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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Die Neukolomsatioil Südamerikas

zu den iberischen Einwandrern solche aus andern europäischen Ländern, be¬
sonders auch germanischer Abstammung hinzukamen, und überdies mit der Ein-
waudruug von Kapital die Kolonisationsmittel der Neuzeit, vor allem die
Eisenbahnen, den Neuländern zugeführt wurden. Nun traten neben die Lati-
fnndienbcwirtschaftung mit Hilfe von einheimischen Indianern, Negern oder
Mischungen Ackerbausicdlungen mit richtigen Bauern und Handwerkern, und
zugleich entwickelte sich in solchen Ländern ein Mittelstand, diese Grund¬
bedingung aller gedeihlichen Kolonisation, der sich zwischen die glänzende obere
Schicht der Plantagen- und Bergwerksbarone und die imssr-i, xlsbs vvntribugn"
des bedürfnislosen aber auch besitzlosen Volks einschob. Dieser Befruchtung
durch Kapital, Intelligenz und Arbeitskraft verdanken Chile und Argentinien
die rasche Entwicklung ihrer Verkehrsmittel, ihres Bergbaus und ihrer Land¬
wirtschaft, verdankt Brasilien die Entstehung blühender Siedlungen mitten in
den urwaldbewachseneu Sierren seines Südens; diese mächtigen Hebel ermög¬
lichten die Hebung der mineralischen Schätze in den Kordilleren von Peru und
Kolumbien wie ans den Hochebnen Mittelbrasiliens und schufen ein reiches
Hinterland für die Küstenstädte des nördlichen Brasiliens und Venezuelas,

Wen" so in wirtschaftlicher Hinsicht wenigstens vielversprechende Anfänge
verzeichnet werden können zu eiuer Eröffnung der ungeheuern natürlichen Hilfs¬
mittel Südamerikas, so erhebt sich die Frage, ob auch der politische Charakter
dieses Kontinents durch die Berührung mit dem uichtiberischeu Europa wesentlich
beeinflußt worden ist. Um diese Frage befriedigend zu beantworten, darf man
sich von allen den Schlagwörtern, die das politische Leben der Krevlenstaaten
beherrschen, in keiner Weise blenden lassen. Wenn es den Anschein haben
könnte, als handle es sich bei den politischen Kämpfen in diesen Republiken
um Sieg oder Niederlage gewisser Ideen, die sich in einzelnen Parteigruppen
verkörpern, von Klerikalismus und Liberalismus, Föderalismus oder Zentra-
lisation, uativistischem Jakobinertum oder Kosmopolitismus, so weiß der Ein¬
geweihte doch wohl, daß sich hinter allen diesen von deu politischen Markt¬
schreier" ausgebvtueu Herrlichkeiten lediglich das Bestreben der Parteien ver¬
birgt, den besten Platz um der Stnatskrippe für sich zu erobern. Von diesen
verschiednen "Ihnen" ist der beständigste der Präsidentialismns, denn so kann
man die Regierungsform bezeichnen, die ebenso am Gestade des Stillen Ozeans
wie an der Bai von Rio Janeiro, am Isthmus von Panama wie am Lapiata
herrscht und in den großen Bundesstaaten nur dadurch verändert erscheint, daß
dort neben dem Gestirn des Bnndespräsidenten gleichsam als dessen Neben¬
sonnen die Präsidenten der einzelnen Staaten in beschränktem Nahmen ein oft
um so autokratischeres Regiment führen. Sich den Präsidentenstuhl und damit
die einträglichsten Ämter zu sichern oder darauf die nächste Anwartschaft zu
erhalte", das ist das Bestreben, das allem Parteigetriebe seinen Stempel auf¬
drückt. Nun wäre es ungerecht, wenn man bestreikn wollte, daß es öfter
durchaus fähige, wirklich patriotische Männer sind, die diese Posten einnehmen,
von dem Befreier Bolivar bis auf die Gegenwart, Aber gegenüber der Herr-


Die Neukolomsatioil Südamerikas

zu den iberischen Einwandrern solche aus andern europäischen Ländern, be¬
sonders auch germanischer Abstammung hinzukamen, und überdies mit der Ein-
waudruug von Kapital die Kolonisationsmittel der Neuzeit, vor allem die
Eisenbahnen, den Neuländern zugeführt wurden. Nun traten neben die Lati-
fnndienbcwirtschaftung mit Hilfe von einheimischen Indianern, Negern oder
Mischungen Ackerbausicdlungen mit richtigen Bauern und Handwerkern, und
zugleich entwickelte sich in solchen Ländern ein Mittelstand, diese Grund¬
bedingung aller gedeihlichen Kolonisation, der sich zwischen die glänzende obere
Schicht der Plantagen- und Bergwerksbarone und die imssr-i, xlsbs vvntribugn«
des bedürfnislosen aber auch besitzlosen Volks einschob. Dieser Befruchtung
durch Kapital, Intelligenz und Arbeitskraft verdanken Chile und Argentinien
die rasche Entwicklung ihrer Verkehrsmittel, ihres Bergbaus und ihrer Land¬
wirtschaft, verdankt Brasilien die Entstehung blühender Siedlungen mitten in
den urwaldbewachseneu Sierren seines Südens; diese mächtigen Hebel ermög¬
lichten die Hebung der mineralischen Schätze in den Kordilleren von Peru und
Kolumbien wie ans den Hochebnen Mittelbrasiliens und schufen ein reiches
Hinterland für die Küstenstädte des nördlichen Brasiliens und Venezuelas,

Wen» so in wirtschaftlicher Hinsicht wenigstens vielversprechende Anfänge
verzeichnet werden können zu eiuer Eröffnung der ungeheuern natürlichen Hilfs¬
mittel Südamerikas, so erhebt sich die Frage, ob auch der politische Charakter
dieses Kontinents durch die Berührung mit dem uichtiberischeu Europa wesentlich
beeinflußt worden ist. Um diese Frage befriedigend zu beantworten, darf man
sich von allen den Schlagwörtern, die das politische Leben der Krevlenstaaten
beherrschen, in keiner Weise blenden lassen. Wenn es den Anschein haben
könnte, als handle es sich bei den politischen Kämpfen in diesen Republiken
um Sieg oder Niederlage gewisser Ideen, die sich in einzelnen Parteigruppen
verkörpern, von Klerikalismus und Liberalismus, Föderalismus oder Zentra-
lisation, uativistischem Jakobinertum oder Kosmopolitismus, so weiß der Ein¬
geweihte doch wohl, daß sich hinter allen diesen von deu politischen Markt¬
schreier» ausgebvtueu Herrlichkeiten lediglich das Bestreben der Parteien ver¬
birgt, den besten Platz um der Stnatskrippe für sich zu erobern. Von diesen
verschiednen „Ihnen" ist der beständigste der Präsidentialismns, denn so kann
man die Regierungsform bezeichnen, die ebenso am Gestade des Stillen Ozeans
wie an der Bai von Rio Janeiro, am Isthmus von Panama wie am Lapiata
herrscht und in den großen Bundesstaaten nur dadurch verändert erscheint, daß
dort neben dem Gestirn des Bnndespräsidenten gleichsam als dessen Neben¬
sonnen die Präsidenten der einzelnen Staaten in beschränktem Nahmen ein oft
um so autokratischeres Regiment führen. Sich den Präsidentenstuhl und damit
die einträglichsten Ämter zu sichern oder darauf die nächste Anwartschaft zu
erhalte«, das ist das Bestreben, das allem Parteigetriebe seinen Stempel auf¬
drückt. Nun wäre es ungerecht, wenn man bestreikn wollte, daß es öfter
durchaus fähige, wirklich patriotische Männer sind, die diese Posten einnehmen,
von dem Befreier Bolivar bis auf die Gegenwart, Aber gegenüber der Herr-


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[0106] Die Neukolomsatioil Südamerikas zu den iberischen Einwandrern solche aus andern europäischen Ländern, be¬ sonders auch germanischer Abstammung hinzukamen, und überdies mit der Ein- waudruug von Kapital die Kolonisationsmittel der Neuzeit, vor allem die Eisenbahnen, den Neuländern zugeführt wurden. Nun traten neben die Lati- fnndienbcwirtschaftung mit Hilfe von einheimischen Indianern, Negern oder Mischungen Ackerbausicdlungen mit richtigen Bauern und Handwerkern, und zugleich entwickelte sich in solchen Ländern ein Mittelstand, diese Grund¬ bedingung aller gedeihlichen Kolonisation, der sich zwischen die glänzende obere Schicht der Plantagen- und Bergwerksbarone und die imssr-i, xlsbs vvntribugn« des bedürfnislosen aber auch besitzlosen Volks einschob. Dieser Befruchtung durch Kapital, Intelligenz und Arbeitskraft verdanken Chile und Argentinien die rasche Entwicklung ihrer Verkehrsmittel, ihres Bergbaus und ihrer Land¬ wirtschaft, verdankt Brasilien die Entstehung blühender Siedlungen mitten in den urwaldbewachseneu Sierren seines Südens; diese mächtigen Hebel ermög¬ lichten die Hebung der mineralischen Schätze in den Kordilleren von Peru und Kolumbien wie ans den Hochebnen Mittelbrasiliens und schufen ein reiches Hinterland für die Küstenstädte des nördlichen Brasiliens und Venezuelas, Wen» so in wirtschaftlicher Hinsicht wenigstens vielversprechende Anfänge verzeichnet werden können zu eiuer Eröffnung der ungeheuern natürlichen Hilfs¬ mittel Südamerikas, so erhebt sich die Frage, ob auch der politische Charakter dieses Kontinents durch die Berührung mit dem uichtiberischeu Europa wesentlich beeinflußt worden ist. Um diese Frage befriedigend zu beantworten, darf man sich von allen den Schlagwörtern, die das politische Leben der Krevlenstaaten beherrschen, in keiner Weise blenden lassen. Wenn es den Anschein haben könnte, als handle es sich bei den politischen Kämpfen in diesen Republiken um Sieg oder Niederlage gewisser Ideen, die sich in einzelnen Parteigruppen verkörpern, von Klerikalismus und Liberalismus, Föderalismus oder Zentra- lisation, uativistischem Jakobinertum oder Kosmopolitismus, so weiß der Ein¬ geweihte doch wohl, daß sich hinter allen diesen von deu politischen Markt¬ schreier» ausgebvtueu Herrlichkeiten lediglich das Bestreben der Parteien ver¬ birgt, den besten Platz um der Stnatskrippe für sich zu erobern. Von diesen verschiednen „Ihnen" ist der beständigste der Präsidentialismns, denn so kann man die Regierungsform bezeichnen, die ebenso am Gestade des Stillen Ozeans wie an der Bai von Rio Janeiro, am Isthmus von Panama wie am Lapiata herrscht und in den großen Bundesstaaten nur dadurch verändert erscheint, daß dort neben dem Gestirn des Bnndespräsidenten gleichsam als dessen Neben¬ sonnen die Präsidenten der einzelnen Staaten in beschränktem Nahmen ein oft um so autokratischeres Regiment führen. Sich den Präsidentenstuhl und damit die einträglichsten Ämter zu sichern oder darauf die nächste Anwartschaft zu erhalte«, das ist das Bestreben, das allem Parteigetriebe seinen Stempel auf¬ drückt. Nun wäre es ungerecht, wenn man bestreikn wollte, daß es öfter durchaus fähige, wirklich patriotische Männer sind, die diese Posten einnehmen, von dem Befreier Bolivar bis auf die Gegenwart, Aber gegenüber der Herr-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/106>, abgerufen am 22.07.2024.