische und für Fremde, Hohe und Niedere im fünften Buch von Dichtung und Wahrheit geschildert; an seinem Freunde Klinger hatte er das Beispiel eines Frankfurters aus den untern Ständen vor Augen; Goethe» freilich und seine Mutter hat Klingers Abkunft nicht geniert. Am 12. Juni 1777 trat der Sohn des Frankfurter Konstablers vor das Publikum seiner Vaterstadt; sein „Sturm und Drang," das jener ganzen Zeit späterhin den Namen gab, wurde durch die berühmte Sehlersche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/467>, abgerufen am 03.07.2024.