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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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der Politik der Regierung" eine große Mäßigung zeigten." . , . Die brennende
Teilnahme drückte sich hauptsächlich in beglückwünschenden Adressen der land¬
schaftlichen Versammlungen an den Grafen Loris-Melikow, in seiner von vielen
Stndtmagistrateu beschlossenen Wahl zum Ehrenbürger aus. Und Graf Loris-
Melikow kam ihren Wünschen entgegen. Es wurden Senatoren zur Unter¬
suchung der Lage in die Gubernien geschickt, in deren Instruktionen die Frage
nach der Erweiterung der landschaftlichen Thätigkeit sehr klar und bestimmt
gestellt war. Alle die landschaftlichen Mißstände, die oben berührt worden
sind, sollten genau erforscht werden. Noch vor der Beendigung der Unter¬
suchungen ging Graf Loris an die Beantwortung der Fragen. Die Regierung
berief zu Ende 1880 die Landschaften ein "zur Beratung über die aufge¬
tauchten Fragen nud zur Abänderung einiger Bestimmungen der Verordnung
vom 27. Juni 1874 über die Errichtung örtlicher Bauernbehörden." . . . Be¬
sonders eifrig kam die Regierung dem Wunsch der Landschaften in Bezug auf
den Volksunterricht entgegen. Der unbeliebte Minister der Volksaufklärung,
Graf Tolstoi, wurde entfernt, sein Nachfolger machte Versprechungen, daß die
eingegangnen Gesuche der Landschaften genau geprüft werde" wurden. Mit
den Beziehungen zu der Zcntmlregiernng besserten sich auch die Beziehungen
der Landschaften zu den örtlichen Verwaltungsorganen. Nachdem sechzehn
Jahre lang alle Versuche der Landschaften, an Fragen der Staatswirtschaft
(soll heißen der Volkswirtschaft im Reiche) heranzutreten, unterdrückt worden
waren, erklärte der Gouverneur von Tschernigow am 12. Januar 1881 bei
der Eröffnung der Laudschaftsversammlung, "die Regierung bedürfe mehr als
je der beratenden Stimme der Landschaft in vielen Zweigen der Staats¬
wirtschaft."

Graf Loris entschloß sich, den großen Schritt weiter zu thun: Erwählte
der Landschaften und Städte zur Teilnahme an der legislativen Thätigkeit zu
berufen. Die Gerüchte vou einer Konstitution verstärkten sich. Zu Anfang
1881 schritt Graf Loris-Melikow zur Verwirklichung seines Plans: am
28. Januar unterbreitete er dein Zaren den Entwurf zur Einberufung einer
Kommission, bestehend aus Erwählten der Landschaften, und wo diese noch
nicht eingeführt waren, ans Personen, die von der Regierung eingeladen werden
sollten. An die Spitze dieser Kommission sollte ein allerhöchst ernannter Vor¬
sitzender treten, und sie sollte die Beteiligung der Volkskräfte an der zentralen
Verwaltung in die Wege leiten, unterstützt von mehreren aus den verschiednen
Ressorts von der Regierung berufnen staatlichen Unterkommissioncn, denen die
Vorbereitung der nach allerhöchster Bestimmung zu machenden legislativen Vor¬
lagen zustehn sollte. Die Kommission sollte eine beratende sein, die von den
Unterkommissionen vorbereiteten, von der Hanptkommissiou beratnen Gesetz¬
entwürfe sollten von den Ministern mit ihren Gutachten an den Reichsrat
gebracht werden, der sie abändern durfte; die endliche Entscheidung blieb dem
Monarchen vorbehalten.

Dieses war noch keine Konstitution, aber unleugbar, meint Witte, wurde


Line Denkschrift des Ministers Witte

der Politik der Regierung« eine große Mäßigung zeigten." . , . Die brennende
Teilnahme drückte sich hauptsächlich in beglückwünschenden Adressen der land¬
schaftlichen Versammlungen an den Grafen Loris-Melikow, in seiner von vielen
Stndtmagistrateu beschlossenen Wahl zum Ehrenbürger aus. Und Graf Loris-
Melikow kam ihren Wünschen entgegen. Es wurden Senatoren zur Unter¬
suchung der Lage in die Gubernien geschickt, in deren Instruktionen die Frage
nach der Erweiterung der landschaftlichen Thätigkeit sehr klar und bestimmt
gestellt war. Alle die landschaftlichen Mißstände, die oben berührt worden
sind, sollten genau erforscht werden. Noch vor der Beendigung der Unter¬
suchungen ging Graf Loris an die Beantwortung der Fragen. Die Regierung
berief zu Ende 1880 die Landschaften ein „zur Beratung über die aufge¬
tauchten Fragen nud zur Abänderung einiger Bestimmungen der Verordnung
vom 27. Juni 1874 über die Errichtung örtlicher Bauernbehörden." . . . Be¬
sonders eifrig kam die Regierung dem Wunsch der Landschaften in Bezug auf
den Volksunterricht entgegen. Der unbeliebte Minister der Volksaufklärung,
Graf Tolstoi, wurde entfernt, sein Nachfolger machte Versprechungen, daß die
eingegangnen Gesuche der Landschaften genau geprüft werde» wurden. Mit
den Beziehungen zu der Zcntmlregiernng besserten sich auch die Beziehungen
der Landschaften zu den örtlichen Verwaltungsorganen. Nachdem sechzehn
Jahre lang alle Versuche der Landschaften, an Fragen der Staatswirtschaft
(soll heißen der Volkswirtschaft im Reiche) heranzutreten, unterdrückt worden
waren, erklärte der Gouverneur von Tschernigow am 12. Januar 1881 bei
der Eröffnung der Laudschaftsversammlung, „die Regierung bedürfe mehr als
je der beratenden Stimme der Landschaft in vielen Zweigen der Staats¬
wirtschaft."

Graf Loris entschloß sich, den großen Schritt weiter zu thun: Erwählte
der Landschaften und Städte zur Teilnahme an der legislativen Thätigkeit zu
berufen. Die Gerüchte vou einer Konstitution verstärkten sich. Zu Anfang
1881 schritt Graf Loris-Melikow zur Verwirklichung seines Plans: am
28. Januar unterbreitete er dein Zaren den Entwurf zur Einberufung einer
Kommission, bestehend aus Erwählten der Landschaften, und wo diese noch
nicht eingeführt waren, ans Personen, die von der Regierung eingeladen werden
sollten. An die Spitze dieser Kommission sollte ein allerhöchst ernannter Vor¬
sitzender treten, und sie sollte die Beteiligung der Volkskräfte an der zentralen
Verwaltung in die Wege leiten, unterstützt von mehreren aus den verschiednen
Ressorts von der Regierung berufnen staatlichen Unterkommissioncn, denen die
Vorbereitung der nach allerhöchster Bestimmung zu machenden legislativen Vor¬
lagen zustehn sollte. Die Kommission sollte eine beratende sein, die von den
Unterkommissionen vorbereiteten, von der Hanptkommissiou beratnen Gesetz¬
entwürfe sollten von den Ministern mit ihren Gutachten an den Reichsrat
gebracht werden, der sie abändern durfte; die endliche Entscheidung blieb dem
Monarchen vorbehalten.

Dieses war noch keine Konstitution, aber unleugbar, meint Witte, wurde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/318>, abgerufen am 22.07.2024.