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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Umständen herzugehn pflegt. Vielleicht wäre dann einer von den moralisch
erregten Herren auch an die Stelle gekommen, wo geschrieben steht, wie die
Niederländer dem Handel des Großen Kurfürsten und seinen Niederlassungen
an der Küste von Guinea den Garaus gemacht haben. Was will Saul unter
den Propheten des holländischen Handels, und was trampelt die Buren unter
den englischen Zirkeln von Südafrika umher?

Die Geschichte mit ihren Lehren steht in Holland so wenig in Achtung
wie überall sonst auf der Welt, Das Datum und die Jahreszahl fein säuberlich
darunter verzeichnet machen selig; was sollen wir uns um andres scheren?
Wenn es anders wäre, wenn die Führer, die auch die Leiter ihres Volks sein
wolle", von einem andern Geist beseelt sein könnten, dann würde sich in Holland
die Erkenntnis Bahn brechen, daß auch in feiner Negierung viel gefehlt worden
ist, was, wenn man so sagen darf, das Mißlingen seiner Geschichte mit ver¬
schuldet hat, dann würden die Holländer wissen, daß auch in ihrer Verwaltung
eine Art Imperialismus ihr Wesen gehabt hat, die deshalb so bezeichnet
werden muß, weil sie mehr ein Raubbau war als ein fürsorgliches Arbeiten
für die Zukunft. Wer Lust duzn hat, der kann in der Geschichte der hollän¬
dischen Kolonien überraschende Dinge lesen. In Brasilien hatten die Nieder¬
länder in der erste" Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts den Portugiesen große
Strecken Landes entrissen. Das weite und fruchtbare Gebiet, das den Er¬
oberern fast mühelos in die Hände gefallen war, stand unter der weisen und
staatsmännischen Verwaltung des Prinzen Johann Moritz von Oranien, eines
Mannes, der die Staatskunst in der besten Schule gelernt hatte. Aber gerade
dies war für die Hochmögcnden genug, ihn mit dem Mißtrauen zu umstellen,
womit sie durch alle Zeit sein Geschlecht beehrt haben. Den reichen Kauf¬
leuten floß der Gewinn nicht schnell genug in die Geldsäcke, und deshalb ließen
sie seine weit ausschauende Regentschaft ohne die Unterstützung, die an der
Küste Brasiliens ein neues Holland gegründet hätte.

Auch an Siedlern fehlte es, aber wenn auch das kleine Holland selbst
die nötige Menschenzahl allein nicht herzugeben vermochte, so konnte doch das
nahe Niedersachsen und Westfalen aushelfen. Mit dem Grund und Boden
hätte um" allerdings nicht krausem dürfen, aber eben hierin lag es. Der Geiz,
von alleu Arten von Juiperinlismus der härteste, hielt seine "magern Schwingen
über den vollen Geldbeuteln ausgespannt" und ließ die goldnen Stoßvogel mir
dahin ausfliegen, woher sie raschen Gewinn mit heimbrachten. Allein aus
diese", Grunde konnte die niederländische Herrlichkeit in Brasilien nicht lange
dmierin schon kurz nach der Mitte des Jahrhunderts hüllen die Portugiesen
das Verlorne Gebiet zurückerobert.

In allen andern niederländischen Kolonien muß der negative Verlauf
ihrer Geschichte auf dieselben Gründe zurückgeführt werden. Wenn die General¬
staaten es verstanden hätten, ihre Ansiedlungen im Sinne einer nicht für den
Augenblick wirkenden Staatskunst ans einer breitern volkswirtschaftlichen Grund¬
lage aufzubauen, als durch die einseitige Rücksicht auf den Handel geboten wird,


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Umständen herzugehn pflegt. Vielleicht wäre dann einer von den moralisch
erregten Herren auch an die Stelle gekommen, wo geschrieben steht, wie die
Niederländer dem Handel des Großen Kurfürsten und seinen Niederlassungen
an der Küste von Guinea den Garaus gemacht haben. Was will Saul unter
den Propheten des holländischen Handels, und was trampelt die Buren unter
den englischen Zirkeln von Südafrika umher?

Die Geschichte mit ihren Lehren steht in Holland so wenig in Achtung
wie überall sonst auf der Welt, Das Datum und die Jahreszahl fein säuberlich
darunter verzeichnet machen selig; was sollen wir uns um andres scheren?
Wenn es anders wäre, wenn die Führer, die auch die Leiter ihres Volks sein
wolle», von einem andern Geist beseelt sein könnten, dann würde sich in Holland
die Erkenntnis Bahn brechen, daß auch in feiner Negierung viel gefehlt worden
ist, was, wenn man so sagen darf, das Mißlingen seiner Geschichte mit ver¬
schuldet hat, dann würden die Holländer wissen, daß auch in ihrer Verwaltung
eine Art Imperialismus ihr Wesen gehabt hat, die deshalb so bezeichnet
werden muß, weil sie mehr ein Raubbau war als ein fürsorgliches Arbeiten
für die Zukunft. Wer Lust duzn hat, der kann in der Geschichte der hollän¬
dischen Kolonien überraschende Dinge lesen. In Brasilien hatten die Nieder¬
länder in der erste» Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts den Portugiesen große
Strecken Landes entrissen. Das weite und fruchtbare Gebiet, das den Er¬
oberern fast mühelos in die Hände gefallen war, stand unter der weisen und
staatsmännischen Verwaltung des Prinzen Johann Moritz von Oranien, eines
Mannes, der die Staatskunst in der besten Schule gelernt hatte. Aber gerade
dies war für die Hochmögcnden genug, ihn mit dem Mißtrauen zu umstellen,
womit sie durch alle Zeit sein Geschlecht beehrt haben. Den reichen Kauf¬
leuten floß der Gewinn nicht schnell genug in die Geldsäcke, und deshalb ließen
sie seine weit ausschauende Regentschaft ohne die Unterstützung, die an der
Küste Brasiliens ein neues Holland gegründet hätte.

Auch an Siedlern fehlte es, aber wenn auch das kleine Holland selbst
die nötige Menschenzahl allein nicht herzugeben vermochte, so konnte doch das
nahe Niedersachsen und Westfalen aushelfen. Mit dem Grund und Boden
hätte um» allerdings nicht krausem dürfen, aber eben hierin lag es. Der Geiz,
von alleu Arten von Juiperinlismus der härteste, hielt seine „magern Schwingen
über den vollen Geldbeuteln ausgespannt" und ließ die goldnen Stoßvogel mir
dahin ausfliegen, woher sie raschen Gewinn mit heimbrachten. Allein aus
diese», Grunde konnte die niederländische Herrlichkeit in Brasilien nicht lange
dmierin schon kurz nach der Mitte des Jahrhunderts hüllen die Portugiesen
das Verlorne Gebiet zurückerobert.

In allen andern niederländischen Kolonien muß der negative Verlauf
ihrer Geschichte auf dieselben Gründe zurückgeführt werden. Wenn die General¬
staaten es verstanden hätten, ihre Ansiedlungen im Sinne einer nicht für den
Augenblick wirkenden Staatskunst ans einer breitern volkswirtschaftlichen Grund¬
lage aufzubauen, als durch die einseitige Rücksicht auf den Handel geboten wird,


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[0216] Holland »>it Deutschland Umständen herzugehn pflegt. Vielleicht wäre dann einer von den moralisch erregten Herren auch an die Stelle gekommen, wo geschrieben steht, wie die Niederländer dem Handel des Großen Kurfürsten und seinen Niederlassungen an der Küste von Guinea den Garaus gemacht haben. Was will Saul unter den Propheten des holländischen Handels, und was trampelt die Buren unter den englischen Zirkeln von Südafrika umher? Die Geschichte mit ihren Lehren steht in Holland so wenig in Achtung wie überall sonst auf der Welt, Das Datum und die Jahreszahl fein säuberlich darunter verzeichnet machen selig; was sollen wir uns um andres scheren? Wenn es anders wäre, wenn die Führer, die auch die Leiter ihres Volks sein wolle», von einem andern Geist beseelt sein könnten, dann würde sich in Holland die Erkenntnis Bahn brechen, daß auch in feiner Negierung viel gefehlt worden ist, was, wenn man so sagen darf, das Mißlingen seiner Geschichte mit ver¬ schuldet hat, dann würden die Holländer wissen, daß auch in ihrer Verwaltung eine Art Imperialismus ihr Wesen gehabt hat, die deshalb so bezeichnet werden muß, weil sie mehr ein Raubbau war als ein fürsorgliches Arbeiten für die Zukunft. Wer Lust duzn hat, der kann in der Geschichte der hollän¬ dischen Kolonien überraschende Dinge lesen. In Brasilien hatten die Nieder¬ länder in der erste» Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts den Portugiesen große Strecken Landes entrissen. Das weite und fruchtbare Gebiet, das den Er¬ oberern fast mühelos in die Hände gefallen war, stand unter der weisen und staatsmännischen Verwaltung des Prinzen Johann Moritz von Oranien, eines Mannes, der die Staatskunst in der besten Schule gelernt hatte. Aber gerade dies war für die Hochmögcnden genug, ihn mit dem Mißtrauen zu umstellen, womit sie durch alle Zeit sein Geschlecht beehrt haben. Den reichen Kauf¬ leuten floß der Gewinn nicht schnell genug in die Geldsäcke, und deshalb ließen sie seine weit ausschauende Regentschaft ohne die Unterstützung, die an der Küste Brasiliens ein neues Holland gegründet hätte. Auch an Siedlern fehlte es, aber wenn auch das kleine Holland selbst die nötige Menschenzahl allein nicht herzugeben vermochte, so konnte doch das nahe Niedersachsen und Westfalen aushelfen. Mit dem Grund und Boden hätte um» allerdings nicht krausem dürfen, aber eben hierin lag es. Der Geiz, von alleu Arten von Juiperinlismus der härteste, hielt seine „magern Schwingen über den vollen Geldbeuteln ausgespannt" und ließ die goldnen Stoßvogel mir dahin ausfliegen, woher sie raschen Gewinn mit heimbrachten. Allein aus diese», Grunde konnte die niederländische Herrlichkeit in Brasilien nicht lange dmierin schon kurz nach der Mitte des Jahrhunderts hüllen die Portugiesen das Verlorne Gebiet zurückerobert. In allen andern niederländischen Kolonien muß der negative Verlauf ihrer Geschichte auf dieselben Gründe zurückgeführt werden. Wenn die General¬ staaten es verstanden hätten, ihre Ansiedlungen im Sinne einer nicht für den Augenblick wirkenden Staatskunst ans einer breitern volkswirtschaftlichen Grund¬ lage aufzubauen, als durch die einseitige Rücksicht auf den Handel geboten wird,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/216>, abgerufen am 05.07.2024.