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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Die Neukolonisation Südamerikas

gesetzt, daß solche Eroberungen nicht zu teuer sind und keine politischen Ver¬
wicklungen nach sich ziehn.

Um so mehr haben Nur im Interesse unsrer kapitalistischen Kolonisation
allen Grund zu wünschen, daß die Politik der offnen Thür von andern Milchten
im weitesten Umfange befolgt wird, ganz besonders auch in Südamerika. Eben
dieser Kontinent wird aber auch an Bedeutung für unsre Siedlungskolonisation
weitaus in erster Reihe stehn. Nur wird sie sich in wesentlich andern Bahnen
bewegen als etwa die bisherige der Russen und der Engländer. Wenn zum
Beispiel die Engländer in Nordamerika erst Stnatskolonien gründete", die
wirtschaftlich in strenger Abhängigkeit vom Mutterlande gehalten wurden, und
diese später verloren, indem sie nach schweren Verlusten ihre Unabhängigkeit
anerkennen mußten, so dürfte es sich für Deutschland empfehlen, diesen Prozeß
abzukürzen nud koloniale Neubildungen in Südamerika zu begünstigen, die
wirtschaftlich mit ihm in enge Fühlung treten, ohne eine politische Abhängig¬
keit dieser Staaten anzustreben. Eine andre Möglichkeit giebt es für uns in
Südamerika überhaupt nicht.

Ebenso ist die Möglichkeit ausgeschlossen, dort größere politische Gemein¬
wesen von rein deutscher Färbung zu begründen. Ans diesen schönen Traum
müssen unsre Nationalisten und Schwärmer für reines Deutschtum, das in Wirk¬
lichkeit nirgends in der erträumten Weise vorhanden ist, endgiltig verzichten.
Wohl aber fällt Deutschland, wenn es seine Stellung, die es in harter Pionier-
thätigkeit seiner Bauern, Kaufleute, Gelehrten, lange ehe noch ein Aantee sich
sehen ließ, errungen hat, nicht kampflos aufgeben will, eine doppelte Aufgabe zu:
einmal eine Beteiligung an der kapitalistischen und der bodenständigen Koloni¬
sation Südamerikas auf eigne Rechnung. Zweitens die Übernahme der Führer¬
schaft unter den großen europäischen Kulturstaaten im Kampfe gegen den nord¬
amerikanischen Imperialismus. Die Formulierung der ersten Forderung deutet
schon die Beschränkung auf gewisse Ländergebiete an, wenigstens hinsichtlich
einer intensivem Kolonisation. Denn daß bei der Neukolonisation Südamerikas
der Union unter allen Umständen eine Hauptrolle zufallen wird, und es sich
nur darum handeln kann, dieser nicht völlig das Feld zu räumen, gilt für
uns nach Maßgabe der Verhältnisse für ausgemacht. Welche Ländergebiete
sind es nun, die zu diesem Zweck von Deutschland ins Auge gefaßt werden
müssen?" (Schluß folgt)




Grenzboten III 1901 W
Die Neukolonisation Südamerikas

gesetzt, daß solche Eroberungen nicht zu teuer sind und keine politischen Ver¬
wicklungen nach sich ziehn.

Um so mehr haben Nur im Interesse unsrer kapitalistischen Kolonisation
allen Grund zu wünschen, daß die Politik der offnen Thür von andern Milchten
im weitesten Umfange befolgt wird, ganz besonders auch in Südamerika. Eben
dieser Kontinent wird aber auch an Bedeutung für unsre Siedlungskolonisation
weitaus in erster Reihe stehn. Nur wird sie sich in wesentlich andern Bahnen
bewegen als etwa die bisherige der Russen und der Engländer. Wenn zum
Beispiel die Engländer in Nordamerika erst Stnatskolonien gründete», die
wirtschaftlich in strenger Abhängigkeit vom Mutterlande gehalten wurden, und
diese später verloren, indem sie nach schweren Verlusten ihre Unabhängigkeit
anerkennen mußten, so dürfte es sich für Deutschland empfehlen, diesen Prozeß
abzukürzen nud koloniale Neubildungen in Südamerika zu begünstigen, die
wirtschaftlich mit ihm in enge Fühlung treten, ohne eine politische Abhängig¬
keit dieser Staaten anzustreben. Eine andre Möglichkeit giebt es für uns in
Südamerika überhaupt nicht.

Ebenso ist die Möglichkeit ausgeschlossen, dort größere politische Gemein¬
wesen von rein deutscher Färbung zu begründen. Ans diesen schönen Traum
müssen unsre Nationalisten und Schwärmer für reines Deutschtum, das in Wirk¬
lichkeit nirgends in der erträumten Weise vorhanden ist, endgiltig verzichten.
Wohl aber fällt Deutschland, wenn es seine Stellung, die es in harter Pionier-
thätigkeit seiner Bauern, Kaufleute, Gelehrten, lange ehe noch ein Aantee sich
sehen ließ, errungen hat, nicht kampflos aufgeben will, eine doppelte Aufgabe zu:
einmal eine Beteiligung an der kapitalistischen und der bodenständigen Koloni¬
sation Südamerikas auf eigne Rechnung. Zweitens die Übernahme der Führer¬
schaft unter den großen europäischen Kulturstaaten im Kampfe gegen den nord¬
amerikanischen Imperialismus. Die Formulierung der ersten Forderung deutet
schon die Beschränkung auf gewisse Ländergebiete an, wenigstens hinsichtlich
einer intensivem Kolonisation. Denn daß bei der Neukolonisation Südamerikas
der Union unter allen Umständen eine Hauptrolle zufallen wird, und es sich
nur darum handeln kann, dieser nicht völlig das Feld zu räumen, gilt für
uns nach Maßgabe der Verhältnisse für ausgemacht. Welche Ländergebiete
sind es nun, die zu diesem Zweck von Deutschland ins Auge gefaßt werden
müssen?" (Schluß folgt)




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[0185] Die Neukolonisation Südamerikas gesetzt, daß solche Eroberungen nicht zu teuer sind und keine politischen Ver¬ wicklungen nach sich ziehn. Um so mehr haben Nur im Interesse unsrer kapitalistischen Kolonisation allen Grund zu wünschen, daß die Politik der offnen Thür von andern Milchten im weitesten Umfange befolgt wird, ganz besonders auch in Südamerika. Eben dieser Kontinent wird aber auch an Bedeutung für unsre Siedlungskolonisation weitaus in erster Reihe stehn. Nur wird sie sich in wesentlich andern Bahnen bewegen als etwa die bisherige der Russen und der Engländer. Wenn zum Beispiel die Engländer in Nordamerika erst Stnatskolonien gründete», die wirtschaftlich in strenger Abhängigkeit vom Mutterlande gehalten wurden, und diese später verloren, indem sie nach schweren Verlusten ihre Unabhängigkeit anerkennen mußten, so dürfte es sich für Deutschland empfehlen, diesen Prozeß abzukürzen nud koloniale Neubildungen in Südamerika zu begünstigen, die wirtschaftlich mit ihm in enge Fühlung treten, ohne eine politische Abhängig¬ keit dieser Staaten anzustreben. Eine andre Möglichkeit giebt es für uns in Südamerika überhaupt nicht. Ebenso ist die Möglichkeit ausgeschlossen, dort größere politische Gemein¬ wesen von rein deutscher Färbung zu begründen. Ans diesen schönen Traum müssen unsre Nationalisten und Schwärmer für reines Deutschtum, das in Wirk¬ lichkeit nirgends in der erträumten Weise vorhanden ist, endgiltig verzichten. Wohl aber fällt Deutschland, wenn es seine Stellung, die es in harter Pionier- thätigkeit seiner Bauern, Kaufleute, Gelehrten, lange ehe noch ein Aantee sich sehen ließ, errungen hat, nicht kampflos aufgeben will, eine doppelte Aufgabe zu: einmal eine Beteiligung an der kapitalistischen und der bodenständigen Koloni¬ sation Südamerikas auf eigne Rechnung. Zweitens die Übernahme der Führer¬ schaft unter den großen europäischen Kulturstaaten im Kampfe gegen den nord¬ amerikanischen Imperialismus. Die Formulierung der ersten Forderung deutet schon die Beschränkung auf gewisse Ländergebiete an, wenigstens hinsichtlich einer intensivem Kolonisation. Denn daß bei der Neukolonisation Südamerikas der Union unter allen Umständen eine Hauptrolle zufallen wird, und es sich nur darum handeln kann, dieser nicht völlig das Feld zu räumen, gilt für uns nach Maßgabe der Verhältnisse für ausgemacht. Welche Ländergebiete sind es nun, die zu diesem Zweck von Deutschland ins Auge gefaßt werden müssen?" (Schluß folgt) Grenzboten III 1901 W

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/185>, abgerufen am 22.07.2024.