Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
neues Lues über Unsicher vou der Oogelweide

idealsten, edelsten und ergreifendsten Ausdruck der deutsch-nationalen Form des
Imperialismus" sehen müssen. Das wahre Leben eines Dichters sind nach
Lessings bekanntem Ausspruche seine Gedichte; nur was von diesen zu sagen ist,
das allein kann noch jetzt einen wahren Nutzen haben. Daß Walthers Zeit, daß
die Kämpfe, die er in diesen Liedern mit der ganzen edeln Glut seines treuen
deutschen Herzens ausgefochten hat, für uns uoch nicht vergangen sind, daß sie
vielmehr ein Teil unsrer Gegenwart sind und darum Anspruch darauf haben,
von allen Gebildeten unsers Volks gekannt zu werden, das ist der tieferuste Ein¬
druck, den Vnrdachs Buch im Leser hinterlassen muß. Da erscheint es einem
wie eine trübe Färbung durch ein fremdartiges Element, wenn der so geschichts-
kuudige Betrachter die Gefahr der damals wie heute noch unsrer deutscheu
Bildung und nationalen Selbständigkeit feindseligen römischen Weltanschauung
unterschützt und Walthers Angriffe gegen Rom aus der Reizbarkeit des Dichters
oder aus nationalem Übereifer abzuleiten geneigt ist, statt darin die Stimme
des unbestechlichen Wahrheitspredigers mit dem hellen Seherblick des Dichters
zu erkennen, wenn er von Walthers vernichtender Sprache und den wuchtigen
Sprüchen gegen das schamlose Treiben der Kurie nud der verrömerten Geist¬
lichkeit als einer Übertreibung und Maßlosigkeit redet. Dieser modischen Kon-
nivenz so mancher heutigen Gelehrten, die sich wohl gar als unparteiische
Geschichtsbetrachtung ausgiebt, in Wahrheit aber uur ein Kennzeichen kirchlich-
religiöser Gleichgiltigkeit ist, scheint doch die kurz darauf folgende Ausführung
Burdachs zu widerspreche,?, wo er vou deu die schwersten Gebrechen der Kirche
geißelnden Sprüchen mit echtem Pathos rühmt, daß man in ihnen die dröh¬
nenden, zermalmenden Schwertschläge Luthers zu vernehmen wähne, und zu¬
gesteht, man werde uoch heute "von der Macht und Ehrlichkeit dieser innerste"
Entrüstung tief ergriffen; , , , die Liebe zur Wahrheit, welche den Streitschriften
des Wittenberger Mönchs wie denen Lessings die wuchtigen Accente, die hin¬
reißende Überzeugungskraft gab, sie steht auch hinter diesen Sprüchen Walthers
mit flammendem Schwerte. Er mochte im einzelnen Unrecht haben mit seiner
Verdächtigung und Verurteilung bestimmter Maßnahmen des Papstes: im
ganzen, in der allgemeinen Auflehnung gegen die im Innersten frevelhafte
Politik der Kurie hatte er unbedingt Recht, sprach er im Namen des heiligen
Geistes der Menschheit."

Möge das bedeutende Buch, das in einem noch weiter" Sinne, als Burdach
es meint, "die Schranken der Zunft überschreitet," einen recht großen Kreis
von Lesern auch unter deu ungelehrten Freunden des Dichters gewinnen und
dieselbe Glut uneigennütziger Vaterlandsliebe entzünden, die einst die begeisternden
Lieder des Sängers in den Gemütern von Tausenden für die Ehre und Größe
des Vaterlands, für Kaiser und Reich entfacht haben.




neues Lues über Unsicher vou der Oogelweide

idealsten, edelsten und ergreifendsten Ausdruck der deutsch-nationalen Form des
Imperialismus" sehen müssen. Das wahre Leben eines Dichters sind nach
Lessings bekanntem Ausspruche seine Gedichte; nur was von diesen zu sagen ist,
das allein kann noch jetzt einen wahren Nutzen haben. Daß Walthers Zeit, daß
die Kämpfe, die er in diesen Liedern mit der ganzen edeln Glut seines treuen
deutschen Herzens ausgefochten hat, für uns uoch nicht vergangen sind, daß sie
vielmehr ein Teil unsrer Gegenwart sind und darum Anspruch darauf haben,
von allen Gebildeten unsers Volks gekannt zu werden, das ist der tieferuste Ein¬
druck, den Vnrdachs Buch im Leser hinterlassen muß. Da erscheint es einem
wie eine trübe Färbung durch ein fremdartiges Element, wenn der so geschichts-
kuudige Betrachter die Gefahr der damals wie heute noch unsrer deutscheu
Bildung und nationalen Selbständigkeit feindseligen römischen Weltanschauung
unterschützt und Walthers Angriffe gegen Rom aus der Reizbarkeit des Dichters
oder aus nationalem Übereifer abzuleiten geneigt ist, statt darin die Stimme
des unbestechlichen Wahrheitspredigers mit dem hellen Seherblick des Dichters
zu erkennen, wenn er von Walthers vernichtender Sprache und den wuchtigen
Sprüchen gegen das schamlose Treiben der Kurie nud der verrömerten Geist¬
lichkeit als einer Übertreibung und Maßlosigkeit redet. Dieser modischen Kon-
nivenz so mancher heutigen Gelehrten, die sich wohl gar als unparteiische
Geschichtsbetrachtung ausgiebt, in Wahrheit aber uur ein Kennzeichen kirchlich-
religiöser Gleichgiltigkeit ist, scheint doch die kurz darauf folgende Ausführung
Burdachs zu widerspreche,?, wo er vou deu die schwersten Gebrechen der Kirche
geißelnden Sprüchen mit echtem Pathos rühmt, daß man in ihnen die dröh¬
nenden, zermalmenden Schwertschläge Luthers zu vernehmen wähne, und zu¬
gesteht, man werde uoch heute „von der Macht und Ehrlichkeit dieser innerste»
Entrüstung tief ergriffen; , , , die Liebe zur Wahrheit, welche den Streitschriften
des Wittenberger Mönchs wie denen Lessings die wuchtigen Accente, die hin¬
reißende Überzeugungskraft gab, sie steht auch hinter diesen Sprüchen Walthers
mit flammendem Schwerte. Er mochte im einzelnen Unrecht haben mit seiner
Verdächtigung und Verurteilung bestimmter Maßnahmen des Papstes: im
ganzen, in der allgemeinen Auflehnung gegen die im Innersten frevelhafte
Politik der Kurie hatte er unbedingt Recht, sprach er im Namen des heiligen
Geistes der Menschheit."

Möge das bedeutende Buch, das in einem noch weiter» Sinne, als Burdach
es meint, „die Schranken der Zunft überschreitet," einen recht großen Kreis
von Lesern auch unter deu ungelehrten Freunden des Dichters gewinnen und
dieselbe Glut uneigennütziger Vaterlandsliebe entzünden, die einst die begeisternden
Lieder des Sängers in den Gemütern von Tausenden für die Ehre und Größe
des Vaterlands, für Kaiser und Reich entfacht haben.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0522" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/235052"/>
          <fw type="header" place="top"> neues Lues über Unsicher vou der Oogelweide</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1549" prev="#ID_1548"> idealsten, edelsten und ergreifendsten Ausdruck der deutsch-nationalen Form des<lb/>
Imperialismus" sehen müssen. Das wahre Leben eines Dichters sind nach<lb/>
Lessings bekanntem Ausspruche seine Gedichte; nur was von diesen zu sagen ist,<lb/>
das allein kann noch jetzt einen wahren Nutzen haben. Daß Walthers Zeit, daß<lb/>
die Kämpfe, die er in diesen Liedern mit der ganzen edeln Glut seines treuen<lb/>
deutschen Herzens ausgefochten hat, für uns uoch nicht vergangen sind, daß sie<lb/>
vielmehr ein Teil unsrer Gegenwart sind und darum Anspruch darauf haben,<lb/>
von allen Gebildeten unsers Volks gekannt zu werden, das ist der tieferuste Ein¬<lb/>
druck, den Vnrdachs Buch im Leser hinterlassen muß. Da erscheint es einem<lb/>
wie eine trübe Färbung durch ein fremdartiges Element, wenn der so geschichts-<lb/>
kuudige Betrachter die Gefahr der damals wie heute noch unsrer deutscheu<lb/>
Bildung und nationalen Selbständigkeit feindseligen römischen Weltanschauung<lb/>
unterschützt und Walthers Angriffe gegen Rom aus der Reizbarkeit des Dichters<lb/>
oder aus nationalem Übereifer abzuleiten geneigt ist, statt darin die Stimme<lb/>
des unbestechlichen Wahrheitspredigers mit dem hellen Seherblick des Dichters<lb/>
zu erkennen, wenn er von Walthers vernichtender Sprache und den wuchtigen<lb/>
Sprüchen gegen das schamlose Treiben der Kurie nud der verrömerten Geist¬<lb/>
lichkeit als einer Übertreibung und Maßlosigkeit redet. Dieser modischen Kon-<lb/>
nivenz so mancher heutigen Gelehrten, die sich wohl gar als unparteiische<lb/>
Geschichtsbetrachtung ausgiebt, in Wahrheit aber uur ein Kennzeichen kirchlich-<lb/>
religiöser Gleichgiltigkeit ist, scheint doch die kurz darauf folgende Ausführung<lb/>
Burdachs zu widerspreche,?, wo er vou deu die schwersten Gebrechen der Kirche<lb/>
geißelnden Sprüchen mit echtem Pathos rühmt, daß man in ihnen die dröh¬<lb/>
nenden, zermalmenden Schwertschläge Luthers zu vernehmen wähne, und zu¬<lb/>
gesteht, man werde uoch heute &#x201E;von der Macht und Ehrlichkeit dieser innerste»<lb/>
Entrüstung tief ergriffen; , , , die Liebe zur Wahrheit, welche den Streitschriften<lb/>
des Wittenberger Mönchs wie denen Lessings die wuchtigen Accente, die hin¬<lb/>
reißende Überzeugungskraft gab, sie steht auch hinter diesen Sprüchen Walthers<lb/>
mit flammendem Schwerte. Er mochte im einzelnen Unrecht haben mit seiner<lb/>
Verdächtigung und Verurteilung bestimmter Maßnahmen des Papstes: im<lb/>
ganzen, in der allgemeinen Auflehnung gegen die im Innersten frevelhafte<lb/>
Politik der Kurie hatte er unbedingt Recht, sprach er im Namen des heiligen<lb/>
Geistes der Menschheit."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1550"> Möge das bedeutende Buch, das in einem noch weiter» Sinne, als Burdach<lb/>
es meint, &#x201E;die Schranken der Zunft überschreitet," einen recht großen Kreis<lb/>
von Lesern auch unter deu ungelehrten Freunden des Dichters gewinnen und<lb/>
dieselbe Glut uneigennütziger Vaterlandsliebe entzünden, die einst die begeisternden<lb/>
Lieder des Sängers in den Gemütern von Tausenden für die Ehre und Größe<lb/>
des Vaterlands, für Kaiser und Reich entfacht haben.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0522] neues Lues über Unsicher vou der Oogelweide idealsten, edelsten und ergreifendsten Ausdruck der deutsch-nationalen Form des Imperialismus" sehen müssen. Das wahre Leben eines Dichters sind nach Lessings bekanntem Ausspruche seine Gedichte; nur was von diesen zu sagen ist, das allein kann noch jetzt einen wahren Nutzen haben. Daß Walthers Zeit, daß die Kämpfe, die er in diesen Liedern mit der ganzen edeln Glut seines treuen deutschen Herzens ausgefochten hat, für uns uoch nicht vergangen sind, daß sie vielmehr ein Teil unsrer Gegenwart sind und darum Anspruch darauf haben, von allen Gebildeten unsers Volks gekannt zu werden, das ist der tieferuste Ein¬ druck, den Vnrdachs Buch im Leser hinterlassen muß. Da erscheint es einem wie eine trübe Färbung durch ein fremdartiges Element, wenn der so geschichts- kuudige Betrachter die Gefahr der damals wie heute noch unsrer deutscheu Bildung und nationalen Selbständigkeit feindseligen römischen Weltanschauung unterschützt und Walthers Angriffe gegen Rom aus der Reizbarkeit des Dichters oder aus nationalem Übereifer abzuleiten geneigt ist, statt darin die Stimme des unbestechlichen Wahrheitspredigers mit dem hellen Seherblick des Dichters zu erkennen, wenn er von Walthers vernichtender Sprache und den wuchtigen Sprüchen gegen das schamlose Treiben der Kurie nud der verrömerten Geist¬ lichkeit als einer Übertreibung und Maßlosigkeit redet. Dieser modischen Kon- nivenz so mancher heutigen Gelehrten, die sich wohl gar als unparteiische Geschichtsbetrachtung ausgiebt, in Wahrheit aber uur ein Kennzeichen kirchlich- religiöser Gleichgiltigkeit ist, scheint doch die kurz darauf folgende Ausführung Burdachs zu widerspreche,?, wo er vou deu die schwersten Gebrechen der Kirche geißelnden Sprüchen mit echtem Pathos rühmt, daß man in ihnen die dröh¬ nenden, zermalmenden Schwertschläge Luthers zu vernehmen wähne, und zu¬ gesteht, man werde uoch heute „von der Macht und Ehrlichkeit dieser innerste» Entrüstung tief ergriffen; , , , die Liebe zur Wahrheit, welche den Streitschriften des Wittenberger Mönchs wie denen Lessings die wuchtigen Accente, die hin¬ reißende Überzeugungskraft gab, sie steht auch hinter diesen Sprüchen Walthers mit flammendem Schwerte. Er mochte im einzelnen Unrecht haben mit seiner Verdächtigung und Verurteilung bestimmter Maßnahmen des Papstes: im ganzen, in der allgemeinen Auflehnung gegen die im Innersten frevelhafte Politik der Kurie hatte er unbedingt Recht, sprach er im Namen des heiligen Geistes der Menschheit." Möge das bedeutende Buch, das in einem noch weiter» Sinne, als Burdach es meint, „die Schranken der Zunft überschreitet," einen recht großen Kreis von Lesern auch unter deu ungelehrten Freunden des Dichters gewinnen und dieselbe Glut uneigennütziger Vaterlandsliebe entzünden, die einst die begeisternden Lieder des Sängers in den Gemütern von Tausenden für die Ehre und Größe des Vaterlands, für Kaiser und Reich entfacht haben.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/522
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/522>, abgerufen am 03.07.2024.