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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Pretorias letzte Tage, unter der Bureicherrschaft

zuzuhören, wie die Burgers von ihren Kommandcmte" gelegentlich durch An¬
sprache!? gebeten wurden, doch weiter zu kämpfen, aber für solche Leute sind
alle Ermahmmgen nur leere Worte; die strenge Durchführung des Kriegs¬
gesetzes hätte eher zum gewünschten Ziele geführt.

Natürlich machte diese überstürzte Rückkehr keinen beruhigenden Eindruck
auf die Bevölkerung Pretorias. Die Leute, die trotz der Nähe der Engländer
immer noch die besten Hoffnungen hatten, daß Pretoria vermöge seiner starken
Befestigungswerke nicht genommen werden könnte, begannen nun auch zu ver¬
zagen, und von diesen flüchtete noch ein großer Teil nach Middelburg und
Waterval kurz vor Thoresschluß. Unter diesen Flüchtigen waren die Familien
von Natal und die der Kaprebellen; es war ein trauriges Bild, diese arm¬
selig gekleidete" Leute mit ihrer notdürftigsten Habe schweren Herzens noch
weiter zurückweichen zu sehen.

Von der Vorliebe für das Hab und Gilt ihres Nächsten hatten verschiedne
der zurückkehrenden Buren bei dem Zuge durch Pretoria einen starke" Beweis
geliefert. Eine besondre Vorliebe "lachte sich für Pferde bemerkbar. Da der
Feldkornet keine mehr hatte, hälfe" sich die Bürger einfach selbst; ans offner
Straße wurden Wagenpferde ausgespannt, und der Treiber mußte vom Bocke
herunter und zwischen den Deichseln die Stelle des Pferdes versehen. Andre
wieder ließen, in dem Glauben, daß Tausch kein Diebstahl sei, ihre abgemagerten
Schlachtrosse an Stelle der wohlgenährten Wagenpferde zurück. Sogar die
Pferde des Leichenbestatters schienen begehrenswert gewesen zu sein; denn
anstatt der üblichen zwei Schwarzen erfüllten in den letzten Tagen vor der
Übergabe ein Rappe und ein Schimmel, schwermütig nebeneinander gehend,
ihre traurige Pflicht.

Nachdem die Negierung ihren Sitz verlegt hatte, wurde am 31. Mai das
Lagerhaus der Regierung freigegeben oder, besser gesagt, geplündert. Dort
waren große Vorräte von Kaffee, Zucker, Milch, Kerzen und sonstigen Bedarfs¬
artikeln aufgespeichert. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht von
dem Sturm auf das Haus bis in die entlegensten Straßen, und ein Rennen
wie um Leben und Tod folgte. Eine ungeheure Menge Frauen und Männer
begehrte ungestüm Einlaß. Nur mit Lebensgefahr gelang es einem kleinen
Teile, sich Eingang zu verschaffen; doch unmöglich war es, auf demselben Wege,
mit der Beute beladen, das Freie zu gewinnen. Man sah um auch an ver-
schiednen Stellen die Leute durch die Fenster kriechen und sich durch Entfernung
der unifassenden Wellbleche einen Weg durch die Wände nach anßen bahnen;
in kurzer Zeit war eine Masse derartiger Notausgimgc geschaffen. Im Innern
spielten sich die wüstesten Szenen ab. Jeder fahndete nach dem ihm not¬
wendigsten und wertvollsten Artikel, und so wurden Kisten aufgebrochen, Säcke
aufgeschnitten, sodaß deren Inhalt kunterbunt durcheinander lag. Die Männer
richteten ihre Nase hauptsächlich auf Spirituosen, während das schwache Ge¬
schlecht mehr nach den praktisch verwertbaren Sachen griff. Verwundungen
und Verletzungen käme" mannigfaltig vor. Eine Fran wurde durch eiuen


Pretorias letzte Tage, unter der Bureicherrschaft

zuzuhören, wie die Burgers von ihren Kommandcmte» gelegentlich durch An¬
sprache!? gebeten wurden, doch weiter zu kämpfen, aber für solche Leute sind
alle Ermahmmgen nur leere Worte; die strenge Durchführung des Kriegs¬
gesetzes hätte eher zum gewünschten Ziele geführt.

Natürlich machte diese überstürzte Rückkehr keinen beruhigenden Eindruck
auf die Bevölkerung Pretorias. Die Leute, die trotz der Nähe der Engländer
immer noch die besten Hoffnungen hatten, daß Pretoria vermöge seiner starken
Befestigungswerke nicht genommen werden könnte, begannen nun auch zu ver¬
zagen, und von diesen flüchtete noch ein großer Teil nach Middelburg und
Waterval kurz vor Thoresschluß. Unter diesen Flüchtigen waren die Familien
von Natal und die der Kaprebellen; es war ein trauriges Bild, diese arm¬
selig gekleidete« Leute mit ihrer notdürftigsten Habe schweren Herzens noch
weiter zurückweichen zu sehen.

Von der Vorliebe für das Hab und Gilt ihres Nächsten hatten verschiedne
der zurückkehrenden Buren bei dem Zuge durch Pretoria einen starke» Beweis
geliefert. Eine besondre Vorliebe »lachte sich für Pferde bemerkbar. Da der
Feldkornet keine mehr hatte, hälfe» sich die Bürger einfach selbst; ans offner
Straße wurden Wagenpferde ausgespannt, und der Treiber mußte vom Bocke
herunter und zwischen den Deichseln die Stelle des Pferdes versehen. Andre
wieder ließen, in dem Glauben, daß Tausch kein Diebstahl sei, ihre abgemagerten
Schlachtrosse an Stelle der wohlgenährten Wagenpferde zurück. Sogar die
Pferde des Leichenbestatters schienen begehrenswert gewesen zu sein; denn
anstatt der üblichen zwei Schwarzen erfüllten in den letzten Tagen vor der
Übergabe ein Rappe und ein Schimmel, schwermütig nebeneinander gehend,
ihre traurige Pflicht.

Nachdem die Negierung ihren Sitz verlegt hatte, wurde am 31. Mai das
Lagerhaus der Regierung freigegeben oder, besser gesagt, geplündert. Dort
waren große Vorräte von Kaffee, Zucker, Milch, Kerzen und sonstigen Bedarfs¬
artikeln aufgespeichert. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht von
dem Sturm auf das Haus bis in die entlegensten Straßen, und ein Rennen
wie um Leben und Tod folgte. Eine ungeheure Menge Frauen und Männer
begehrte ungestüm Einlaß. Nur mit Lebensgefahr gelang es einem kleinen
Teile, sich Eingang zu verschaffen; doch unmöglich war es, auf demselben Wege,
mit der Beute beladen, das Freie zu gewinnen. Man sah um auch an ver-
schiednen Stellen die Leute durch die Fenster kriechen und sich durch Entfernung
der unifassenden Wellbleche einen Weg durch die Wände nach anßen bahnen;
in kurzer Zeit war eine Masse derartiger Notausgimgc geschaffen. Im Innern
spielten sich die wüstesten Szenen ab. Jeder fahndete nach dem ihm not¬
wendigsten und wertvollsten Artikel, und so wurden Kisten aufgebrochen, Säcke
aufgeschnitten, sodaß deren Inhalt kunterbunt durcheinander lag. Die Männer
richteten ihre Nase hauptsächlich auf Spirituosen, während das schwache Ge¬
schlecht mehr nach den praktisch verwertbaren Sachen griff. Verwundungen
und Verletzungen käme» mannigfaltig vor. Eine Fran wurde durch eiuen


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[0435] Pretorias letzte Tage, unter der Bureicherrschaft zuzuhören, wie die Burgers von ihren Kommandcmte» gelegentlich durch An¬ sprache!? gebeten wurden, doch weiter zu kämpfen, aber für solche Leute sind alle Ermahmmgen nur leere Worte; die strenge Durchführung des Kriegs¬ gesetzes hätte eher zum gewünschten Ziele geführt. Natürlich machte diese überstürzte Rückkehr keinen beruhigenden Eindruck auf die Bevölkerung Pretorias. Die Leute, die trotz der Nähe der Engländer immer noch die besten Hoffnungen hatten, daß Pretoria vermöge seiner starken Befestigungswerke nicht genommen werden könnte, begannen nun auch zu ver¬ zagen, und von diesen flüchtete noch ein großer Teil nach Middelburg und Waterval kurz vor Thoresschluß. Unter diesen Flüchtigen waren die Familien von Natal und die der Kaprebellen; es war ein trauriges Bild, diese arm¬ selig gekleidete« Leute mit ihrer notdürftigsten Habe schweren Herzens noch weiter zurückweichen zu sehen. Von der Vorliebe für das Hab und Gilt ihres Nächsten hatten verschiedne der zurückkehrenden Buren bei dem Zuge durch Pretoria einen starke» Beweis geliefert. Eine besondre Vorliebe »lachte sich für Pferde bemerkbar. Da der Feldkornet keine mehr hatte, hälfe» sich die Bürger einfach selbst; ans offner Straße wurden Wagenpferde ausgespannt, und der Treiber mußte vom Bocke herunter und zwischen den Deichseln die Stelle des Pferdes versehen. Andre wieder ließen, in dem Glauben, daß Tausch kein Diebstahl sei, ihre abgemagerten Schlachtrosse an Stelle der wohlgenährten Wagenpferde zurück. Sogar die Pferde des Leichenbestatters schienen begehrenswert gewesen zu sein; denn anstatt der üblichen zwei Schwarzen erfüllten in den letzten Tagen vor der Übergabe ein Rappe und ein Schimmel, schwermütig nebeneinander gehend, ihre traurige Pflicht. Nachdem die Negierung ihren Sitz verlegt hatte, wurde am 31. Mai das Lagerhaus der Regierung freigegeben oder, besser gesagt, geplündert. Dort waren große Vorräte von Kaffee, Zucker, Milch, Kerzen und sonstigen Bedarfs¬ artikeln aufgespeichert. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht von dem Sturm auf das Haus bis in die entlegensten Straßen, und ein Rennen wie um Leben und Tod folgte. Eine ungeheure Menge Frauen und Männer begehrte ungestüm Einlaß. Nur mit Lebensgefahr gelang es einem kleinen Teile, sich Eingang zu verschaffen; doch unmöglich war es, auf demselben Wege, mit der Beute beladen, das Freie zu gewinnen. Man sah um auch an ver- schiednen Stellen die Leute durch die Fenster kriechen und sich durch Entfernung der unifassenden Wellbleche einen Weg durch die Wände nach anßen bahnen; in kurzer Zeit war eine Masse derartiger Notausgimgc geschaffen. Im Innern spielten sich die wüstesten Szenen ab. Jeder fahndete nach dem ihm not¬ wendigsten und wertvollsten Artikel, und so wurden Kisten aufgebrochen, Säcke aufgeschnitten, sodaß deren Inhalt kunterbunt durcheinander lag. Die Männer richteten ihre Nase hauptsächlich auf Spirituosen, während das schwache Ge¬ schlecht mehr nach den praktisch verwertbaren Sachen griff. Verwundungen und Verletzungen käme» mannigfaltig vor. Eine Fran wurde durch eiuen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/435>, abgerufen am 22.07.2024.