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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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werden -- abgesehen von durchgreifenden Verschärfungen der allgemeinen
wohuuugspolizeilicheu Einrichtungen -- verschärfte bau-, gesnudheits-, Ver¬
kehrs- und sicherheitspolizeiliche Vorschriften für die Anlage von Fabriken aller
Art durchgeführt und namentlich die grvßiudustrielleu Unternehmer ganz anders
als bisher zu den Kosten der kommunalen Aufwendungen, die ihre Etablisse¬
ments und ihre Arbeiter den Gemeinden verursachen, im voraus herangezogen
werden müssen. Es liegt uns der Hand, das; gerade in Rücksicht hierauf die
Errichtung von großen neuen Quartieren mit so billigen und verbesserten
Arbeiterwohnungen, wie die Wohnungsreformer verlangen, zu Lasten der Ge¬
meinden oder auch gemeinnütziger und Arbeiterversichernngsfonds, in der Gro߬
stadt selbst oder so nah in ihrer Umgebung, daß die Großindustrie bleibe"
kann, wo sie ist, das Pferd beim Schwänze aufzäumen hieße.

Es ist doch wirklich widersinnig -- soweit es sich nicht um Örtlichkeiten
handelt, die von der Natur nun einmal zu Industriezentren abgestempelt sind,
also eigentlich fast nur um die Montanbezirke --, die großstädtische Wohnnngs-
und Bodenpolitik ausschließlich oder auch nur hauptsächlich von der billigsten
und besten Unterbringung der industriellen Arbeitermassen bestimmt wissen zu
wollen. Wenn wir Berlin durch die Anlegung von Arbeiterkvlonien mit Ein-
und Zweifamilienhäusern, meinetwegen auch vermischt mit billigen "Villen"
n. dergl., veranlassen, sich in gewaltiger Progression horizontal auszudehnen,
so werden damit wahrhaftig keine idealen Zustände geschaffen werden, weder
für die übrigen Einwohner, noch für die übrigen großen, öffentlichen Zwecke der
Stadt. Daß solche vom ostelbischen Zuzüge bevölkerten Viertel gerade die Reize
von Gottes freier Natur haben und den Berlinern unmittelbar nahe bringen
werden, glaube ich nach allem, was ich in Arbeiterkolvnien wo auch immer
gesehen habe, bezweifeln zu müssen. Und wenn man von ihnen gar eine
"beinahe ideale Verbindung von gewerblicher und landwirtschaftlicher Thätig¬
keit teilweise unter billiger Selbstversorgung der kleinen Wirtschaften mit
Nahrungsmitteln," deren Vorteile "kaum zu ermesse"" seien, erwartet,*) so
sind das Vorstellungen, die doch sehr der Einschränkung und Berichtigung
bedürfen. Die Vernachlässigung des "eignen Heims" ist bei dem ostelbischen
Landproletariat im allgemeinen sehr arg, und sie wird natürlich auf die
großstädtischen Einfamilienhäuser übertragen werden. Ich plädiere wahr¬
haftig nicht für überfüllte Mietkasernen, aber das weiß ich, weil ichs selbst
sehe, daß für die aus dem Osten neu zuziehenden einzelnen Arbeiter und
Arbeiterfamilien das Wohnen im großen Miethause doch fast in der Regel
eine erfreulich wirksame Schulung zu besserer Pflege der Wohnung, größerer
Rücksicht auf die so nähe sitzende" Nachbarn usw. bedeutet. Ich habe dabei
die Dnrchschnittsmiethäuser in den seit zehn bis zwanzig Jahre" gebauten "un-
vornehmen" Vierteln und Vororten vor Auge". Auch an die antisozialdemo-



*) Wohnungsfrage und Wohnungspolitik. Von Ol-. H, Bingncr, Königlich Preußischem
Regierungsrat. Berlin. K. Hoffmann,

werden — abgesehen von durchgreifenden Verschärfungen der allgemeinen
wohuuugspolizeilicheu Einrichtungen — verschärfte bau-, gesnudheits-, Ver¬
kehrs- und sicherheitspolizeiliche Vorschriften für die Anlage von Fabriken aller
Art durchgeführt und namentlich die grvßiudustrielleu Unternehmer ganz anders
als bisher zu den Kosten der kommunalen Aufwendungen, die ihre Etablisse¬
ments und ihre Arbeiter den Gemeinden verursachen, im voraus herangezogen
werden müssen. Es liegt uns der Hand, das; gerade in Rücksicht hierauf die
Errichtung von großen neuen Quartieren mit so billigen und verbesserten
Arbeiterwohnungen, wie die Wohnungsreformer verlangen, zu Lasten der Ge¬
meinden oder auch gemeinnütziger und Arbeiterversichernngsfonds, in der Gro߬
stadt selbst oder so nah in ihrer Umgebung, daß die Großindustrie bleibe»
kann, wo sie ist, das Pferd beim Schwänze aufzäumen hieße.

Es ist doch wirklich widersinnig — soweit es sich nicht um Örtlichkeiten
handelt, die von der Natur nun einmal zu Industriezentren abgestempelt sind,
also eigentlich fast nur um die Montanbezirke —, die großstädtische Wohnnngs-
und Bodenpolitik ausschließlich oder auch nur hauptsächlich von der billigsten
und besten Unterbringung der industriellen Arbeitermassen bestimmt wissen zu
wollen. Wenn wir Berlin durch die Anlegung von Arbeiterkvlonien mit Ein-
und Zweifamilienhäusern, meinetwegen auch vermischt mit billigen „Villen"
n. dergl., veranlassen, sich in gewaltiger Progression horizontal auszudehnen,
so werden damit wahrhaftig keine idealen Zustände geschaffen werden, weder
für die übrigen Einwohner, noch für die übrigen großen, öffentlichen Zwecke der
Stadt. Daß solche vom ostelbischen Zuzüge bevölkerten Viertel gerade die Reize
von Gottes freier Natur haben und den Berlinern unmittelbar nahe bringen
werden, glaube ich nach allem, was ich in Arbeiterkolvnien wo auch immer
gesehen habe, bezweifeln zu müssen. Und wenn man von ihnen gar eine
„beinahe ideale Verbindung von gewerblicher und landwirtschaftlicher Thätig¬
keit teilweise unter billiger Selbstversorgung der kleinen Wirtschaften mit
Nahrungsmitteln," deren Vorteile „kaum zu ermesse»" seien, erwartet,*) so
sind das Vorstellungen, die doch sehr der Einschränkung und Berichtigung
bedürfen. Die Vernachlässigung des „eignen Heims" ist bei dem ostelbischen
Landproletariat im allgemeinen sehr arg, und sie wird natürlich auf die
großstädtischen Einfamilienhäuser übertragen werden. Ich plädiere wahr¬
haftig nicht für überfüllte Mietkasernen, aber das weiß ich, weil ichs selbst
sehe, daß für die aus dem Osten neu zuziehenden einzelnen Arbeiter und
Arbeiterfamilien das Wohnen im großen Miethause doch fast in der Regel
eine erfreulich wirksame Schulung zu besserer Pflege der Wohnung, größerer
Rücksicht auf die so nähe sitzende» Nachbarn usw. bedeutet. Ich habe dabei
die Dnrchschnittsmiethäuser in den seit zehn bis zwanzig Jahre» gebauten „un-
vornehmen" Vierteln und Vororten vor Auge». Auch an die antisozialdemo-



*) Wohnungsfrage und Wohnungspolitik. Von Ol-. H, Bingncr, Königlich Preußischem
Regierungsrat. Berlin. K. Hoffmann,
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[0598] werden — abgesehen von durchgreifenden Verschärfungen der allgemeinen wohuuugspolizeilicheu Einrichtungen — verschärfte bau-, gesnudheits-, Ver¬ kehrs- und sicherheitspolizeiliche Vorschriften für die Anlage von Fabriken aller Art durchgeführt und namentlich die grvßiudustrielleu Unternehmer ganz anders als bisher zu den Kosten der kommunalen Aufwendungen, die ihre Etablisse¬ ments und ihre Arbeiter den Gemeinden verursachen, im voraus herangezogen werden müssen. Es liegt uns der Hand, das; gerade in Rücksicht hierauf die Errichtung von großen neuen Quartieren mit so billigen und verbesserten Arbeiterwohnungen, wie die Wohnungsreformer verlangen, zu Lasten der Ge¬ meinden oder auch gemeinnütziger und Arbeiterversichernngsfonds, in der Gro߬ stadt selbst oder so nah in ihrer Umgebung, daß die Großindustrie bleibe» kann, wo sie ist, das Pferd beim Schwänze aufzäumen hieße. Es ist doch wirklich widersinnig — soweit es sich nicht um Örtlichkeiten handelt, die von der Natur nun einmal zu Industriezentren abgestempelt sind, also eigentlich fast nur um die Montanbezirke —, die großstädtische Wohnnngs- und Bodenpolitik ausschließlich oder auch nur hauptsächlich von der billigsten und besten Unterbringung der industriellen Arbeitermassen bestimmt wissen zu wollen. Wenn wir Berlin durch die Anlegung von Arbeiterkvlonien mit Ein- und Zweifamilienhäusern, meinetwegen auch vermischt mit billigen „Villen" n. dergl., veranlassen, sich in gewaltiger Progression horizontal auszudehnen, so werden damit wahrhaftig keine idealen Zustände geschaffen werden, weder für die übrigen Einwohner, noch für die übrigen großen, öffentlichen Zwecke der Stadt. Daß solche vom ostelbischen Zuzüge bevölkerten Viertel gerade die Reize von Gottes freier Natur haben und den Berlinern unmittelbar nahe bringen werden, glaube ich nach allem, was ich in Arbeiterkolvnien wo auch immer gesehen habe, bezweifeln zu müssen. Und wenn man von ihnen gar eine „beinahe ideale Verbindung von gewerblicher und landwirtschaftlicher Thätig¬ keit teilweise unter billiger Selbstversorgung der kleinen Wirtschaften mit Nahrungsmitteln," deren Vorteile „kaum zu ermesse»" seien, erwartet,*) so sind das Vorstellungen, die doch sehr der Einschränkung und Berichtigung bedürfen. Die Vernachlässigung des „eignen Heims" ist bei dem ostelbischen Landproletariat im allgemeinen sehr arg, und sie wird natürlich auf die großstädtischen Einfamilienhäuser übertragen werden. Ich plädiere wahr¬ haftig nicht für überfüllte Mietkasernen, aber das weiß ich, weil ichs selbst sehe, daß für die aus dem Osten neu zuziehenden einzelnen Arbeiter und Arbeiterfamilien das Wohnen im großen Miethause doch fast in der Regel eine erfreulich wirksame Schulung zu besserer Pflege der Wohnung, größerer Rücksicht auf die so nähe sitzende» Nachbarn usw. bedeutet. Ich habe dabei die Dnrchschnittsmiethäuser in den seit zehn bis zwanzig Jahre» gebauten „un- vornehmen" Vierteln und Vororten vor Auge». Auch an die antisozialdemo- *) Wohnungsfrage und Wohnungspolitik. Von Ol-. H, Bingncr, Königlich Preußischem Regierungsrat. Berlin. K. Hoffmann,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/598>, abgerufen am 03.07.2024.