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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Verminderung und vertnllignng der Prozesse

mals herrschte. Der Entwurf hatte sich nämlich die Ansicht angeeignet, daß
der Staat nnr die Zulässigkeit der Enteignung und den Betrag der vom
Unternehmer zu zahlenden Entschädigungssumme feststellen dürfe, daß dagegen
die Frage, wem die vom Unternehmer für das enteignete Grundstück zu
zahlende Entschädigung zustehe, den Staat gar nichts angehe, es vielmehr
Sache des Unternehmers sei, sich den rechten Mann dafür aufzusuchen, daß
sich ferner die Entscheidung der Staatsbehörde über die dem Eigentümer ge¬
währte Entschädigung auf die Rechte der Nebeuberechtigten, die innerhalb des
für das Eigentum bestimmten Wcrtbetrags ihre Entschädigung suchen müssen,
gar nicht ausdehnen, diesen Nebenberechtigtcn vielmehr überlassen bleiben solle,
sich durch einen Prozeß mit dem Eigentümer auseinander zu setzen. Über diese
das Rechtsgefühl verletzende Ansicht des Entwurfs äußert sich der Kommissions-
bericht des Abgeordnetenhauses sachgemäß dahin: "Wenn der Staat ein Ver¬
fahren schafft, welches -- wie das hier der Fall ist -- die Bestimmung hat,
den Streitgegenstand auf den betreibenden Teil als völlig unanfechtbares freies
Eigentum zu übertragen, welches also eventuell auch alle Rechte Dritter ver¬
nichtet, dann hat er auch die Pflicht, soweit es in menschlichen Kräften liegt,
dafür zu sorgen, daß über die dafür zu leistende Entschädigung mit dem wahr¬
haft Legitimierten verhandelt, und daß diesem die Entschädigung zu teil werde.
Der Unternehmer hat nicht einmal ein Interesse daran, an die Richtigen zu
zahlen. Ihm also die Bestimmung überlassen, mit wem er als Entschädigungs¬
berechtigtem verhandeln und an wen er zahlen will, heißt das Recht auf Ent¬
schädigung dem Zufall preisgeben. , . . Lediglich durch die Enteignung wird
das bis dahin friedliche Verhältnis zwischen Eigentümer und Nebenberechtigten
in ein streitbares verwandelt, indem um die Stelle des von den Nebenberech¬
tigten bisher ausgeübten Rechts in Natur ein Anspruch auf Geldäquivalent
tritt, dessen Größe nicht feststeht und deshalb zu Zweifel und Streit Veran¬
lassung bietet. Die Beteiligten darauf verweisen, diesen lediglich durch die
Enteignung an sie gebrachten Streit von vornherein ans ihre Kosten vor
Gericht aufzutragen, würde eine große Härte gegen sie sein. Das Mindeste,
was der Staat für die von ihm selbst herbeigeführte Rechtsstörung zu ge¬
währen hat, ist die Beschaffung einer Instanz, die mittels eines kostenfrei zu
erteilenden Arvitriuin Koni om die Beteiligte" womöglich auseinandersetzt."

Demgemäß wurde der Entwurf dahin geändert, daß die Verwaltungs¬
behörde die Person der Entschädigungsbercchtigten durch eine Entscheidung fest¬
stellen müsse, die rechtskräftig werde, wenn sie nicht in bestimmter Frist von
den Beteiligten im Rechtsweg angefochten würde. Die Ansicht des Entwurfs
hätte zahlreiche schwierige Prozesse verursacht, die jetzt durch eine überaus ein¬
fache Bestimmung des Gesetzes vermieden würden; und was in gleicher Richtung
vielfach noch weiter geschehn könnte, soll an einer Reihe andrer Fälle gezeigt
werden:

Zum täglichen Brot der Gerichte gehören die "Exekutions-Jnterventions-
prozesse"; hat nämlich der Gläubiger den Kampf ums Recht mit Erfolg ge-


Verminderung und vertnllignng der Prozesse

mals herrschte. Der Entwurf hatte sich nämlich die Ansicht angeeignet, daß
der Staat nnr die Zulässigkeit der Enteignung und den Betrag der vom
Unternehmer zu zahlenden Entschädigungssumme feststellen dürfe, daß dagegen
die Frage, wem die vom Unternehmer für das enteignete Grundstück zu
zahlende Entschädigung zustehe, den Staat gar nichts angehe, es vielmehr
Sache des Unternehmers sei, sich den rechten Mann dafür aufzusuchen, daß
sich ferner die Entscheidung der Staatsbehörde über die dem Eigentümer ge¬
währte Entschädigung auf die Rechte der Nebeuberechtigten, die innerhalb des
für das Eigentum bestimmten Wcrtbetrags ihre Entschädigung suchen müssen,
gar nicht ausdehnen, diesen Nebenberechtigtcn vielmehr überlassen bleiben solle,
sich durch einen Prozeß mit dem Eigentümer auseinander zu setzen. Über diese
das Rechtsgefühl verletzende Ansicht des Entwurfs äußert sich der Kommissions-
bericht des Abgeordnetenhauses sachgemäß dahin: „Wenn der Staat ein Ver¬
fahren schafft, welches — wie das hier der Fall ist — die Bestimmung hat,
den Streitgegenstand auf den betreibenden Teil als völlig unanfechtbares freies
Eigentum zu übertragen, welches also eventuell auch alle Rechte Dritter ver¬
nichtet, dann hat er auch die Pflicht, soweit es in menschlichen Kräften liegt,
dafür zu sorgen, daß über die dafür zu leistende Entschädigung mit dem wahr¬
haft Legitimierten verhandelt, und daß diesem die Entschädigung zu teil werde.
Der Unternehmer hat nicht einmal ein Interesse daran, an die Richtigen zu
zahlen. Ihm also die Bestimmung überlassen, mit wem er als Entschädigungs¬
berechtigtem verhandeln und an wen er zahlen will, heißt das Recht auf Ent¬
schädigung dem Zufall preisgeben. , . . Lediglich durch die Enteignung wird
das bis dahin friedliche Verhältnis zwischen Eigentümer und Nebenberechtigten
in ein streitbares verwandelt, indem um die Stelle des von den Nebenberech¬
tigten bisher ausgeübten Rechts in Natur ein Anspruch auf Geldäquivalent
tritt, dessen Größe nicht feststeht und deshalb zu Zweifel und Streit Veran¬
lassung bietet. Die Beteiligten darauf verweisen, diesen lediglich durch die
Enteignung an sie gebrachten Streit von vornherein ans ihre Kosten vor
Gericht aufzutragen, würde eine große Härte gegen sie sein. Das Mindeste,
was der Staat für die von ihm selbst herbeigeführte Rechtsstörung zu ge¬
währen hat, ist die Beschaffung einer Instanz, die mittels eines kostenfrei zu
erteilenden Arvitriuin Koni om die Beteiligte» womöglich auseinandersetzt."

Demgemäß wurde der Entwurf dahin geändert, daß die Verwaltungs¬
behörde die Person der Entschädigungsbercchtigten durch eine Entscheidung fest¬
stellen müsse, die rechtskräftig werde, wenn sie nicht in bestimmter Frist von
den Beteiligten im Rechtsweg angefochten würde. Die Ansicht des Entwurfs
hätte zahlreiche schwierige Prozesse verursacht, die jetzt durch eine überaus ein¬
fache Bestimmung des Gesetzes vermieden würden; und was in gleicher Richtung
vielfach noch weiter geschehn könnte, soll an einer Reihe andrer Fälle gezeigt
werden:

Zum täglichen Brot der Gerichte gehören die „Exekutions-Jnterventions-
prozesse"; hat nämlich der Gläubiger den Kampf ums Recht mit Erfolg ge-


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[0230] Verminderung und vertnllignng der Prozesse mals herrschte. Der Entwurf hatte sich nämlich die Ansicht angeeignet, daß der Staat nnr die Zulässigkeit der Enteignung und den Betrag der vom Unternehmer zu zahlenden Entschädigungssumme feststellen dürfe, daß dagegen die Frage, wem die vom Unternehmer für das enteignete Grundstück zu zahlende Entschädigung zustehe, den Staat gar nichts angehe, es vielmehr Sache des Unternehmers sei, sich den rechten Mann dafür aufzusuchen, daß sich ferner die Entscheidung der Staatsbehörde über die dem Eigentümer ge¬ währte Entschädigung auf die Rechte der Nebeuberechtigten, die innerhalb des für das Eigentum bestimmten Wcrtbetrags ihre Entschädigung suchen müssen, gar nicht ausdehnen, diesen Nebenberechtigtcn vielmehr überlassen bleiben solle, sich durch einen Prozeß mit dem Eigentümer auseinander zu setzen. Über diese das Rechtsgefühl verletzende Ansicht des Entwurfs äußert sich der Kommissions- bericht des Abgeordnetenhauses sachgemäß dahin: „Wenn der Staat ein Ver¬ fahren schafft, welches — wie das hier der Fall ist — die Bestimmung hat, den Streitgegenstand auf den betreibenden Teil als völlig unanfechtbares freies Eigentum zu übertragen, welches also eventuell auch alle Rechte Dritter ver¬ nichtet, dann hat er auch die Pflicht, soweit es in menschlichen Kräften liegt, dafür zu sorgen, daß über die dafür zu leistende Entschädigung mit dem wahr¬ haft Legitimierten verhandelt, und daß diesem die Entschädigung zu teil werde. Der Unternehmer hat nicht einmal ein Interesse daran, an die Richtigen zu zahlen. Ihm also die Bestimmung überlassen, mit wem er als Entschädigungs¬ berechtigtem verhandeln und an wen er zahlen will, heißt das Recht auf Ent¬ schädigung dem Zufall preisgeben. , . . Lediglich durch die Enteignung wird das bis dahin friedliche Verhältnis zwischen Eigentümer und Nebenberechtigten in ein streitbares verwandelt, indem um die Stelle des von den Nebenberech¬ tigten bisher ausgeübten Rechts in Natur ein Anspruch auf Geldäquivalent tritt, dessen Größe nicht feststeht und deshalb zu Zweifel und Streit Veran¬ lassung bietet. Die Beteiligten darauf verweisen, diesen lediglich durch die Enteignung an sie gebrachten Streit von vornherein ans ihre Kosten vor Gericht aufzutragen, würde eine große Härte gegen sie sein. Das Mindeste, was der Staat für die von ihm selbst herbeigeführte Rechtsstörung zu ge¬ währen hat, ist die Beschaffung einer Instanz, die mittels eines kostenfrei zu erteilenden Arvitriuin Koni om die Beteiligte» womöglich auseinandersetzt." Demgemäß wurde der Entwurf dahin geändert, daß die Verwaltungs¬ behörde die Person der Entschädigungsbercchtigten durch eine Entscheidung fest¬ stellen müsse, die rechtskräftig werde, wenn sie nicht in bestimmter Frist von den Beteiligten im Rechtsweg angefochten würde. Die Ansicht des Entwurfs hätte zahlreiche schwierige Prozesse verursacht, die jetzt durch eine überaus ein¬ fache Bestimmung des Gesetzes vermieden würden; und was in gleicher Richtung vielfach noch weiter geschehn könnte, soll an einer Reihe andrer Fälle gezeigt werden: Zum täglichen Brot der Gerichte gehören die „Exekutions-Jnterventions- prozesse"; hat nämlich der Gläubiger den Kampf ums Recht mit Erfolg ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/230>, abgerufen am 26.06.2024.