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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Das britische Parlament

ist das englische Volk viel z" konservativ, und es liebt seine Lords beinahe
wie sich selbst. Es giebt keine Engel unter ihnen, und viele sind sogar sehr,
sehr menschlich. Es wird bei ihnen gesündigt wie bei andern Leuten, es giebt
auch Dummköpfe unter den erblichen Gesetzgebern. Großen Schaden können
sie nicht anrichten, oder wenigstens nur im Verein mit dem Unterhaus?. Da¬
gegen ist das Oberhaus unschätzbar, wo es gilt, die erregten Gemüter wieder
nüchtern zu machen und eine übereilte Gesetzgebung zu verhindern. Wo es
keine starke Krongewalt giebt, ist eine zweite Kammer, und wäre sie noch so
schlecht, immer noch besser als gar teilte.

Daß das britische Oberhaus das beste sei, wagt auch der verknöcherte
Konservative nicht zu behaupten; auch auf seinen eignen Bänken sitzt so mancher,
der es gern anders sähe, und der es bedauert, daß er verdammt ist, seine
Tage in der Adelskammcr zu verbringen, wo der Bethätigung seiner Fähig¬
keiten enge Grenzen gezogen sind. Es giebt ja doch eine ganze Reihe edler
Hänser, deren Angehörige sich durch hervorragende Gaben auszeichnen. Mau
deute nur an Cecil, Stanley, Russell, Cavendish. Sobald der Tod des Vaters
dem Erben den Glanz der Pccrwürde giebt, ist er für das Unterhaus ver¬
loren. Er kann nicht auf die ererbte Würde verzichten, er muß sie annehmen,
und wenn er nicht schon vorher Gelegenheit gehabt hat, sich hervorzuthun, im
Oberhause findet er sie nicht leicht. Aus diesem Grnnde hat sich auch der
gegenwärtige Vizekönig von Indien, Lord Curzon of Keddlestone, nur eine
irische Peerwürde übertragen lassen, damit er nach Ablauf seines ans fünf
Jahre bemessenen Bizekönigtnms wieder ins Unterhaus treten kann, bis das
Hinscheiden seines Vaters ihn zum Lord Searsdnle macht, und er dadurch ins
Oberhaus befördert wird.

Das Oberhaus hat manche tüchtige Köpfe, und alle Jahre werden ihm
Männer von Auszeichnung neu zugeführt, aber es ist nicht immer staats¬
männische Tüchtigkeit, die seine Pforten öffnet. Die erste Bedingung für die
Erlangung einer Pcerswürde ist, daß einer Geld, sehr viel Geld besitzt und
davon eine hinreichende Menge in Grundbesitz angelegt hat. Daß es durch
Bierbrauen erworben ist, schadet nichts; denn Geld riecht nicht, und der Leiter
einer großen Brauerei hat wenigstens die Vermutung geschäftlicher Talente
für sich, mag also demnach gar kein übler Gesetzgeber sein. Als Belohnung
für ausgezeichnete Verdienste wird man die Einführung Tennhsons und
Thompsons (Lord Kelvin) gelten lassen, wäre nur nicht der Haken, daß mit
der Ehre auch das Vorrecht der Gesetzgebung verbunden ist, und da großer
Grundbesitz Vorbedingung ist, so erscheint die Ehre weniger für den Mann
als für sein Land zu sein. Das stimmt zwar ganz zu dem Wesen des Ober¬
hauses als einer Vertretung des Großgrundbesitzes, muß aber verhindern, daß
es je für mehr als eine enge Klassenvertretnng angesehen wird, und wenn es
zur Hälfte aus Dichtern und Gelehrten bestünde.

Mancherlei Pläne sind für eine Verbesserung des Oberhauses entworfen
worden. Man hat vorgeschlagen, hervorragenden Männern, die nicht 5V000


Das britische Parlament

ist das englische Volk viel z» konservativ, und es liebt seine Lords beinahe
wie sich selbst. Es giebt keine Engel unter ihnen, und viele sind sogar sehr,
sehr menschlich. Es wird bei ihnen gesündigt wie bei andern Leuten, es giebt
auch Dummköpfe unter den erblichen Gesetzgebern. Großen Schaden können
sie nicht anrichten, oder wenigstens nur im Verein mit dem Unterhaus?. Da¬
gegen ist das Oberhaus unschätzbar, wo es gilt, die erregten Gemüter wieder
nüchtern zu machen und eine übereilte Gesetzgebung zu verhindern. Wo es
keine starke Krongewalt giebt, ist eine zweite Kammer, und wäre sie noch so
schlecht, immer noch besser als gar teilte.

Daß das britische Oberhaus das beste sei, wagt auch der verknöcherte
Konservative nicht zu behaupten; auch auf seinen eignen Bänken sitzt so mancher,
der es gern anders sähe, und der es bedauert, daß er verdammt ist, seine
Tage in der Adelskammcr zu verbringen, wo der Bethätigung seiner Fähig¬
keiten enge Grenzen gezogen sind. Es giebt ja doch eine ganze Reihe edler
Hänser, deren Angehörige sich durch hervorragende Gaben auszeichnen. Mau
deute nur an Cecil, Stanley, Russell, Cavendish. Sobald der Tod des Vaters
dem Erben den Glanz der Pccrwürde giebt, ist er für das Unterhaus ver¬
loren. Er kann nicht auf die ererbte Würde verzichten, er muß sie annehmen,
und wenn er nicht schon vorher Gelegenheit gehabt hat, sich hervorzuthun, im
Oberhause findet er sie nicht leicht. Aus diesem Grnnde hat sich auch der
gegenwärtige Vizekönig von Indien, Lord Curzon of Keddlestone, nur eine
irische Peerwürde übertragen lassen, damit er nach Ablauf seines ans fünf
Jahre bemessenen Bizekönigtnms wieder ins Unterhaus treten kann, bis das
Hinscheiden seines Vaters ihn zum Lord Searsdnle macht, und er dadurch ins
Oberhaus befördert wird.

Das Oberhaus hat manche tüchtige Köpfe, und alle Jahre werden ihm
Männer von Auszeichnung neu zugeführt, aber es ist nicht immer staats¬
männische Tüchtigkeit, die seine Pforten öffnet. Die erste Bedingung für die
Erlangung einer Pcerswürde ist, daß einer Geld, sehr viel Geld besitzt und
davon eine hinreichende Menge in Grundbesitz angelegt hat. Daß es durch
Bierbrauen erworben ist, schadet nichts; denn Geld riecht nicht, und der Leiter
einer großen Brauerei hat wenigstens die Vermutung geschäftlicher Talente
für sich, mag also demnach gar kein übler Gesetzgeber sein. Als Belohnung
für ausgezeichnete Verdienste wird man die Einführung Tennhsons und
Thompsons (Lord Kelvin) gelten lassen, wäre nur nicht der Haken, daß mit
der Ehre auch das Vorrecht der Gesetzgebung verbunden ist, und da großer
Grundbesitz Vorbedingung ist, so erscheint die Ehre weniger für den Mann
als für sein Land zu sein. Das stimmt zwar ganz zu dem Wesen des Ober¬
hauses als einer Vertretung des Großgrundbesitzes, muß aber verhindern, daß
es je für mehr als eine enge Klassenvertretnng angesehen wird, und wenn es
zur Hälfte aus Dichtern und Gelehrten bestünde.

Mancherlei Pläne sind für eine Verbesserung des Oberhauses entworfen
worden. Man hat vorgeschlagen, hervorragenden Männern, die nicht 5V000


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[0173] Das britische Parlament ist das englische Volk viel z» konservativ, und es liebt seine Lords beinahe wie sich selbst. Es giebt keine Engel unter ihnen, und viele sind sogar sehr, sehr menschlich. Es wird bei ihnen gesündigt wie bei andern Leuten, es giebt auch Dummköpfe unter den erblichen Gesetzgebern. Großen Schaden können sie nicht anrichten, oder wenigstens nur im Verein mit dem Unterhaus?. Da¬ gegen ist das Oberhaus unschätzbar, wo es gilt, die erregten Gemüter wieder nüchtern zu machen und eine übereilte Gesetzgebung zu verhindern. Wo es keine starke Krongewalt giebt, ist eine zweite Kammer, und wäre sie noch so schlecht, immer noch besser als gar teilte. Daß das britische Oberhaus das beste sei, wagt auch der verknöcherte Konservative nicht zu behaupten; auch auf seinen eignen Bänken sitzt so mancher, der es gern anders sähe, und der es bedauert, daß er verdammt ist, seine Tage in der Adelskammcr zu verbringen, wo der Bethätigung seiner Fähig¬ keiten enge Grenzen gezogen sind. Es giebt ja doch eine ganze Reihe edler Hänser, deren Angehörige sich durch hervorragende Gaben auszeichnen. Mau deute nur an Cecil, Stanley, Russell, Cavendish. Sobald der Tod des Vaters dem Erben den Glanz der Pccrwürde giebt, ist er für das Unterhaus ver¬ loren. Er kann nicht auf die ererbte Würde verzichten, er muß sie annehmen, und wenn er nicht schon vorher Gelegenheit gehabt hat, sich hervorzuthun, im Oberhause findet er sie nicht leicht. Aus diesem Grnnde hat sich auch der gegenwärtige Vizekönig von Indien, Lord Curzon of Keddlestone, nur eine irische Peerwürde übertragen lassen, damit er nach Ablauf seines ans fünf Jahre bemessenen Bizekönigtnms wieder ins Unterhaus treten kann, bis das Hinscheiden seines Vaters ihn zum Lord Searsdnle macht, und er dadurch ins Oberhaus befördert wird. Das Oberhaus hat manche tüchtige Köpfe, und alle Jahre werden ihm Männer von Auszeichnung neu zugeführt, aber es ist nicht immer staats¬ männische Tüchtigkeit, die seine Pforten öffnet. Die erste Bedingung für die Erlangung einer Pcerswürde ist, daß einer Geld, sehr viel Geld besitzt und davon eine hinreichende Menge in Grundbesitz angelegt hat. Daß es durch Bierbrauen erworben ist, schadet nichts; denn Geld riecht nicht, und der Leiter einer großen Brauerei hat wenigstens die Vermutung geschäftlicher Talente für sich, mag also demnach gar kein übler Gesetzgeber sein. Als Belohnung für ausgezeichnete Verdienste wird man die Einführung Tennhsons und Thompsons (Lord Kelvin) gelten lassen, wäre nur nicht der Haken, daß mit der Ehre auch das Vorrecht der Gesetzgebung verbunden ist, und da großer Grundbesitz Vorbedingung ist, so erscheint die Ehre weniger für den Mann als für sein Land zu sein. Das stimmt zwar ganz zu dem Wesen des Ober¬ hauses als einer Vertretung des Großgrundbesitzes, muß aber verhindern, daß es je für mehr als eine enge Klassenvertretnng angesehen wird, und wenn es zur Hälfte aus Dichtern und Gelehrten bestünde. Mancherlei Pläne sind für eine Verbesserung des Oberhauses entworfen worden. Man hat vorgeschlagen, hervorragenden Männern, die nicht 5V000

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/173>, abgerufen am 22.07.2024.