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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Holland und Deutschland

Phantasie, die in nicht M zu ferner Zeit wieder ein volles fröhliches Leben
am Dvllart aufblühen sieht. Die ganze Spannkraft des neuen Reichs liegt
hinter ihm und wird auch diesem halb abgestorbnen Gliede seines Körpers
neue Lebenssäfte zuführen. Man kann sich das in Holland nicht klar genug
machen, und ohne Zweifel weiß man am Sitz der Negierung genau darüber
Bescheid. Mit deutscher Spannkraft, und hier ist mehr die wirtschaftliche als
die politisch-militärische gemeint, wird in aller Welt um erster Stelle gerechnet,
und Holland hat alle Ursache, sie als den allein ausschlaggebenden Faktor in
seine Rechnung einzustellen. Was die Handelsverträge angeht, so stehn wir
mit den Niederlanden wie mit den meisten europäischen und außereuropäischen
Staaten in dem Verhältnis der allen Handelsabmachuugen beigefügten Mcist-
begünstigungsklcmsel. Aber mit dem Jahre 1903 laufen alle diese Verträge
ab, und es hat allen Anschein, daß Deutschland zu seinem vor dem Jahre
1892 geltenden autonomen Zolltarif zurückkehren werde. Um das hier gleich
von vornherein zu sagen, mit dem besten Rechte.

In Sachen des Handels kann man sehr schön und außerordentlich wohl¬
lautend von den Ideen ausgehend allgemeine Grundsätze einsetzen und als
alleinseligmachend die Freihandelstheorie verkündigen, aber es ist damit ebenso
wie mit der Forderung des ewigen Friedens in der Politik. Im Zusammen¬
leben der Nationen wird es immer so bleiben, daß das eine Volk sich über
das andre erhebt, und daß Krieg und Kriegsgeschrei fortdauert, bis das Ende
der Tage hereinbricht. Um kein Haar anders ist es auf dem Gebiete des
Erwerbslebens, oder vielmehr so lange auf diesem keine Änderung eintritt, wird
es mit der Abwechslung von Krieg und Frieden auch dasselbe bleiben. Der
Starke oder der, der dem andern in der Erzeugung von Werten voraus ist,
giebt das Gesetz an, und findet das keine Billigung, so greift er entweder
selbst zur Gewalt, oder er wird von dem, der das Gesetz nicht gelten lassen
will, erschlagen. So war es im Anfang, als der Streit um die Gottwohl-
gefnlligkeit des Opfers den jähen Brudermord hervorrief, und so ist es jetzt,
wo so vielfach verschlungen und verworren die Fäden des Völkerlebens durch¬
einander laufen.

Der Staat, der die Macht und die Freiheit hat, dem Drange seines
Erwerbslebens die Richtung zu geben, die im gemeinsamem Interesse aller liegt,
wird dies thun, unbekümmert sowohl um die Lehren aufdringlicher Theoretiker,
wie um den Unmut des Gegners, der darunter leidet und deshalb der Ab¬
wehr wegen zur Waffe greifen möchte. Wem dies wie die Einführung der
Nietzschischcn Herrenmoral in die Politik vorkommt, der mag sich gesagt sein
lassen, daß die Erkenntnis der ausgesprochnen Wahrheit lange vor Nietzsche
vorhanden war, und wer Anstoß an ihr nimmt, der möge wissen, daß es sich
hier nicht um die brutale Durchsetzung eines herrisch gearteten Willens, son¬
dern um die Bethätigung einer vernünftigen Einsicht handelt. Das Deutsche
Reich ist in der glücklichen Lage, seinem von einem vernünftigen Willen ge¬
leiteten Streben nach Gewinn selbstherrlich die Bahn anzuweisen.


Holland und Deutschland

Phantasie, die in nicht M zu ferner Zeit wieder ein volles fröhliches Leben
am Dvllart aufblühen sieht. Die ganze Spannkraft des neuen Reichs liegt
hinter ihm und wird auch diesem halb abgestorbnen Gliede seines Körpers
neue Lebenssäfte zuführen. Man kann sich das in Holland nicht klar genug
machen, und ohne Zweifel weiß man am Sitz der Negierung genau darüber
Bescheid. Mit deutscher Spannkraft, und hier ist mehr die wirtschaftliche als
die politisch-militärische gemeint, wird in aller Welt um erster Stelle gerechnet,
und Holland hat alle Ursache, sie als den allein ausschlaggebenden Faktor in
seine Rechnung einzustellen. Was die Handelsverträge angeht, so stehn wir
mit den Niederlanden wie mit den meisten europäischen und außereuropäischen
Staaten in dem Verhältnis der allen Handelsabmachuugen beigefügten Mcist-
begünstigungsklcmsel. Aber mit dem Jahre 1903 laufen alle diese Verträge
ab, und es hat allen Anschein, daß Deutschland zu seinem vor dem Jahre
1892 geltenden autonomen Zolltarif zurückkehren werde. Um das hier gleich
von vornherein zu sagen, mit dem besten Rechte.

In Sachen des Handels kann man sehr schön und außerordentlich wohl¬
lautend von den Ideen ausgehend allgemeine Grundsätze einsetzen und als
alleinseligmachend die Freihandelstheorie verkündigen, aber es ist damit ebenso
wie mit der Forderung des ewigen Friedens in der Politik. Im Zusammen¬
leben der Nationen wird es immer so bleiben, daß das eine Volk sich über
das andre erhebt, und daß Krieg und Kriegsgeschrei fortdauert, bis das Ende
der Tage hereinbricht. Um kein Haar anders ist es auf dem Gebiete des
Erwerbslebens, oder vielmehr so lange auf diesem keine Änderung eintritt, wird
es mit der Abwechslung von Krieg und Frieden auch dasselbe bleiben. Der
Starke oder der, der dem andern in der Erzeugung von Werten voraus ist,
giebt das Gesetz an, und findet das keine Billigung, so greift er entweder
selbst zur Gewalt, oder er wird von dem, der das Gesetz nicht gelten lassen
will, erschlagen. So war es im Anfang, als der Streit um die Gottwohl-
gefnlligkeit des Opfers den jähen Brudermord hervorrief, und so ist es jetzt,
wo so vielfach verschlungen und verworren die Fäden des Völkerlebens durch¬
einander laufen.

Der Staat, der die Macht und die Freiheit hat, dem Drange seines
Erwerbslebens die Richtung zu geben, die im gemeinsamem Interesse aller liegt,
wird dies thun, unbekümmert sowohl um die Lehren aufdringlicher Theoretiker,
wie um den Unmut des Gegners, der darunter leidet und deshalb der Ab¬
wehr wegen zur Waffe greifen möchte. Wem dies wie die Einführung der
Nietzschischcn Herrenmoral in die Politik vorkommt, der mag sich gesagt sein
lassen, daß die Erkenntnis der ausgesprochnen Wahrheit lange vor Nietzsche
vorhanden war, und wer Anstoß an ihr nimmt, der möge wissen, daß es sich
hier nicht um die brutale Durchsetzung eines herrisch gearteten Willens, son¬
dern um die Bethätigung einer vernünftigen Einsicht handelt. Das Deutsche
Reich ist in der glücklichen Lage, seinem von einem vernünftigen Willen ge¬
leiteten Streben nach Gewinn selbstherrlich die Bahn anzuweisen.


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[0270] Holland und Deutschland Phantasie, die in nicht M zu ferner Zeit wieder ein volles fröhliches Leben am Dvllart aufblühen sieht. Die ganze Spannkraft des neuen Reichs liegt hinter ihm und wird auch diesem halb abgestorbnen Gliede seines Körpers neue Lebenssäfte zuführen. Man kann sich das in Holland nicht klar genug machen, und ohne Zweifel weiß man am Sitz der Negierung genau darüber Bescheid. Mit deutscher Spannkraft, und hier ist mehr die wirtschaftliche als die politisch-militärische gemeint, wird in aller Welt um erster Stelle gerechnet, und Holland hat alle Ursache, sie als den allein ausschlaggebenden Faktor in seine Rechnung einzustellen. Was die Handelsverträge angeht, so stehn wir mit den Niederlanden wie mit den meisten europäischen und außereuropäischen Staaten in dem Verhältnis der allen Handelsabmachuugen beigefügten Mcist- begünstigungsklcmsel. Aber mit dem Jahre 1903 laufen alle diese Verträge ab, und es hat allen Anschein, daß Deutschland zu seinem vor dem Jahre 1892 geltenden autonomen Zolltarif zurückkehren werde. Um das hier gleich von vornherein zu sagen, mit dem besten Rechte. In Sachen des Handels kann man sehr schön und außerordentlich wohl¬ lautend von den Ideen ausgehend allgemeine Grundsätze einsetzen und als alleinseligmachend die Freihandelstheorie verkündigen, aber es ist damit ebenso wie mit der Forderung des ewigen Friedens in der Politik. Im Zusammen¬ leben der Nationen wird es immer so bleiben, daß das eine Volk sich über das andre erhebt, und daß Krieg und Kriegsgeschrei fortdauert, bis das Ende der Tage hereinbricht. Um kein Haar anders ist es auf dem Gebiete des Erwerbslebens, oder vielmehr so lange auf diesem keine Änderung eintritt, wird es mit der Abwechslung von Krieg und Frieden auch dasselbe bleiben. Der Starke oder der, der dem andern in der Erzeugung von Werten voraus ist, giebt das Gesetz an, und findet das keine Billigung, so greift er entweder selbst zur Gewalt, oder er wird von dem, der das Gesetz nicht gelten lassen will, erschlagen. So war es im Anfang, als der Streit um die Gottwohl- gefnlligkeit des Opfers den jähen Brudermord hervorrief, und so ist es jetzt, wo so vielfach verschlungen und verworren die Fäden des Völkerlebens durch¬ einander laufen. Der Staat, der die Macht und die Freiheit hat, dem Drange seines Erwerbslebens die Richtung zu geben, die im gemeinsamem Interesse aller liegt, wird dies thun, unbekümmert sowohl um die Lehren aufdringlicher Theoretiker, wie um den Unmut des Gegners, der darunter leidet und deshalb der Ab¬ wehr wegen zur Waffe greifen möchte. Wem dies wie die Einführung der Nietzschischcn Herrenmoral in die Politik vorkommt, der mag sich gesagt sein lassen, daß die Erkenntnis der ausgesprochnen Wahrheit lange vor Nietzsche vorhanden war, und wer Anstoß an ihr nimmt, der möge wissen, daß es sich hier nicht um die brutale Durchsetzung eines herrisch gearteten Willens, son¬ dern um die Bethätigung einer vernünftigen Einsicht handelt. Das Deutsche Reich ist in der glücklichen Lage, seinem von einem vernünftigen Willen ge¬ leiteten Streben nach Gewinn selbstherrlich die Bahn anzuweisen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/270>, abgerufen am 22.07.2024.