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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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lpllcmd und Deutschland

England gegenübergestellt fanden. Der eine war ebenso gefährlich zu Lande
wie der andre zu Wasser; trotzdem sicherte ihnen die Summe aller patriotischen
und kriegerischen Tugenden auch hier den Erfolg,

Freilich ist es eine andre Frage, ob auch auf die Dauer im Kriege mit
England der bloße Heldenmut Und die bloße Hingebung genügt hätten, die
gewonnene Stellung zu behaupten, und es giebt sehr gewichtige Gründe, die
das unwahrscheinlich machen. Die wirtschaftliche Geschlossenheit, die in schwerer
Zeit dem kleinen Lande den Vorteil über viel größere gegeben hatte, mußte
im weitern Verlauf in demselben Maße an Wirkuugsfühigkeit abnehme", als
diese sich ihrer eignen Kraft bewußt wurden und sie zu gebrauche" gewillt
waren. Dazu kommt, daß Holland sich von vornherein nur auf sich angewiesen
sah. Seine Lage brachte es mit sich, daß die Möglichkeit zu territorialer Aus¬
dehnung nur nach Süden hin gegeben war, aber hier hatte der Ausgang des
Kriegs den Beweis geliefert, daß nicht die Gleichheit der wirtschaftlichen
Interessen ausschlaggebend war, sondern die Verschiedenheit des nationalen
Charakters, Was zu Cäsars Zeiten die Belgier von den Batavern trennte,
hat mich im Kampf mit den Spaniern dem Norden und dem Süden die ganz
verschiednen Ergebnisse gebracht, und wenn sich Holland im ersten Drittel des
vorigen Jahrhunderts die Losreißung der vorzugsweise wallonische" Provinzen
hat gefalle" lasse" müsse", so geht mich hieraus hervor, daß das Ferment,
das in der wirtschaftlichen Identität gegeben war, nicht ausreichte, den natio¬
nale" Gegensätzen zu gebieten. Um es mit andern Worten zu sagen, so hatte
Holland bei aller Intensität des ihm eigentliche" Lebensdranges doch die Eigen¬
schaften nicht in sich, die es befähigte", das Fremde an seinen Grenzen nn-
zuziehn und es mit sich zu verschmelzen. Mag nun dieser Mangel an Auf¬
nahmefähigkeit in einer gewissen spröden Art des Volkscharakters liegen, die
das anders geartete zurückstößt, oder in der Enge und der Unzulänglichkeit
des Landes, das der genügenden Mannigfaltigkeit der Daseinsvoraussetzungen
entbehrt, die auch fremdartigen Lebenselementen den ausreichenden Nährboden
bieten könnte, jedenfalls blieb Holland an Quadratmeilen und Bevölkerungs¬
zahl zu klein, als daß es den Anforderungen gerecht zu werden vermochte, die
die fortschreitende Zeit unter dem riesenhaft anschwellende" Wachstum der
großen nationalen Mächte Europas an seine Kraft stellte.

In der alten griechischen Philosophie ist von der Autarkie, das heißt von
der nur auf sich beruhenden politischen und wirtschaftlichen Lebensfähigkeit
eines Staats die Rede, aber die Erörterung ist ohne eigentlichen praktischen
Wert geblieben, weil sie der wirklich lebendigen Voraussetzung ermangelt, die
ihr Halt geben kann. Die alten Philosophen haben es vergessen, der inner"
Notwendigkeit des Wachstums Rechnung zu tragen, die dem Staate nicht
minder innewohnt als dem Individuum. Staate" müssen wachsen wie die
einzelnen Lebewesen; "'erden sie daran gehindert, so müssen sie verkrüppeln
oder sonst verkümmern, wenn sie nicht ganz untergehn.

Die Niederlande hatten das Bedürfnis zu wachsen und sich auszudehnen,


lpllcmd und Deutschland

England gegenübergestellt fanden. Der eine war ebenso gefährlich zu Lande
wie der andre zu Wasser; trotzdem sicherte ihnen die Summe aller patriotischen
und kriegerischen Tugenden auch hier den Erfolg,

Freilich ist es eine andre Frage, ob auch auf die Dauer im Kriege mit
England der bloße Heldenmut Und die bloße Hingebung genügt hätten, die
gewonnene Stellung zu behaupten, und es giebt sehr gewichtige Gründe, die
das unwahrscheinlich machen. Die wirtschaftliche Geschlossenheit, die in schwerer
Zeit dem kleinen Lande den Vorteil über viel größere gegeben hatte, mußte
im weitern Verlauf in demselben Maße an Wirkuugsfühigkeit abnehme», als
diese sich ihrer eignen Kraft bewußt wurden und sie zu gebrauche» gewillt
waren. Dazu kommt, daß Holland sich von vornherein nur auf sich angewiesen
sah. Seine Lage brachte es mit sich, daß die Möglichkeit zu territorialer Aus¬
dehnung nur nach Süden hin gegeben war, aber hier hatte der Ausgang des
Kriegs den Beweis geliefert, daß nicht die Gleichheit der wirtschaftlichen
Interessen ausschlaggebend war, sondern die Verschiedenheit des nationalen
Charakters, Was zu Cäsars Zeiten die Belgier von den Batavern trennte,
hat mich im Kampf mit den Spaniern dem Norden und dem Süden die ganz
verschiednen Ergebnisse gebracht, und wenn sich Holland im ersten Drittel des
vorigen Jahrhunderts die Losreißung der vorzugsweise wallonische» Provinzen
hat gefalle» lasse» müsse», so geht mich hieraus hervor, daß das Ferment,
das in der wirtschaftlichen Identität gegeben war, nicht ausreichte, den natio¬
nale» Gegensätzen zu gebieten. Um es mit andern Worten zu sagen, so hatte
Holland bei aller Intensität des ihm eigentliche» Lebensdranges doch die Eigen¬
schaften nicht in sich, die es befähigte», das Fremde an seinen Grenzen nn-
zuziehn und es mit sich zu verschmelzen. Mag nun dieser Mangel an Auf¬
nahmefähigkeit in einer gewissen spröden Art des Volkscharakters liegen, die
das anders geartete zurückstößt, oder in der Enge und der Unzulänglichkeit
des Landes, das der genügenden Mannigfaltigkeit der Daseinsvoraussetzungen
entbehrt, die auch fremdartigen Lebenselementen den ausreichenden Nährboden
bieten könnte, jedenfalls blieb Holland an Quadratmeilen und Bevölkerungs¬
zahl zu klein, als daß es den Anforderungen gerecht zu werden vermochte, die
die fortschreitende Zeit unter dem riesenhaft anschwellende» Wachstum der
großen nationalen Mächte Europas an seine Kraft stellte.

In der alten griechischen Philosophie ist von der Autarkie, das heißt von
der nur auf sich beruhenden politischen und wirtschaftlichen Lebensfähigkeit
eines Staats die Rede, aber die Erörterung ist ohne eigentlichen praktischen
Wert geblieben, weil sie der wirklich lebendigen Voraussetzung ermangelt, die
ihr Halt geben kann. Die alten Philosophen haben es vergessen, der inner»
Notwendigkeit des Wachstums Rechnung zu tragen, die dem Staate nicht
minder innewohnt als dem Individuum. Staate» müssen wachsen wie die
einzelnen Lebewesen; »'erden sie daran gehindert, so müssen sie verkrüppeln
oder sonst verkümmern, wenn sie nicht ganz untergehn.

Die Niederlande hatten das Bedürfnis zu wachsen und sich auszudehnen,


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[0156] lpllcmd und Deutschland England gegenübergestellt fanden. Der eine war ebenso gefährlich zu Lande wie der andre zu Wasser; trotzdem sicherte ihnen die Summe aller patriotischen und kriegerischen Tugenden auch hier den Erfolg, Freilich ist es eine andre Frage, ob auch auf die Dauer im Kriege mit England der bloße Heldenmut Und die bloße Hingebung genügt hätten, die gewonnene Stellung zu behaupten, und es giebt sehr gewichtige Gründe, die das unwahrscheinlich machen. Die wirtschaftliche Geschlossenheit, die in schwerer Zeit dem kleinen Lande den Vorteil über viel größere gegeben hatte, mußte im weitern Verlauf in demselben Maße an Wirkuugsfühigkeit abnehme», als diese sich ihrer eignen Kraft bewußt wurden und sie zu gebrauche» gewillt waren. Dazu kommt, daß Holland sich von vornherein nur auf sich angewiesen sah. Seine Lage brachte es mit sich, daß die Möglichkeit zu territorialer Aus¬ dehnung nur nach Süden hin gegeben war, aber hier hatte der Ausgang des Kriegs den Beweis geliefert, daß nicht die Gleichheit der wirtschaftlichen Interessen ausschlaggebend war, sondern die Verschiedenheit des nationalen Charakters, Was zu Cäsars Zeiten die Belgier von den Batavern trennte, hat mich im Kampf mit den Spaniern dem Norden und dem Süden die ganz verschiednen Ergebnisse gebracht, und wenn sich Holland im ersten Drittel des vorigen Jahrhunderts die Losreißung der vorzugsweise wallonische» Provinzen hat gefalle» lasse» müsse», so geht mich hieraus hervor, daß das Ferment, das in der wirtschaftlichen Identität gegeben war, nicht ausreichte, den natio¬ nale» Gegensätzen zu gebieten. Um es mit andern Worten zu sagen, so hatte Holland bei aller Intensität des ihm eigentliche» Lebensdranges doch die Eigen¬ schaften nicht in sich, die es befähigte», das Fremde an seinen Grenzen nn- zuziehn und es mit sich zu verschmelzen. Mag nun dieser Mangel an Auf¬ nahmefähigkeit in einer gewissen spröden Art des Volkscharakters liegen, die das anders geartete zurückstößt, oder in der Enge und der Unzulänglichkeit des Landes, das der genügenden Mannigfaltigkeit der Daseinsvoraussetzungen entbehrt, die auch fremdartigen Lebenselementen den ausreichenden Nährboden bieten könnte, jedenfalls blieb Holland an Quadratmeilen und Bevölkerungs¬ zahl zu klein, als daß es den Anforderungen gerecht zu werden vermochte, die die fortschreitende Zeit unter dem riesenhaft anschwellende» Wachstum der großen nationalen Mächte Europas an seine Kraft stellte. In der alten griechischen Philosophie ist von der Autarkie, das heißt von der nur auf sich beruhenden politischen und wirtschaftlichen Lebensfähigkeit eines Staats die Rede, aber die Erörterung ist ohne eigentlichen praktischen Wert geblieben, weil sie der wirklich lebendigen Voraussetzung ermangelt, die ihr Halt geben kann. Die alten Philosophen haben es vergessen, der inner» Notwendigkeit des Wachstums Rechnung zu tragen, die dem Staate nicht minder innewohnt als dem Individuum. Staate» müssen wachsen wie die einzelnen Lebewesen; »'erden sie daran gehindert, so müssen sie verkrüppeln oder sonst verkümmern, wenn sie nicht ganz untergehn. Die Niederlande hatten das Bedürfnis zu wachsen und sich auszudehnen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/156>, abgerufen am 03.07.2024.