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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Holland und Deulschlaiid

der deutschen Könige wiederherzustellen, führte zuerst zur Schwäche und dann
zum Verfall des alten Reichs.

Die spanischen Konquistadoren erwarben ihren Königen im neuentdeckten
Amerika unermeßliche Länderstrecken, aber der Wert dieses Herrschaftsgebiets
war von vornherein äußerst zweifelhafter Natur, weil es auf rasche Aus¬
beutung abgesehen war, und an wirtschaftliche Angliederung kaum gedacht
wurde.

Von Nußland abgesehen hat in neuster Zeit England zuerst den impe¬
rialistischen Gedanken zur Ausführung gebracht. Aber insofern er seiner voll¬
ständigen Durchführung dahin noch ermangelt, daß die über die ganze Erde
zerstreuten Kolonien und Besitzungen Englands zu einem einheitlichen Wirt¬
schaftsgebiete mit denselben Zollschranken vor ihren Thüren gemacht werde"
sollen, muß er den schwersten Bedeuten begegnen. Zunächst dem, daß diese
Geschlossenheit die möglichste Gleichartigkeit der Bevölkerung mit möglichst
denselben Lebensbedingungen zur Voraussetzung hat. Mit Gewalt ließe sich
allerdings eine Zeit laug das System sehr zum Schaden der außen stehenden
kleiner" Gemeinschaften aufrecht erhalten, aber es ist wahrscheinlich, daß auf
die Dauer der Ausbruch der im Innern gärenden Elemente nicht zurück¬
gehalten werden könnte. Irland ist vor Jahrhunderten von den Engländern
mit Gewalt unterworfen worden, und uoch steht dem Wesen nach diese Insel
unter keinem andern Recht als dem der Eroberung. Alle Versuche, Land und
Volk der Iren politisch und wirtschaftlich in derselben Weise zu gewinnen wie
Schottland, sind als gescheitert zu betrachten. Es giebt in ganz Europa keine
mit Gewalt niedcrgehaltne Provinz, die mehr zur Empörung geneigt wäre,
als das von England beherrschte Irland.

Daß es freilich in dem für erobert gehaltnen Indien für England noch
viel schlimmer aussieht als in Irland, ist jedem klar, der sich jemals Gedanken
über politische und wirtschaftliche Fragen gemacht hat. Nicht sowohl wegen
der Feindseligkeit der Eingebornen, als auch wegen des allmählichen Anrückens
der Russen, die den Engländern politisch und militärisch überlegen sind und
ihnen wegen des handlichen Gebrauchs der Kunde wirtschaftlich nicht nachzu-
stehn brauchen. An den genannten Wunden Stellen hätte Großbritannien
reichlich genug, aber da ist auch noch Ägypten, auf das der Blick der Franzosen
mit nicht weniger Teilnahme gerichtet ist, als ihre Freunde und Verbündeten
auf das englische Indien schauen. Oder ist man der Meinung, daß die Fellahs,
die so schon schwer genug unter dem Joch ihrer Gebieter arbeiten, erst dann
völlig zufrieden in die Welt schauen würden, wenn mit ihrem endgiltigen Ver¬
schwinden hinter den englischen Zollschranken jede Hoffnung auf einen Besitzer¬
wechsel erlöschte?

Aus welchen Gründen die Engländer Eroberungskriege führen, und wie
sie die Beglückung der unterworfnen Völker innerhalb der von ihrem Imperia¬
lismus gezognen Grenzen denken, kann man aus dem Kriege sehe", den sie
gegenwärtig noch mit den Vureu führen. Lasse mau alles andre beiseite und


Holland und Deulschlaiid

der deutschen Könige wiederherzustellen, führte zuerst zur Schwäche und dann
zum Verfall des alten Reichs.

Die spanischen Konquistadoren erwarben ihren Königen im neuentdeckten
Amerika unermeßliche Länderstrecken, aber der Wert dieses Herrschaftsgebiets
war von vornherein äußerst zweifelhafter Natur, weil es auf rasche Aus¬
beutung abgesehen war, und an wirtschaftliche Angliederung kaum gedacht
wurde.

Von Nußland abgesehen hat in neuster Zeit England zuerst den impe¬
rialistischen Gedanken zur Ausführung gebracht. Aber insofern er seiner voll¬
ständigen Durchführung dahin noch ermangelt, daß die über die ganze Erde
zerstreuten Kolonien und Besitzungen Englands zu einem einheitlichen Wirt¬
schaftsgebiete mit denselben Zollschranken vor ihren Thüren gemacht werde»
sollen, muß er den schwersten Bedeuten begegnen. Zunächst dem, daß diese
Geschlossenheit die möglichste Gleichartigkeit der Bevölkerung mit möglichst
denselben Lebensbedingungen zur Voraussetzung hat. Mit Gewalt ließe sich
allerdings eine Zeit laug das System sehr zum Schaden der außen stehenden
kleiner» Gemeinschaften aufrecht erhalten, aber es ist wahrscheinlich, daß auf
die Dauer der Ausbruch der im Innern gärenden Elemente nicht zurück¬
gehalten werden könnte. Irland ist vor Jahrhunderten von den Engländern
mit Gewalt unterworfen worden, und uoch steht dem Wesen nach diese Insel
unter keinem andern Recht als dem der Eroberung. Alle Versuche, Land und
Volk der Iren politisch und wirtschaftlich in derselben Weise zu gewinnen wie
Schottland, sind als gescheitert zu betrachten. Es giebt in ganz Europa keine
mit Gewalt niedcrgehaltne Provinz, die mehr zur Empörung geneigt wäre,
als das von England beherrschte Irland.

Daß es freilich in dem für erobert gehaltnen Indien für England noch
viel schlimmer aussieht als in Irland, ist jedem klar, der sich jemals Gedanken
über politische und wirtschaftliche Fragen gemacht hat. Nicht sowohl wegen
der Feindseligkeit der Eingebornen, als auch wegen des allmählichen Anrückens
der Russen, die den Engländern politisch und militärisch überlegen sind und
ihnen wegen des handlichen Gebrauchs der Kunde wirtschaftlich nicht nachzu-
stehn brauchen. An den genannten Wunden Stellen hätte Großbritannien
reichlich genug, aber da ist auch noch Ägypten, auf das der Blick der Franzosen
mit nicht weniger Teilnahme gerichtet ist, als ihre Freunde und Verbündeten
auf das englische Indien schauen. Oder ist man der Meinung, daß die Fellahs,
die so schon schwer genug unter dem Joch ihrer Gebieter arbeiten, erst dann
völlig zufrieden in die Welt schauen würden, wenn mit ihrem endgiltigen Ver¬
schwinden hinter den englischen Zollschranken jede Hoffnung auf einen Besitzer¬
wechsel erlöschte?

Aus welchen Gründen die Engländer Eroberungskriege führen, und wie
sie die Beglückung der unterworfnen Völker innerhalb der von ihrem Imperia¬
lismus gezognen Grenzen denken, kann man aus dem Kriege sehe», den sie
gegenwärtig noch mit den Vureu führen. Lasse mau alles andre beiseite und


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[0214] Holland und Deulschlaiid der deutschen Könige wiederherzustellen, führte zuerst zur Schwäche und dann zum Verfall des alten Reichs. Die spanischen Konquistadoren erwarben ihren Königen im neuentdeckten Amerika unermeßliche Länderstrecken, aber der Wert dieses Herrschaftsgebiets war von vornherein äußerst zweifelhafter Natur, weil es auf rasche Aus¬ beutung abgesehen war, und an wirtschaftliche Angliederung kaum gedacht wurde. Von Nußland abgesehen hat in neuster Zeit England zuerst den impe¬ rialistischen Gedanken zur Ausführung gebracht. Aber insofern er seiner voll¬ ständigen Durchführung dahin noch ermangelt, daß die über die ganze Erde zerstreuten Kolonien und Besitzungen Englands zu einem einheitlichen Wirt¬ schaftsgebiete mit denselben Zollschranken vor ihren Thüren gemacht werde» sollen, muß er den schwersten Bedeuten begegnen. Zunächst dem, daß diese Geschlossenheit die möglichste Gleichartigkeit der Bevölkerung mit möglichst denselben Lebensbedingungen zur Voraussetzung hat. Mit Gewalt ließe sich allerdings eine Zeit laug das System sehr zum Schaden der außen stehenden kleiner» Gemeinschaften aufrecht erhalten, aber es ist wahrscheinlich, daß auf die Dauer der Ausbruch der im Innern gärenden Elemente nicht zurück¬ gehalten werden könnte. Irland ist vor Jahrhunderten von den Engländern mit Gewalt unterworfen worden, und uoch steht dem Wesen nach diese Insel unter keinem andern Recht als dem der Eroberung. Alle Versuche, Land und Volk der Iren politisch und wirtschaftlich in derselben Weise zu gewinnen wie Schottland, sind als gescheitert zu betrachten. Es giebt in ganz Europa keine mit Gewalt niedcrgehaltne Provinz, die mehr zur Empörung geneigt wäre, als das von England beherrschte Irland. Daß es freilich in dem für erobert gehaltnen Indien für England noch viel schlimmer aussieht als in Irland, ist jedem klar, der sich jemals Gedanken über politische und wirtschaftliche Fragen gemacht hat. Nicht sowohl wegen der Feindseligkeit der Eingebornen, als auch wegen des allmählichen Anrückens der Russen, die den Engländern politisch und militärisch überlegen sind und ihnen wegen des handlichen Gebrauchs der Kunde wirtschaftlich nicht nachzu- stehn brauchen. An den genannten Wunden Stellen hätte Großbritannien reichlich genug, aber da ist auch noch Ägypten, auf das der Blick der Franzosen mit nicht weniger Teilnahme gerichtet ist, als ihre Freunde und Verbündeten auf das englische Indien schauen. Oder ist man der Meinung, daß die Fellahs, die so schon schwer genug unter dem Joch ihrer Gebieter arbeiten, erst dann völlig zufrieden in die Welt schauen würden, wenn mit ihrem endgiltigen Ver¬ schwinden hinter den englischen Zollschranken jede Hoffnung auf einen Besitzer¬ wechsel erlöschte? Aus welchen Gründen die Engländer Eroberungskriege führen, und wie sie die Beglückung der unterworfnen Völker innerhalb der von ihrem Imperia¬ lismus gezognen Grenzen denken, kann man aus dem Kriege sehe», den sie gegenwärtig noch mit den Vureu führen. Lasse mau alles andre beiseite und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/214>, abgerufen am 05.07.2024.