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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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sondern aus dem Partiklilarstaate Preußen ging auch die wirtschaftliche Be¬
wegung hervor, die anfangs leise und unscheinbar, aber mit jedem besiegten
Widerstande immer mächtiger, schließlich den Anfang zur politischen Einigung
Deutschlands machte. Die stolzen militärischen Namen der dreißiger und vier¬
ziger Jahre stammten noch von der Zeit der Freiheitskriege her, aber Männer
wie Eichhorn, Maaßen, Motz haben ihren Ruhm von dem neuen stillen Kriege
um die deutsche Zollcinigung,

Die heilsamen Folgen, die die Herstellung des Zollvereins in Deutsch¬
land gehabt hat, sind unberechenbar, weil sie weder mit einer Wage gewogen,
noch mit einem Maße gemessen werden können. Denn er schuf deu gemein¬
samen Boden der wirtschaftlichen Interessen und legte darauf die Geleise, auf
denen viel altes Gerümpel, viel stickiges, faules Zeug, die Gefahr der Revo¬
lution, die des Jesuitismus und der Vielherrschaft aus dem Lande gefahren
wurde. Ju dem vielstimmigen Recht des Deutschen Bundes konnte das Material
zu diesem starken Ban nicht gefunden werden, wohl aber in den Institutionen
des preußischen Staats, die, wie sie schon früher die Kraft hatten, die ver-
schiednen Provinzen ineinander zu schweißen und zusammen zu halten, durch
die Stein-Hardenbergische Gesetzgebung vermehrte Kraft erhalten hatten, das
Neue anzuwerben und in sich aufzunehmen.

Wechselwirkung. Wenn unter der gedeihlichen Pflege der wirtschaftlichen
Forderungen Kraft und Zahl des Volks so zunehmen, daß sie über das richtige
Verhältnis zur vorhandnen Wehrkraft hinaustreten, dann muß die Verstärkung
dieser nachgeholt werden. Daß dies nach dem Tode des großen Königs ver¬
säumt worden war, hatte das Unglück herbeigezogen: sehen wir zu, daß wir
den Fehler nicht noch einmal machen. Was man den Militarismus der Vis-
marckischen Zeit nennt, ist nichts andres als die folgerichtige Ausführung und
Weiterführung dessen, was die Not der Fremdherrschaft und die der nationalen
Zersplitterung angebahnt hatte. Blut und Eisen war die Losung, und Menschen
von schwächlicher Konstitution, die an Hhpertrvphie ihres moralischen Herzens
und ihrer unmoralischen Leber litten, fielen dabei auf den Rücken. Aber die
Siege von 1366 und 1870 hatten einen politischen und im besondern einen
wirtschaftlichen Aufschwung zur Folge, der in geradem Fortgang und in immer
schnellerm Tempo das schwermütige Volk der Grübler ans den engen Grenzen
kontinentaler Gebundenheit mitten in den freien Gang des Weltgetriebes
hineinriß.

Wunderbar, dieser Gang in der Geschichte, und doch, wenn man genauer
zusieht, so natürlich. Zunächst die Gegensätze in der Mark und in Holland,
nicht sowohl im Beginn ihrer Entwicklung als ganz besonders ans der augen¬
blicklichen Stufe des gemachten Weges. Beide haben, wo sie zuerst in der
Geschichte einsetzen, das miteinander gemein, daß sie in Flächeninhalt und
Volkszahl gering und unbedeutend sind; aber wahrend die Niederlande trotz
ihrer Abhängigkeit von einer fremden Macht durch Reichtum und Macht den
Neid der Großen erregen, verkümmert Brandenburg bei fast völliger Loslösung


Holland und Dontschlcmd

sondern aus dem Partiklilarstaate Preußen ging auch die wirtschaftliche Be¬
wegung hervor, die anfangs leise und unscheinbar, aber mit jedem besiegten
Widerstande immer mächtiger, schließlich den Anfang zur politischen Einigung
Deutschlands machte. Die stolzen militärischen Namen der dreißiger und vier¬
ziger Jahre stammten noch von der Zeit der Freiheitskriege her, aber Männer
wie Eichhorn, Maaßen, Motz haben ihren Ruhm von dem neuen stillen Kriege
um die deutsche Zollcinigung,

Die heilsamen Folgen, die die Herstellung des Zollvereins in Deutsch¬
land gehabt hat, sind unberechenbar, weil sie weder mit einer Wage gewogen,
noch mit einem Maße gemessen werden können. Denn er schuf deu gemein¬
samen Boden der wirtschaftlichen Interessen und legte darauf die Geleise, auf
denen viel altes Gerümpel, viel stickiges, faules Zeug, die Gefahr der Revo¬
lution, die des Jesuitismus und der Vielherrschaft aus dem Lande gefahren
wurde. Ju dem vielstimmigen Recht des Deutschen Bundes konnte das Material
zu diesem starken Ban nicht gefunden werden, wohl aber in den Institutionen
des preußischen Staats, die, wie sie schon früher die Kraft hatten, die ver-
schiednen Provinzen ineinander zu schweißen und zusammen zu halten, durch
die Stein-Hardenbergische Gesetzgebung vermehrte Kraft erhalten hatten, das
Neue anzuwerben und in sich aufzunehmen.

Wechselwirkung. Wenn unter der gedeihlichen Pflege der wirtschaftlichen
Forderungen Kraft und Zahl des Volks so zunehmen, daß sie über das richtige
Verhältnis zur vorhandnen Wehrkraft hinaustreten, dann muß die Verstärkung
dieser nachgeholt werden. Daß dies nach dem Tode des großen Königs ver¬
säumt worden war, hatte das Unglück herbeigezogen: sehen wir zu, daß wir
den Fehler nicht noch einmal machen. Was man den Militarismus der Vis-
marckischen Zeit nennt, ist nichts andres als die folgerichtige Ausführung und
Weiterführung dessen, was die Not der Fremdherrschaft und die der nationalen
Zersplitterung angebahnt hatte. Blut und Eisen war die Losung, und Menschen
von schwächlicher Konstitution, die an Hhpertrvphie ihres moralischen Herzens
und ihrer unmoralischen Leber litten, fielen dabei auf den Rücken. Aber die
Siege von 1366 und 1870 hatten einen politischen und im besondern einen
wirtschaftlichen Aufschwung zur Folge, der in geradem Fortgang und in immer
schnellerm Tempo das schwermütige Volk der Grübler ans den engen Grenzen
kontinentaler Gebundenheit mitten in den freien Gang des Weltgetriebes
hineinriß.

Wunderbar, dieser Gang in der Geschichte, und doch, wenn man genauer
zusieht, so natürlich. Zunächst die Gegensätze in der Mark und in Holland,
nicht sowohl im Beginn ihrer Entwicklung als ganz besonders ans der augen¬
blicklichen Stufe des gemachten Weges. Beide haben, wo sie zuerst in der
Geschichte einsetzen, das miteinander gemein, daß sie in Flächeninhalt und
Volkszahl gering und unbedeutend sind; aber wahrend die Niederlande trotz
ihrer Abhängigkeit von einer fremden Macht durch Reichtum und Macht den
Neid der Großen erregen, verkümmert Brandenburg bei fast völliger Loslösung


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[0212] Holland und Dontschlcmd sondern aus dem Partiklilarstaate Preußen ging auch die wirtschaftliche Be¬ wegung hervor, die anfangs leise und unscheinbar, aber mit jedem besiegten Widerstande immer mächtiger, schließlich den Anfang zur politischen Einigung Deutschlands machte. Die stolzen militärischen Namen der dreißiger und vier¬ ziger Jahre stammten noch von der Zeit der Freiheitskriege her, aber Männer wie Eichhorn, Maaßen, Motz haben ihren Ruhm von dem neuen stillen Kriege um die deutsche Zollcinigung, Die heilsamen Folgen, die die Herstellung des Zollvereins in Deutsch¬ land gehabt hat, sind unberechenbar, weil sie weder mit einer Wage gewogen, noch mit einem Maße gemessen werden können. Denn er schuf deu gemein¬ samen Boden der wirtschaftlichen Interessen und legte darauf die Geleise, auf denen viel altes Gerümpel, viel stickiges, faules Zeug, die Gefahr der Revo¬ lution, die des Jesuitismus und der Vielherrschaft aus dem Lande gefahren wurde. Ju dem vielstimmigen Recht des Deutschen Bundes konnte das Material zu diesem starken Ban nicht gefunden werden, wohl aber in den Institutionen des preußischen Staats, die, wie sie schon früher die Kraft hatten, die ver- schiednen Provinzen ineinander zu schweißen und zusammen zu halten, durch die Stein-Hardenbergische Gesetzgebung vermehrte Kraft erhalten hatten, das Neue anzuwerben und in sich aufzunehmen. Wechselwirkung. Wenn unter der gedeihlichen Pflege der wirtschaftlichen Forderungen Kraft und Zahl des Volks so zunehmen, daß sie über das richtige Verhältnis zur vorhandnen Wehrkraft hinaustreten, dann muß die Verstärkung dieser nachgeholt werden. Daß dies nach dem Tode des großen Königs ver¬ säumt worden war, hatte das Unglück herbeigezogen: sehen wir zu, daß wir den Fehler nicht noch einmal machen. Was man den Militarismus der Vis- marckischen Zeit nennt, ist nichts andres als die folgerichtige Ausführung und Weiterführung dessen, was die Not der Fremdherrschaft und die der nationalen Zersplitterung angebahnt hatte. Blut und Eisen war die Losung, und Menschen von schwächlicher Konstitution, die an Hhpertrvphie ihres moralischen Herzens und ihrer unmoralischen Leber litten, fielen dabei auf den Rücken. Aber die Siege von 1366 und 1870 hatten einen politischen und im besondern einen wirtschaftlichen Aufschwung zur Folge, der in geradem Fortgang und in immer schnellerm Tempo das schwermütige Volk der Grübler ans den engen Grenzen kontinentaler Gebundenheit mitten in den freien Gang des Weltgetriebes hineinriß. Wunderbar, dieser Gang in der Geschichte, und doch, wenn man genauer zusieht, so natürlich. Zunächst die Gegensätze in der Mark und in Holland, nicht sowohl im Beginn ihrer Entwicklung als ganz besonders ans der augen¬ blicklichen Stufe des gemachten Weges. Beide haben, wo sie zuerst in der Geschichte einsetzen, das miteinander gemein, daß sie in Flächeninhalt und Volkszahl gering und unbedeutend sind; aber wahrend die Niederlande trotz ihrer Abhängigkeit von einer fremden Macht durch Reichtum und Macht den Neid der Großen erregen, verkümmert Brandenburg bei fast völliger Loslösung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/212>, abgerufen am 27.07.2024.