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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Der Kernpunkt der ganzen Kolonisation von Rio Grande, wenn man diesen
Begriff weiter faßt als die Ausrodung von Urwald, den Anbau von Tabak,
Bohnen und Mais und die Schweinezucht, liegt jedoch in der Schaffung eines
tauglichen Hafens für diese" Staat, der ihn in direkte Berührung mit dem
Ozean bringt. In dem Küstenplatz Torres sind die natürlichen Bedingungen
hierfür gegeben. Nur eine Hafeuanlage an diesem Ort und eine Kanal- oder
Eisenbahnverbindung mit Porto Alegre kann das herrliche Sommerlnnd Rio
Grande einer Kolonisation in großem Stil erschließen. Aber die offiziellen
Vertreter des Deutschen Reichs, die eine Hebung des Landes durch deutsche
Einwandrnng und deutsches Kapital im übrigen begünstigen, vermeiden es, diesen
Kernpunkt kräftig anzufassen. Wir glauben zu wissen, warum. Von der Losung
dieser Frage der direkte" Verbindung des Landes mit dem Meere hängt aber
mich die der weitern Kolonisation im Innern sowie in den angrenzenden Ge¬
bieten, dem reichen Hinterland von Parana, den argentinischen Missionen,
Paraguay, ja sogar dem so znkuuftsreichcu Matto Grosso ab. In Rio Grande
muß eine solide Basis geschaffen werden für eine Erschließung dieser Hinter¬
länder, die nicht nnr durch die dünnen Fäden des Laplatauetzes mit dem Welt¬
verkehr verknüpft bleiben dürfen. Statt ans die Lösung dieser Vorfrage mit
aller Thatkraft hinzuarbeiten, sucht man jetzt im Binnenland den Hebel an¬
zusetzen und zuvörderst das Missioncngcbiet von Rio Grande zu kolonisieren.
Wir wünschen dem an sich so äußerst erfreulichen Unternehmen der Rio Grcmdc-
Nordwestbcchn von Herzen alles Gute, aber wir glauben, daß diese auf einen
Anschluß des Hinterlandes von Rio Grande an das Laplatagcbiet hinzielenden
großartigen Pläne erst dann Aussicht auf völliges Gelingen habe", wenn mit
der Lösung der nächstliegenden Aufgabe der Anfang gemacht worden ist. Es
gilt also den Stier bei den Hörnern zu fassen, unbekümmert um Erwägungen,
die auf die Dauer nicht maßgebend sein können, wenn die große Frage der
Kolonisation nicht nnr dieses Staats, sondern eines unermeßlichen Ländcrgebiets
von unschätzbarer Bedeutung befriedigend gelöst werden soll.

Die Regierung des Staates Rio Grande hat allen Grund, dem deutschen
Kapital, das zu dem Bau dieses Hafens und der sich daran anschließenden
Verkehrswege Neigung verspürte, möglichst entgegenzukommen. Andernfalls
wird die Union nicht mehr lange zögern, von sich aus die Kolonisation des
Landes in großem Stil unter politischem Hochdruck und mit reichlich fließenden:
Bakschisch in die Hand zu nehmen. Welche Werte darin verborgen sind, weiß
>nan i" Washington schon längst, oder hat man seit der Reise des Konsuls
Seeger und durch ähnliche Besuche erfahren. Auch die Missionare, von deren
Thätigkeit in Rio Grande schon die Rede war, werden nicht geschwiegen haben.
In der Thatsache, daß etwa ein Fünftel der Bevölkerung, das wirtschaftlich
aber weit mehr bedeutet als die Kopfzahl, deutscher Nationalität angehört,
werdeu die Nordamerikaner eher eine Förderung als ein Hindernis für ihre
Absichten sehen. Mail kennt doch diese loyalen und geduldigen Deutschen, die
"ur wirtschaftlich gedeihen, aber nicht mitregiercn wollen, vom nördlichen Kor-


Der Kernpunkt der ganzen Kolonisation von Rio Grande, wenn man diesen
Begriff weiter faßt als die Ausrodung von Urwald, den Anbau von Tabak,
Bohnen und Mais und die Schweinezucht, liegt jedoch in der Schaffung eines
tauglichen Hafens für diese» Staat, der ihn in direkte Berührung mit dem
Ozean bringt. In dem Küstenplatz Torres sind die natürlichen Bedingungen
hierfür gegeben. Nur eine Hafeuanlage an diesem Ort und eine Kanal- oder
Eisenbahnverbindung mit Porto Alegre kann das herrliche Sommerlnnd Rio
Grande einer Kolonisation in großem Stil erschließen. Aber die offiziellen
Vertreter des Deutschen Reichs, die eine Hebung des Landes durch deutsche
Einwandrnng und deutsches Kapital im übrigen begünstigen, vermeiden es, diesen
Kernpunkt kräftig anzufassen. Wir glauben zu wissen, warum. Von der Losung
dieser Frage der direkte» Verbindung des Landes mit dem Meere hängt aber
mich die der weitern Kolonisation im Innern sowie in den angrenzenden Ge¬
bieten, dem reichen Hinterland von Parana, den argentinischen Missionen,
Paraguay, ja sogar dem so znkuuftsreichcu Matto Grosso ab. In Rio Grande
muß eine solide Basis geschaffen werden für eine Erschließung dieser Hinter¬
länder, die nicht nnr durch die dünnen Fäden des Laplatauetzes mit dem Welt¬
verkehr verknüpft bleiben dürfen. Statt ans die Lösung dieser Vorfrage mit
aller Thatkraft hinzuarbeiten, sucht man jetzt im Binnenland den Hebel an¬
zusetzen und zuvörderst das Missioncngcbiet von Rio Grande zu kolonisieren.
Wir wünschen dem an sich so äußerst erfreulichen Unternehmen der Rio Grcmdc-
Nordwestbcchn von Herzen alles Gute, aber wir glauben, daß diese auf einen
Anschluß des Hinterlandes von Rio Grande an das Laplatagcbiet hinzielenden
großartigen Pläne erst dann Aussicht auf völliges Gelingen habe», wenn mit
der Lösung der nächstliegenden Aufgabe der Anfang gemacht worden ist. Es
gilt also den Stier bei den Hörnern zu fassen, unbekümmert um Erwägungen,
die auf die Dauer nicht maßgebend sein können, wenn die große Frage der
Kolonisation nicht nnr dieses Staats, sondern eines unermeßlichen Ländcrgebiets
von unschätzbarer Bedeutung befriedigend gelöst werden soll.

Die Regierung des Staates Rio Grande hat allen Grund, dem deutschen
Kapital, das zu dem Bau dieses Hafens und der sich daran anschließenden
Verkehrswege Neigung verspürte, möglichst entgegenzukommen. Andernfalls
wird die Union nicht mehr lange zögern, von sich aus die Kolonisation des
Landes in großem Stil unter politischem Hochdruck und mit reichlich fließenden:
Bakschisch in die Hand zu nehmen. Welche Werte darin verborgen sind, weiß
>nan i„ Washington schon längst, oder hat man seit der Reise des Konsuls
Seeger und durch ähnliche Besuche erfahren. Auch die Missionare, von deren
Thätigkeit in Rio Grande schon die Rede war, werden nicht geschwiegen haben.
In der Thatsache, daß etwa ein Fünftel der Bevölkerung, das wirtschaftlich
aber weit mehr bedeutet als die Kopfzahl, deutscher Nationalität angehört,
werdeu die Nordamerikaner eher eine Förderung als ein Hindernis für ihre
Absichten sehen. Mail kennt doch diese loyalen und geduldigen Deutschen, die
»ur wirtschaftlich gedeihen, aber nicht mitregiercn wollen, vom nördlichen Kor-


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[0221] Der Kernpunkt der ganzen Kolonisation von Rio Grande, wenn man diesen Begriff weiter faßt als die Ausrodung von Urwald, den Anbau von Tabak, Bohnen und Mais und die Schweinezucht, liegt jedoch in der Schaffung eines tauglichen Hafens für diese» Staat, der ihn in direkte Berührung mit dem Ozean bringt. In dem Küstenplatz Torres sind die natürlichen Bedingungen hierfür gegeben. Nur eine Hafeuanlage an diesem Ort und eine Kanal- oder Eisenbahnverbindung mit Porto Alegre kann das herrliche Sommerlnnd Rio Grande einer Kolonisation in großem Stil erschließen. Aber die offiziellen Vertreter des Deutschen Reichs, die eine Hebung des Landes durch deutsche Einwandrnng und deutsches Kapital im übrigen begünstigen, vermeiden es, diesen Kernpunkt kräftig anzufassen. Wir glauben zu wissen, warum. Von der Losung dieser Frage der direkte» Verbindung des Landes mit dem Meere hängt aber mich die der weitern Kolonisation im Innern sowie in den angrenzenden Ge¬ bieten, dem reichen Hinterland von Parana, den argentinischen Missionen, Paraguay, ja sogar dem so znkuuftsreichcu Matto Grosso ab. In Rio Grande muß eine solide Basis geschaffen werden für eine Erschließung dieser Hinter¬ länder, die nicht nnr durch die dünnen Fäden des Laplatauetzes mit dem Welt¬ verkehr verknüpft bleiben dürfen. Statt ans die Lösung dieser Vorfrage mit aller Thatkraft hinzuarbeiten, sucht man jetzt im Binnenland den Hebel an¬ zusetzen und zuvörderst das Missioncngcbiet von Rio Grande zu kolonisieren. Wir wünschen dem an sich so äußerst erfreulichen Unternehmen der Rio Grcmdc- Nordwestbcchn von Herzen alles Gute, aber wir glauben, daß diese auf einen Anschluß des Hinterlandes von Rio Grande an das Laplatagcbiet hinzielenden großartigen Pläne erst dann Aussicht auf völliges Gelingen habe», wenn mit der Lösung der nächstliegenden Aufgabe der Anfang gemacht worden ist. Es gilt also den Stier bei den Hörnern zu fassen, unbekümmert um Erwägungen, die auf die Dauer nicht maßgebend sein können, wenn die große Frage der Kolonisation nicht nnr dieses Staats, sondern eines unermeßlichen Ländcrgebiets von unschätzbarer Bedeutung befriedigend gelöst werden soll. Die Regierung des Staates Rio Grande hat allen Grund, dem deutschen Kapital, das zu dem Bau dieses Hafens und der sich daran anschließenden Verkehrswege Neigung verspürte, möglichst entgegenzukommen. Andernfalls wird die Union nicht mehr lange zögern, von sich aus die Kolonisation des Landes in großem Stil unter politischem Hochdruck und mit reichlich fließenden: Bakschisch in die Hand zu nehmen. Welche Werte darin verborgen sind, weiß >nan i„ Washington schon längst, oder hat man seit der Reise des Konsuls Seeger und durch ähnliche Besuche erfahren. Auch die Missionare, von deren Thätigkeit in Rio Grande schon die Rede war, werden nicht geschwiegen haben. In der Thatsache, daß etwa ein Fünftel der Bevölkerung, das wirtschaftlich aber weit mehr bedeutet als die Kopfzahl, deutscher Nationalität angehört, werdeu die Nordamerikaner eher eine Förderung als ein Hindernis für ihre Absichten sehen. Mail kennt doch diese loyalen und geduldigen Deutschen, die »ur wirtschaftlich gedeihen, aber nicht mitregiercn wollen, vom nördlichen Kor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/221>, abgerufen am 27.07.2024.