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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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des AiNvalts offenbar irrig oder wenigstens sehr anfechtbar sei, daß zum
mindesten bei dem Gericht eine entgegengesetzte Auffassung herrsche. Der Rechts¬
anwalt käme durch eine derartige Belehrung in die Lage, seine Auffassung
entweder sofort (also noch bevor die Gefahr einer unzulässigen Klageänderung
droht) zu berichtigen, allenfalls auch besser zu begründen oder die Klage zurück¬
zunehmen und hierdurch der Partei die hohen Kosten der Abweisung durch
Urteil und sich selbst deren Vorwürfe zu erspare".

Als Grund, warum das Gesetz eine so unpraktische und schädliche Rege¬
lung des Verfahrens eingeführt hat, liest man in deu Motiven zur Zivil¬
prozeßordnung: die nach Preußischem Recht vorgeschricbne Ablehnung der
Terminbcstimmung uns offenbar unbegründete Klagen dnrch einfaches Dekret
widerspreche dem Grundsatz der Mündlichkeit, weil nur das in mündlicher
Verhandlung vorgebrachte maßgebend sein und erst nach Anhörung beider
Teile in mündlicher Verhandlung entschieden werden könne, ob Anträge un¬
zulässig seien. Wenn die Mündlichkeit des Verfahrens wirklich eine so schäd¬
liche und unnatürliche Gestaltung notwendig machte, wie die oben geschilderte,
so wäre dies für sich allein schon der beste Beweis für die Verwerflichkeit der
Mündlichkeit, Thatsächlich schießt diese Begründung der Motive aber auch
weit über das Ziel hinaus, denn auch ohne mündliche Verhandlung ersieht
der Richter aus der Klageschrift, daß für den geltend gemachten Anspruch der
Rechtsweg unzulässig, ein andres Gericht ausschließlich zuständig, ein privat¬
schriftlicher Kaufvertrag nichtig, eine Spielschuld und der "Kuppelpelz" nicht
klagbar sind. Bei der Begründung der Motive ist der Richter verpflichtet,
einen Termin anzuberaumen, wenn der Unterqnartancr Karlchen Mießnick
beim Amtsgericht Schildburg gegen den deutschen Reichskanzler eine Klage auf
Zahlung von 10000 Mark einreicht, denn bei dem Eingang der Klageschrift
ist der Richter doch wohl nicht berechtigt, die "Prozeßfühigleit" des Klügers
zu prüfen. Abgesehen davon, daß der Kläger vielleicht volljährig ist, kann
ja im Termin sein Vormund erscheinen, und der beklagte Reichskanzler kann
die sachliche und örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Schildburg im Termin
anerkennen. Es ist auch in der Praxis vorgekommen, daß jemand eine Klage
einreichte, in der er unter Bezugnahme ans ein früher ergangncs Urteil des
Prozeßgerichts bemerkte: "bei diesem Gericht müßten wohl "russische Zustände"
herrschen, denn sonst hätte ein solches Urteil gnr nicht ergehn können," Wie
man bei der oben beschriebnen, vom Gesetz beliebten Regelung des Verfahrens
die Ablehnung der Terminbestimmung ans derartige Klageschriften, die Be¬
leidigungen des Gerichts oder Dritter enthalten, begründen kann, ist doch
fraglich, und daß der Richter durch sein Siegel und seine Unterschrift, also durch
seine amtliche Stellung mitwirken muß zur Verbreitung von Schriftstücken, die
Beleidigungen enthalten, ist in der Folge nicht schlimmer als die Thatsache,
daß er amtlich unter Terminzwang mitwirken muß, dem Beklagten einen
Anspruch mitzuteilen, der offenbar nnstntthaft ist, den der Richter fachgemäß
dnrch eine kurze Verfügung zurückweisen könnte, wahrend das Gesetz ihn zwingt,


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des AiNvalts offenbar irrig oder wenigstens sehr anfechtbar sei, daß zum
mindesten bei dem Gericht eine entgegengesetzte Auffassung herrsche. Der Rechts¬
anwalt käme durch eine derartige Belehrung in die Lage, seine Auffassung
entweder sofort (also noch bevor die Gefahr einer unzulässigen Klageänderung
droht) zu berichtigen, allenfalls auch besser zu begründen oder die Klage zurück¬
zunehmen und hierdurch der Partei die hohen Kosten der Abweisung durch
Urteil und sich selbst deren Vorwürfe zu erspare».

Als Grund, warum das Gesetz eine so unpraktische und schädliche Rege¬
lung des Verfahrens eingeführt hat, liest man in deu Motiven zur Zivil¬
prozeßordnung: die nach Preußischem Recht vorgeschricbne Ablehnung der
Terminbcstimmung uns offenbar unbegründete Klagen dnrch einfaches Dekret
widerspreche dem Grundsatz der Mündlichkeit, weil nur das in mündlicher
Verhandlung vorgebrachte maßgebend sein und erst nach Anhörung beider
Teile in mündlicher Verhandlung entschieden werden könne, ob Anträge un¬
zulässig seien. Wenn die Mündlichkeit des Verfahrens wirklich eine so schäd¬
liche und unnatürliche Gestaltung notwendig machte, wie die oben geschilderte,
so wäre dies für sich allein schon der beste Beweis für die Verwerflichkeit der
Mündlichkeit, Thatsächlich schießt diese Begründung der Motive aber auch
weit über das Ziel hinaus, denn auch ohne mündliche Verhandlung ersieht
der Richter aus der Klageschrift, daß für den geltend gemachten Anspruch der
Rechtsweg unzulässig, ein andres Gericht ausschließlich zuständig, ein privat¬
schriftlicher Kaufvertrag nichtig, eine Spielschuld und der „Kuppelpelz" nicht
klagbar sind. Bei der Begründung der Motive ist der Richter verpflichtet,
einen Termin anzuberaumen, wenn der Unterqnartancr Karlchen Mießnick
beim Amtsgericht Schildburg gegen den deutschen Reichskanzler eine Klage auf
Zahlung von 10000 Mark einreicht, denn bei dem Eingang der Klageschrift
ist der Richter doch wohl nicht berechtigt, die „Prozeßfühigleit" des Klügers
zu prüfen. Abgesehen davon, daß der Kläger vielleicht volljährig ist, kann
ja im Termin sein Vormund erscheinen, und der beklagte Reichskanzler kann
die sachliche und örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Schildburg im Termin
anerkennen. Es ist auch in der Praxis vorgekommen, daß jemand eine Klage
einreichte, in der er unter Bezugnahme ans ein früher ergangncs Urteil des
Prozeßgerichts bemerkte: „bei diesem Gericht müßten wohl »russische Zustände«
herrschen, denn sonst hätte ein solches Urteil gnr nicht ergehn können," Wie
man bei der oben beschriebnen, vom Gesetz beliebten Regelung des Verfahrens
die Ablehnung der Terminbestimmung ans derartige Klageschriften, die Be¬
leidigungen des Gerichts oder Dritter enthalten, begründen kann, ist doch
fraglich, und daß der Richter durch sein Siegel und seine Unterschrift, also durch
seine amtliche Stellung mitwirken muß zur Verbreitung von Schriftstücken, die
Beleidigungen enthalten, ist in der Folge nicht schlimmer als die Thatsache,
daß er amtlich unter Terminzwang mitwirken muß, dem Beklagten einen
Anspruch mitzuteilen, der offenbar nnstntthaft ist, den der Richter fachgemäß
dnrch eine kurze Verfügung zurückweisen könnte, wahrend das Gesetz ihn zwingt,


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[0131] vermmdenmg und verbilligung der Prozesse des AiNvalts offenbar irrig oder wenigstens sehr anfechtbar sei, daß zum mindesten bei dem Gericht eine entgegengesetzte Auffassung herrsche. Der Rechts¬ anwalt käme durch eine derartige Belehrung in die Lage, seine Auffassung entweder sofort (also noch bevor die Gefahr einer unzulässigen Klageänderung droht) zu berichtigen, allenfalls auch besser zu begründen oder die Klage zurück¬ zunehmen und hierdurch der Partei die hohen Kosten der Abweisung durch Urteil und sich selbst deren Vorwürfe zu erspare». Als Grund, warum das Gesetz eine so unpraktische und schädliche Rege¬ lung des Verfahrens eingeführt hat, liest man in deu Motiven zur Zivil¬ prozeßordnung: die nach Preußischem Recht vorgeschricbne Ablehnung der Terminbcstimmung uns offenbar unbegründete Klagen dnrch einfaches Dekret widerspreche dem Grundsatz der Mündlichkeit, weil nur das in mündlicher Verhandlung vorgebrachte maßgebend sein und erst nach Anhörung beider Teile in mündlicher Verhandlung entschieden werden könne, ob Anträge un¬ zulässig seien. Wenn die Mündlichkeit des Verfahrens wirklich eine so schäd¬ liche und unnatürliche Gestaltung notwendig machte, wie die oben geschilderte, so wäre dies für sich allein schon der beste Beweis für die Verwerflichkeit der Mündlichkeit, Thatsächlich schießt diese Begründung der Motive aber auch weit über das Ziel hinaus, denn auch ohne mündliche Verhandlung ersieht der Richter aus der Klageschrift, daß für den geltend gemachten Anspruch der Rechtsweg unzulässig, ein andres Gericht ausschließlich zuständig, ein privat¬ schriftlicher Kaufvertrag nichtig, eine Spielschuld und der „Kuppelpelz" nicht klagbar sind. Bei der Begründung der Motive ist der Richter verpflichtet, einen Termin anzuberaumen, wenn der Unterqnartancr Karlchen Mießnick beim Amtsgericht Schildburg gegen den deutschen Reichskanzler eine Klage auf Zahlung von 10000 Mark einreicht, denn bei dem Eingang der Klageschrift ist der Richter doch wohl nicht berechtigt, die „Prozeßfühigleit" des Klügers zu prüfen. Abgesehen davon, daß der Kläger vielleicht volljährig ist, kann ja im Termin sein Vormund erscheinen, und der beklagte Reichskanzler kann die sachliche und örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Schildburg im Termin anerkennen. Es ist auch in der Praxis vorgekommen, daß jemand eine Klage einreichte, in der er unter Bezugnahme ans ein früher ergangncs Urteil des Prozeßgerichts bemerkte: „bei diesem Gericht müßten wohl »russische Zustände« herrschen, denn sonst hätte ein solches Urteil gnr nicht ergehn können," Wie man bei der oben beschriebnen, vom Gesetz beliebten Regelung des Verfahrens die Ablehnung der Terminbestimmung ans derartige Klageschriften, die Be¬ leidigungen des Gerichts oder Dritter enthalten, begründen kann, ist doch fraglich, und daß der Richter durch sein Siegel und seine Unterschrift, also durch seine amtliche Stellung mitwirken muß zur Verbreitung von Schriftstücken, die Beleidigungen enthalten, ist in der Folge nicht schlimmer als die Thatsache, daß er amtlich unter Terminzwang mitwirken muß, dem Beklagten einen Anspruch mitzuteilen, der offenbar nnstntthaft ist, den der Richter fachgemäß dnrch eine kurze Verfügung zurückweisen könnte, wahrend das Gesetz ihn zwingt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/131>, abgerufen am 22.07.2024.